Moderne Physik des 21. Jahrhunderts

 

 

Gerd Ganteför, Das Weltbild der Physik (Universität Konstanz)

 

Das Universum besteht nach der zeitgenössischen Physik aus fünf Komponenten:

 

1. Eine vierdimensionale Raumzeit (Verschränkung von dreidimensionaler Raum und linearer Zeit)

 

2. Drei stabile Elementarteilchen: Elektronen, Neutronen (Upquarks) und Protonen (Downquarks); hinzu kommen noch die instabilen Elementarteilchen: Photonen bzw. Lichtteilchen

 

3. Vier Naturkräfte: Gravitation und elektromagnetische Wechselwirkung im ganzen Universum; starke und schwache Wechselwirkung im Atomkern

 

4. Einige übergeordnete Naturgesetze: Kausalität, große Erhaltungssätze, u.v.a.m.

 

5. Einige Naturkonstanten: die Lichtgeschwindigkeit, die Planck-Konstante, die Elementarladung, die Boltzmann-Konstante und die Gravitationskonstante (verschiedene Auffassungen)

 

Naturgeschichte: Anfang: Urknall – Konstante Ausdehnung des Universums – Ende: Kältetod

 

Grenzen der Physik:

  • Unerklärbarkeit des Urknalls (Modell)
  • 95 % der Substanz des Universums wurden noch nicht erklärt: dunkle Energie und dunkle Materie
  • Ursprung und Lokalisation der Antimaterie wurden noch nicht erklärt
  • Warum gibt es nur diese vier Naturkräfte?
  • Warum gibt es nur drei Sorten von Elementarteilchen?
  • Warum gibt es die Massen der Elementarteilchen?
  • Warum gibt es die fein abgestimmten Werte der Naturkonstanten?
  • Woher kommt der konstante Wert der Lichtgeschwindigkeit?

Aktuelle Rätsel der Physik:

  • Warum gab es eine so schnelle Ausdehnung des Universums mit Überlichtgeschwindigkeit in der Inflationsphase von nur 1o-35 -stel Sekunden unmittelbar nach dem Urknall?
  • Wieso gibt es die Farbladung der Quarks?
  • Warum ist die Quantentheorie mit der (Allgemeinen) Relativitätstheorie inkompatibel?
  • Warum ist das Vakuum, d.h. die leere Raumzeit kein Nichts, sondern selbst eine Substanz?

Neuere Erkenntnisse der modernen Physik:

  • Elementarteilchen sind Anregungszustände der Raumzeit. Sie entstehen durch Energiezufuhr aus dem Vakuum heraus wie Wirbel auf einer Wasseroberfläche.
  • Die Naturkräfte und Naturkonstanten sind Bestandteile der vierdimensionalen Raumzeit.
  • Wir wissen nicht, ob außerhalb dieser vierdimensionalen Raumzeit noch etwas existiert.

Offene Fragen: 

 

Die Naturkonstanten ergeben, dass das Universum auf die Möglichkeit der Entstehung von Leben fein abgestimmt zu sein scheint. Wieso scheint das Universum fein abgestimmt zu sein? (Martin Rees)

 

Vier mögliche Erklärungen:

 

1. Zufall

 

2. Design aufgrund der Entscheidung eines höheren intelligenten Wesens (Gott?)

 

3. Verborgene Variablen aufgrund von übergeordneten, uns noch unbekannten Naturgesetzen

 

4. Multiversen in einem Mega-Universum mit anderen Anfängen und (un-)bewohnbaren Lebewesen (Leonard Susskind)

 

Gibt es jenseits des für uns aufgrund der Lichtgeschwindigkeit überhaupt zugänglichen Universums innerhalb von 13, 8 Milliarden Lichtjahren noch etwas Anderes? Indizien: Inflation, Flachheit des Universums, Anisotropien

 

Nichtklassische Quantenphysik

  • Statistische Unbestimmtheit und beobachterabhängige Komplementarität der Welle-Teilchen-Natur der Lichtquanten (Interferenzmuster beim Doppelspaltexperiment)
  • Seltsames Phänomen der Verschränkung von raumzeitlich voneinander entfernten und nicht kausal wechselwirkenden Quanten (Wolfgang Pauli)
  • Beobachterabhängige Qualität der Teilchen (Gleichzeitigkeit von On/off-Zuständen) (Erwin Schrödinger)
  • Quanteninformation als Faktor in der Mikrowelt der Quanten (John Archibald Wheeler)

„it from bit symbolizes the idea that every item of the physical world has at bottom an immaterial source and explanation … that all things physical are information theoretic in origine and that this is a participatory universe“ (John Archibald Wheeler)

  • Gibt es die Möglichkeit der Entstehung von Etwas aus Information (It from bit)?
  • Konsequenz: Quantenmechanische Information scheint ein Element des ganzen Universums zu sein?
  • Klassische Physik: Information ist ein emergentes Produkt intelligenter Lebewesen
  • Tiere kommunizieren miteinander durch ihr nonverbales Verhalten und ihre Signalsprachen
  • Menschen kommunizieren miteinander durch nonverbales Verhalten, nonverbale Gestik und durch propositionale und logisch bivalente Sprachen, sodass sie die Wirklichkeit erkennen können. (Wahrheitsfähigkeit)
  • Moderne Biologie: Genetische Information in der DNA bestimmt den Aufbau, die Gestalt und die potenziellen Funktionsweisen aller organischen Lebewesen
  • Quantenteleportation oder Quantenmechanische Fernwirkung jenseits von Raum und Zeit 

  • Polarisation von Quanten über große Distanzen in Fernwirkung bei vielfacher Lichtgeschwindigkeit

  • Quantenphysikalische Spekulation: Könnte Information der Ursprung alles dessen sein, was es gibt?

 Problem: Informationen brauchen materielle Träger!

 

Anton Zeilinger, A Foundational Principle for Quantum Mechanics (seinPaper, für das er den Nobelpreis bekam)

 

Mutmaßliche Resultate der modernen Physik:

 

1. Wir haben bisher nur einen kleinen Teil der gesamten Wirklichkeit erkundet.

 

2. Information spielt eventuell auch in der unbelebten Natur eine Rolle.

 



 

Die moderne Physik des 21. Jahrhunderts - ein Politikum?

 

Die moderne Physik des 21. Jahrhunderts fordert unseren gesunden Menschenverstand des Alltagslebens in der natürlichen und kulturellen Lebenswelt noch mehr heraus als die moderne Physik des 20. Jahrhunderts. Daher ist es wichtig, die besondere Rolle der Physik als Einzelwissenschaft im System der anderen Naturwissenschaften und die

Rolle der Naturwissenschaften im gesamten System aller Wissenschaften zu verstehen. Alle Wissenschaften und ins-besondere auch alle Naturwissenschaften sind nur eine gegenständliche Ausweitung, eine rationale Fortsetzung,

eine methodische Spezialisierung des Common Sense mit besonderen Methoden der Forschung.

 

Alle Wissenschaftler leben als Bürger und Menschen in ihren jeweiligen soziologisch, ökonomisch und politisch sehr verschiedenen Gesellschaften und bedienen sich in ihrem alltäglichen, privaten und familiären Leben ihres gesunden Menschenverstandes, der es ihnen ermöglicht hat, ihr Fach zu studieren, sich zu qualifizieren und sich darin zu spezia-lisieren. Aber alle Wissenschaftler und insbesondere auch alle Naturwissenschaftler sind dadurch auch gefährdet,

durch eine gewisse Deformation professionelle ihren gesunden Menschenverstand zu verlieren, indem sie ihre Lebens-welt und insbesondere die Ökonomie und Politik mit ihrem fachwissenschaftlich verengten und verzerrten Verstand

interpretieren. 

 

Sobald sich Naturwissenschaftler anmaßen, die Grenzen des Gegenstandsbereiches und der Methoden ihres jeweiligen Fachgebietes zu überschreiten, um ein gesamtes Weltbild oder eine Weltanschauung zu entwickeln, begeben sie sich auf das "Hoheitsgebiet" und in den Kompetenzbereich der Philosophen, wo sie oft blutige Laien sind, da sie das nicht

von der Pike auf gelernt haben und daher weder über die philosophiegeschichtlichen Kenntnisse noch über die methodischen und systematischen Kompetenzen der Philosophen und Wissenschaftstheoretiker verfügen.

 

Die Physik ist trotz ihres relativ hohen Ansehens in der breiten Öffentlichkeit unserer Zeit jedoch nur eine bestimmte

und sehr beschränkte Naturwissenschaft unter vielen und nur die Naturwissenschaft der anorganischen Materie und Energie sowie der Kontinua von Raum und Zeit. Die Physik kann daher nicht mehr als eine Wissenschaft vom Ganzen des Universums gelten, da es zumindest auf der Erde organisches Leben und intelligente Lebewesen mit Bewußtsein gibt und dann auch uns selbst, den Menschen als intelligentes Lebewesen mit Bewußtsein, propositionaler Sprache, Erinnerung und Ahnung, Fantasie und Kreativität, etc..

 

Die Physik erforscht nur die untersten materiell-energetischen Ebenen der irdischen Natur. Um die gesamte irdische Natur, aber auch um die astrophysikalischen Phänomene im Universum erforschen zu können, muss die an sich schon recht beschränkte Einzelwissenschaft der Physik zumindest um die anorganische Chemie erweitert werden. Aber schon alleine eine Reduktion der Prinzipien, Methoden und ontologischen Voraussetzungen  der anorganischen Chemie auf die der Physik ist nicht möglich.

 

Erst recht müssen Physik und anorganische Chemie um die organische Chemie und die Biologie erweitert werden, um die Grundbausteine des Lebendigen auf der untersten Ebene, wie die Aminosäuren, die DNA und die RNA zu erfor-schen, und erst recht, um die Elemente des Lebendigen auf der molekularen Ebene der Zellen, Einzeller und Zell-verbände, und wiederum noch viel mehr, um die Elemente des Lebendigen auf der höheren Ebene primitiver Lebe-wesen wie Amöben oder gar Würmer und Insekten zu erforschen.

 

Die Physik ist als Mikro- oder Teilchenphysik zwar eine Fundamentalwissenschaft von der untersten Ebene der kleinsten materiellen Teilchen, energetischen Schwingungen und Wellen und als Makro- oder Astrophysik eine räumlich und zeitlich alles umfassende Naturwissenschaft von der mutmaßlichen Entstehung, Ausdehnung und Entwicklung des schier unendlichen Universums. Aber die im Alltag der Menschen wichtigste Physik ist immer noch die klassisch mechanische Mesophysik unserer dreidimensionalen natürlichen und kulturellen Lebenswelt, in der wir Menschen leben, denken, fühlen und handeln. Die Physik ist daher weder eine Universalwissenschaft noch eine Wissenschaft

von der rationalen Einheit aller Wissenschaften. 

 

Anmaßende Versuche, die einzelwissenschaftlichen Grenzen der Physik als einer begrenzten Naturwissenschaft hat es in der Neuzeit immer wieder gegeben. Im 20. Jahrhundert haben Physiker die gewaltige Macht der atomaren Spaltung entdeckt und damit den Bau von Atombomben und Atomwaffen ermöglicht. Auf diese Weise haben Physiker aus fehlendem Respekt vor dem Lebendigen und vor den Bedingungen der Möglichkeit des Lebens auf der Erde die ganze Menschheit und alles Leben auf der Erde gefährdet.

 

Da es bei den Atomwaffen immer noch um Leben und Tod geht, und zwar nicht nur um Leben und Tod einiger Tausend und Millionen von  Menschen wie in großen Kriegen und Pandemien, sondern potentiell um Leben und Tod der ganzen Menschheit müssen Menschen und Bürger mit gesundem Menschenverstand sowie kritisch-realistische bzw. kritisch-rationalistische Philosophen auch manchmal etwas verrückt gewordenen Physiker zu kritisieren wagen. Denn auch Physiker sind wie alle Naturwissenschaftler und wie alle Wissenschaftler überhaupt auch nur fehlbare und verführbare Menschen. Manchmal lassen sie sich dazu hinreißen, die logischen, epistemischen, ontologischen und methodischen Grenzen der Physik zu überschreiten, um ein wenig mächtiger, reicher oder berühmter zu werden.

 

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts reichen viel weniger als alle Atomraketen der Atommächte der Menschheit aus, um

alles Leben auf der Erde für immer auszulöschen und die ganze Erde in einen eiskalten und toten Planeten und in eine Art von Massengrab der irdischen Natur und Trümmerfeld der menschlichen Kulturen zurück zu verwandeln. Es ist daher nötiger, als je zuvor, den beschränkten Platz der Physik als bloßer Einzelwissenschaft im vielfach geschichteten System der Naturwissenschaften und die Grenzen der Naturwissenschaften im komplexen System aller Wissenschaften zu verstehen. 

 

Selbstverständlich können Menschen und Bürger mit gesundem Menschenverstand sowie kritisch-realistische bzw. kritisch-rationalistische Philosophen alleine mit Hilfe ihres Common Sense noch lange nicht die physikalischen Experi-mente, Hypothesen, Theorien und Forschungen von Teilchen- und Astrophysikern verstehen und beurteilen. Dazu braucht man eben deren spezielle mathematischen und physikalischen Kenntnisse und muss sich nach einem erfolg-reichen Studium der Physik in einen bestimmten Problembereich eingearbeitet haben.

 

Daher müssen sich Physiker, die auf bestimmten Gebieten forschen, miteinander diskutieren und ihre jeweiligen Bei-träge zur Forschung untereinander prüfen und sich gegenseitig korrigieren. Menschen und Bürger mit gesundem Menschenverstand sowie kritisch-realistische bzw. kritisch-rationalistische Philosophen können sich allenfalls mit populärwissenschaftlich aufbereiteten Darstellungen des jeweiligen Standes der Forschungen befassen und zu verstehen versuchen, was Sache ist und in welche Richtung die neueren Forschungen gehen. 

 

Obwohl die Physik eine weitgehend autonome Wissenschaft ist, muss es in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften ähnlich wie in der Humanmedizin, Biologie, Chemie und Ökologie jedoch auch universitäre Ethikkommissionen und nationale Ethikräte geben, die ausgewählte Forschungen begutachten und bewerten, damit es eine gewisse politische Kontrolle über die finanziellen Mittel, die Methoden, die Nutzenkalkulationen und die Folgenabschätzungen über Risiken und Nebenwirkungen aufwendiger Forschungsprojekte gibt. Daher ist kann auch die moderne Physik wie andere Naturwissenschaften gelegentlich zu einem Politikum werden.