Über mich

 

 

 

 

 

Wer sein Licht leuchten lässt,

um von den Menschen gesehen zu werden,

ist ein Tor.

 

Wer sein Licht leuchten lässt,

um sich zu entfalten,

ist ein Streber.

 

Wer sein Licht zu verbergen versucht,

ist ein Asket, manchmal ein stolzer.

 

Wer sein Licht leuchten lässt,

ohne sich darum zu kümmern,

ob es gesehen wird, ist ein Weiser.

 

Wer sein Licht leuchten lässt,

damit es andere erleuchte,

ist ein Liebender.

 

Anonymus

 

in: Quäker - Zeitschrift der deutschen Freunde, Nr. 1 Jan./Febr. 2005

 


 

Ich heiße Ulrich Diehl und ich lebe in Heidelberg am Neckar. Ich kam in Mainz auf die Welt. Ich bin in Neustadt an der Weinstraße und in Zweibrücken aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich habe an der Universität Heidelberg Philosophie, Evangelische Theologie und Religionsgeschichte und an der Indiana University in Bloomington (IN, USA) Philosophie und Wissenschaftsgeschichte studiert und dort auch als Teaching Assistant gearbeitet. Mein Studium habe ich 1984 an der Indiana University mit einem M.A. in Philosophie abgeschlossen. Danach habe ich an der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte in München meinen Zivildienst nachgeholt.

 

Von 1986 bis 1990 war ich zuerst am Philosophischen Seminar der Universität Heidelberg als Fachstudienberater und Lehrbeauftragter tätig. Da ich an der Universität Heidelberg nicht über die philosophische Ethik des Neo-Aristotelikers Franz Brentano promovieren konnte, habe ich 1990 an der Universität Würzburg promoviert. Meine Dissertation Personalität und Humanität war eine systematische Grundlegung einer personalistischen Ethik und Rechtsphilosophie

im Anschluss an Auffassungen von Kant, Brentano und anderen Philosophen. Sie ist im Heidelberger Universitätsverlag C. Winter erschienen.

 

Von 1990 bis 1996 habe ich an der Schiller International University in Heidelberg Philosophie, Deutsche Literatur und Politik gelehrt. Von 1997 bis 2005 hatte ich zahlreiche Lehraufträge in Philosophie und Medizinethik an den Universitä-ten Heidelberg und Mannheim sowie an der Pädagogischen Hochschule. Daneben war ich zugleich an verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung und für die Tübinger Stiftung Weltethos tätig (VHS, SRH, Ev. Akademien). Dabei sind mir die geschichtlichen Wechselwirkungen und die systematische Komplemenarität zwischen Philosophie und Theologie deutlicher bewusst geworden.

 

Von 2005 bis 2008 war ich Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent des Direktors des Zentrums zur Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Schwerpunkt waren dabei zuerst administrative Tätigkeiten und editorische Arbeiten, daneben war ich aber auch in der Lehre und Forschung tätig. Mein Schwerpunkt lag dabei auf der theoretischen und praktischen Philosophie Kants sowie auf seinen kleineren Schriften zur Aufklärung, zur Geschichte und zum Völkerrecht. Danach habe ich von 2008 bis 2012 weiter am Philosophischen Seminar der Universität Halle-Wittenberg geforscht, gelehrt und publiziert.

 

Meine Habilitation über Kants philosophische Konzeption der Menschenwürde wurde jedoch von einer einflussreichen Gruppe von teils marxistischen, teils postmodernen Professoren verhindert. Daraufhin wurde mir die zuvor vereinbarte Weiterbeschäftigung an der Universität Halle-Wittenberg nicht mehr gewährt. Das Angebot zu einer Professur für Philo-sophie an der Universidad de Navarra im spanischen Pamplona habe ich 2012 aus verschiedenen Gründen nicht ange-nommen, zumal sich mir bereits eine alternative Option in Heidelberg eröffnet hatte.

 

2012 kehrte ich nach Heidelberg zurück und war an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften im Rahmen der Edition der Schriften von Karl Jaspers tätig. Ich sollte zuerst die beiden kleinen Schriften Vernunft und Existenz (1935) so-wie Existenzphilosophie (1938) von Karl Jaspers herausgeben und kommentieren. In ihnen hat sich Karl Jaspers von der Existenzphilosophie im Anschluss an Kierkegaard und von der Lebensphilosophie im Anschluss an Nietzsche und damit auch von der Daseinsanalyse von Martin Heidegger distanziert. Er vertrat darin wie in seinem bereits erschienenen drei-bändigen Hauptwerk Philosophie (1931), dass Philosophie entweder Vernunftphilosophie sein müsse oder sich selbst zerstören und dem Irrationalismus verfallen würde.

 

Existenzerhelllung hielt Karl Jaspers fortan nur für eine Teilaufgabe der Philosophie neben der Weltphilosophie und der Metaphysik. Diese Auffassung hat Jaspers bis zuletzt beibehalten, auch angesichts der späteren Existenzphilosophie

von Camus, Sartre und anderen. In einem Brief vom 28. März 1947 an Karl Löwith schrieb Karl Jaspers: "Die Mode des Existenzialismus ist wunderlich. Sie hat mit unserem Philosophieren wenig zu tun." Einigen Herausgebern der Werke hatte es jedoch missfallen, dass ich Jaspers eigene Auffassungen und Intentionen wahrheitsgemäß wiedergegeben hatte. Denn Karl Jaspers gilt seit der Nachkriegszeit fälschlich als Existenzphilosoph und daher lassen sich seine Schriften bis heute so besser verkaufen. Ich wurde zuerst gemobbt und dann gegen die geltenden Statuten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften von einigen Herausgebern aus der externen und arbeitsrechtlich nicht zuständigen Basler Karl-Jaspers-Stiftung nicht weiter beschäftigt.

 

Von 2014 und 2015 war ich dann für ca. 18 Monate als Philosoph am Zentrum für seelische Gesundheit der Klinik Stuttgart in Bad Canstatt tätig. Nachdem ich wegen einiger mächtiger Oberärzte im Kampf um ihre jährlichen Boni schon bald wieder entlassen wurde, habe ich im Herbst 2016 einen Schlaganfall erlitten und musste mich leider früher als vorgesehen pensionieren lassen. Drei letzte Bewerbungen waren vermutlich auch wegen meiner schweren Körper-behinderung durch eine halbseitige Lähmung des Armes und Beines ohne kognitive oder verbale Beeinträchtigungen nicht erfolgreich. Stellenaussschreibungen fordern zwar ordnungsgemäß Körperbehinderte zu Bewerbungen mit einer präferierten Einstellungszusage auf, aber in der tatsächlichen Einstellungspraxis hält sich kaum jemand daran.

 

Ich bin zwar von Berufs wegen Dozent für Philosophie, aber ich habe mich seit meinem Studium der Theologie und Religionsgeschichte immer wieder auch mit dem christlichen Glauben und einigen noch existierenden Religionen der Menschheit befasst. Von daher stammt auch mein Interesse für interkulturelle und interreligiöse Dialoge und Studien sowie für die Konflikte zwischen Glaube (Theologie), Vernunft (Philosophie) und einzelwissenschaftlicher Forschung (Wissenschaften). Interkulturelle und interreligiöse Dialoge kenne ich nicht nur aus akademischen Kreisen, sondern auch aus einer evangelischen Gemeinde und einem Zentrum für Meditation. Von daher weiß ich, wie schwierig sie sein können und dass ihr Gelingen sowohl von einer offenen Einstellung der Teilnehmer als auch von günstigen sozialen, ökonomischen und politischen Umständen abhängt. Dialog predigen ist leicht, Dialoge führen kann oft schwer sein.

 

Auf meiner Homepage möchte ich sowohl Einblicke in meine Arbeit ermöglichen als auch einige Resultate zugänglich machen. Forschung und Lehre, Publikationen und Diskussionen sind in der Philosophie trotz aller Bemühungen um

eine möglichst große Sachlichkeit, klare Begriffe, deutliche Thesen und gute Argumente in einem hohen Maße durch

die jeweilige Herkunft und Persönlichkeit geprägt, d.h. durch Temperament und Lebensgefühl, durch Charakter

und Persönlichkeitstypus, durch Lebensform und Bildungsweg, durch religiöse und konfessionelle Prägungen, durch besondere Kompetenzen und Talente. Damit die Eigenschaften der Persönlichkeit bei der Erforschung und Klärung philosophischer Probleme jedoch nicht im Wege stehen, sondern im Dienste der Suche nach der Wahrheit fruchtbar werden können, bedarf es immer wieder der Betrachtung der jeweiligen Phänomene, um zum besseren Verständnis

der jeweiligen Probleme und zum Verständnis der Antworten der Anderen beitragen zu können.

 

Objektivität und Rationalität sind sowohl in der Philosophie als auch in den formalen und empirischen Wissenchaften wichtige Ziele und keine leichten Aufgaben. Niemand sollte sich jedoch bei seinem Streben nach Objektivität und Rationalität in Wahrheits- und Geltungsfragen selbst ganz verleugnen müssen. Jeder Mensch hat eine Herkunft, einen Lebensweg und eine Persönlichkeit, die auch durch sein Geschlecht, seine soziale und kulturelle Zugehörigkeit, sein Temperament und seinen Charakter sowie durch sein besonderes Wissen und Können geprägt sind. Ob und inwieweit jemand in einer bestimmten Angelegenheit eine solche Objektivität und Rationalität an den Tag legen kann, hängt auch vom jeweiligen Reifegrad seiner Persönlichkeit ab.

 

An unseren Universitäten fehlt es jedoch häufig an der für die wissenschaftliche Forschung und akademische Lehre notwendigen Sachlichkeit und der Offenheit für das Verstehen der Anderen. Nachdem die studentische Revolte der 68er-Generation sich aus nur allzu verständlichen Gründen gegen einen überkommenen Traditionalismus und gegen ehemalige Nationalsozialisten unter den Professoren gewehrt hatte, führte deren Emanzipation seit den 90er Jahren jedoch zu einem Karrierismus und zu einer Merkantilisierung des Hochschulwesens, in dem es vorwiegend um intel-lektuelle Moden, Forschungsgelder, feste Positionen und sichere Karrieren geht. Mittelmäßige Drittmitteljäger und ideologisch angepasste Vertreter der politischen Korrektheit ersetzten geniale Geister, gute Köpfe und solide metho-dische Arbeiter an den Sachen und Problemen. Tricksereien und Plagiate ersetzen allzu oft Gewissenhaftigkeit und Methodentreue. Wer nämlich schon in seinen Drittmittelanträgen auf Forschungsgelder intendierte Ergebnisse vorweg präsentieren soll, der betreibt eigentlich keine wissenschaftliche Forschung mehr, die immer ergebnisoffen und daher auch riskant sein sollte. Vielmehr geht man ein Tauschgeschäft ein. Jemand verkauft eine gerade angesagte Ideologie gegen einen mehrjährigen und risikofreien Unterhalt.

 

Die persönliche Dimension meiner beruflichen Tätigkeit wurde mir auch dadurch bewusst, dass ich einmal für drei Jahre in den USA gelebt, gelehrt und studiert habe. Auch nach meiner Rückkehr hatte ich sowohl im Studium als auch

in der Lehre immer wieder mit Studierenden und Kollegen aus verschiedenen Kulturen und Nationen sowie aus unter-schiedlichen Religionen und Konfessionen zusammen gearbeitet. In diesen persönlichen Angelegenheiten gibt es keine wissenschaftliche Wertfreiheit, keine weltanschauliche Abstinenz und keine politische Neutralität. Hier heißt es, Farbe

zu bekennen und zu den eigenen Überzeugungen zu stehen.

 

Eine große Vielfalt der Meinungen und Überzeugungen, Wissenschaften und Methoden, Religionen und Konfessionen, kann zwar oft faktisch ein Ausgangspunkt sein, ist jedoch kein Selbstzweck, wenn es um Wahrheit geht. Geschlecht, Ethnie, sexuelle Neigungen und Hautfarben sollten eigentlich gar kein Thema sein, wenn es um gute Arbeit und gute Resultate, also um wissenschaftliche Leistung, um persönliche Integrität und um berufliche Kompetenz geht. Vielfalt sollte kein Freibrief für einen leichtfertigen Subjektivismus und Relativismus in Wahrheits- und Geltungsfragen sein, sondern ein intellektueller Ansporn zur gemeinsamen Suche nach erkennbarer Wahrheit und zustimmungsfähiger Geltung von Idealen, Prinzipien, Normen und Werten.

 

Meine politische Grundeinstellung war seit meinen Studienjahren die eines Sozialdemokraten mit ökologischem Bewusstsein und mit einem Engagement für Frieden, Bürger- und Menschenrechte. Das hatte mich schon früh zu einer kritischen Äquidistanz zu rechten und linken Diktaturen gebracht. Das war während des kalten Krieges und wegen der Polarisierung durch diese beiden ideologisch-politischen Lager sicher kein leichter Weg. Als Abiturient habe ich mich

bei amnesty international engagiert, was damals noch eine recht unbekannte Organisation war. Heute ist amnesty international in vielen Ländern eine weithin anerkannte NGO mit humanitärer Zielsetzung, nämlich der anwaltlichen Betreuung und rechtswirksamen Befreiung von politischen Gefangenen in allen Ländern der Welt ganz gleich, ob es

sich um rechte oder linke Diktaturen handelt.

 

Als Student stand ich den Sozialdemokraten nahe und habe mich jedoch bewusst von den damals an der Universität weit verbreiteten Sozialisten und Kommunisten abgegrenzt. Viele Kommilitonen hatten nicht nur starke Sympathien für die sog. K-Gruppen, die damals das studentische Leben und die studentische Hochschulpolitik dominierten. Einige von ihnen sympathisierten auch für die Rote Armee Fraktion (RAF), die mit brutaler Gewalt gegen "das politische System der BRD" von parlamentarischer Demokratie, Rechtsstaat sozialer Marktwirtschaft kämpften. Deren Ablehnung der freiheit-lich-demokratischen Grundordnung hielt ich angesichts der Deutschen Vorgeschichte für eine politische Verblendung.

 

Obwohl ich damals pazifistisch und ökologisch eingestellt war, hatte ich weder die Adenauersche Westbindung noch die Brandt'sche Ostpolitik ernsthaft in Frage gestellt. Sie schienen mir ebenso wie die Europäische Wirtschaftsgemein-schaft (EWG) ein Garant für Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand in Europa zu sein. In dieser Hinsicht hatte ich wohl etwas mehr geschichtliches Verständnis und politischen Weitblick als die Anhänger der sog. K-Gruppen. Das war wohl nicht zuletzt das Resultat meiner humanistischen Bildung. Von 1988 bis 2000 und dann wieder von 2008 bis 2018 war ich Mirglied der SPD und gehörte dort zu den Verehrern von Helmut Schmidt und nicht zu den Fans von Willy Brandt.

 

Allerdings hatte ich auch keine großen Sympathien für die nationalistischen Burschenschaftler in Heidelberg. Nachdem sie sich in der 80er Jahren eher aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatten, trumpften sie in den 90er Jahren wieder auf. Zum Glück war die Schiller International University in Heidelberg frei davon. Deren Sehnsucht nach der deutschen Kulturnation der Vergangenheit war mir immer fremd geblieben. Ich kam nämlich aus einem bürgerlichen Elternhaus mit christlich-humanistischer Gesinnung, in dem auf hohem Niveau Hausmusik gespielt wurde, und nicht nur Goethe und Schiller, sondern auch Thomas Mann und Hermann Hesse gelesen wurden. Außerdem lagen Elsaß und Lothringen in unmittelbarer Nähe. In Zweibrücken (Deux Ponts) hatten wir auch amerikanische und kanadische Nachbarn. Spätes-tens seit einem Schüleraustausch in Frankreich, Sprachferien in England und einem Schulaufenthalt in Schottland war ich ein Deutscher mit europäischer Gesinnung. 

 

Meine politische Grundeinstellung hat sich seit dieser Zeit kaum wesentlich geändert. Von 1988 bis 2000 war ich in der SPD aktiv, wenn auch auf der Linie von Helmut Schmidt und dem Seeheimer Kreis. Unternehmer waren für mich nicht nur Ausbeuter, wie für die Marxisten, insofern sie sich an Gesetze und Tarifverträge halten und ihre Steuern zahlen. Aber Solidarität beginnt für mich zuerst in der Familie und im Freundeskreis, und weitet sich dann über Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und Vereine in die Gesellschaft aus. Das Recht kann keinen menschlichen Anstand ersetzen und Moral kann weder Zuversicht noch Vertrauen noch Liebe erzeugen. Seit ihrer Wende zur linksliberalen Identitäts-politik ist mir die SPD mehr und mehr fremd geworden.

 

Seit den 90er Jahren können wir jedoch sowohl in unseren Schulen, als auch in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einen zunehmenden Verlust an kommunitärer und sittlicher Orientierung feststellen, der vermutlich von einer überbordenden Individualisierung und einer allzu mächtigen Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Lebensverhält-nisse herrührt. Die linksliberale Emanzipation von allen tradierten gesellschaftlichen Institutionen (Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, etc.) hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas zu einer geschichtlich beispiellosen Schub der Individualisierung und Privatisierung geführt, der den sozialen Zusammenhalt aushöhlt und den Gemeinsinn gefährdet. Die digitalen Medien und insbesondere das Internet und die Smartphones haben diese Tendenz immens beschleunigt.

 

An die Stelle gemeinschaftlicher Traditionen des Glaubens, der Bildung und des Politischen sind individualistische Strategien des Karrierismus und der egozentrischen Selbstverwirklichung getreten. Was 1968 als eine Bewegung der Emanzipation begonnen hatte und zur weiteren Demokratisierung Deutschlands beigetragen hatte, wurde von der ökonomisch-politischen Macht des Marktes eingeholt und einem destruktiven Sozialdarwinismus ohne Gemeinsinn unterworfen. Die anhaltenden gesellschaftlichen Krisen sind nicht zuletzt auch eine Folge dieser zunehmenden Ent-fesselung von tradierten sozialen und politischen Bindungen bei den Bürgern und Verantwortungsträgern. Daher bekenne ich mich zum Diktum des ehemaligen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass der Rechtsstaat von kulturellen Voraussetzungen abhängt, über die er selbst nicht verfügen kann. Sogar Jürgen Habermas hat sich etwa vor 20 Jahren dieser Auffassung angeschlossen und auf die Bedeutung von Judentum und Christentum für den deut-schen "Verfassungspatriotismus" (Dolf Sternberger) hingewiesen. 

 

Wenn es darum geht, die Grundwerte unserer Verfassung im Rechtsstaat zu verteidigen und dem Schutz von Leben, Gesundheit und Familie, von Privatsphäre und Bildungschancen sowie von Umwelt und Naturschutz eine deutliche Priorität vor den wildwüchsigen Interessen international agierender Konzerne einzuräumen, dann bin ich wohl eher ein wertkonservativer Bewahrer. Diese Grundwerte von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und menschlicher Würde geraten jedoch in der politischen Wirklichkeit von Staat und Regierung, Gesellschaft und Parteien unvermeidbar in vielfältige Konflikte. Diese Konflikte zwischen Werten und Normen muss man oft aushalten können, manchmal aber auch so weit wie möglich anhand von vorrangingen Idealen und Prinzipien auflösen. Sie müssen in einer modernen Demokratie immer wieder sorgfältig abgewogen und auf eine kluge und situativ angemessene Art und Weise vermittelt werden. Die Flucht ins biedermeierliche Privatleben hat nicht zuletzt auch etwas mit dem Ausweichen vor harten Wert-konflikten zu tun, denen man gerne ausweichen möchte.

 

Aus den politischen Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität und menschlicher Würde ergeben sich politische Ziele wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Schutz der Familien und Kinder, die Solidarität mit sozial Schwachen und Minderheiten, Ausländern und Asylbewerbern. Immer, wenn es im Politischen ernst wird, wie z.B. in der Krise der Finanzwirtschaft von 2008, der Coronakrise von 2020-2022 oder der Ukrainekrise seit 2022 oder auch bei den größeren Terroranschlägen, wie in New York, Madrid oder London, Paris oder Berlin sollten Demokraten dem solidarischen Schutz der Bürger- und Menschenrechte, dem politischen Schutz der Lebensgrundlagen der Menschheit und der Erhaltung stabiler Nationen und Föderationen eine höhere Priorität einräumen als den übertriebenen Sicherheitsbedürfnissen

von Geheimdiensten und dem ökonomisch-politischen Machtstreben von Militärbündnissen.

 

Ohne einen effektiven rechtsstaatlichen Schutz der Bürger- und Menschenrechte kann es keine Gewissens- und Meinungsfreiheit geben, keine freie Presse und öffentliche Diskussion, keine öffentliche Kritik an der Regierung und Legislative, an Judikative und Exekutive, keine öffentlichen Wahlen, keinen Regierungswechsel ohne Blutvergießen

sowie keinen Schutz vor Korruption und unberechtigten Übergriffen durch die Vertreter der Staatsgewalt. Ohne Bürger- und Menschenrechte könnten wir uns auch nicht mehr öffentlich und wirksam für Chancengleichheit, die Interessen

der sozial Schwächeren oder für den Arten- und Naturschutz einsetzen. Das alles gehört jedoch nicht nur zum Kern-gehalt der politischen Errungenschaften Europas, sondern auch zu einem weltweiten politischem Fortschritt.

 

Eine über die realen politischen Verhältnisse aufgeklärte Politik der bestmöglichen Realisierung der Bürger- und Menschenrechte, der Chancengleichheit und Gleichheit vor dem Gesetz, der Leistungsgerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit, des sozialen Friedens und der ökologischen Nachhaltigkeit setzt immer schon ein gewisses Maß an politischer Aufklärung und Urteilskraft voraus. Dazu bedarf es der Gelegenheit zur öffentlichen Kritik am jeweiligen Zustand der Gesellschaft, an Fehlentwicklungen der Kultur und an der aktuellen Situation und Beschaffenheit der Regierung. Wer sein Land liebt, bleibt immer wachsam und kritisch gegenüber den ökonomisch Herrschenden und politisch Regierenden. Patriotismus besteht aus einer Verbindung von aufgeklärtem Eigeninteresse und teilhabender Sympathie mit Herz und Verstand.

 

Ulrich W. Diehl, Heidelberg, überarbeitet und ergänzt im April 2023

 


 

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https://uni-heidelberg.academia.edu/UlrichDiehl