Positionen im Vergleich

 

 

 

 

Raffael, Schule von Athen
Raffael, Schule von Athen

 

 

Metaphysik im Licht der Erkenntnistheorie

 

 

Man muss immer damit rechnen,

dass der andere recht haben könnte.

 

Hans-Georg Gadamer

 

 

1. Pluralismus

 

Die bloße Feststellung, dass es eine Vielzahl von Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien gibt, ist zwar faktisch richtig, aber auch ziemlich trivial. Aber meistens bleibt es gar nicht bei dieser bloßen Feststellung einer faktischen Vielfalt, sondern man macht daraus ein pluralistisches Bekenntnis zur angeblichen Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien. Dieses pluralistische Bekenntnis wird dann oft mit der relativistischen Auffassung verbunden, dass alle Religionen und Konfessionen, Welt-anschauungen und Philosophien gleich wahr, gleich gültig oder gleich wichtig seien.

 

Wer Selbstverständlich sind alle Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien für ihre jeweiligen Anhänger wichtig. Und ebenso selbstverständlich halten ihre Anhänger sie auch für gültig und für wahr. Aber auch wenn sie sie selbstverständlich für wichtig, für gültig und für wahr halten, bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch gleich gültig und wahr sind. Kein Glaube und keine Überzeugung ist jemals wahr oder gültig, nur, weil sie von jemand für wahr oder gültig gehalten wird. Meinungen gibt es immer viele. Echtes Wissen ist selten.

 

Diese relativistische Auffassung der angeblichen Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Religionen und Kon-fessionen, Weltanschauungen und Philosophien bedeutet nicht nur das Ende aller Religionen und Konfessionen, son-dern auch das Ende aller Weltanschauungen und Philosophien. Wer Weltanschauungen und Philosophien für bloße intellektuelle Konstruktionen und sophistische Ideologien hält, hätte tatsächlich ein Grund, dieses Ende zu feiern. Aber die wahre (sokratische) Philosophie ist genau das Gegenteil aller Weltanschauungen und Philosophien. Sie weiß um die Dummheit und Grausamkeit vieler Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien. Aber gerade darum kann sie die Suche nach der Wahrheit jenseits aller überlieferten und zu Ideologien erstarrten Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien nicht aufgeben.

 

Aber aus Furcht vor einer entdeckten Wahrheit und vor echtem und gut begründeten Wissen flüchten sich viele in die Toleranz als der in einer Demokratie angeblich wichtigsten Einstellung zu den Religionen und Konfessionen, Welt-anschauungen und Philosophien. Aber dahinter steckt oft nur eine diffuse Angst vor der Entschlossenheit und dem Preis, den man für seine festen und gut begründeten Überzeugungen zahlen müssen könnte. Toleranz hat jedoch nur dann einen Sinn, wenn jemand wirklich und nachweislich etwas wirklich weiß oder fest von etwas überzeugt ist und gute Argumente dafür hat und dann trotzdem Andersdenkende und Andersgläubige respektiert, ihnen zuhört und mit ihnen ein gutes Gespräch führt. Denn die als Toleranz verkaufte relativistische Gleichgültigkeit ist gar keine echte Toleranz, sondern meistens bloße Bequemlichkeit, Denkfaulheit und Opportunismus.

 

In unserer "marktkonformen Gesellschaft" (Angela Merkel) meinen selbst viele Künstler, Intellektuelle und Wissen-schaftler, dass es genügen würde, nur enzyklopädisch auszubreiten, welche Theorien und Konzeptionen von Wahrheit oder Wissen es aktuell auf dem Markt oder gerade bei Wikipedia gibt. Das ist natürlich einfacher und bequemer, weil man dann nicht selbst darüber ernsthaft nachdenken muss, welche Theorie oder Konzeption von Wahrheit oder Wissen man selbst nach langem Nachdenken imemer noch für die beste hält. Auf diese Weise muss man dann auch keine Gründe dafür angeben, warum man sich nach langem Nachdenken für diese eine Theorie oder Konzeption von Wissen oder von Wahrheit entschieden hat.

 

Selbst einige christliche Kirchen reden auf ihren Kirchentagen affirmativ und konformistisch lieber von "Markt der Möglichkeiten" als von der Glaubenswahrheit, die sie eigentlich zu verkünden hätten. Sie verstehen sich religions-soziologisch nur noch als eine Religion unter vielen Religionen und Konfessionen, weil sie in unserer vom Geld und von Märkten bestimmten kapitalistischen Gesellschaften den Mut zum Widerspruch und zur Verteidigung ihrer eigenen Überlieferung verloren haben. So passen sie sich wie schon im 19. und 20. Jahrhundert an den jeweiligen vorherr-schenden Zeitgeist an. Das war zur Nazizeit der Nationalsozialismus und das ist heute der Liberalismus und Werte-relativismus als die vorherrschende Ideologie spätkapitalistischer Gesellschaften.

 

Der Grund für die relativistische Auffassung, dass alle Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philo-sophien gleich wahr, gleich gültig oder gleich wichtig seien, liegt in der instrumentalistischen Auffassung aller Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien als bloßen Mitteln zu extrinsischen Zwecken, seien es psycho-logische und soziologische, ökonomische oder auch politische Zwecke. Damit spricht man den Religionen und Kon-fessionen, den Weltanschauungen und Philosophien jedoch alle Wahrheitsansprüche und jeden intrinsischen Wert ab. Das ist Ausdruck einer anti-aufklärerischen und irrationalen, misologischen und geistfeindlichen Einstellung. Denn man verkennt folgende eine Reihe von anthropologischen Konstanten:

 

(1.) Menschen sind von Natur aus instinktschwache intelligente Lebewesen, die aufgrund ihrer Kultivierung und Soziali-sierung immer schon irgendeine sittliche Orientierung im Laufe ihrer Sozialisation erhalten haben.

 

(2.) die sittlichen Orientierungen stammen seit vielen Jahrhunderten aus den Religionen und Konfessionen sowie aus den Weltanschauungen und Philosophien, die durch Konventionen und Traditionen vermittelt werden,

 

(3.) Menschen haben von Hause aus bestimmte Vorstellungen und Überzeugungen zu weltanschaulichen, ethischen und religiösen Fragen, ganz gleich, wie sehr sie sich ihrer bewusst sind und in welchem Maße sie sie rational reflektieren,

 

(4.) Menschen treffen im Laufe ihres Lebens jedoch immer wieder bestimmte Wertentscheidungen aufgrund ihrer erworbenen Wertpräferenzen, die dann jedoch manchmal ihre bisherigen Wertpräferenzen verändern, umstrukturieren und in eine neue Hierarchie bringen,

 

(5.)  da sich Wertpräferenzen jedoch notwendigerweise hierarchisch ordnen, gibt es immer einen bestimmten Wert, der eine oberste Position erhält, und das ist dann das, was Menschen mit dieser Werthierarchie absolut setzen,

 

(6.) da Menschen intelligente Lebewesen sind, die immer schon eine bestimmte Wertehierarchie haben, gibt es in ihrer Wertehierarchie immer auch etwas, das sie absolut setzen,

 

(7.) das, was Menschen in ihrer Wertehierarchie absolut setzen, kann etwas Absolutes oder etwas Relatives sein, sodass ihre Absolutsetzung angemessen und richtig oder unangemessen und falsch sein kann,

 

(8.) Menschen können aufgrund ihrer spezifisch menschlichen Sprach- und Vernunftbegabung ihre erworbenen sitt-lichen Orientierungen und Werthierarchien jedoch auch infragestellen, reflektieren und diskutieren,

 

(9.) Menschen sind daher weder ihren ursprünglichen kulturellen Konventionen und Traditionen noch ihren jeweiligen sittlichen Orientierungen und Werthierarchien schicksalhaft ausgeliefert, sondern können sie lernen, sie in Freiheit und mit gegenseitigem Respekt rational zu diskutieren,

 

(10.) Philosophie ist diejenige Disziplin, in der sowohl kulturelle Konventionen und Traditionen als auch sittliche Orientierungen und Werthierarchien in Freiheit und mit gegenseitigem Respekt rational diskutiert werden.

 

(11.) Philosophie beginnt zwar mit der trivialen und bequemen Feststellung der Tatsache, dass eine Vielzahl von Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien gibt, aber sie kann dabei nicht selbstzufrieden stehen bleiben.

 

(12.) Philosophieren ist geradezu der Weg der rationalen Überwindung der selbstgefälligen Zufriedenheit mit der trivialen Feststellung der Tatsache, dass eine Vielzahl von Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien gibt.

 

Das bloße Bekenntnis zu und die Berufung auf einen weltanschaulichen und religiösen Pluralismus ist daher nur die affirmative, aber unproduktive Bestätigung einer Trivialität, denn sie verhindert die kritische Reflexion über die eigenen spirituellen Denkmuster und Überzeugungen, die eigenen kulturellen Konventionen und Traditionen sowie die eigenen sittlichen Orientierungen und Werthierarchien, philosophischen und theologischen Überzeugungen.

 

Die meisten Menschen in unserer leistungsorientierten Kultur der beruflichen und häuslichen Arbeit kaum noch Zeit und Muße finden, um über diese schwierigen Themen und Probleme nachzudenken, denn die Freizeit dient in den kapitalistischen Industriegesellschaften kaum noch zur geistlichen Besinnung, sondern nur noch zur notwendigen Erholung, um möglichst schnell wieder fit für den Arbeitsalltag zu werden. Auf diese Weise wird der Anpassungsdruck und Konformitätszwang des seit dem 20. Jahrhundert vorherrschenden materialistischen Weltbildes aufrecht erhalten.

 

2. Offene Gesellschaft

 

Das Bekenntnis zu und die Berufung auf einen weltanschaulichen und religiösen Pluralismus dient jedoch oft nur noch einer konformistischen Selbstversicherung seiner politisch korrekten Einstellung, weil man fälschlich der Auffassung ist, eine moderne bzw. "offene Gesellschaft" mit einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und mit einer mehr oder weniger freien Marktwirtschaft würden eine solche pluralistische Einstellung verlangen.

 

Aber wenn eine der moderne eine moderne bzw. "offene Gesellschaft" irgendeinen konkreten Sinn haben soll, dann garantiert sie gerade die anstrengende Denkarbeit und das persönliche Wagnis einer Freiheit zum Philosophieren (Spinozas libertas philosophandi) und nicht etwa eine gleichgültige und bequeme Distanzierung vom Philosophieren durch ein relativistisches Bekenntnis zum weltanschaulichen und religiösen Pluralismus.

 

Wenn nämlich der weltanschauliche und religiöse Pluralismus das letzte Wort wäre, dann wäre auch jede wissen-schaftliche, philosophische oder theologische Suche nach Wahrheit ebenso sinnlos wie jede medizinische, juristische oder ökonomische Suche nach der besten Entscheidung in einem konkreten Fall.

 

Dann aber müsste eine moderne bzw. "offene Gesellschaft" nicht nur auf die Demokratie, sondern auch auf einen modernen Rechtsstaat verzichten, der in seiner Verfassung doch ganz bestimmte Grund- und Menschenrechte garan-tiert, da sich dann auch solche Garantien von Rechten relativistisch verflüchtigen würden. Außerdem wären begründete Forderungen nach einer angemessenen sozialstaatlichen Regulierung der freien Marktwirtschaft hin zu einer sozialen Marktwirtschaft oder eine Rücksichtnahme auf einen nachhaltigen Umgang mit der Natur sowie auf die Lebenschancen kommender Generationen vollkommen beliebig und haltlos.

 

Karl Poppers Plädoyer für eine "offene Gesellschaft" ist zu vage und zu unbestimmt, weil es wegen seines noch nicht hinreichend überwundenen Positivismus nur auf einer berechtigten Kritik des faschistischen, nationalistischen und sozialistischen Totalitarismus beruht. Hinzu kommt, dass Poppers kriegsbedingte Kritik an Platon, Hegel und Marx allzu einseitig ist und auf voreiligen und fragwürdigen Interpretationen der Hauptwerke dieser Philosophen und Theoretiker beruht. Aber Karl Poppers Plädoyer für eine "offene Gesellschaft" bietet selbst keinen positiven Entwurf einer klugen funktionalen politischen Ordnung der Freiheiten.

 

Eine Gesellschaft, die immer nur "offen" zu sein versucht und sich selbst und ihre politischen Ideen und Ziele nur durch eine engagierte Ablehnung totalitärer Weltanschauungen definieren kann, bleibt defizitär, weil sie selbst keine rationale Ethik, keine rationale Rechtsphilosophie und keine politische Philosophie zu begründen vermag. Eine Gesell-schaft, die immer nur "offen" zu sein versucht, kann in bester, aber blauäugiger Absicht sowohl anarchischen als auch totalitären Tendenzen Vorschub leisten, also entweder an zu wenig oder aber an zu viel rechtsstaatlicher Ordnung des freien Zusammenlenbens der Bürger und Menschen leiden. Außerdem kann eine solche Gesellschaft durch allzu liber-täre Tendenzen ohne eine angemessene Begrenzung bürgerlicher Freiheiten auf eine dialektische Weise gerade ins Gegenteil umkippen, da sie gerade dadurch autoritären Tendenzen als dynamische Gegenreaktion Vorschub leistet.

 

Ein Bekenntnis zur "offenen Gesellschaft" und zum weltanschaulichen und religiösen Pluralismus kann jedenfalls kaum bedeuten, dass alle Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien absolut gleichwertig wären und dass alle in theoretischer bzw. wissenschaftlicher und praktischer bzw. ethischer Hinsicht auf die gleiche Weise plausibel wären. Denn sonst würde das auch für Religionen und Konfessionen gelten, die im Namen Gottes regelmäßige Menschenopfer forderten, wie ein alter, bereits ausgestorbener Kult der Azteken, oder die zum Töten von Andersgläubigen oder Ungläubigen auffordern, wie der ursprüngliche und politische Islam. Sollten sie wirklich mit Religionen und Konfessionen gleichwertig sein, die sowohl Menschenopfer als auch das Töten von Andersgläubigen oder Ungläubigen außer in Situationen der Notwehr und Selbstverteidigung ablehnen und verbieten?

 

3. Widersprüche und Unvereinbarkeiten

 

Es gibt zahlreiche Widersprüche innerhalb der metaphysischen und ethischen Grundüberzeugungen vieler Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien. Was widersprüchlich ist, kann aber weder wahr, richtig noch plausibel sein sein. Auch Angeklagten und Zeugen vor Gericht glaubt man doch kaum, wenn sie sich widersprechen.

Widerspruchsfreiheit ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Plausibilität, Gültigkeit und Wahrhheit. Auf eine ähnliche Art und Weise müssen alle Religionen und Konfessionen sowie alle Weltanschauungen und Philo-sophien vor dem Schiedsgericht der kritischen Vernunft bestehen können und standhalten. Die wesentlichen Ideale, Prinzipien, Normen und Werte dessen, was vernünftig ist und daher die Vernunft als Inbegriff des Vernünftigen aus-macht, stammen jedoch ursprünglich nicht aus äußeren, von Menschen geschaffenen rechtsstaatlichen Institutionen, die erst später nach deren Entdeckung geschaffen wurden, sondern aus den impliziten Strukturen des Vernünftigen selbst, die in ihrem vorsprachlichen und sprachlichen Denken vorgefunden und frei gelegt werden können.

 

Außerdem gibt es zahlreiche Unvereinbarkeiten zwischen den Glaubensüberzeugungen der Religionen und Konfessio-nen sowie der Weltanschauungen und Philosophien, sodass sie sich auch gegenseitig widersprechen, und daher nicht alle in gleicher Weise richtig oder auch nur plausibel sein können. Und schließlich gibt es Verschiedenheiten im Ethos und in den Weisheitslehren, die die Glaubenspraxis der Anhänger beeinflussen. Es kann also nicht alles wahr sein, was in den Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien an Ansprüchen auf Wahrheit und Geltung erhoben wird. Vielmehr müssen deren Ansprüche auf Wahrheit und Geltung immer wieder geprüft und als evident oder plausibel beurteilt werden.

 

Die Moderne hat aus verschiedenen Gründen dazu geführt, dass die viele Leute in den Industriegesellschaften gegen-über Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien skeptisch geworden sind. Dass jedoch alle Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien von alters her immer schon bestimmte Ansprüche auf Wahrheit ihrer Lehren und Geltung ihrer Ideale, Prinzipien, Normen und Werte erhoben haben, wird nur allzu gerne ausgeblendet, vergessen und verdrängt.

 

Solange diese moderne Skepsis gegenüber Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien nur methodisch ist, und der Wahrheitsfindung dient, kann sie dabei helfen, selbst herauszufinden, welchen Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien man trauen und zustimmen kann und welchen nicht. Sobald diese moderne Skepsis jedoch selbstweckhaft und grenzenlos wird, führt sie zu einem subjektivistischen und relativistischen Skeptizismus, der für alle methodischen und rationalen Wissenschaften und Künste destruktiv wird. Das würde dann nicht nur das öffentliche Gesundheitswesen und den modernen Rechtsstaat zerstören, sondern auch die demokrati-schen Prozesse der Entscheidungsfindung in der parlamentarischen Demokratie und die zweckrationalen Prozeduren der Planung in der Ökonomie. Das skeptizistische Chaos in der Theorie führt nämlich in der Praxis zur Anarchie und zur Beliebigkeit des "Anything goes".

 

Selbstständig und kritisch denkende Menschen können sich jedoch nicht mit der Trivialität des bekenntnishaften weltanschaulichen und religiösen Pluralismus dauerhaft abfinden. Sie müssen vielmehr aus Gründen ihrer eigenen Rationalität beharrlich und konsequent nach der Wahrheit, Plausibilität und Geltung der verschiedenen Überzeugungen der Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien fragen, um sich selbst -- so gut wie möglich -- aufzuklären und um sich selbst -- so wenig wie möglich -- vorzumachen. Denn wer sich mit dieser Trivialität -- etwa aufgrund einer bequemen und denkfaulen und daher nur falschen Toleranz -- abfinden würde, würde massive Selbst-täuschungen zulassen und damit nicht nur seine menschliche Intelligenz, seine kritische Denkfähigkeit und Urteilskraft verleugnen, sondern damit auch seine Selbstachtung und Würde verlieren.

 

4. Das vorherrschende Welt- und Menschenbild

 

Das heute in den kapitalistischen Industriegesellschaften dominierende Welt- und Menschenbild ist das des szientisti-schen Materialismus bzw. des evolutionistischen Naturalismus. Der Wissenschaftstheoretiker Karl Popper hat sowohl den szientistischen Materialismus bzw. den evolutionistischen Naturalismus abgelehnt, und mit seiner sog. Konzeption der "Drei Welten" zu überwinden versucht. Dieser ontologischen Konzeption zufolge lässt sich weder das Geistige der intentionalen Gehalte des rationalen Denkens auf das Psychische des Menschen noch das Psychische der Menschen und Tiere auf das Physische der Menschen und Tiere reduzieren. Dieses materialistische Welt- und Menschenbild liegt dem kapitalisti-schen Expansionsdrang, dem eindimensionalen Menschenbild des egoistischen Homo oeconomicus und dem ökonomi-schen Mythos von der angeblichen Möglichkeit eines unbegrenzten Wachstums der Volkswirtschaften zugrunde. Die-sem vorherrschenden Welt- und Menschenbild zufolge ist die eigentliche und fundamentale Wirklichkeit im ganzen Universum die Materie und die materielle Natur auf der Erde.

 

Das sinnlich wahrnehmbare Materielle gilt demzufolge als der Inbegriff des Wirklichen. Dabei wird jedoch meistens vergessen, dass es auch viele Dinge gibt, die man weder sehen noch hören, weder riechen noch schmecken, weder spüren noch ertasten, weder empfinden noch fühlen kann, wie Bakterien und Viren, wie radioaktive Strahlen oder auch ultraviolettes Licht. Aufgrund dieses weit verbreiteten empiristischen und materialistischen Vorurteils wird dann auch das Seelische und das Geistige, oft nur noch als bloßes Epiphänomen des physischen Gehirns und Nervensystems des Menschen verstanden. Denn was man von außen nicht wahrnehmen kann wird dann gerne als “Schall und Rauch” marginalisiert. Es gilt daher als nichts Wirkliches im Sinne dessen, was einen wirklichen Unterschied in der Welt macht, obwohl es sich doch ständig durch persönliche Entscheidungen im Denken, Fühlen und Handeln auswirkt und dadurch erhebliche Wirkungen mit kurz- oder langfristigen Folgen in der Welt verursachen kann. Dabei haben alle seelischen Dynamiken wie Emotionen, Motivationen und Kognitionen sowie die geistigen Inhalte von Kognitionen und Intutionen wie Ideale, Prinzipien, Normen und Werte einen eminenten Einfluss auf die Menschen und ihr Tun und Lassen und damit auch auf andere Menschen sowohl in ihrem Privatleben als auch in ihrem bürgerlichen Berufsleben in den öffentlichen Institutionen von Moral und Recht, von Gesundheitswesen, Ökonomie und Politik.

 

Wegen des reduktionistischen Epiphänomenalismus werden Menschen empiristisch und naturalistisch als bloß instinktschwache und etwas weniger behaarte Abkömmlinge von Primaten verstanden, die sich von den Primaten hauptsächlich durch gewisse sinnlich wahrnehmbare Merkmale unterscheiden, wie z.B. durch ihre sprachliche Kom-munikation und ihren aufrechtem Gang, durch weniger starke Behaarung und das Fehlen von Reißzähnen. Doch das Seelische und Geistige, das den Menschen auszeichnet und von empfindungslosen Pflanzen und empfindungsfähigen Tieren unterscheidet, wird dabei tendenziell unterschlagen. Der positive und negative Rassismus der zoologischen Klassifikation von Menschen nach Hautfarben und ethnischen Typen, nach sexuellen Präferenzen oder gar nach einer angeblichen Pluralität von mehr als nur zwei Geschlechtern ist auch eine Folge dieses evolutionistischen Naturalismus, der im 19. Jahrhundert nach Darwin und Haeckel entstanden ist und der im 20. Jahrhundert zum politischen Rassismus der Shoah geführt hat.

 

5. Philosophie als rationale Kritik des vorherrschenden Welt- und Menschenbildes

 

Eine rationale Kritik am szientistischen Materialismus bzw. am evolutionistischen Naturalismus ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, weil er viele wissenschaftliche und philosophische Fragen aufwirft und auch einige theoretische Unzulänglichkeiten enthält. (Siehe dazu z.B.: Thomas Nagel, Geist und Kosmos.) Das bedeutet jedoch nicht, dass die etwas veraltete Darwinsche Evolutionstheorie oder gar die moderne synthetische Evolutionsbiologie mit ihrer post-darwinistischen Integration von Genetik, Molekularbiologie und Populationsökologie insgesamt infrage gestellt werden müsste. Aber eine philosophische Kritik an ihrer reduktionistischen Methode und materialistischen Interpre-tation bis hin zu einem strikt naturalistischen Weltbild ohne Logik und Mathematik, ohne ethische Ideale, Prinzipien, Normen und Werte und damit ohne einen irreduziblen Geist ist dringend angebracht und unumgänglich. Man muss jedoch kein bibel-fundamentalistischer Kreationist oder Anhänger der spekulativen Theorie des Intelligent Design sein (oder werden), um hier gewisse philosophisch und wissenschaftlich gut begründbare Zweifel anzumelden.

 

Das materialistische Welt- und Menschenbild hat außerdem nicht nur die Menschen zu Götzendienern der globalen Weltwirtschaft und Politik mit ihrem Glauben an das angeblich alternativlose Ziel des Wirtschaftswachstums gemacht, sondern auch zu einer grenzenlosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen für die industrielle Produktion geführt,

die die ganze Erde mit ihrer lebensnotwendigen Atmosphäre an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gebracht hat. Die Zukunft der ganzen Menschheit ist gefährdet, weil immer mehr Menschen aufgrund des materialistischen Welt- und Menschenbildes das Verständnis für die spirituelle Bestimmung des Menschen verloren haben. Der Sinn des mensch-lichen Daseins in der Welt geht jedoch für die meisten Menschen darüber hinaus, nur das eigene nackte Überleben im Hamsterrad der modernen Wirtschaftsmaschinerie zu sichern, den zwanghaften Konkurrenzkampf auf der Karriere-leiter zu bewältigen, die dazu notwendige Erhaltung der eigenen Gesundheit abzusichern und den regelmäßigen Spaß am Kaufen und Konsumieren zu ermöglichen, um sich geistig abzulenken, um sich leiblich zu erholen, um seine Selbst-wertgefühle zu steigern und um in den Augen der Anderen an sozialem Status dazu zu gewinnen.

 

Die Materie des ganzen Universums hat sich angeblich selbst hervorgebracht, denn das Universum soll (z.B. nach dem Popularphysiker Stephen Hawking) beim sog. Urknall angeblich aus einem bloßen Nichts heraus entstanden sein. Eine winzige subatomare Singularität soll angeblich ohne eine äußere Einwirkung von bereits existierenden Kräften explo-diert sein. Dieser sog. Big bang, der höchst spekulativ nach dem Modell einer atomaren Explosion konstruiert wird (Carl-Friedrich von Weizsäcker), also nach der größten lebensfeindlichen Zerstörungsmacht, die Menschen jemals erfunden, geplant und realisiert haben, soll angeblich aus einer winzigen subatomatren Singularität das ganze, sich seither konstant ausdehnende Universum mit Raum und Zeit, Materie und Struktur, Licht und Schwerkraft sowie Ursachen und Wirkungen, etc. hervorgebracht haben. Es ist jedoch ziemlich schwer, etwas so Aberwitziges zu glauben und man muss schon ziemlich viel "Wissenschaftsaberglauben" (Karl Jaspers) aufbringen und vor der übermächtigen Autorität der Naturwissenschaften erstarren oder auch einfach nur Angst davor haben, mutig selbst zu denken und gegen den Strom des materialistischen Zeitgeistes zu schwimmen.

 

Dieser materialistische Mythos der Weltentstehung, wird von vielen allzu wissenschaftsgläubigen Materialisten ge-glaubt, obwohl er ganz offensichtlich gegen ein fundamentales Prinzip aller methodischen Naturwissenschaften und rationalen Philosophien verstößt, nämlich gegen den sog. "Satz vom Grund", dass alles, was es überhaupt in der Welt gibt, einen Grund bzw. eine Ursache haben muss. Oder umgekehrt: EX NIHILO NIHIL FIT, d.h. nichts kann aus einem bloßen Nichts heraus entstehen. Wenn es ums Ganze des Universums geht, geben wissenschaftsgläubige Materialisten, ganz bereitwillig und völlig irrational eines der fundamentalen methodischen Prinzipien der Naturwissenschaften auf, das sie selbst auch in ihrem Alltag beim Erklären und Verstehen der Dinge und Sachverhalte, Ereignisse und Prozesse in ihrer Lebenswelt ständig selbstverständlich voraussetzen. Es scheint, dass sie diese schwer verständliche Irrationalität vor allem deswegen in Kauf nehmen, weil sie den alternativen Schluss auf Gott als Schöpfer des Universums unter allen Umständen peinlich vermeiden wollen. 

 

6. Staunen über die Entstehung des Lebens auf der Erde und der sprachlichen Intelligenz des Menschen

 

Zum materialistischen Mythos der Weltentstehung gehört für die meisten wissenschaftsgläubigen Materialisten dann der materialistische Mythos der Entstehung des Lebens auf der Erde: Das Leben auf der Erde sei aus einer kosmisch zufälligen, wenn auch im Universum recht seltenen Entstehung von Aminosäuren als den ersten kleinen Elementen organischer Lebewesen aus anorganischer Materie entstanden. Für diese Entstehung der ersten organischen Stoffe aus anorganischen Stoffen bedurfte es zwar ganz zufällig bestimmter günstiger physikalischer Bedingungen für bestimmte chemische Reaktionsketten, wie einen erkaltenden Planeten in der habitablen Zone einer Sonne, wie es unsere Erde ist, sowie einer ganzen Reihe von fein abgestimmten physikalischen Bedingungen der fundamentalen Kräfte und universa-len Naturgesetze des Universums. Aber dass es irgendwann und irgendwo im Universum überhaupt zur Entstehung von Leben kommen würde, ist angeblich völlig zufällig geschehen und nicht einmal dem Urknall oder den inhärenten Potentialitäten des Universums zuzuschreiben. Dabei wird immer noch außer Acht gelassen und vergessen, dass es gar keine organischen Lebewesen gibt, in deren Zellen keine DNA mit der Information für ihren Aufbau und ihre Entwicklung enthalten ist. Information ist jedoch keine bloß stoffliche Materie, sondern etwas Geistiges.

 

Um von der angeblich völlig zufälligen Entstehung des Lebens auf der Erde zur angeblich ebenso zufälligen Entstehung des Menschen als dem einzigen nicht nur sprach- und denkfähigen, sondern auch vernunftbegabten und schöpferisch begabten Lebewesens auf der Erde  übergehen zu können, brauchen alle wissenschaftsgläubigen Materialisten oder Naturalisten dann auch noch einen naturalistischen Mythos der Entstehung der menschlichen Intelligenz. Dieser naturalistische Mythos der sog. ominösen Emergenz muss sich dann jedoch auch den Anschein der Wissenschaftlichkeit geben. Dazu erklärt er die angeblich zufällige Entstehung des Menschen als dem einzigen nicht nur sprach- und denk-fähigen, sondern auch vernunftbegabten und schöpferisch begabten Lebewesen auf der Erde aufgrund der angeblich zum Überleben notwendigen und ganz zufälligen, aber nicht weiter erklärbaren Entwicklung der Lebewesen zu immer höheren und komplexeren Formen von Lebewesen alleine durch die selektive, dem Überleben dienende Anpassung an die Umwelt. Dabei wird anders als in der modernen synthetischen Evolutionsbiologie die parochiale Ökologie und Dynamik der Populationen von Primaten ebenso unterschlagen wie die spontane Entstehung und Entwicklung der neuen humanoiden DNA aus der prähumanoiden DNA von Primaten, die nicht nur durch eine selektive Anpassung

an die Umwelt zu erklären ist.

 

Wieso sollte es denn so außergewöhnlich sein, dass zur ganzen Wirklichkeit im Universum immer auch Lebendiges, Seelisches und Geistiges dazu gehört? Vielleicht waren die präevolutionäre Entstehung von Leben und die evolutionäre Entwicklung der menschlichen Intelligenz auf der Erde jedoch gar keine bloßen Zufälle. Vielleicht liegt es vielmehr an den wesentlichen Ingredienzen und an den kosmischen Potentialen des Universums selbst, dass sie immer wieder auch zuerst organische Lebewesen und dann auch intelligente Lebewesen hervorbringen? Da es im Universum vermutlich ein paar Hundert Galaxienhaufen gibt, aber Tausende von Galaxien und viele Milliarden von Sonnensystemen, scheint es gar nicht bloß selten, zufällig und unwahrscheinlich, sondern geradezu normal, naturgesetzlich und sehr wahrschein-lich zu sein, dass dieses Universum aufgrund seiner eigenen Ingredienzen und Potentiale immer wieder irgendwann und irgendwo auch viele Sonnensysteme mit erdähnlichen Planeten in ihren habitablen Zonen hervorbringt wo orga-nisches Leben entstehen und wo sich höhere Intelligenz mit einem seelischen Innenleben und mit geistigen Vor-stellungen entwickeln kann.

 

Nach der etwas veralteten Darwinschen Evolutionslehre soll es eine phylogenetische Entwicklungslogik geben, der zufolge auch die menschliche Intelligenz zwar ganz zufällig, aber dennoch nur nach evolutionsbiologischen Natur-gesetzen durch einen Überlebensvorteil zu erklären ist. Derselbe dumpfe Überlebensdrang, der alle Lebewesen von

den ersten primitiven Einzellern angetrieben hat, soll also von Amöben zu Fischen, von Fischen zu Reptilien, von Rep-tilien über Dinosauriere zu Säugetieren, Beuteltieren und Vögeln, und von Primaten zu Menschen geführt haben. Alles bloßer "Kampf ums Dasein", alles bloß dumpfer und stumpfer Überlebenswille und dann plötzlich entsteht angeblich ganz zufällig durch eine ominöse Emergenz die menschliche Intelligenz in der grauen Masse der menschlichen Gehirns und Nervensystems, und wie Darwin selbst zugestanden hatte, mit den spezifisch menschlichen geistigen Fähigkeiten (mental powers) zu einem Abstraktionsvermögen, zu Sprache und Denken, zu Vernunft und Kreativität, zu einem Sinn

für Ideen, zu einem Sinn für Schönheit und Gerechtigkeit, zu einer Neigung zur Geselligkeit und zur Religion als einem Glaube an ein höheres, aber nicht sinnlich wahrnehmbares transzendentes Wesen. Aber die Entstehung dieser neuen und spezifisch menschlichen Fähigkeiten sollen alleine dadurch erklärt werden können, dass sie der menschlichen Art gegenüber den Tieren einen Selektionsvorteil gebracht hätten.

 

Aber für menschliche Individuen und Gemeinschaften sind ihre neuen und spezifisch menschlichen geistigen Fähig-keiten zu Sprache und Denken, zu Vernunft und Kreativität sowie zur Wahrheit und Freiheit, zur Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit sowie zur Empathie und Solidarität im alltäglichen "Kampf ums Dasein", aber in der Regel gar kein zweck-mäßiger Vorteil, der ihnen als Mittel ihr Überleben sichert, sondern vielmehr ein massiver Nachteil, der ihnen ihr ganzes Überleben riskanter und schwerer macht. Irgendetwas kann also ganz grundsätzlich mit dem materialistischen Mythos der Entstehung der menschlichen Intelligenz durch eine ominöse Emergenz aufgrund dem allgemeinen, auch für Tiere geltenden evolutionären Prinzipien der Selektion und des Überlebens durch Anpassung an die Umwelt (survival of the fittest) nicht stimmen. Denn, wenn es nur ums nackte Überleben ginge, sind uns Menschen Insekten und Pilze bei weitem überlegen.

 

Der menschliche Geist kann anscheinend weder direkt aus bloßer anorganischen oder organischen Portionen von Materie noch indirekt aus dem dumpfen, aber stumpfen Überlebensdrang aller Lebewesen von Amöben bis Primaten entstanden sein. Zuerst müssen empfindungsfähige Lebewesen und dann erst leibliche Menschen mit ihrer Psyche und mit ihrem Geist entstanden sein. Auch kann der menschliche Geist kaum nur zu dem einen natürlichen Ziel und zu dem einen biologischen Zweck entstanden sein, unser menschliches Überleben in der Umwelt zu sichern. Warum, wie und wozu könnte und sollte der menschliche Geist dann aber sonst entstanden sein? Könnte Geistiges im Universum etwa immer schon neben und vielleicht sogar unabhängig von Materie existiert haben? Diese dualistische Möglichkeit scheint zu spekulativ und kaum vorstellbar zu sein. Oder könnte Geistiges sogar ursprünglicher als die Materie sein und daher auch schon vor der Materie und als ihr schöpferischer Urgrund existiert haben? Diese idealistische Möglichkeit scheint ebenfalls sehr spekulativ und nur schwer vorstellbar zu sein.

 

Sollte vielleicht sogar das ganze Universum vor dem Urknall aus einem großen Geist, aus einem ewigen, aus sich selbst heraus bestehenden, schöpferischen Ursprung entstanden sein? Das glauben Deisten und Theisten. Stand am Anfang vor der ursprünglichen Entstehung des Universums gar ein ewiges schöpferisches Wesen mit seiner schöpferischen Intelligenz und Allmacht der Liebe, die das ganze Weltall alleine durch ihr schöpferisches Wort erzeugt hat? Hat dieses höhere intelligente Wesen, dieser große Geist des Universums, dieser schöpferische Gott dabei nicht nur die Entstehung des Lebens im Universum mit seiner Information in der DNA , sondern auch die Entstehung des Menschen mit seiner Sonderstellung in der irdischen Natur aufgrund des menschlichen Geistes intendiert, geschaffen und ins Leben geru-fen? Das glauben Juden, Christen und Muslime.

 

7. Philosophie als Frage nach der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Metaphysik

 

Diese metaphysischen Fragen ergeben sich fast schon von selbst, wenn man nur den Mut aufbringt, einmal wirklich selbstständig zu denken, wie es Immanuel Kant den Freunden der Aufklärung empfohlen hat.  Dabei muss man heute jedoch zuerst die in den kapitalistischen Industriestaaten dominierenden materialistischen bzw. szientistischen Mythen hinterfragen. Nach Kant ist es nämlich ein ganz natürliches Bedürfnis der Menschen, solche metaphysischen bzw. philo-sophischen Fragen auch dann zu stellen und zu erörtern, wenn man dabei an die Grenzen dessen stößt, was man auf-grund von Erfahrung und empirischem Verstand, Reflexion und apriorischer Vernunft mit guten Gründen erkennen und einigermaßen sicher wissewn kann. Man muss den Mut finden, sich Aporien zu stellen und sich mit den Grenzen seines Wissens konfrontieren.

 

Echte Gespräche finden jedenfalls nicht statt, wenn jemand aufgrund seiner situativen Vormachtstellung mit seinen Fragen anführt und die Richtung bestimmt und jemand Anderes aufgrund seiner situativen Untergebenheit antworten muss. So etwas kann auch ein polizeiliches Verhör oder eine mündliche Prüfung sein. Echte Gespräche sind eine ergeb-nisoffene Kommunikation von wechselseitigen Fragen und Antworten, von einem sachlichen Geben und Nehmen von Gründen sowie lebendige Kontroversen oder freundliche Streitgespräche auf Augenhöhe, wo jemand aufrichtig und ohne zu Zögern widersprechen darf, weil er oder sie anderer Auffassung ist und ohne Verstellung nach bestem Wissen und Gewissen widersprechen möchte, um damit der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit zu dienen.

 

Alles andere sind nur Pseudo-Gespräche, die echte Gespräche nur simulieren und daher eigentlich nur Talkshows der medialen Selbstdarstellung. Ein echtes Gespräch führen, heißt sich gemeinsam an der Wahrheit über Sachen und Probleme zu orientieren, bedeutet eventuelle Aporien zuzulassen, heißt sich manchmal auch zu einigen, dass man sich nicht einig (geworden) ist, bedeutet das gemeinsame Schweigen wertzuschätzen und die dadurch entstehende Stille auszuhalten. …

 

 

 


A. Idealistische Philosophien

Idealistische Philosophen behaupten auf die eine oder andere Weise, dass es keine von meinem eigenen bzw. unserem gemeinsamen menschlichen Bewusstsein und Geist unabhängige komplexe und strukturierte Wirklichkeit gibt. Außer-dem behaupten sie, dass Alles, was es gibt, einschließlich der einen, ersten, letzten und höchsten Wirklichkeit Gottes im Wesentlichen etwas Geistiges sei. Was es unter Absehung der ständig wechselnden sinnlichen Erscheinungen von der Lebenswelt eigentlich und wirklich gibt, sind unveränderliche und zeitlos gültige geistige Ideen, also logische und mathematische, ästhetische und ethische Ideale Prinzipien, Normen und Werte, die Menschen aufgrund ihres Bewußt-seins und Geistes intuitiv und diskursiv erfassen können. Die vielfältigen sinnlichen Erscheinungen von der raum-zeitlichen und materiellen Erscheinungswelt, die wir Menschen im Alltag und in den Wissenschaften für das eigentlich Wirkliche halten, sind hingegen nur komplexe Konstruktionen des schöpferischen Vorstellungsvermögens unseres menschlichen Bewußtseins.

 

Dabei muss man jedoch zwischen starken und schwachen Varianten des Idealismus unterscheiden. Die starken Varianten, wie z.B. von Platon, Berkeley oder Fichte gelten in der gegenwärtigen Philosophie als nur noch historisch relevante Positionen und nur noch ganz wenige Philosophen nach Kant und Brentano, Nicolai Hartmann und Karl Jaspers, Bertrand Russel und Karl Popper vertreten und verteidigen noch solche idealistischen Positionen mit allen ihren Konsequenzen. Dies hat vor allem damit zu tun, dass auch der nachkantische Deutsche Idealismus von Fichte, Schelling und Hegel derzeit gemeinhin als gescheitert gilt. Das könnte jedoch ein weltanschauliches Vorurteil sein, dass der vorherrschenden Weltanschauung des evolutionistischen Naturalismus bzw. des reduktionistischen Materialismus entspringt. Die bloße Dominanz einer weltanschaulichen Mehrheitsmeinung bedeutet in den Wissenschaften sowie in der Philosophie und Theologie jedoch ziemlich wenig, weil sie weder die Plausibilität noch die Wahrheit oder Geltung einer Auffassung, weder einer einzelnen These noch einer ganzen Theorie garantieren kann.

 

Im Folgenden werden jedoch unabhängig von diesen gegenwärtig vorherrschenden Überzeugungen fünf überlieferte Varianten eines stärkeren oder schwächeren Idealismus unterschieden und deren Auffassungen skizziert. Die Einteilung und Typisierung der philosophischen Positionen ist an die Unterscheidungen von Kants Prolegomena und von Diltheys systematischer Abhandlung Das Wesen der Philosophie angelehnt.

 

Diese Skizzen erfordern aus heuristischen Gründen geradezu plakative Vereinfachungen, die fachkundige Philosophie-historiker wahrscheinlich für zu sehr vereinfacht halten werden. Aber ohne solche skizzenhaften Schematisierungen kann man nicht die basalen und strukturellen Denkmöglichkeiten des menschlichen Geistes verdeutlichen, die nicht nur in der europäischen Geistesgeschichte, sondern teilweise auch in den außer-europäischen Denktraditionen Chinas und Indiens auftauchen.

1. Objektiver Idealismus (Platon)

Die menschliche Seele ist das, was den menschlichen Körper lebendig macht. Aber der menschliche Körper ist sterblich und vergänglich. Die menschliche Seele hingegen ist nur teilweise an den menschlichen Leib gebunden und sterblich, teilweise jedoch nicht an den menschlichen Leib gebunden und unsterblich. Der leibliche und sterbliche Teil der menschlichen Seele besteht in den Sinnen, Emotionen und Motivationen. Der unleibliche und unsterbliche Teil der menschlichen Seele besteht im Verstand und in der Vernunft. Dieser unleibliche und unsterbliche Teil der menschlichen Seele ist geistigen Ursprunges und geistiger Art und verlässt den menschlichen Körper nach seinem Tod.

 

Diese geistige Seele kann sie anders als die leiblichen Sinne auch zeitlose geistige Ideen, wie die Idee des Guten und des Schönen wahrnehmen. Diese zeitlose geistige Ideen und Formen von Tugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit, Frömmigkeit, etc.) und idealen Entitäten (Zahlen und geometrische Figuren) besitzen wegen ihrer eigenen Unvergänglichkeit und Zeitlosigkeit gerade mehr und nicht weniger Realität. Aufgrund ihrer Unvergänglichkeit und Zeitlosigkeit kommt ihnen sogar höchste Realität zu, während die konkreten und kontingenten, zeitlichen und vergäng-lichen materiellen Einzeldinge, Ereignisse und Prozesse in der Welt weniger wirklich existieren. Als kontingente Realisa-tionen der zeitlosen Ideen und Formen entstehen sie, bestehen sie für eine Weile und vergehen sie wieder. Aber das, was es wirklich gibt, ist das zeitlos Gültige und das ewig Wahre, das immer und überall bestehen bleibt.

 

Der Mensch als intelligentes Lebewesen ist im Unterschied zu den Pflanzen und Tieren von Natur aus mit dem Logos (Sprache, Denken und Vernunft) begabt. Er besteht daher nicht nur aus einem vergänglichen Körper, sondern auch aus einer lebendigen Seele und aus einem unsterblichen Geist, mit dem er an der Realität dieser Ideen und Formen und damit an etwas Zeitlosen und Göttlichen teilhaben kann. Dadurch unterscheidet er sich wesentlich von allen anderen Lebewesen, wie den Tieren und Pflanzen, die über keinen solchen unsterblichen Geist verfügen. Der unsterbliche Geist scheint nach dem leiblichen und seelischen Tod entweder den Körper zu verlassen, der anscheinend nur eine Art von Hülle oder Gefäß für ihn ist. Entweder lebt er in einem Art von Jenseits weiter, wie der platonische Sokrates im Sinne eines "schönen Wagnisses" glaubt oder er verlöscht ähnlich wie das Licht einer Kerze, wie seine skeptischen Schüler Kebes und Simmias glauben. (Platons Dialog Phaidon)

 

Die vielen Götter der Menschen sind nur von den Menschen geschaffene Bilder zur personifizierenden Darstellung von sittlichen Tugenden und Ideen. Das eine und einheitliche Weltall wurde jedoch nur von einer einzigen und einheitlichen schöpferischen Gottheit, dem Demiurgen geschaffen. Die Materie, aus der die natürliche Welt der Mineralien, Pflanzen und Tiere und auch die menschlichen Körper bestehen, besitzt daher gar keine eigenständige und wirkliche Realität. Da die Materie das rechte Verständnis der menschlichen Seele für das Gute einschränkt oder sogar verhindert, ist sie auch der eigentliche Ursprung des Bösen. (Mythischer Theismus)


2. Phänomenalistischer Idealismus (Berkeley)

 

Menschen erleben sich und ihre Lebenswelt als eine nach Naturgesetzen geordnete Vielheit von materiellen Einzel-dingen in Raum und Zeit. Aber es handelt sich bei dieser nach Naturgesetzen geordneten Vielheit von materiellen Einzeldingen in Raum und Zeit nur um wechselnde Erscheinungen in ihren Bewußtsein und nicht um Dinge an sich selbst. Sie halten die wechselnden Erscheinungen (Phänomene) in ihren Bewußtsein fälschlich für materielle Dinge, die an und für sich und unabhängig von ihrem Bewußtsein existieren. Sie verwechseln diesen bloßen Schein ihres bewußten Erlebens mit dem Sein einer bewußtseinsabhängigen Wirklichkeit.

 

Es gibt jedoch gar keine von den ständig wechselnden Wahrnehmungen und Vorstellungen in ihrem menschlichen Bewusstsein unabhängigen materiellen Dinge, d.h. materielle Gegenstände mit ihren sich naturgesetzlich verändernden Eigenschaften in der raum-zeitlichen Welt. Es gibt nur das jeweils eigene aktuell und introspektiv gegebene Bewusstsein, das mutmaßliche und erschlossene Bewusstsein anderer Personen und das eine omnipräsente und allwissende Bewusstsein Gottes, an dem die Gesamtheit des Bewusstseins aller Menschen teilhat.

 

Sein ist deswegen eigentlich gar nichts anderes als ein aktuelles Wahrgenommenwerden (Esse est percipi.). Davon unab-hängig gibt es kein wirklich eigenständiges Sein oder Seiendes, obwohl uns unsere menschlichen Sinne im Alltag den Anschein selbstständiger materieller Einzeldinge vermitteln. Aber dieser Anschein ist nur eine im Alltag nützliche Inter-pretation des Verstandes, die sich bei näherer philosophischer Betrachtung als eine nützliche Illusion und als bloßer Schein erweist. Gott ist der eine, zeitlose und allumfassende Geist (divine mind), in dem sich alle einzelnen Geister (individual minds) mit ihren wechselnden Erscheinungen befinden. (Mystischer Theismus)

3. Subjektiver Idealismus (Fichte)

Es gibt keine von meinem Bewusstsein und von meinem Verstand unabhängige Welt der kontingenten, materiellen oder lebendigen Dinge mit ihren sich ändernden Eigenschaften, denn sie sind alle nur subjektive Erscheinungen meines Bewusstseins. Ganz gleich, welche materiellen oder lebendigen Dinge mir im Alltag und in den Wissenschaften als eigenständige und beharrliche Dinge in der Welt erscheinen mögen und welche ich demzufolge auch für unabhängige Dinge in der Welt halten mag, handelt es sich bei ihnen nur um etwas, was ich als Subjekt mit meinem Bewusstsein erfahren und mit meinem Verstand begriffen habe. Jedes andere Ich oder fremde Subjekt mit seinen jeweiligen Akten und Pänomenen des Bewussts ist letztlich nur eine Erscheinung meines Bewusstseins und meines Verstandes (Solipsis-mus).

 

Fichte hat die kantische Unterscheidung von Gegenständen der Erfahrung (Phenomena) und Gegenständen des Denkens (Noumena) aufgegeben und Kants Annahme von nicht vollständig erkennbaren Dingen an sich als unnötig und inkonsequent verworfen. Fichte hat jedoch Kants These nicht richtig verstanden, denn Kant hat damit sicher nicht wie gewisse antike Skeptiker behauptet, dass Menschen im Alltag und in den Wissenschaften gar nichts Zuverlässiges über die Gegenstände der Erfahrung in der raum-zeitlichen Welt erfahren, erkennen und wissen können. Denn es ging ihm ja gerade darum, gegen den problematischen Idealismus von Descartes und gegen den dogmatischen Idealismus von Berkeley zu zeigen, dass objektiv gültige Erfahrungserkenntnisse von raum-zeitlichen Gegenständen sowohl im Alltag als auch in der exakten und quantifizierenden Naturwissenschaft (wie z.B. in der Newtonschen Physik) möglich und wirklich sind. Kant hielt es sogar für einen "Skandal der Vernunft", dass der Idealismus bzw. der Skeptizismus in Bezug auf die sog. Außenwelt nicht widerlegbar sein könnte, sodass menschliche Subjekte solipsistisch in der "Innenwelt" ihrer Empfindungen und Gefühle eingeschlossen wären.

 

Außerdem hat Fichte in seiner Wissenschaftslehre (1794/95) zu zeigen versucht, dass das gesamte bedingte Wissen aus dem unbedingten Selbstbewusstsein des sich selbst setzenden absoluten Ich mit seiner evidenten Selbstidentität des Ich=Ich abgeleitet werden kann. Diese Ableitung soll in drei Schritten gelingen können:

 

Der erste, unbedingte Grundsatz der Wissenschaftslehre soll nach Fichte dem kognitiven Akt einer "Tathandlung" entspringen, der allem Bewusstsein zum Grunde liegt und der es überhaupt möglich macht. Der von Fichte geprägte Begriff einer "Tathandlung" meint hier, dass beim sich selbst begründenden absoluten Ich der Handelnde und das Getane ein und dasselbe sind. Für Fichte ist der kognitive Akt einer "Tathandlung" das Sich-selbst-setzen des absoluten Ich, das sein eigenes Sein durch sich selbst quasi als eine Schöpfung aus dem Nichts hervorbringt. Der erste unbedingte Grundsatz der Wissenschaftslehre ist daher das absolute Ich, das nicht nur mit sich selbst identisch ist (Ich = Ich), son-dern das zugleich auch seine eigene Existenz (Ich bin) generiert und garantiert.

 

Anders als der erste, unbedingte Grundsatz folgt der zweite, bedingte Grundsatz nur aus dem ersten, unbedingten Grundsatz. Während der erste, unbedingte Grundsatz das Selbstsetzen des absoluten Ich beinhaltet, behandelt der zweite, bedingte Grundsatz das Entgegensetzen von etwas Anderem als dem Ich.

 

Es ist ursprünglich nichts gesetzt, als das absolute Ich, aber dieses absolute Ich ist das einzige, das schlechthin gesetzt ist. Daher kann nur dem absoluten Ich etwas schlechthin entgegengesetzt werden. Das dem absoluten Ich schlechthin Entgegengesetzte ist das Nicht-Ich. Dass es unter den Tatsachen des empirischen Bewusstseins überhaupt etwas gibt, das ein Nicht-Ich ist, weil es nicht mit dem absoluten Ich identisch ist, das ist ebenso evident wie der Satz vom Wider-spruch, dass keine Proposition p mit ihrem Gegenteil non-p zusammen stimmen kann.

 

Der dritte, ebenfalls bedingte Grundsatz betrifft dann die gegenseitige Limitation von Ich und Nicht-Ich. Die Begrenzung findet nach Fichte wiederum nur im Ich selbst statt, weswegen es sich um einen subjektiven Idealismus handelt. Das absolute Ich setzt dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. Über diese Erkenntnis hinaus geht keine Philo-sophie; aber bis zu ihr zurückgehen soll jede gründliche Philosophie; und sobald sie es tut, wird sie Wissenschaftslehre. Die drei Grundsätze des Setzens, Entgegensetzens und Teilens entsprechen den Kategorien der Qualität (Realität, Negation und Limitation), die Immanuel Kant in der Kritik der reinen Vernunft entwickelt hat.

 

Gott istdann auch nur eine Vorstellung im meinem Bewusstsein und daher für das sich selbs setzende absolute Ich bloß ein Nicht-Ich. Fichtes subjektiver Idealismus führt daher zu einem objektiven Atheismus, da Gott dann weder ein abso-lutes und an sich selbst existierendes Wesen sein kann noch ein Schöpfer der Welt und aller Lebewesen und Menschen in ihr. Das ganze Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf wird ins Gegenteil verkehrt. Denn das absolute Ich ist Schöpfer seiner selbst und Gott ist nur eine Schöpfung des menschlichen Geistes. Ein von mir gesetzter Gott kann jedoch nur noch eine Fiktion oder Projektion meines eigenen Geistes sein. Objektiv betrachtet gibt es dann jedoch gar keinen Gott, der von den Setzungen meines eigenen Bewusstseins unabhängig wäre, sodass es sich im Sinne der monotheistischen Religionen um eine atheistische Leugnung Gottes handelt. Denn in den Glaubensweisen dieser monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam, etc.) bin ich auch als Subjekt, als Person oder als Mensch ein Geschöpf Gottes und Gott ist gerade kein Geschöpf meines eigenen Bewusstseins. (Atheismus)

4. Monistischer Idealismus (Schelling)

Es gibt keine vom menschlichen Bewusstsein unabhängige Welt der Objekte, d.h. der Menschen, Tiere, Pflanzen und Mineralien. Was den Menschen aufgrund ihrer leiblichen Natur jeweils als ein einzelnes Objekt in der Welt erscheint und was sie jeweils für ein einzelnes Objekt in der Welt halten, ist eine anschauliche Erscheinung in einem bipolaren, aber einheitlichen Erscheinungsfeld, das einerseits ihr subjektives leibliches Bewusstsein und andererseits den objektiven Gegenstand als zwei Gegebenheiten umfasst.

 

Das Subjekt bzw. das Ich ist zwar nichts Absolutes, das die Objekte und Personen in der Welt durch einen Urteilsakt setzt und dadurch erzeugt (wie bei Fichte), aber sie sind gleichwohl nicht unabhängig von der Sinnlichkeit und dem Verstand der Menschen. Subjekte und Objekte bilden vielmehr einen wechselseitigen Zusammenhang und eine symbiotische Einheit, sodass das einzelne Subjekt bzw. das Ich sozusagen mit seiner jeweiligen Welt der Objekte identisch ist. Das einzelne Subjekt ist sozusagen die Gesamtsumme seiner Sinnesfelder in der Welt. 

 

Der Mensch hat anders als die anderen Lebewesen (Pflanzen und Tiere) jedoch einen freien Willen und dieser freie Wille besteht in der menschlichen Fähigkeit, zwischen Gutem und Bösem zu wählen. Aber dabei gibt es keinen Vorrang des Guten vor dem Bösen (wie bei Kant), sondern es handelt sich um eine Sache der freien Willkür in der Selbstbestimmung. Gott ist nicht nur eine Vorstellung im menschlichen Bewusstsein, die uns von unserer leiblichen Natur eingegeben wird, sondern immanenter und transzendenter Schöpfer aller Wesen in der Natur und verborgene Kraft in allen Dingen in der Natur. Gott befindet sich demzufolge sowohl in uns als auch in allen Dingen in der Welt. (Pantheismus)

5. Spekulativer und historischer Idealismus (Hegel)

Hegel distanziert sich von der kritisch-realistischen Weltanschauung und Philosophie des Common Sense (von Thomas Reid u.a.), die eine vom menschlichen Bewusstsein unabhängige, aber erkennbare Welt der empirischen Gegebenheiten der Wahrnehmung für selbstverständlich halten. Nach Hegel ist der sog. "Mythos des Gegebenen" aufzugeben, also die Auffassung, dass es einen sinnlichen Gehalt der Wahrnehmung gibt, der dem menschlichen Bewußtsein unmittelbar durch sinnlichen Erfahrungen gegeben ist und der daher nicht von sprachlichen Begriffen oder von Interpretationen des Wahrgenommenen abhängig ist. Damit versucht er auch Kants Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand als den beiden voneinander unabhängigen Stämmen der menschlichen Erkenntnis zu überwinden. Hegels Forderung nach einer Überwindung des sog. "Mythos des Gegebenen" ist eine anti-phänomenologische Forderung, die sich gegen das natürliche Selbstverständnis derinneren und äußeren Wahrnehmungen richtet. Diese Forderung macht die menschliche Wahrnehmung der wirklichen Gegebenheiten nicht verständlicher, da uns der sinnliche Gehalt der Wahrnehmungen  immer auch Grenzen der Interpretation auferlegt und mit sinnlicher Evidenz bestimmt, welche empirischen Begriffe angemessen sind und welche nicht.

 

Die Philosophie soll sich so radikal wie nie zuvor der Geschichtlichkeit und Kulturabhängigkeit der Philosophien und der Wissenschaften, Künste und Religionen bewusst werden. Aufgrund der universalen Geschichte der Ideen und Methoden hängt das menschliche Wissen und Können jeweils von dem geschichtlich gewachsenen und ganz und gar kulturell geformten Bewusstsein und Geist der Menschen ab. Sowohl der ontologische Realismus des Aristoteles als auch der empirische Realismus und tranzendentale Idealismus Kants waren sich angeblich noch nicht hinreichend der tiefen Imprägnierung der menschlichen Erfahrung und Vernunft durch geschichtlich gewachsene und daher immer auch wandelbare Begriffe, Konzeptionen und Theorien bewusst. Nach Descartes’ Entdeckung der unhintergehbaren Evidenz des Selbstbewusstseins und nach Kants philosophischer Entdeckung der apriorischen Kategorien des Verstandes und der Vernunft und der apriorischen Formen der Anschauung soll der empirische Begriffsrealismus von Aristoteles bis Locke als inzureichend und überwunden gelten.

 

Kant hat mit seiner umfassenden Vernunftkritik sowohl die rationalistischen Philosophien von Descartes, Leibniz und Spinoza über Gott, Selbst und Welt als dogmatisch entlarvt als auch die empiristischen Philosophien von Locke, Hume und Berkeley als unzureichend aufgewiesen. Da es beim Philosophieren darum geht zu verstehen, wie das erfolgreiche menschliche Erkennen, Wissen und Können in Logik, Mathematik und Physik möglich sind, bedarf es einer Synthese aus empiristischen und rationalistischen Einsichtehn. Kant hat aufgrund seiner ursprünglich scholastischen Unterscheidung von Gegenständen der Erfahrung (Phenomena) und Gegenständen des Denkens und Urteilens (Noumena) ganz zurecht behauptet, dass die menschliche Erfahrungserkenntnis von raum-zeitlichen Gegenständen (die in bestimmten logischen Urteilsformen formuliert werden muss) sowohl von apriorischen Anschauungsformen des Räumlichen und Zeitlichen als auch von logischen Urteilsformen und bestimmten Kategorien des empirischen Verstandes (wie z.B. von linearer Kausalität und kausaler Wechselwirkung) geprägt wird.

 

Daher hat Kant zurecht behauptet, dass wir Menschen immer nur eine adäquate Erfahrungserkenntnis von Gegen-ständen erreichen können, wie sie uns faktisch anschaulich erscheinen und wie wir sie logisch beurteilen und begrifflich erfassen können. Daraus hat Kant zurecht gefolgert, dass wir Menschen (anders als ein allwissender Gott) nicht die Dinge an sich (vollständig) erkennen können, d.h. so erkennen können, wie sie unabhängig von unseren sinnlichen und apriorischen Anschauungsformen sowie ganz unabhängig von unseren logischen Urteilsformen und von den Prinzipien und Kategorien des empirischen Verstandes an sich sind. Kants Auffassung erinnert wohl nicht zufällig an das Diktum des Paulus in 1. Kor. 12, dass wir in diesem Leben Alles immer nur teilweise und schemenhaft wahrnehmen und erkennen können und und dass uns eine vollständige und perfekte Erkenntnis erst nach dem Tode zuteil werden wird: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

 

Schelling hat zwar im Laufe seiner Entwicklung verschiedene Stadien durchlaufen, aber für Hegels Jenaer Phase der Selbstfindung und des Durchbruches zu seiner eigenen Position in der Differenzschrift (1801) war es am wichtigsten, dass Schelling anders als Fichte die Existenz des absoluten Ich geleugnet hat und einen alternativen Versuch gemacht hat, um sowohl den radikalen Skeptizismus (Pyrrho von Elis und Sextus Empiricus) als auch den rationalistischen Dogmati-smus (Descartes, Leibniz und Spinoza) zu überwinden. Dazu gibt er jedoch anders als Fichte nicht nur Kants scholasti-sche Unterscheidung von Gegenständen der Erfahrung (Phenomena) und Gegenständen des Denkens (Noumena) auf, sondern gleich die ganze Unterscheidung zwischen dem einzelnen Subjekt und den einzelnen Objekten, sodass beide Pole der menschlichen Wahrnehmung und Erfahrung sowie der Erfahrungserkenntnis und des Wissens zu einer beide Pole umgreifenden Natur verschmelzen. Außerdem hat Schelling gegen Kant versucht,  die angebliche Fähigkeit zur "intellektuellen Anschauung" zu rehabilitieren.

 

Hegels Frühschrift Glauben und Wissen (1802) zufolge hat Kant zwar mit seiner differenzierten Metaphysikkritik und Transzendentalphilosophie versucht, sowohl den empiristischen Skeptizismus (Hume) als auch den rationalistischen Dogmatismus (Descartes, Leibniz und Spinoza) zu überwinden, aber er hat mit seiner immer noch skeptischen Begrenzung der Reichweite des menschlichen Erkennens und Wissens auf den Bereich der sinnlichen Erfahrung von Gegenständen und Personen in der raumzeitlichen Welt die Philosophie ihrer eigenen spekulativen Dimension beraubt. Damit blieb nach Hegel Kants Philosophie immer noch skeptische Verstandesphilosophie und konnte noch nicht -- wie dann bei ihm selbst -- wieder in Anlehnung an das aristotelische "Denken des Denkens" zu spekulativen Einsichten der Vernunft über Gott und die Welt von Natur und Geist gelangen.

 

Hegel hat sich in seiner Phänomenologie des Geistes (1807) vorgenommen, das maximal denkbare philosophische Projekt einer Darstellung und Erklärung der entwicklungslogischen Genese des individuellen menschlichen Erkennens und Wissens von den einfachen und unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmungen bis zum absoluten Wissen in Kunst, Religion und Philosophie begrifflich zu erhellen. In seinen Berliner Vorlesungen (1818-1832) hat er versucht, die geschichtliche Genese und aufsteigende Entwicklung der Religionen und Philosophien bis zu seiner eigenen Philosophie als eine dialektische Entwicklungslogik des Weltgeistes durch die Geschichte der Menschheit darzustellen. Insofern gibt es bei ihm einen Primat des Geistes im Sinne eines historisch reflektierenden Bewusstseins über die bloße Faktizität und Dynamik der geschichtlichen Welt.

 

In seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts (1820) unterscheidet er nicht mehr wie noch Kant in seiner Metaphysik der Sitten (1797) zwischen der gesinnungsethischen Dimension der Moral und der verantwortungsethischen Dimension des Rechtes, sondern entfaltet die gesamte Rechtsphilosophie als eine vernünftige Theorie der Sittlichkeit jenseits der alten Naturrechtslehren von Cicero bis Fichte.

Das reflektierende Bewusstsein von den kulturellen und sozialen Konstruktionen des menschlichen Geistes ist jedoch selbst wiederum ein historisch und kulturell gewachsene Form des menschlichen Geistes und keine naturwüchsige Gegebenheit. Dies zeigt sich zwar in der Geschichte aller Konstruktionen des menschlichen Geistes, aber insbesondere in denjenigen Formen des absoluten Geistes in den Formen der sinnlichen Kunst, der vorstellenden Religion und der reflektierenden Philosophie. Die in den positiven Religionen erscheinenden Ideen von Gott sind nur Vorstellungen im menschlichen Bewusstsein, aber welche bestimmten Vorstellungen die Menschen von Gott haben, hängt von der jeweiligen Kultur, Religion, Philosophie und Bildung ab. Die Religionen der Menschheit haben eine eigene Entwicklungs-geschichte, ähnlich wie der einzelne Mensch sich von Kindheit und Jugend an hin zum Erwachsenen und schließlich zum Alten und zu Greisen hin entwickelt. Die Religionen der Menschheit stehen jedoch nicht auf der gleichen Stufe in der geschichtlichen Entwicklung des menschlichen Bewusstseins und Geistes und können deswegen auch nicht als  gleich-wertig aufgefasst werden.

Das Christentum steht Hegel zufolge auf der höchsten Stufe unter den positiven Religionen, weil es alle wesentlichen Merkmale einer idealen Religion in sich vereinigt (wie z.B. Schöpfungslehre, Erlösungs- und Versöhnungslehre, Ethos der Liebe, Mystik, Vergemeinschaftung, etc.). Aber auch das Christentum hat sich in verschiedenen Stufen von der Antike über das Mittelalter hin zur Neuzeit mit ihrer Dialektik von Aufklärung und Romantik weiter entwickelt. Das protestantische Christentum ist die höchste Stufe des positiven Christentums und in ihm vollendet sich damit das religiöse Bewusstsein der Menschheit. Gleichwohl ist auch das positive Christentum immer noch nicht die höchste Stufe in der Entwicklung des religiösen Bewusstseins. Die höchste Stufe des absoluten Geistes bleibt nämlich den Philosophen vorbehalten, in denen das religiöse Bewusstsein mit seinen anthropomorphen Vorstellungen von Gott als einem per-sonalen Wesen vom spekulativen Denken über das Absolute abgelöst wird, sodass der Geist im Menschen als einem besonderen Lebewesen in der Natur zu sich selbst kommen kann, sodass dann auch das positive Christentum im reflektierenden Selbstbewusstsein des Philosophen aufgehoben wird.

Der historische Idealismus führt dialektisch von der These des Pantheismus (Spinoza), demzufolge Gott mit der ganzen Natur identisch ist, und in der Konfrontation mit der Anti-These des Atheismus (Fichte), demzufolge es jenseits der praktischen Vernunft in Moral, Recht und Staat gar keinen Gott gibt, weil er nur eine Setzung des Menschen darstellt, über den ethischen Theismus (Kant) zur Synthese eines historischen Theismus (Hegel), demzufolge Gott mit dem Weltgeist identisch ist, der in seinem dialektischen Gang durch die mit Konflikten behaftete Weltgeschichte erst zu sich selbst kommt. Der neuzeitliche Rechtsstaat ist als eine sittliche Form des objektiven Geistes die höchste Form des ab-soluten Geistes und seine globale Ausbreitung ist das Endziel der Weltgeschichte (Historischer Theismus).

 


B. Dualistische Philosophien

Dualistische Philosophien leugnen weder die vom menschlichen Bewusstsein unabhängige Realität der materiellen Gegenstände, Ereignisse und Prozesse in der Außenwelt noch die immaterielle Realität von Bewusstsein in Menschen und höheren Tieren noch die vom menschlichen Bewusstsein abhängige Realität des Denkens und der Inhalte des sprachlichen Geistes im Menschen. Vielmehr handelt es sich ihnen zufolge beim Materiellen und Psychischen um zwei eigenständige und nicht aufeinander reduzierbare Wirklichkeiten. Das menschliche Bewusstsein mit seinen seelischen Funktionen und geistigen Inhalten ist demzufolge nicht nur ein bloßes Epiphänomen oder eine bloße Funktion des menschlichen Organismus und seines vitalen Verhaltens.

Deswegen irren sich ihnen zufolge sowohl die Idealisten, die die Existenz einer vom Bewusstsein und Geist unabhängi-gen Außenwelt der materiellen Dinge und Lebewesen leugnen, als auch die Naturalisten oder Materialisten, die als Behavioristen oder Reduktionisten, die Existenz von psychischem Bewusstsein und immateriellen Geist leugnen. Dua-listen unterscheiden sich jedoch einerseits in der ontologischen bzw. genealogischen Frage nach einer Erklärung der Natur dieser unterschiedlichen Realitäten sowie andererseits in der epistemologischen Frage nach einer Erklärung der Erkennbarkeit dieser beiden unterschiedlichen Entitäten bzw. Realitäten.

Deswegen kann Descartes in ontologischer Hinsicht als ein objektiver Dualist verstanden werden und zugleich in epis-temologischer Hinsicht als ein “problematischer Idealist“ (Kant), weil für ihn die Erkenntnis der Phänomene des  Be-wusstseins (cogitationes) im eigenen Ich oder Subjekt (res cogitans) mit introspektiver Gewissheit geschieht, während die Erkenntnis der kontingenten und materiellen Gegenstände (res extensa) in der Außenwelt immer angezweifelt werden kann. Die wesentliche Differenz zwischen Descartes’ Rationalismus und dem Empirismus von Locke und Hume besteht in der genealogischen Psychologie sowie in der empiristischen Leugnung von angeborenen Ideen und der Akzeptanz des aristotelischen Tabula-rasa-Modells von der Natur des menschlichen Geistes bei Locke und Hume.

Die wesentliche Differenz zwischen Descartes’ Rationalismus und Kants Kritizismus besteht hingegen in dem psycho-logischen Zugeständnis an die Empiristen in Bezug auf die Leugnung von angeborenen Ideen bei gleichzeitiger Zurück-weisung von deren Empirismus der bloß genealogischen Analysen. Kant hat nicht nur erkannt, dass die genealogisch und assoziationspsychologisch denkenden Empiristen keine plausible Erklärung für die apriorische, notwendige und universale Geltung des Logischen und Mathematischen haben. Kant hat auch erkannt, dass sie mit ihrem empiristischen Subjektivismus und Skeptizismus nicht erklären können, wie und warum sich das Logische und Mathematische so er-folgreich in den modernen Naturwissenschaften zur Erklärung des Verhaltens natürlicher Gegenstände, Ereignisse und Prozesse bis hin zur erfolgreichen Prognose zukünftiger Verläufe angewandt werden kann. Dennoch versucht Kant die rationalistische Überzeugungen Descartes’ von der beharrlichen Substantialität und angeblichen Unsterblichkeit des menschlichen Geistes sowie von der strengen Beweisbarkeit des Daseins Gottes und der menschlichen Freiheit des Willens zu widerlegen. Diese religiösen bzw. metaphysischen Überzeugungen bleiben für ihn Glaubensinhalte, die sich nicht in einem strengeren Sinne beweisen lassen, in dem die Zweifler strikt widerlegt werden könnten.

1. Ontologischer Dualismus (Descartes)

Es gibt in ontologischer Hinsicht zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Substanzen (selbstständig Existierendes) in der Welt. Jede Substanz ist daher entweder (1.) ein materielles Ding (res extensa), das ausgedehnt, beweglich und in seinen Eigenschaften veränderbar ist. Dazu gehören sowohl mein eigener Körper (corpus) als auch die wahrnehmbaren Körper der anderen Menschen; oder eine Substanz ist (2.) ein denkendes, fühlendes und wollendes Ding (res cogitans), wie z.B. meine eigene Seele (anima) mit ihren verschiedenen psychischen Phänomenen (cogitationes) von Kognitionen, Emotionen und Motivationen sowie mit ihrem Geist (mens) oder Intellekt (intellectus), in dem sich auch angeborene Ideen befinden, wie z.B. die Idee Gottes (idea dei).

Ich selbst bin als Mensch eine zusammengesetzte psychosomatische Einheit aus einer materiellen Substanz, nämlich meinem materiellen Körper (res extensa) und aus einer nicht-materiellen Substanz (res cogitans), nämlich meiner Psyche und meinem Geist. Ich habe zwar bestimmte Vorstellungen (repraesentationes) von solchen ausgedehnten Substanzen in meiner Psyche und in meine Geist, aber ich kann weder die Existenz dieser materiellen Dinge noch die Existenz von anderen Menschen, von ihrer Psyche oder von ihrem Geist im strengen Sinne beweisen. Denn es könnte sein, dass ich das alles nur träume oder von einem mächtigen bösen Dämon manipuliert werde, der mir das Alles nur vorgaukelt, sodass in diesen Fragen keine vollkommene Gewissheit erreicht werden kann.

Aber ich finde die Idee von Gott als dem unendlichen und ewigen Wesen in meinem endlichen Bewusstsein vor. Diese Idee kann jedoch nicht aus meiner endlichen Erfahrung stammen, da ich dort nichts dergleichen vorfinden konnte und da sie sich auch nicht von endlichen Gegenständen in Raum und Zeit abstrahieren lässt. Daher muss sie angeboren und uns von Gott selbst in unsere Seele und Geist als Zeichen unserer Gottebenbildlichkeit hineingelegt worden sein.

 

Lässt sich aus meiner in mir vorgefundenen Idee von Gott dann auch das wirkliche Dasein Gottes beweisen? Die Idee von Gott kann nur als die Idee vom höchsten und vollkommensten Wesen angemessen verstanden werden. Wenn Gott jedoch das höchste und vollkommenste Wesen ist, dann muss Gott auch existieren. Denn es ist bereits im Begriff von Gott als dem höchsten und vollkommensten Wesen enthalten, dass er existieren muss, weil er sonst nicht vollkommen wäre und ihm etwas zu seiner Vollkommenheit fehlen würde.

 

Aber meine gewohnte Überzeugung von der Existenz der Außenwelt mit ihren von meiner Psyche und von meinem Geist unabhängigen Substanzen ist nur eine plausible Annahme, die nicht die gleiche Evidenz der klaren und deutlichen Vorstellungen in meinem Geist besitzt. Dennoch kann und darf ich mich auf die Existenz der Außenwelt verlassen, denn zur Idee von Gott vom höchsten und vollkommensten Wesen gehört auch, dass er ein gütiges Wesen sei, das mich nicht dauerhaft über die Existenz dieser Außenwelt täuschen würde so wie es ein mächtiger böser Dämon oder auch meine natürlichen Sinne oder mein natürlicher Organismus tun könnten. (Rationaler Theismus)


2. Empirischer Dualismus (Locke)

Alle Erkenntnis und alles Wissen stammt ausschließlich aus der unmittelbaren Erfahrung von sinnlichen Eindrücken (impressions) in unserem Bewusstsein (Empirismus). Dies gilt auch für die Ideen (ideas) und die allgemeinen Begriffe (concepts), die durch Abstraktion aus den sinnlichen Eindrücken gewonnen werden. Sie sind demzufolge nicht dem menschlichen Intellekt angeboren, sondern in der Erfahrung erworben. Im menschlichen Verstand gibt es deswegen nichts, was nicht zuvor in den menschlichen Sinnen gewesen ist. Es gibt materielle Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen, deren unabhängige Existenz aus der menschlichen Erfahrung zuverlässig erschlossen werden kann, obwohl es keinen unmittelbaren Kontakt mit ihnen gibt, sondern nur mit unseren sinnlichen Vorstellungen (presentations) von ihnen als Bündeln von Eigenschaften. Alle diese Dinge, Pflanzen, Tiere und Menschen haben primäre Eigenschaften (primary qualities), wie Ausdehnung, Masse, Gewicht, Bewegung, Stoßkraft, etc., während ihnen die sekundären Eigenschaften (secondary qualities), wie Farbe, Geruch, Geschmack, etc. nicht wirklich an sich zukommen, sondern nur den sinnlichen Präsentationen von ihnen im Bewusstsein (Repräsentationalismus).

Sekundäre Eigenschaften werden gewöhnlich, aber fälschlich für Eigenschaften der Dinge selbst gehalten, während sie eigentlich nur in psychischen Relationen zu solchen Dingen bestehen. Gott ist weder ein raum-zeitliches Ding in der Welt mit primären Eigenschaften, das an sich existiert, noch bloß eine sinnliche Präsentation in unserem Bewusstsein mit sekundären Eigenschaften. Die meisten Menschen haben jedoch eine aus der Erfahrung gewonnene Idee von einem solchen höchsten Wesen, und sie erklären damit den mutmaßlichen Ursprung der Welt. (Empiristischer Theismus)

3. Skeptischer Dualismus (Hume)

Menschen glauben gewöhnlich im Alltag und in den Wissenschaften, dass es Dinge in der Welt gibt, die vom mensch-lichen Bewusstsein unabhängig sind und die sie durch Erfahrung kennen (Empirismus). Dabei handelt es sich jedoch nur um eine natürliche Denkgewohnheit, die sie zwar aus praktischen Gründen für zutreffend halten, die sie jedoch weder rational begründen noch beweisen können.

 

Die Welt ist nichts anderes als die Summe aller Felder der Erfahrung, die Menschen machen können. Die Welt an sich gibt es nicht und es gibt auch keinen objektiven Grund der Einheit der verschiedenen Felder der menschlichen Er-fahrungen. Die Einheit der Erfahrungswelt liegt nur im intersubjektiven Grund der menschlichen Erfahrungen, also in dem sich wandelnden Bewusstseinsstrom der Menschen.

 

Der Glaube an die Existenz Gottes, einer unsterblichen Seele, eines substanziellen Ichs angesichts des Stromes der Phänomene des Bewusstseins und eines freien Willens sind keine notwendigen oder auch nur natürlichen Denk-gewohnheiten, sondern es handelt sich nur um kulturelle und historisch bedingte Überzeugungen, die von den indivi-duellen oder kollektiven Denkgewohnheiten der Menschen abhängen. Alle Versuche eines rationalen Beweises der

Existenz Gottes, einer unsterblichen Seele und eines freien Willens sind zum Scheitern verurteilt und der Glaube an das Dasein Gottes ist auch nicht unvernünftig. Das Dasein Gottes lässt sich weder rational beweisen noch rational wider-legen. (Agnostizismus)

 

4. Kritischer Dualismus (Kant)

Es gibt unzählig viele Dinge in der raum-zeitlichen Natur, d.h. im Kosmos und in der irdischen Natur, die zwar vom menschlichen Bewusstsein, Denken und Urteilen unabhängig existieren, aber die wir nur durch sinnliche Erfahrungen und mit empirischen Begriffen kennen und erkennen können. Solche raum-zeitlichen Dinge sind im logischen und kategorialen Denken und Urteilen des Menschen Substanzen oder Einzeldinge mit ihren mannigfaltigen Eigenschaften, mit zeitlichen Veränderungen an diesen Substanzen und ihren Eigenschaften, in räumlichen Relationen zwischen diesen Substanzen sowie mit Kausalitäten und Wechselwirkungen zwischen ihnen, etc. Alle menschliche Erkenntnis setzt daher gewissen Kategorien und Prinzipien des Verstandes voraus. Was sie unabhängig von unseren Kategorien und Prinzipien des Verstandes an und für sich sind, können wir nicht wissen.

Alle diese Dinge nennen wir Menschen "Gegenstände der Erfahrung" und auf diese bezieht sich unsere menschliche Erfahrungserkenntnis von konkreten Einzeldingen in der Welt (mundus sensibilis), wie z.B. Steine, Pflanzen, Tiere und Menschen. Daneben gibt es aber auch unzählige andere Dinge, die zwar keine raum-zeitlichen Gegenstände der Er-fahrung und Erfahrungserkenntnis sind, die jedoch für intelligente Lebewesen wie für die Menschen mit der Fähigkeit zum Denken und Urteilen, Selbstbewusstsein und Reflexion sowie Verstand und Vernunft intelligibel sind, d.h. gedacht und verstanden werden können (mundus intelligibilis), wie z.B. Ideale, Prinzipien, Normen und Regeln. Solche intelli-giblen Dinge sind auch alle Vorstellungen im menschlichen Bewusstsein, d.h. Anschauungen und Empfindungen der Sinnlichkeit und Begriffe des Verstandes, Urteile der Urteilskraft und Entscheidungen des Willens, Ideen und Ideale der Vernunft, sämtliche Produkte der menschlichen Einbildungskraft und des intuitiven Ahnungsvermögens, etc. Alle all-gemeinen Begriffe des Verstandes von konkreten Substanzen und Gegenständen in der Welt (Mineralien, Pflanzen, Tiere, und Menschen) stammen jedoch aus der Erfahrung und sind nicht angeboren.

Die empirische Erkenntnis von den erscheinenden Dingen setzt von Anfang an apriorische Strukturen der raum-zeit-lichen Erfahrung, apriorische Kategorien des logischen Denken und Schließens, apriorische Prinzipien des rationalen Urteilens sowie regulative Ideen voraus, die selbst nicht aus der Erfahrung stammen können (gegen den Empirismus). Diese apriorischen Strukturen sind jedoch auch nicht physisch angeboren, sondern sie entstehen erst in der Aktivität und Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, der Sprache und des Denkens. Mit Hilfe dieser apriorischen Vorgaben in den Erkenntnisvermögen von Sinnlichkeit und Verstand, Urteilskraft und Vernunft können Menschen als endliche intelligente Lebewesen die raum-zeitlichen Gegenstände in einer naturgesetzlich geordneten Welt objektiv erkennen. Dazu brauchen sie jedoch immer sowohl Anschauungen von diesen Gegenständen (Erfahrung) als auch passende Begriffe und angemessene Urteile über die variierenden Anschauungen von diesem Gegenständen (Reflexion).

Ohne die apriorischen (nicht-empirischen) Formen der Anschauung und begrifflichen Kategorien des menschlichen Erkenntnisvermögens wäre jedoch keine objektive Erkenntnis von den Gegenständen der Erfahrung möglich. Wir Menschen hätten dann immer nur wechselnde Erscheinungen im zeitlichen Nacheinander des Bewusstseinsstromes, aber keine Erkenntnis von zeitlich beharrlichen Substanzen mit bestimmten Eigenschaften und Veränderungen in räumlichen Verhältnissen unter konkreten kausalen Bedingungen (Ursachen, Wirklungen und Wechselwirkungen) und deswegen auch keinerlei Kenntnis von allgemeinen Naturgesetzen. Diese Einsicht basiert jedoch nur auf einer kontra-faktischen Überlegung über die konkreten Bedingungen der Möglichkeit der wirklichen Erfahrungserkenntnis im Alltag und in den Wissenschaften. Deswegen hat diese Einsicht und Überlegung auch keine skeptischen, subjektivistischen oder idealistischen Konsequenzen, sondern erklärt nur die apriorischen Ermöglichungsbedingungen objektiver Erfah-rungserkenntnis. Wie sich die Dinge an sich unabhängig von unseren wirklichen menschlichen Erfahrungen und von unseren intersubjektiven Bedingungen der Möglichkeit der objektiven Erfahrungserkenntnis verhalten mögen, ist nur eine spekulative Frage jenseits realer Erfahrungserkenntnis. Der Begriff von den unerkennbaren “Dingen an sich” ist nur ein transzendentalphilosophischer Grenzbegriff.

Jenseits der inneren und äußeren Erfahrung des Menschen, die auf diese Weise objektive Erkenntnis von Gegenständen mit wechselnden Eigenschaften in der raum-zeitlichen Welt ermöglicht, gibt es zwar (a.) apriorische Erkenntnisse (Begriffe, Urteile, Schlüsse, Denkoperationen, Prinzipien, etc.) in Logik und Mathematik (Prolegomena) sowie (b.) apriorische Erkenntnisse (Imperative, Syllogismen, Denkoperationen, Prinzipien, etc.) in Moral und Recht (Metaphysik der Sitten) sowie (c.) apriorische Erkenntnisse (Begriffe, Urteile, Schlüsse, Denkoperationen, Prinzipien, etc.) in den empirischen Naturwissenschaften (Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften), aber (d.) keine objektiven Erkenntnisse über das Intelligible (mundus intelligibilis) der Ideen und Postulate der theoretischen und praktischen Vernunft jenseits möglicher Erfahrung (mundus sensibilis), wie z.B. vom Sein, von Gott, von der Idee des höchsten Guten, von einer unsterblichen Seele oder von der Freiheit des Willens. Denn alle diese Inhalte von Ideen und Idealen kennen wir nur als etwas Intelligibles, d.h. aus verstehbaren Begriffen der Reflexion bzw. der Vernunft, aber nicht aus der sinn-lichen Erfahrung von konkreten Gegenständen der sinnlichen Anschauung. Deswegen wäre es auch irreführend, diese Inhalte von Reflexionsbegriffen mit sinnlich erfahrbaren Gegenständen zu verwechseln und sie von daher für konkrete Substanzen in der raum-zeitlichen Welt zu halten. Aus diesem Grunde gibt es anders als bei den erfahrbaren Gegen-ständen in Raum und Zeit von ihnen auch keine objektiven Erkenntnisse, sondern nur rationalen Glauben und philo-sophische Einsichten des Verstehens im dialektisch reflektierenden Denken.

Da es sich bei ihnen zwar um für den Menschen denknotwendige Orientierungsbegriffe der Metaphysik, aber damit auch nur um intelligible Inhalte von Reflexionsbegriffen handelt und nicht um konkrete Realitäten, können weder das reale Dasein Gottes noch die reale Existenz eines freien Willens noch die reale Existenz einer unsterblichen Seele im strengen Sinne bewiesen werden. Objektive Realität bedeutet nämlich so viel wie erfahrbares Dasein von konkreten Gegenständen in Raum und Zeit. Alle rationalen Beweisversuche scheitern und sie erzeugen nur einen illusionären Schein von rationaler Stringenz und Plausibilität im Denken, denn sie beziehen sich nur auf Orientierung stiftende metaphysische Gedankendinge bzw. auf denknotwendige Inhalte von Reflexionsbegriffen. (Ethikotheologie).

Aufgrund der Strukturen der menschlichen Vernunft sind wir Menschen jedoch geneigt, metaphysische Fragen nach Gott und Seele, Welt und Natur, Determination und Freiheit sowie nach dem Rechten und Guten zu stellen. Auch kommen wir nicht umhin, auf die eine oder andere Weise an diese intelligiblen Dinge jenseits aller menschlichen Erfahrung und Beweisbarkeit zu glauben. Denn der Glaube an diese intelligiblen Dinge ist für das moralische und rechtliche Bewusstsein denknotwendig und von daher in der Struktur unserer praktischen Vernunft selbst angelegt.

Die metaphysische Überzeugung von der substanziellen Realität der Inhalte dieses metaphysischen Glaubens und Denkens entspringt dem Philosophieren, aber nicht aus den Glaubensweisen des Judentums und Christentums selbst und lässt sich bei kritischem Nachdenken über die religiösen Erfahrungen von Juden und Christen als etwas Konkretes und Reales verstehen. Denn die Denkkategorie von beharrlichen Substanzen gehört zum Urteilen über lebensweltliche Erfahrungen von gegenständlichen Objekten in Raum und Zeit und lässt sich nicht auf die intelligiblen Ideen der Ver-nunft von Gott, Freiheit des Willens und Unsterblichkeit der Seele anwenden, ohne zu einer irreführenden Verding-lichung und damit zu einer metaphysischen Selbsttäuschung zu führen.

 

Die Vernunft verwickelt sich bei ihren Versuchen, metaphysische Erkenntnisse über erfahrungsunabhängige Totalitäten zu erlangen, in unauflösliche Widersprüche (transzendentale Dialektik). Den transzendentalen Ideen der apriorischen Vernunft - Seele, Welt und Gott - kommt daher nur eine regulative Bedeutung zu. Das Ganze ist uns nach Kant nicht sinnlich gegeben, sondern nur denkerisch aufgegeben. Es verhält sich wie der Horizont, der sich mit jedem Schritt,

dem jemand ihm näher zu kommen meint, immer wieder aufs neue entzieht.

5. Aporetischer Dualismus (Thomas Nagel)

Menschliche Subjektivität mit ihren unmittelbaren inneren Erfahrungen von psychischen Phänomenen (d.h. von Emo-tionen, Kognitionen, Motivationen und Volitionen) und mit ihren äußeren Erfahrungen von sekundären Eigenschaften (Locke) von Gegenständen, Ereignissen und Prozessen in der Welt sind zwar etwas Reales und Wirkliches, aber sie lassen sich aus prinzipiellen logischen, epistemologischen und ontologischen nicht auf neuronale Prozesse im Gehirn und Nervensystem von Tieren und Menschen reduzieren. Deswegen ist eine vollständig objektivierende wissenschaft-liche Welterklärung, wie sie von Szientisten, Naturalisten und Materialisten angestrebt und gefordert wird, prinzipiell unmöglich.

Trotzdem ist es richtig, dass Naturwissenschaftler in Physik, Chemie und Biologie so weit wie möglich nach einer mög-lichst objektiven Erkenntnis der Welt streben. Das gilt auch für die Kultur- und Sozialwissenschaften bis hin zur Linguis-tik, Psychologie und Neurowissenschaften. Dort stoßen wissenschaftliche Forschungen und introspektive Selbst-erforschung auf eine eigentümliche Dependenz der sozial und kulturell imprägnierten psychischen Phänomene der inneren und äußeren Erfahrung, aber auch des Unbewussten (z.B. der Träume) von neuronalen Prozessen in Gehirn und Nervensystem. Daraus folgt jedoch weder eine wundersame Parallelität noch eine ontologische Identität dieser Phänomene des Bewusstseins bzw. Unterbewusstseins mit den neuronalen Prozessen in Gehirn und Nervensystem.

Der darwinistische Naturalismus mancher Szientisten, Naturalisten und Materialisten, der alle subjektiv gegebenen Phänomene des menschlichen (und höheren tierischen) Bewusstseins inklusive der sprachlichen Intelligenz des Menschen restlos auf physikalische oder chemische Prozesse bzw. auf biologische und neuronale Funktionen zu reduzieren versucht, kann sowohl aufgrund der wirksamen Realität der menschlichen Subjektivität der psychischen Phänomene als auch aufgrund der transzendentalen Eigengesetzlichkeit des Logischen und Mathematischen, das nicht bloß psychologisch geschweige denn neurobiologisch oder gar evolutionsbiologisch erklärt werden kann, kein voll-ständiges und zutreffendes Weltbild sein.

 

Daraus folgt jedoch weder die Richtigkeit der Hypothese von einem intelligent Design des Universums und der irdischen Natur geschweige denn die mythische oder theologische Glaubensüberzeugung an eine göttliche Schöpfung aus dem Nichts (wie in Judentum, Christentum und Islam). Gott ist und bleibt daher ein Inhalt des Glaubens, aber nicht des wissenschaftlichen Wissens. (Agnostizismus)


C. Realistische Philosophien

Realistische Philosophen behaupten auf die eine oder andere Weise, dass es eine vom eigenen individuellen sowie kollektiven menschlichen Bewusstsein und Geist unabhängige Wirklichkeit gibt, die bestimmte eigenständige Strukturen aufweist, die man teilweise wahrnehmen, teilweise erschließen und damit erforschen und entdecken kann. Dabei muss man jedoch auch zwischen starken und schwachen Varianten des Realismus unterscheiden. Die schwachen Varianten eines naiven, direkten oder empirischen Realismus, die jede implizite Präfiguration entweder der empirischen Gehalte der menschlichen Wahrnehmungen durch die menschliche Sinnlichkeit (Reid) oder durch apriorische Formen der sinnlichen Wahrnehmung (Kant) oder der Wahrnehmungsurteile über Gegenstände in der Lebenswelt durch bestimmte logische Strukturen des Denkens, Schließens und Urteilens (Kant) oder durch semantische Strukturen der Sprache (Herder, Humboldt, Wittgenstein, u.a.) ablehnen, werden nur noch selten vertreten und gelten in der zeitgenössischen Philosophie als nur noch historisch relevant.
 
Nur noch wenige Philosophen nach Kant verteidigen noch diese Positionen mit allen ihren Konsequenzen. Kant hat damit auch den direkten Realismus des Aristoteles überwunden, der auf einer mangelnden Unterscheidung zwischen den Denkgesetzen der Logik und den Seinsgesetzen der Sachverhalte in der Welt basierte und daher die Kategorien der menschlichen Orientierung in der Lebenswelt fälschlich als Strukturen der Welt ontologisierte. An der wichtigen Diffe-renz zwischen Denk- und Seinskategorien hat nach Kant jedoch auch Nicolai Hartmann festgehalten, aber nicht ohne den bewahrenswerten Kern von Kants Entdeckung der impliziten Präfiguration der menschlichen Urteile über die objektiven Gegenstände der Erfahrungswelt durch intersubjektiv gültige Denkkategorien festzuhalten.

Da Kants kritische Philosophie nolens volens auch zur Initialzündung für die Entstehung des Deutschen Idealismus wurde, herrscht (vor allem bei naiven bzw. direkten Realisten) immer noch das weit verbreitete Missverständnis vor, dass Kant ein (inter)subjektiver Idealist gewesen sei. Das war er aber sicher nicht, da er sich aus guten Gründen sehr deutlich sowohl vom problematischen Idealismus von Descartes als auch vom dogmatischen Idealismus von Berkeley distanziert hatte (Prolegomena). Den objektiven Idealisten Platon hielt er sogar wegen dessen bereits von Aristoteles kritisierten Ideenlehre für den “Erzvater aller Schwärmerei” (Logik-Vorlesung).

Auch der junge Hegel hat in Glauben und Wissen in polemischer Absicht die ebenfalls falsche These propagiert, das Kant immer noch ein bloßer Verstandesphilosoph in der Nähe der Empiristen Hume und Locke gewesen sei, so als ob sich Kants Philosophie auf die Analytik des empirischen Verstandes reduzieren ließe und so als ob es bei ihm keine Dialektik der Ideen der reinen Vernunft (Gott, Seele, Welt, Freiheit, Determination, etc.) geben würde. Der Deutsche Idealismus war jedoch insgesamt eine ganze Reihe von scheiternden Versuchen, Kants kritische Philosophie durch spekulatives Denken zu überwinden.

1. Ontologischer Realismus (Aristoteles)

In der Welt gibt es sowohl Individuen wie Universalien, nämlich die verschiedenen Arten oder Sorten von Substanzen, nämlich (a.) Portionen von Materie als unbelebte materielle Körper , (b.) Pflanzen als belebte materielle Körper oder organische Lebewesen mit Wachstum und Fortpflanzung, aber ohne Bewusstsein und Empfindungen, sowie (c.) Tiere als belebte materielle Körper oder organische Lebewesen mit physischem Wachstum und Fortpflanzung, motorischer Selbstbewegung im Raum, instinktiver Intelligenz, Bewusstseinsfunktionen wie Wahrnehmungen und Empfindungen, aber ohne gemeinsame Sprache und logisches Denken, sowie (d.) Menschen als belebte materielle Körper oder organische Lebewesen  mit physischem Wachstum und Fortpflanzung, mit psychischer Entwicklung, motorischer Selbstbewegung, Bewusstseinfunktionen in Form von Wahrnehmungen und Emotionen (Affekte, Stimmungen, Empfindungen, Gefühle und Leidenschaften), Sprache und Denken, Urteilen und Handeln, Überlegungen und Argumentationsfähigkeit.

Abstrakte Begriffe und allgemeine Ideen existieren jedoch (anders als bei Platon) nur im menschlichen Bewusstsein und Universalien existieren nur in den Dingen (universalia in rebus), aber nicht unabhängig von ihnen (wie bei Platon). Sowohl Allgemeinbegriffe als auch Ideen werden durch Abstraktionen bzw. Konstruktionen des Verstandes aus den empirischen Begriffen von den in der Erfahrung gegebenen Dingen mit ähnlichen oder gleichen Merkmalen gewonnen. Die zehn Kategorien des Verstandes bezeichnen nach Aristoteles die allgemeinsten Hinsichten, nach denen man alles Seiende auf seine Eigenart hin befragen kann: 1. Was ist etwas? (Substanz) 2. Wie ist etwas beschaffen? (Qualität) 3. Wie groß ist etwas? (Quantität) 4. Worauf bezieht sich etwas? (Relation) 5. Wo ist etwas? (Ort) 6. Wann ist etwas? (Zeit) 7. In welcher Position befindet sich etwas (Situation) 8. Was hat etwas oder jemand? (Haben) 9. Was tut etwas oder jemand? (Tun) 10. Was erleidet etwas oder jemand? (Erleiden) Außerdem unterscheidet er zwischen vier Arten von “Ursachen”: 1.Woraus ist etwas beschaffen? (Stoff) 2. Wie ist etwas geformt? (Form) 3. Was verursacht etwas? (Ursache und Wirkung) 4. Wozu dient etwas? (Zweck) etc.


Gott ist kein raum-zeitliches Ding in der Welt und kann deswegen auch nicht mit den Sinnen wahrgenommen und mit den Begriffen und Kategorien des Verstandes direkt erfasst werden. Das Dasein Gottes kann jedoch als eine absolute Ursache bzw. als erster Beweger des Universums erschlossen werden. Gott ist jedoch keine Person und er greift nicht in die natürliche Welt ein, z.B. durch Wunder (Deismus). Sein Dasein kann jedoch rational aus der teleologischen Struktur der geordneten Vielfalt der Formen von Lebewesen in der Natur erkannt werden. (Physikotheologie)

2. Psychologischer Realismus (Brentano)

In der Welt gibt es nur Individuen in Raum und Zeit. Aber diese Individuen teilen bestimmte Eigenschaften, aufgrund deren sie als Individuen ein und desselben Typs bzw. ein und derselben Art oder Sorte bestimmt und klassifiziert werden können. Auf diese Weise haben Menschen anhand ihrer Erfahrungen in allen Sprachen, Gesellschaften und Kulturen gewisse Allgemeinbegriffe gebildet, für die es in den verschiedenen Sprachen entsprechende Ausdrücke gibt. Aufgrund dieser Allgemeinbegriffe und Ausdrücke sind dann auch allgemeine Urteile als Urteile über bestimmte Mengen von Individuen möglich. Dadurch werden dann auch allgemeine ontologische Urteile möglich, wie z.B. (1.) dass es leblose materielle Körper gibt, (2.) dass es Pflanzen als organische Lebewesen mit Wachstum und Fortpflanzung, aber ohne Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen, (3.) dass es Tiere gibt mit Wachstum und Fortpflanzung, motorischer Selbstbewegung, instinktiver Intelligenz, Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen, aber ohne eine gemeinsame Sprache und logisches Denken sowie, (4.) dass es Menschen gibt mit physischem Wachstum und psychischer Entwicklung, motorischer Selbstbewegung und sinnlichen Wahrnehmungen, Bewusstsein und Selbst-bewusstsein, Emotionen (Affekte, Stimmungen, Empfindungen, Gefühle und Leidenschaften), Sprache und Kommuni-kation, Denken und Urteilen, Reflexion und Argumentation gibt.

Ideen, Universalien und abstrakte Gegenstände (Zahlen, Mengen, Funktionen, Figuren, etc.) sind nützliche Fiktionen der menschlichen Einbildungskraft und der Vernunft. Sie existieren jedoch nicht unabhängig vom menschlichen Bewusst-sein und deswegen auch nicht in den Dingen selbst (universalia in rebus). Sie entspringen nur den allgemeinen Begriffen, die durch Abstraktionen des Verstandes aus der Erfahrung von Individuen mit ähnlichen oder gleichen Merkmalen gewonnen werden.

Für die alltägliche, wissenschaftliche und philosophische Erkenntnis von Sachen und Personen sowie von utilitarischen, ästhetischen und ethischen Werten und Normen grundlegend sind die intentionalen psychischen Phänomene und bewusste Akte aus dem Bereich von Interessen (Emotionen und Motivationen), Vorstellungen (Empfindungs- und Sinnesqualitäten) und Kognitionen (Urteile und Schlüsse). Auf dieser Basis gibt es nicht nur unmittelbare empirische und mittelbare induktive Tatsachenerkenntnisse, sondern auch (un-)mittelbare, aber nur analytische Vernunfterkennt-nisse in Logik und Mathematik (Arithmetik und Geometrie). Dadurch kann es auch zu allgemeinen Einsichten in be-stimmte Grundsätze der Logik, der Mathematik und der Wertaxiomatik kommen, wodurch allgemeine Ethik und Ästhetik möglich werden. Philosophie sucht darüber hinaus durch begriffliche Analyse und Argumentation nach all-gemeinen philosophischen Einsichten der empirischen Psychologie (Determination und Willensfreiheit), der Kosmo-logie (Materie, Raum, Zeit und Kontinuum) und der Theologie (Gott, Geistigkeit und Unsterblichkeit der Seele).

Gott ist weder ein Individuum in der Welt noch ist er mit der Welt bzw. der Natur identisch wie im Pantheismus. Er kann weder sinnlich wahrgenommen werden noch mit einem Erfahrungsbegriff erfasst werden, sondern nur aus der Schönheit und Ordnung der Natur als ihr intelligenter Schöpfer erschlossen werden. (Kosmotheologie) Gott ist jedoch nicht nur intelligente Schöpfer der Welt, sondern auch das höchste und vollkommenste Wesen, das alle Vollkommen-heiten in sich vereinigt. (Ontotheologie)

3. Kritischer Realismus (Nicolai Hartmann, Karl Jaspers)

Die eine Welt enthält verschiedene Schichten des Seienden, die sich im Laufe der Natur- und Kulturgeschichte genea-logisch entwickelt haben und aufeinander aufbauen. Die unteren Schichten haben eine tragende Funktion, sodass die höheren Schichten davon abhängen.

Zur untersten Schicht gehören sämtliche Gegenstände, Eigenschaften und Prozesse, die in der Physik und Chemie erforscht werden. Aus den materiellen und energetischen Gegenständen und Prozessen dieser chemisch-physikalischen Schicht besteht fast das ganze Universum. Auf diese unterste Schicht bauen zumindest auf der Erde - vermutlich aber auch auf anderen Planeten in den habitablen Zonen anderer Sonnensysteme irgendwo im Universum - in einer höheren Schicht die späteren und selteneren organischen Systeme und teleonomen Funktionen des Lebendigen auf, die in der Biologie und Ökologie erforscht werden. Zur nächsten und viel späteren Schicht gehören die psychischen, sozialen und kulturellen Phänomene, insofern sie von und durch die denkenden, fühlenden und handelnden Menschen realisiert werden. In einer noch höheren und späteren Schicht liegen die abstrakten Entitäten des Geistes, d.h. die Ideen, Ideale, Prinzipien, Regeln, Normen und Werte als potentielle Inhalte entweder des subjektiven menschlichen Geistes, der in der Psyche von menschlichen Subjekten bzw. Personen realisiert ist, oder aber des objektiven Geistes, der z.B. in den sprach-lichen Zeichen und Zeichensystemen, in Büchern und Bibliotheken oder in rechtlichen und politischen Institutionen realisiert ist. Hartmann neigt dazu, sich die abstrakten Entitäten als zeitlose platonische Ideen vorzustellen, Jaspers hingegen als zeitliche hegelianische Ideen der Zeitgeschichte.

Alle Gegenstände und Eigenschaften in dieser geschichteten Wirklichkeit sind real und existieren unabhängig von der eigenen bzw. individuellen Subjektivität, d.h. unabhängig davon, ob sie von mir oder jemand Anderem wahrgenommen und verstanden werden. Denken und Sein sind jedoch verschieden. Denken im psychologischen Sinne individueller Gedanken konstituiert nur die Inhalte der eigenen Gedankengänge im eigenen Bewusstsein, aber kein äußerliches objektives Sein. Sein ist nicht nur ein sinnliches Wahrgenommenwerden, wie im phänomenalistischen Idealismus von Berkeley, sondern die ganze Fülle des Seienden in der vielschichtigen Wirklichkeit.

Der Mensch als intelligentes Lebewesen ist in einer langen Natur- und Kulturgeschichte entstanden und befindet sich

als denkendes, sprechendes, fühlendes, wollendes und handelndes Wesen mitten in einer von seinem Erkennen unabhängigen materiellen Welt vor, in der auch andere Lebewesen wie Pflanzen und Tiere entstanden sind. Das objektive Erkennen der Menschen von Sachverhalten in der Welt ist keine geistige Konstitution von Gegenständen wie Idealisten und Konstruktivisten behaupten, sondern eine auf Wahrnehmung, sprachlichem Begreifen, Denken und Urteilen basierendes Erfassen dessen, was auch schon unabhängig vom erkennenden Menschen vorhanden ist.

Das entwickelte menschliche Bewusstsein mit allen seinen kognitiven, emotionalen, motivationalen und volitionalen Akten und Funktionen ist zwar von den biophysischen und neuronalen Prozessen in Gehirn und Nervensystem abhängig, aber es lässt sich in seiner Eigenart und Eigengesetzlichkeit nicht auf solche Prozesse reduzieren, wie Naturalisten und Materialisten meinen. Die höhere Schicht des psychischen Seienden basiert auf einer tieferen Schicht des biophysischen Seienden, von der sie zwar funktional abhängt, aber mit der sie jedoch nicht ontologisch identisch ist und auf die sie auch nicht reduziert werden kann.

Ob es überhaupt einen Gott gibt, der die Welt und den Menschen erschaffen hat, und wie er seinem Wesen nach be-schaffen ist, wirkt und handelt können weder Philosophen durch bloßes Nachdenken erkennen noch die einzelnen Wissenschaftler durch empirische Forschungen herausfinden. Allerdings können sie auch nicht sicher erkennen, dass es keinen Gott gibt. Gott ist ein transzendenter Inhalt des menschlichen Glaubens und Denkens, der Liebe und der Hoff-nung, aber nicht des innerweltlichen menschlichen Erkennens und Wissens im Alltag oder in den Wissenschaften. Mystische, symbolische und andere subjektive religiöse Erfahrungen gehören zum Glaubensleben des geschichtlichen Menschen, verbürgen jedoch keine objektive Gotteserkenntnis. (Agnostizismus)

4. Wissenschaftlicher Realismus oder Szientismus (Quine, Sellars, Rorty)

Was es eigentlich und unabhängig vom Denken und Sprechen der Menschen in der Welt gibt, das sagen unsere jeweils besten naturwissenschaftlichen Theorien über die Welt und weder die Geistes- noch die Kultur- noch die Sozialwissen-schaften. Nach der modernen Physik gibt es auf der untersten Ebene der Realität nur bestimmte hypothetische Teilchen, die nicht einmal mikroskopisch wahrnehmbar sind, und auf der obersten Ebene der Realität riesige makroskopische Gegenstände, Ereignisse und Prozesse in der sich ausdehnenden Raum-Zeit des Universums sowie das Licht, die Gravitationskraft, elektromagnetische Felder, unzählige Galaxien mit einer unzählbaren Anzahl von Sonnensystemen, schwarze Löcher, rote Riesen und andere umstrittene astronomische Gestalten im Universum. (Szientismus)

Organische Lebewesen, wie Pflanzen mit Wachstum, aber ohne Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen,

und Tiere mit physischem Wachstum, motorischer Selbstbewegung im Raum, instinktiver Intelligenz, Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen, aber noch ohne Sprache und Denken sind zwar Realitäten der Biologie als der Wissenschaft vom Lebendigen , aber sie bestehen den besten verfügbaren Theorien der modernen Naturwissenschaf-ten zufolge letzten Endes auch aus nichts Anderen als aus den Portionen von Materie, den Zellen und Molekülen der organischen Chemie und den kleinsten Partikeln der Teilchenphysik. Das gilt auch dann, wenn sich weder das Verhalten von einzelnen Tieren noch das Verhalten von ganzen Populationen von Arten in ökologischen Nischen nur noch bio-logisch, aber nicht mehr chemisch oder physikalisch erklären lässt. (Naturalismus)


5. Naturalistischer Realismus oder Naturalismus (LaMettrie, Haeckel, Freud)

In der Welt gibt es nur natürliche Gegenstände, Ereignisse und Prozesse in Raum und Zeit, auf der Erde und im Uni-versum, nämlich anorganische materielle Körper und organische Lebewesen, wie Pflanzen mit Wachstum, aber ohne Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen und wie Tiere mit physischem Wachstum und Fortpflanzung, motorischer Selbstbewegung im Raum, Instinktiver Intelligenz, Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen,

aber ohne gemeinsame Sprache und logisches Denken sowie Menschen mit physischem Wachstum und psychischer Entwicklung, motorischer Selbstbewegung, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Emotionen (Affekte, Stimmungen, Empfindungen, Gefühle und Leidenschaften), Sprache und Kommunikation, Denken und Urteilen, Reflexion und Argumentation. (Naturalismus)

Die psychischen Phänomene der Menschen, wie z.B. Emotionen, Motivationen, Volitionen und Kognitionen, sind jedoch nichts anderes Produkte von physiologischen bzw. biochemischen Prozessen im Gehirn und Nervensystem mensch-licher Organismen. Logische und semantische Funktionen des menschlichen Denkens, wie z.B. Prädikation, Proposition, Universalien, etc., aber auch ethische und ästhetische Ideen und die abstrakten Objekte, Regeln und Prinzipien der Logik und Mathematik existieren weder unabhängig vom menschlichen Bewusstsein noch in den Dingen (universalia in rebus), sondern werden durch Abstraktionen des Verstandes aus der Erfahrung von Individuen gewonnen bzw. erfunden, um Erfahrungen zu strukturieren. Aber auch diese Abstraktionen des Verstandes lassen sich auf bestimmte Gehirnprozesse reduzieren. Eigentlich und wirklich gibt es nur das kulturell bedingte und konventionelle Sprachverhalten und dann die linguistische Beobachtung von solchem Sprachverhalten, das durch biologisch erforschbare Gehirnprozesse gesteuert wird. Es gibt weder eine Seele noch einen Geist und das denkende, fühlende und handelnde Subjekt ist nichts anderes als das physiologisch erforschbare Gehirn und Nervensystem eines Menschen. (Neuroreduktionismus)

Es gibt keinen Gott und das Wort ‘Gott’ entspringt bloß einer menschlichen Wunschvorstellung von einem höheren Wesen und dient einerseits der vorwissenschaftlichen Erklärung des Unerklärbaren der Entstehung der Welt, des Lebendigen und der menschlichen Intelligenz, und andererseits der Bewältigung der Angst der Menschen vor dem Tod, Leiden und unabwendbaren Schicksalsschlägen. (Atheismus)

6. Materialistischer Realismus oder Materialismus (Demokrit, Hobbes, Marx)

In der Welt gibt es eigentlich nur mikroskopische und makroskopische materielle Gegenstände, Ereignisse und Prozesse in Raum und Zeit, auf der Erde und im Universum. Organische Lebewesen, wie Pflanzen mit Wachstum, aber ohne Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen, sowie Tiere mit physischem Wachstum, motorischer Selbst-bewegung im Raum, instinktiver Intelligenz, Bewusstsein, Wahrnehmungen und Empfindungen, aber ohne gemein-same Sprache und logisches Denken bestehen letzten Endes aus nichts Anderen als aus großen Portionen von Materie, die aus kleinsten materiellen Partikeln zusammengesetzt sind, die miteinander interagieren. (Materialismus)

Menschen mit physischem Wachstum und psychischer Entwicklung, motorischer Selbstbewegung, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Emotionen (Affekte, Stimmungen, Empfindungen, Gefühle und Leidenschaften), Sprache und Kommunikation, Denken und Urteilen, Reflexion und Argumentation bestehen auch aus nichts Anderem als aus solchen Portionen von Materie und kleinsten materiellen Partikeln. Selbst die psychischen Phänomene von Menschen, wie Emotionen, Motivationen, Volitionen und Kognitionen, sind nichts anderes als natürliche physiologische bzw. biochemische Prozesse im Gehirn und Nervensystem, die letzten Endes auch aus nichts Anderem als aus chemischen und physikalischen Partikeln bestehen. Logische und semantische Funktionen und Strukturen des menschlichen Denkens, wie z.B. Prädikation, Proposition, Universalien, etc., aber auch ethische und ästhetische Ideen und die Objekte, Prinzipien und Regeln der Logik und Mathematik existieren weder unabhängig vom menschlichen Bewusstsein noch in den Dingen (universalia in rebus), sondern werden durch die Abstraktionen des Verstandes aus der Erfahrung von Individuen gewonnen bzw. erfunden, um Erfahrungen zu ordnen und zu strukturieren. Eigentlich gibt es nur das kulturell bedingte und konventionelle Sprachverhalten von Menschen und dann die linguistische Beobachtung von solchem Sprachverhalten, das durch biologisch erforschbare Gehirnprozesse gesteuert wird. Es gibt weder eine Seele noch einen Geist und das denkende Subjekt bzw. die Person ist nichts anderes als das physiologisch erforschbare Gehirn und Nervensystem eines menschlichen Organismus, der in seiner Umwelt im Laufe seiner Lebenszeit bestimmte aktualisierbare Dispositionen des verbalen und nonverbalen Verhaltens erworben hat. (Neuroreduktionismus)

Es gibt keinen Gott und das Wort ‘Gott’ ist nur Ausdruck einer menschlichen Wunschvorstellung von einem höheren Wesen und dient einerseits der vorwissenschaftlichen und mythologischen Erklärung der Entstehung der Welt, des Lebendigen und der menschlichen Intelligenz, und andererseits der Bewältigung der Angst der Menschen vor dem Tod, dem Leiden, der Schuld und anderer Schicksalsschläge. (Atheismus)

 

Copyright: Ulrich W. Diehl, Heidelberg 2017 (Einleitung überarbeitet und ergänzt im Februar 2022)

 


Download
Kanon der philosophischen Texte
Institut für Philosophie der Universität Koblenz-Landau
Kanon der philosophischen Texte.pdf
Adobe Acrobat Dokument 74.0 KB