Grundrechte im Krisenmodus

 

 

... die Pandemie lieferte die Blaupause für die Klimabewegung, wie fundamentale Einschränkungen der Grundrechte durchgesetzt werden können. Doch der Zweck darf nicht die Mittel heiligen, schreibt die stellvertretende R21-Leiterin

Dr. Kristina Schröder in einem Kommentar für das Magazin "Der Pragmaticus".

 


 

 

Grundrechte im Krisenmodus

 

KOMMENTAR VON KRISTINA SCHRÖDER

 

Die Pandemie lieferte die Blaupause für die Klimabewegung, wie fundamentale Einschränkungen der Grundrechte durchgesetzt werden können. Doch der Zweck darf nicht die Mittel heiligen.

 

Drastische Grundrechtseinschränkungen, um ein tatsächliches oder vermeintliches kollektives Ziel zu erreichen? Noch zu Beginn des Jahres 2020 hätte ich ziemlich selbstgewiss behauptet, dass dies in Deutschland wie in Österreich kaum möglich wäre.

 

Denn es gehört schon einiges dazu, dass unsere Verfassungsgerichte eine Maßnahme, die in Grundrechte eingreift,

als geeignet, erforderlich und angemessen – und somit als insgesamt verhältnismäßig – erachten, hätte ich aus meiner mitunter leidvollen Erfahrung als ehemalige Innenpolitikerin im Deutschen Bundestag argumentiert. Immer wieder habe ich erlebt, wie uns Instrumente, die wir beispielsweise zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus für sinnvoll hielten, durch richterliche Urteile aus der Hand geschlagen wurden.

 

Dann kam die Pandemie. Und plötzlich verwehrten wir Menschen die Möglichkeit, ihre sterbenden Angehörigen ein letztes Mal zu sehen, nahmen Kindern und Jugendlichen in Summe fast ein Jahr lang ihren entscheidenden Entwick-lungsraum, die Schule, weg und schlossen Ungeimpfte rigoros vom gesellschaftlichen Leben aus.

 

Geschürte Panik statt Aufklärung

 

All dies wurde begleitet von einer staatlichen Kommunikation, die bewusst Panik schürte. Denn eine ehrliche Dar-stellung des Risikos, die eingeräumt hätte, dass Covid für Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene keine nennens-werte Gefahr darstellte (der britische Premier Boris Johnson bezeichnete die Krankheit in einer SMS an seinen Gesund-heitsminister Matt Hancock als „negligible“, unerheblich), hätte die Menschen wohl kaum dazu gebracht, derart weit-gehende Grundrechtseingriffe für sich und ihre Kinder hinzunehmen.

 

Ich habe aus dieser Erfahrung gelernt, dass unter Konservativen die autoritäre Pose des strengen Staatslenkers, der dem Volk „die Zügel wieder anzieht“, immer noch erstaunlich gut ankommt. Dass Linke diensteifrig jede Unmensch-lichkeit exekutieren, wenn sie nur erfolgreich als „solidarisch“ geframt wurde. Und dass es Liberalen bestürzend schwerfällt, kollektivistischen Umdeutungen des ehrwürdigen Freiheitsbegriffs etwas entgegenzusetzen. Zwei Denkmuster waren es, die zur überschießenden Tendenz in der Pandemiebekämpfung führten:

 

Zum einen wurde fast jede Abwägung verweigert. Nur der Infektionsschutz zählte, weitere Zieldimensionen allgemeinmedizinischer, psychologischer, sozialer, pädagogischer, ökonomischer, fiskalischer oder kultureller Art kamen in der öffentlichen Debatte kaum vor. Einzelne Stimmen, die darauf beharrten, dass eine Maßnahme, die bei der Infektionseindämmung einen Nutzen bringt, dennoch falsch sein kann, weil sie gesamtgesellschaftlich einen noch größeren Schaden anrichtet, wurden herrisch vom Tisch gefegt. Häufig kam in solchen Situationen der Hinweis: „Das Virus diskutiert nicht.“

 

Zum anderen wurde oft nach dem genauso alten wie falschen Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ verfahren. Deshalb machten wir auch vor dem Kerngehalt von Grundrechten nicht halt, wenn es denn der angeblich guten Sache diente. Im Fall der Isolation alter und sterbender Menschen war es nach meiner Überzeugung sogar die eigentlich unantastbare Menschenwürde, die eben doch angetastet wurde.

 

Inzwischen ist Corona vorbei, jetzt geht es um den Klimawandel. Und wieder lassen sich die beiden in der Pandemie vorherrschenden Argumentationsmuster beobachten: Verweigerung von Abwägung sowie ein Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Denken.

 

Die Klimawandel-Apokalypse

 

Auch diesmal wird mit möglichst apokalyptischen Bildern gearbeitet. Kindern, die heute in den Kindergarten gingen, so die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt im März 2023 in einer Talkshow, drohe das Schicksal, „keine belebbare Erde mehr“ zu haben. „Keine belebbare Erde mehr“: Wer traut sich da schon, mit der Forderung nach Ab-wägung um die Ecke zu kommen?

 

Und so steuert Deutschland derzeit in Richtung eines radikalen Klimaschutzdogmas, das die Kosten des eingeschlag-enen Weges nahezu komplett ignoriert. Das Klima diskutiert schließlich genauso ungern wie einst das Virus. Für Ös-terreich bin ich insbesondere mit Blick auf die klug konstruierte ökosoziale Steuerreform ein wenig optimistischer. Die Kosten des Klimaschutzes sind jedoch von fundamentaler Art. Fast immer bestehen sie im Verlust von Wohlstand oder Freiheit.

 

Dies müsse sogar so sein, so unser deutsches Bundesverfassungsgericht in seinem als bahnbrechend gefeierten Klimaschutzurteil aus dem Jahr 2021, in dem es mal eben eine neue Unterkategorie der allgemeinen Handlungsfreiheit aufmachte: Es sei „verfassungsrechtlich geboten“, so das Gericht, „CO2-relevanten Freiheitsgebrauch“ immer stärkeren Restriktionen zu unterwerfen.

 

Vor dem Erfahrungshintergrund der Pandemie kann man sich diese künftigen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektions-, Pardon, CO2-Geschehens leicht ausmalen: Es drohen Vorgaben, die unsere privateste Lebensführung betreffen. Wie wir wohnen, heizen, uns fortbewegen, reisen und was wir essen, könnte bald keine individuelle Entscheidung mehr sein, sondern immer mehr vom Staat diktiert werden.

 

Der langjährige Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, der in manchen Kreisen als Deutschlands bedeutendster Klimaschützer gilt, hat bereits einen entsprechenden Vorschlag gemacht: Man könne ja jedem Bürger ein CO2-Budget von drei Tonnen jährlich zur Verfügung stellen. Was das bedeuten würde, kann jeder ermessen, der weiß, dass die Deutschen derzeit pro Kopf durchschnittlich elf Tonnen CO2-Emissionen jährlich verantworten.

 

Sehnsucht nach Verzicht

 

Sorgt ein Vorschlag wie jener von Herrn Schellnhuber im allzeit empörungsbereiten deutschen Politikbetrieb wenigstens für größtmögliche Aufregung? Nein, keineswegs: Die Idee wurde mit allgemeinem Wohlwollen und Respekt zur Kennt-nis genommen, allenfalls wurde angemerkt, sie sei „zurzeit noch nicht realistisch“.

 

Diese beflissene Bereitschaft, grundlegende Freiheitsrechte preiszugeben, verstört umso mehr, als eine entscheidende Frage kaum gestellt, geschweige denn beantwortet wird: Muss wirksamer Klimaschutz wirklich derartige Verluste an Freiheit und Wohlstand bedeuten? Geht es nicht auch anders, der Ökonom würde sagen: kosteneffizienter?

 

Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, sich vom rein nationalen Fokus zu verabschieden. Die Umsetzung der Einsparziele, zu denen sich Österreich und Deutschland international verpflichtet haben, müssen Österreich und Deutschland finan-zieren, das ist klar. Aber das heißt nicht, dass die Einsparung auch bei uns erfolgen muss. In Industrienationen sind die Kosten für die Vermeidung einer Tonne CO2 besonders hoch – unter anderem, weil viele Einsparpotenziale bereits ge-nutzt wurden, aber auch, weil sich Solaranlagen bei uns nie so wirtschaftlich betreiben lassen wie in sonnenreicheren Regionen.Artikel 6 des Pariser Klimaschutzabkommens sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, Projekte in anderen Staaten zu finanzieren und die Reduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen. Bisher hat lediglich die freisinnige Schweiz derartige Abkommen getroffen – unter anderem mit dem Senegal, Ghana und Georgien. In Deutschland wird über diese Möglichkeit internationaler Kooperation kaum gesprochen. Deutscher Klimaschutz muss in Deutschland stattfinden – koste es, was es wolle. Warum diese Blindheit gegenüber Kosten? Warum diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Verlust an Freiheit und Wohlstand? Warum diese Sehnsucht nach Verboten, Verzicht und Buße?

 

Kampf gegen das System

 

Ich bin überzeugt, dass weite Teile der Klimaschutzbewegung auch unsere Art, zu leben und zu wirtschaften, mindes-tens so sehr bekämpfen wie den Klimawandel. Sie hängen dem in linken Bewegungen der westlichen Welt seit den 1970er-Jahren sehr wirkmächtigen Narrativ an, dass freiheitliche und marktwirtschaftliche Gesellschaften strukturell ausbeuterisch und zerstörerisch seien. Außerdem natürlich auch strukturell diskriminierend und rassistisch; damit beschäftigen sich dann die Mitstreiter der Wokeness-Bewegung.

 

Klare empirische Befunde, dass Gewässer und Luft umso sauberer, Flora und Fauna umso vielfältiger sind, je kapitalistischer ein Land aufgestellt ist, werden in diesen Kreisen robust ignoriert. Mit dem Klimaschutz haben die Aktivisten einen starken Hebel gefunden, das verhasste kapitalistische System zurückzudrängen. Daher besteht an einem marktwirtschaftlichen Klimaschutzregime keinerlei Interesse. Und erst recht nicht an einer Breakthrough-Technologie.

 

Ich bin mir sicher: Würde morgen eine technische Lösung gefunden werden, die es uns erlaubt, CO2 insgesamt un-schädlich zu machen – große Teile der radikalen Klimaschutzbewegung wären nicht erleichtert, sondern enttäuscht.

 

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