Theismus oder Pantheismus?

 

 

 In den letzten Jahrzehnten galt es in der akademischen Philosophie in Deutschland als abwegig und exzentrisch, unerwünscht und überhohlt, für oder gegen den Theismus zu argumentieren. Unter "Theismus" versteht man die philosophische oder theologische Auffassung, dass es Gott wirklich gibt und dass Gott ein absolutes intelligentes

Wesen ist, dem nicht von ungefähr anthropomorphe oder personale Eigenschaften, wie Absichten und Gedanken, Willen und Handlungen zugeschrieben werden.

 

Seit dem Höhenflug des Atheismus im 20. Jahrhundert im Gefolge der modernen Religionskritik von Ludwig Feuerbach und Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud dachte man nämlich, dass es doch eigentlich klar sei, dass der theistische Glaube an Gott bestenfalls nur eine etwas altertümliche menschliche Idee und eine religiöse Vorstellung

ohne irgendeinen glaubwürdigen Realitätsgehalt sein könne. Es galt daher als ausgemacht, dass man jenseits eines klaren Atheismus sich höchstens noch selbst als Agnostiker ("Nichtwisser") oder als Pantheist im Sinne von Heraklit

oder Spinoza verstehen könne.

 

Pantheisten glauben bekanntlich, dass das ganze Universum bzw. das ganze Sein irgendwie selbst Gott seien oder wenigstens 'Gott' genannt werden können. Goethe hielt den Pantheismus nur für einen geschickt verdeckten und vornehmeren Atheismus, aber zumindest konnte man sich damit ähnlich wie mit dem Agnostizismus opportunistisch zwischen einem offensiven Atheismus und einem scheinbar überhohlten Theismus hindurchmogeln.

 

Kant, der Protagonist einer philosophischen Aufklärung über die Aufklärung und der Kritiker eines seichten, bloß empiristischen und naturalistischen "Aufkläricht", war kein Atheist, sondern ein Verteidiger eines moralisch motivierten Glaubens an Gott, ohne den man nach Kant „seines Leben nicht froh“ werden kann. Kant glaubte zwar nicht, dass ein solcher moralischer Glaube an Gott schon in irgendeiner bestimmten institutionalisierten Religion oder Konfession verkörpert wäre oder vorbildlich realisiert werden könnte. Aber anders als die naturalistischen Radikalaufklärer im Anschluss an Spinoza war er kein intoleranter Gegner der Religionen und Konfessionen.

 

Nach Kant sind die Menschen frei, entweder Atheist oder Agnostiker, Pantheist oder Theist zu sein, weil es sich um eine aporetische Sache des Glaubens handelt, die weder empirisch-wissenschaftlich noch rational-philosophisch endgültig geklärt oder allgemeingültig entschieden werden kann. Dennoch folgte der Zeitgeist im Europa des 20. Jahrhundert nicht Kants philosophischer Begründung der religiösen Toleranz, sondern schwankte zwischen offensiven atheistischen Bewegungen wie im Marxismus-Leninismus und reaktionären Bewegungen hin zu einer entweder germanischen oder römischen Mythologie wie im deutschen Nationalsozialismus und italienischen Nationalfaschismus. Beide politischen und weltanschaulichen Bewegungen waren dezidiert und offensiv antisemitisch und antichristlich.

 

Zu der atheistischen Überzeugung des modernen Zeitgeistes gehörte der feste, aber falsche Glaube daran, dass

der Atheismus ein endgültiges Resultat der neuzeitlichen Naturwissenschaften und der europäischen Aufklärung gewesen sei, das nur noch einige kulturelle und politische Reaktionäre infrage stellen könnten. Entsprechend weit verbreitet war das stolze Selbstbewusstsein, dass es fraglos einen Fortschritt darstellen würde, dass der Theismus

in akademischen und intellektuellen Kreisen mausetot und überhohlt sei. Die intellektuelle Verabschiedung des Theismus gegen den vorherrschenden Zeitgeist infrage zu stellen, galt daher entweder als absurd oder als reaktionär.

 

Da heute selbst viele evangelische Theologen den in der Bibel enthaltenen Glauben an Gott nur noch historisch-kritisch für menschliche Zeugnisse der Glaubenserfahrungen und Glaubensüberzeugungen der antiken Israeliten halten und

da sie selbst weder an Gott noch an die leibliche Auferstehung Christi noch an den Heiligen Geist glauben und da sie ihre ganzen historischen und philologischen Kenntnisse oft nur noch dazu nutzen, sich dem atheistischen Zeitgeist

und der modernen Zunft der Psychotherapeuten so weit wie möglich anzupassen, um die Evangelische Kirche weit-gehend in den Dienst psychologischer und psychotherapeutischer, moralischer und politischer Ziele und Zwecke zu stellen, beibt auch den meisten Dozenten und Professoren in der akademischen Philosophie bald nur noch übrig,

in den Chor des atheistischen Zeitgeistes einzustimmen und dem modischen Abgesang auf den Theismus zuzu-stimmen.

 

Methodischer Atheismus in den Wissenschaften

 

Dass die empirischen Natur- und Sozialwissenschaften, die formalen Wissenschaften (Logik, Mathematik und Infor-matik), die historischen und praktischen Wissenschaften und Künste (Medizin, Ökonomie und Jurisprudenz, etc.) methodisch atheistisch vorgehen, d.h. so tun, als ob es keinen Gott gäbe, und jedenfalls weder die Existenz Gottes voraussetzen oder die Hypothese von der Existenz Gottes zur Erklärung von Phänomenen, Daten oder Kausalitäten einbringen, ist zumindest in Europa seit der Moderne so gut wie selbstverständlich geworden. Für die beiden Geistes-wissenschaften der Philosophie und der Theologie gilt dies jedoch nicht und sollte es wenigstens nicht gelten.

 

Eine atheistische Theologie ist ein logischer Widerspruch in sich selbst und bedeutet intellektuelle Selbstzerstörung

oder institutionellen Selbstmord aus ideologischen Gründen. Aber auch eine historisch-kritische Theologie, die auch

nur bei der Lektüre, Auslegung und philologischen Erforschung ihrer sakralen Schriften methodisch atheistisch vor-ginge, wäre nur im Sinne objektivierender religionswissenschaftlicher Studien von einem äußeren, nicht-christlichen Standpunkt aus möglich. Theologen können einen solchen äußeren, nur noch religionswissenschaftlichen Standpunkt jedoch nicht vollständig, sondern höchstens probeweise einnehmen. Andernfalls wäre das auch ein auto-aggressiver Beitrag zu einer intellektuellen Selbstdemontage ihrer jeweiligen Theologie, die von Hause aus im Dienste der prakti-schen Ausbildung von Pfarrern oder Priestern steht.

 

Umstritten ist in der europäischen Moderne, wie es sich bei der Philosophie verhält und verhalten sollte. Spätestens

seit der Neuzeit und Moderne gab es in Europa nicht nur viele atheistische und agnostische, sondern auch immer noch einige wenige pantheistische und theistische Philosophen. Aber gerade deshalb kann und darf sich die Philosophie als diskursive Theorie und Praxis nicht von vorne herein auf den einen oder anderen Standpunkt festlegen. Wo sie das dennoch tut, wie etwa im Rahmen evangelischer oder römisch-katholischer Hochschulen, wird sie oft zur christlichen Weltanschauung und verliert ihren einzigartigen philosophischen Charakter der minimalen Voraussetzungen und der rationalen Methode des selbstkritischen methodischen Zweifels.

 

Eine vollständige Voraussetzungslosigkeit, von der manche frühe Phänomenologen wie Edmund Husserl träumten,

die auch noch manche Existenzialisten wie Camus und Sartre anders als Heidegger und Jaspers anstrebten, ist jedoch auch keine reale menschliche Möglichkeit, sondern eine allzu menschliche Selbsttäuschung. Es scheint, dass man entweder nur wie Descartes, Kant und Husserl vom eigenen allgemeinen Ich, Subjekt oder Selbst ausgehen kann oder aber wie Aristoteles, Reid und Brentano von einer gemeinsamen menschlichen Natur, d.h. von der existenziellen Erfahrung und Einsicht, dass ich kein Individuum ineffabile (ein unbegreifbares Individuum) bin, sondern eben ein Mensch unter Menschen, ohne die ich nicht hätte werden können, was und wer ich jeweils geworden bin. 

 

Aber es ist für die Philosophie eben auch nicht möglich, methodisch atheistisch vorzugehen. Zwar kann sie weder

ohne Weiteres von Dasein Gottes ausgehen oder das Dasein Gottes voraussetzen, weil sie dann bereits a priori einen theistischen Standpunkt einnehmen würde. Philosophie kann redlicherweise immer nur von einer genauer zu be-stimmenden allgemein zugänglichen Erfahrung und einer genauer zu bestimmenden gemeinsamen Vernunft aus-gehen. Die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, muss in ihr ebenso diskursiv erörtert werden, wie die Frage, ob es eine unsterbliche Seele gibt oder nicht, oder die Frage, ob der menschliche Wille unbedingt frei sein kann oder nicht.

 

Dass der Atheismus oder wenigstens der Agnostizismus in der europäischen Philosophie des 20. Jahrhunderts zum guten Ton gehörte, ist einer kontingenten historischen Entwicklung geschuldet, die auch hätte anders verlaufen können. Es ist jedenfalls kein geschichtlicher Fortschritt, wie Atheisten und Agnostiker nur allzu gerne behaupten, glauben und hoffen, sondern nur eine zufällige historische Folge des Atheismus und des Naturalismus des 19. Jahrhunderts im Gefolge von Feuerbach und Marx, Nietzsche und Freud.

 

Dass es pantheistische und theistische Philosophen im 20. Jahrhundert sehr schwer hatten, überhaupt Gehör zu finden, sich gegen massive Widerstände akademisch behaupten und frei publizieren zu können, war nur eine Folge der aka-demischen und universitätspolitischen Vorherrschaft der Atheisten und Agnostiker, aber keine Folge von besseren Konzeptionen und Argumenten. Atheisten und Agnostiker meinen zwar immer noch gerne, dass sie "die Geschichte" oder "die Vernunft" auf ihrer Seite hätten. Aber ihr fester Glaube an die Parteilichkeit "der Geschichte" oder "der Vernunft" ist eine hypertrophe Anmaßung und nur eine Art von nützlichem Aberglauben.

 

Wiederkehr des Pantheismus und Theismus im 21. Jahrhundert?

 

Dass es gerade von Seiten der Naturwissenschaften einige gute Gründe gibt, diesen selbstgewissen Atheismus in

Frage zu stellen, konnten sich die meisten Menschen in Europa lange nicht vorstellen. Und doch ist es so. Wissen-

schaftliche und philosophische Reflexionen (1.) über die sog. Urknalltheorie in der Astrophysik, (2.) über die kontingente oder auch notwendige Entstehung des Lebens auf der Basis der Informationen der DNA in allen Lebewesen in den habitablen Zonen von sonnenartigen Zentralgestirnen im Universum und schließlich (3.) über die Entstehung logischer, sprachlicher und rationaler Intelligenz des Menschen auf der Erde und anderer menschenartiger Lebewesen auf anderen erdähnlichen Planeten im Universum, lassen die metaphysische Hypothese von der kreativen Initiative einer höheren schöpferischen Intelligenz wider Erwarten wieder ziemlich plausibel erscheinen.

 

Selbstverständlich wäre es naiv zu meinen, man dürfe oder müsse sich Gott nun als eine Art von kosmischer Person

mit menschlichen Antlitz vorstellen, die gewissermaßen "außerhalb von Raum und Zeit" lebt und die schon vor ihrer Erschaffung der Welt "gelebt" habe  und die gelegentlich sozusagen "von außen" in das Weltgeschehen "eingreift" und dann von dort aus übernatürliche Wunder vollbringt. Es ist nur allzu menschlich, dass sich Menschen Gott analog in solchen anthropomorphen Bildern vorstellen. Alle Religionen und Konfessionen tun das und können kaum anders.

Aber vielleicht geht es auch anders? Die metaphysische Hypothese von der kreativen Initiative einer höheren schöpfe-rischen Intelligenz kann auch weniger analog formuliert werden und weniger anthropomorph und mythologisch ausfallen.

 

Natürlich bedeutet eine solche metaphysische Hypothese auch nicht gleich eine volle Bestätigung des personalen

und anthropomorphen Gottes des jüdischen Tanach, der christlichen Bibel oder des islamischen Koran. Aber trotz aller Differenzen der jüdischen, christlichen und islamischen Gottesbilder kommt eine solche metaphysische Hypothese dem theistischem Glauben näher als einer nur pantheistischen und apersonalen Vorstellung der Gottheit als "Allnatur", als "das Ganze des Seins" oder als "Alles in Allem". Schon eher besteht eine gewisse Ähnlichkeit zum Gottesbild von Platon und Aristoteles, was sicher nicht alle Juden, Christen und Muslime gerne hören, da sie ihren Heiligen Schriften immer

die höchste Autorität durch eine göttliche Offenbarung beimessen. Selbst die größten europäischen Philosophen können für sie diesen höchsten Grad an Autorität durch göttliche Offenbarung einfach nicht erlangen.

 

Aristoteles' Gottheit als erster Beweger oder Platons Gottheit als geistiger Demiurg?

 

Der erste Beweger des Aristoteles könnte auch ein apersonaler, aber doch intelligenter Impulsgeber sein, der geistige Demiurg Platons hingegen setzt bereits die Existenz einer chaotischen bzw. formlosen Materie voraus, die er dann nur als Material bearbeitet und gestaltet.

 

Es dürfte uns Europäern aufgrund unserer kulturellen Vertrautheit mit dem biblischen Schöpfergott meistens ziemlich schwerfallen, diese beiden Gottesbilder zu trennen. Denn der biblische Schöpfergott wird gewöhnlich schon als ein personaler Gott verstanden, der "Himmel und Erde", also etwa das materielle und raum-zeitliche Universum und die geistige Welt der "ewigen Ideen", beide "aus einem bloßen Nichts heraus" geschaffen hat.

 

Diese metaphysische Vorstellung von Gott, der das ganze Universum aus dem Nichts heraus geschaffen hat, ist nicht nur abstrakt und nur schwer vorstellbar. Sie ist auch griechisch und philosophisch gedacht und völlig unbiblisch. Denn am Anfang des Buches Genesis steht nur: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Von einer Schöpfung "aus dem Nichts" ist dort hingegen keine Rede.

 

Zwar haben Juden und Christen die Frage danach, wer dann jedoch Gott geschaffen hat, immer zurecht als abwegig

und missverständlich zurückgewiesen, da Gott selbstverständlich als ein in sich selbst notwendiges und anfanglos ewiges, also immer schon existentes, absolutes und transzendentes, intelligentes und schöpferisches Wesen verstanden werden muss. Aber wenn Gott ewig ist und immer schon existiert hat, dann konnte er das Universum doch nur aus sich selbst heraus schaffen, aus seiner ewigen und unermesslichen Fülle heraus, aber nicht aus einem Nichts heraus.

 

Panpsychismus der immanenten Weltseele?

 

Wer diese scheinbaren Selbstverständlichkeiten nicht akzeptieren möchte, wird sich womöglich wie einige wenige zeitgenössische Philosophen wieder für den Panpsychismus als Alternative stark machen. Doch die Grundidee des Panpsychismus ist atheistisch und immanentistisch, denn sie kontrastiert zu der theistischen Vorstellung und Annahme, dass es einen solchen Gott als ein in sich selbst notwendiges und ewiges, also immer schon existentes, absolutes und transzendentes, intelligentes und schöpferisches Wesen überhaupt gibt.

 

Die Grundidee des Panpsychismus ist nämlich, dass das ganze Universum in seinem Ursprung ähnlich wie ein Same gedacht werden muss, der von Anfang an selbst schon das kreative Potential innehatte, irgendwann und irgendwo im Universum empfindsame und intelligente Lebewesen und dann Menschen mit sprachlicher Intelligenz (Logos) hervor-zubringen. Panpsychisten müssten dann jedoch darauf bestehen, dass das ganze Universum selbst (wie Gott) ein in

sich selbst notwendiges und ewiges, also immer schon anfanglos existentes und grenzenlos absolutes, intelligentes

und schöpferisches Wesen sei. Denn andernfalls wird man zurecht fragen, wer dieses Universum als intelligenten Organismus geschaffen hat, woher es kommt und wie es entstanden sein könnte, zumal er es durch stufenweise Emergenz ermöglicht hat, empfindsame und intelligente Lebewesen und dann sogar Menschen mit sprachlicher Intelligenz (Logos) hervorzubringen.

 

Wesentliche Differenzen zwischen jüdischem, islamischem und christlichem Glauben

 

Aristotelische Theologie, platonische Theologie und Panpsychismus sind aus der Sicht der abrahimitischen Religionen und Konfessionen heidnische Philosophien ohne Offenbarungscharakter. Zwar ist es nicht ganz abwegig anzunehmen, dass sie de re an denselben Gott glauben, da es nur einen wahren und wirklichen Gott geben kann, obwohl sie de dicto verschiedene Namen und unterschiedliche Glaubensüberzeugungen und Vorstellungen von Gott haben. Denn die wesentlichen Differenzen zwischen jüdischem, islamischem und christlichem Glauben bestehen im strengen histori-schen Monotheismus des jüdischen Glaubens bzw. im strengen normativen Monotheismus des islamischen Glaubens einerseits, während die christlichen Kirchen einen trinitarischen Glauben an die Einheit Gottes in der Dreiheit von Gott-Vater, Sohn Gottes und Heiligem Geist lehren und verkünden.

 

Die wichtigste Differenz zwischen dem jüdischen Glauben an den einen und einzigen Schöpfergott Jehova und dem islamischen Glauben an den einen und einzigen Gott Allah ist wohl der zeitliche Charakter Jehovas, wie er sich seinem geliebten Volk Israel und insbesondere einer Vielzahl von Propheten in der Geschichte Israels immer wieder als retten-der Gott offenbart hat. Allah hingegen hat sich dem islamischen Glauben zufolge nur ein einziges Mal vollständig sei-nem einzigen und abschließenden Propheten Mohammed durch den Erzengel Gabriel offenbart, der ihm den Koran

in arabischer Sprache offenbart haben soll.

 

Daher ist der islamische Glaube ein statischer und gesetzlicher Glaube an die exklusive Wahrheit des Islam, an die Einzigartigkeit und abschließende Autorität ihres Propheten Mohammed und an den absolut wahren, nicht wirklich übersetzbaren und schon gar nicht historisch und kontextuell interpretierbaren Koran. Während die jüdischen Stu-dierenden in den Torah-Schulen von Anfang an lernen, den Tanach kontrovers auszulegen und damit eine Vielzahl von Interpretationen zulassen, wird der Koran in den meisten Koran-Schulen nur auswendig gelernt, rezitiert und anhand der strengen Vorgaben der Hadithen ausgelegt. Der Glaube der Juden ist damit im Umgang mit vielen Lebensregeln und Geboten eher dynamisch und interpretatorisch offen, der Glaube der Muslime hingegen im Umgang mit den wichtigsten Lebensregeln und Geboten eher statisch und normativ geschlossen.

 

Christliche Trinität als neue Synthese

 

Der trinitarische Glaube der Christen kann nur biblisch, durch schriftliche Zeugnisse der Prophezeiungen und der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, aber nicht rein philosophisch in der allgemeinen menschlichen Erfahrung und Vernunft begründet werden. Daher sind auch die klassischen Gottesbeweise immer nur rationale Argumente, die den Glauben zwar unterstützen, aber weder ersetzen noch ermöglichen können. Aus protestantischer Sicht musste Christus gerade in menschlicher Form als geschichtlicher Jesus von Nazareth in der Welt und mitten unter den Menschen im antiken Irael erscheinen, weil Gott selbst ein unbegreifbarer und unsichtbarer Gott ist, der weder im animistischen

noch im panpsychistischen oder pantheistischen Sinne mit irgendwelchen konkreten immanenten Kräften in der irdischen oder kosmischen Natur identisch ist.

 

Der Gott des christlichen Glaubens ist aus protestantischer Sicht ein verborgener Gott ("Deus absconditus"), von dem Menschen sich kein gar kein adäquates Bild machen können und im Übrigen auch kein Bild machen sollen. Daher ist Christus das menschliche Antlitz Gottes, das dem menschlichen Grundbedürfnis nach einer sichtbaren und versteh-baren Form entgegen kommt. Dies gilt m.E. nicht nur für externe Bilder, gemalte Fresken oder mamorne Statuen, sondern auch für interne Bilder, psychische Vorstellungen oder religiöse Symbole. Obwohl manche Menschen für

solche Bilder, Zeichen und Symbole empfänglicher sind als andere Menschen, sollten sie nicht dem religiösen Wahn verfallen, dass diese Bilder, Zeichen und Symbole sie Gott auch nur eine Spur näher bringen würden. Näher zu Gott können sie nur durch die Erfüllung des Doppelgebotes der Liebe und durch göttliche Gnade gelangen, aber nicht

durch das schwärmerische Schwelgen in religiösen Vorstellungen der menschlichen Phantasie.

 

Die Römisch-Katholische Kirche lehrt spätestens seit ihrer päpstlichen Entscheidung, Thomas von Aquin zum "Lehrer

der Kirche" zu ernennen, dass das Dasein Gottes auf verschiedene Wegen rational und stringent bewiesen werden kann. Vom Standpunkt einer biblischen Theologie ganz gleich welcher Denomination, darf man daran zweifeln. Denn wenn der gesunde Menschenverstand ausreichen würde, um Gott zu erkennen, dann wären die Menschen gar nicht auf  Offenbarungen angewiesen. Juden glauben, dass sich ihnen Gott in ihrer Geschichte mit ihm offenbart hat. Muslime glauben, dass sich Gott ihrem Propheten Mohammed offenbart hat, indem ihm der Erzengel den Koran diktiert hat. Christen glauben, dass sich Gott in der Person Jesus Christus selbst offenbart hat.

 

Dieser hat aber von sich gesagt, dass er selbst "der Weg, die Wahrheit und das Leben" sei. Er war kein Philosoph, der

das Dasein Gottes beweisen wollte, da er als prophezeiter Messias das Dasein Gottes wie alle gläubigen Juden schon vorausgesetzt hatte, um dann seine Zeitgenossen mit einigen steilen Aussagen über sich selbst zu schockieren. Das

hat ihn zunächst das Leben gekostet, da es bei den Superfrommen als Blasphemie gegolten hatte, sich zum Gleichen wie Gott zu machen. Aber Gott hat es dabei nicht belassen, sondern ihn von den Toten leiblich auferweckt.

 

Das ist so ungeheuerlich, dass es bis heute weder Juden noch Muslime noch viele nominellen Gewohnheits- und Ab-stammungschristen wirklich glauben können. Dieser Zweifel ist jedoch nicht so verwunderlich, da es anfangs seinen Anhängern Petrus und Thomas nicht anders gegangen ist. Sie konnten die Nachricht von seiner leiblichen Auferstehung zuerst auch nicht glauben, als Maria, die Magdalenerin zu ihnen kam und ihnen erzählte, sie habe ihn gesehen.