... der letzte Probierstein der Wahrheit ist immer die Vernunft.

 

Immanuel Kant

 

Wo Wissen ist, da ist notwendig Wahrheit;

und wo Wahrheit ist, da ist Einigkeit:

denn es gibt viele Irrtümer, aber nur eine Wahrheit.

 

Franz Brentano

 

Auch wenn alle einer Meinung sind,

können alle unrecht haben.

 

Bertrand Russell

 

Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt,

desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.

 

George Orwell

 

Friede ist nur durch Freiheit,

Freiheit ist nur durch Wahrheit möglich.

 

Karl Jaspers

 

Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nachdenken.

 

Hannah Arendt

 

 

 

Sie betrachten die Internetseiten von Ulrich W. Diehl aus Heidelberg. Auf diesen Seiten geht es in erster Linie um Philosophie und zwar um die Grundzüge einer kritisch-realistischen Philosophie, sodann um protestantische Theologie und schließlich um politische Aufklärung.

 

Die Philosophie des kritischen Realismus, die ich hier darstelle, geht im Wesentlichen auf philosophische Einsichten zurück, die ich in meiner langjährigen Auseinandersetzung mit den philosophischen Werken und differenzierten Positionen von Immanuel Kant, Franz Brentano, Edmund Husserl und Nicolai Hartmann gewonnen habe. Ihnen allen verdanke ich mehr als ich hier en detail zum Ausdruck bringen kann - vermutlich auch, dass ich kein Hegelianer und kein Marxist geworden bin. Das hatte zwar auch lebensgeschichtliche Ursachen und Gründe, aber jemand kann nur durch eine intensive Auseinandersetzung mit solchen philosophischen Vorbildern zu sich selbst finden und seine eigene philosophische Position entwickeln.

 

Eine solche philosophische Position ist jedoch auch nur ein vorläufiger Komplex von Grundüberzeugungen und weder ein geschlossenes philosophisches System noch eine Axiomatik, aus der dann alle anderen Überzeugungen abgeleitet werden könnten. Aber jeder selbstständig Philosophierende hat irgendwann und irgendwie eine solche philosophische Position entwickelt, da eine skeptische Standpunktlosigkeit oder eine "voraussetzungslose Phänomenologie" ebenso wenig möglich ist wie ein angeblich unangreifbarer Standpunkt des "absoluten Wissens" oder der "subjektlosen Ob-jektivität" oder eine "absolute Letztbegründung" des (philosophischen) Wissens in einer "ursprünglichen Einsicht" oder in einer kleinen Anzahl bestimmter selbstevidenter Aussagen oder unkorrigierbarer Urteile.

 

Der wesentliche Grund für (m)eine kritisch-realistische Position ist sowohl epistemologisch und ontologisch als auch ethisch und moralisch. Monistische Positionen wie der subjektive Idealismus und der objektive Materialismus bzw. Naturalismus, aber auch die sog. Existenz- und Lebensphilosophie im Anschluss an Kierkegaard und Nietzsche können keine Ethik, keine Moral- und keine Rechtsphilosophie begründen. Das ist auch für die politische Philosophie relevant,

da es in ihr auch um die real existierenden politischen Konventionen, Institutionen und Traditionen geht, und nicht nur um potitische Ideale und Prinzipien, Normen und Werte. Der subjektive Idealismus hingegen führt zum egozentrischen Solipsismus. Der objektive Materialismus bzw. Naturalismus und der reduktionistische Szientismus führen zu einem amoralischen Egoismus und bestenfalls zu einer egozentrischen Zweckrationalität .

 

Nicht nur die Dialogphilosophien von Martin Buber und Franz Rosenzweig, Hermann Levin Goldschmidt und Emmanuel Levinas, sondern auch die philosophische Hermeneutiken von Hans-Georg Gadamer und Paul Ricoeur setzen einen kritischen Realismus voraus. Denn jeden Anderen, den ich in der gemeinsamen Lebenswelt antreffe und dem ich mit-menschlich zu begegnen versuche, muss ich zuerst für genauso real halten wie mich selbst und unsere gemeinsame Lebenswelt. Andernfalls ist kein echter Dialog, kein offenes Gespräch und keine wirkliche Kommunikation möglich.

Auch Hans-Georg Gadamer und Paul Ricoeur setzen in ihrer philosophischen Hermeneutik voraus, dass es Texte als hoch komplizierte semiotische Gestalten wirklich gibt, bevor sie die Bedingungen der Möglichkeit eines angemessenen Verstehens von Texten mit ihren unterschiedlichen Wahrheits- und Geltungsansprüchen untersuchen. Beide haben

ihre philosophischen Versuche, das Verstehen zu verstehen, dann auch auf Menschen bzw. Personen ausgedehnt, bis hin zu allem Seienden, das verstanden werden kann.

 

Grundlegung in der Natur des Menschen

 

Der kritische Realismus ist zwar primär eine epistemologisch und ontologische Position. Aber er alleine ermöglicht auch eine philosophische Anthropologie. Denn es gibt nicht nur unzählige pflanzliche und tierische Arten, sondern auch die evolutionär entstandene biologische Art des Homo sapiens sapiens und daher eine relativ konstante Natur des Men-schen. Denn es gibt trotz aller ethnischen und kulturellen Differenzen und trotz allen kulturgeschichtlichen Struktur-wandels bestimmte anthropologische Konstanten der menschlichen Natur, die Menschen teilweise mit anderen intelli-genten Lebewesen teilen und die teilweise aber auch spezifisch menschlich sind und die Menschen seit einigen Millio-nen Jahren von allen anderen intelligenten Lebewesen in der irdischen Natur unterscheiden. Es scheint mir kein Zufall

zu sein, dass  in einer Zeit, in der viele skeptische und subjektivistische, relativistische und postmoderne Denkweisen

die bloße Existenz biologischer Arten nominalistisch leugnen, unzählige biologische Arten ökologisch gefährdet sind.

 

Alle systematischen Einteilungen, die ich etwa im Anschluss an Aristoteles, Kant und Dilthey verwende, sind aber

keine festen "Schubladen" eines bornierten Denkens, sondern basieren auf transkulturellen begrifflichen und logischen

Unterscheidungen mit einer ziemlich lange bewährten heuristischen Funktion und nicht nur auf beliebigen und zu-fälligen semantischen Unterscheidungen von wandelbaren Ausdrücken in einer bestimmten konventionellen Sprache.

 

Den kritischen Realismus verbinde ich mit einem ontologischen Pluralismus einer geschichteten Wirklichkeit sowohl in der lebensweltlichen Natur als auch in unserer eigenen menschlichen Natur und Persönlichkeit. Damit wende ich mich gegen monistische Weltanschauungen und Philosophien, also sowohl gegen alle Spielarten eines weltfremdem und

von der natürlichen und kulturellen Lebenswelt entfremdetem Idealismus als auch gegen alle Formen von reduktionis-tischen Naturalismus oder szientistischem Materialismus. Denn beide Formen von Monismus verbinden trotz ihrer Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit, dass sie die ontologische Komplexität der Wirklichkeit und die irreduzible

Vielfalt des Seienden ebenso verkennen wie die methodische Vielfalt der modernen Wissenschaften.

 

Vor allem aber habe ich mit ihrer Hilfe das fatale Schisma zwischen analytischer Philosophie und Phänomenologie über-winden können, das etwa seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein den größten Teil der universitären Schulphilosophie dominiert. Die analytische Philosophie ist (mit einigen Ausnahmen wie z.B. bei Hector-Neri Castaneda, Roderick Chisholm, Dagfinn Foellesdal, Thomas Nagel, u.a.) weitgehend auf sprachliche Äußerungen fixiert und vernachlässigt die raum-zeitliche Wirklichkeit der Lebenswelt, die wir Menschen mit unseren Sinnen in ihrer zeitlichen Dynamik wahrnehmen und durch eine erkundende Interaktion in ihrer ontologischen Komplexität erkennen können.

 

Denn Menschen können sich kognitiv nicht nur mit einer gesprochenen Sprache oral und verbal ausdrücken, sondern auch mit einer gestisch ausgedrückten Taubstummen und Zeichensprache. Zwar müssen beide konventionellen Sprachen als semantische und syntaktische Regelsysteme gelernt werden  Aber beide Sprachen, nicht nur die oral und verbal gesprochene Sprache; unterliegen universalen logischen Prinzipien und Regeln, wie dem logischen Prinzip des Widerspruches. So wie kein Mensch unter anderen Menschen nicht nicht-kommunizieren kann, worauf Paul Watzlawick hingewiesen hatte, so kann auch kein Mensch sich unter anderen Menschen a-logisch (nicht logisch) verhalten. Wer das noch nicht glaubt oder noch nicht versteht, soll einmal versuchen, zu winken und zugleich nicht zu winken.

 

Die sog. analytische Philosophie hat bei den meisten ihrer zeitgenössischen Anhänger und Vertreter eine bedenkliche Tendenz zum reduktionistischen Naturalismus und zum unkritischen Szientismus. Weil sie selbst oft so weltarm bleibt, klammert sie sich ersatzweise an das sog. wissenschaftliche Weltbild mit seinen reduktionistischen Grundgedanken.

Die Phänomenologie hingegen (mit Ausnahme der Göttingen-Münchner Schule der Realistischen Phänomenologie) ist oft egozentrisch und subjektivistisch. Sie verleugnet anders als der Common Sense, dass es eine von unserem mensch-lichen Bewusstsein und Geist unabhängige und eigenständige Wirklichkeit der Lebenswelt gibt, die wir Menschen perspektivisch wahrnehmen und objektiv erkennen können, in der wir Anderen begegnen können und in der wir miteinander reden und handeln können.

 

Obwohl ich in meinem Studium der Philosophie in Heidelberg, Würzburg und Bloomington (Indiana, USA) Kant und

den Deutschen Idealismus, Brentano und die Phänomenologie sowie Wittgenstein und die Analytische Philosophie kennen gelernt hatte, konnte ich aufgrund verschiedener Einwände und Vorbehalte niemals einer dieser verschiedenen Philosophien ganz und gar zustimmen. Deswegen habe ich in der Auseinandersetzung mit Kant, Brentano, Husserl

und Hartmann Einsichten gewonnen, die zum harten Kern meiner philosophischen Intuitionen und weltanschaulichen Überzeugungen wurden. Ich habe diesen vier bedeutenden Philosophen am meisten vertraut, weil sie sich alle jeweils

in ihrer Zeit mit methodischer Skepsis auf eine unbestechliche Weise um ein wissenschaftliches Philosophieren bemühten, das vor allem der Erforschung der Situation des Menschen in der Welt verpflichtet war und dabei fast

alle klassischen und neueren Gebiete der europäischen Philosophie berücksichtigte.

 

"Prüfet Alles, das Gute behaltet!" (Paulus von Tarsus)

 

Trotz ihrer ähnlichen Ziele hatten diese vier Philosophen jedoch teilweise verschiedene inhaltliche und methodische Voraussetzungen und kamen teilweise zu unvereinbaren Ergebnissen. Diese Unvereinbarkeiten forderten mein kriti-sches Nachdenken weiter heraus und regten mich dazu an, selbstständig weiter nachzudenken. Leitmotiv war für mich dabei stets das paulinische Motto: "Prüfet Alles, das Gute behaltet!" Dabei war es natürlich hilfreich, dass sich schon Franz Brentano und der frühe Edmund Husserl intensiv mit Kants kritischer Philosophie auseinandergesetzt haben

und dass sich dann später auch Nicolai Hartmann nicht nur mit den Positionen von Platon und Aristoteles, sondern

auch mit denen von Husserl und Kant auseinandergesetzt hatte. In dieses nach-kantische Philosophieren, das immer noch gültige Einsichten aus der Tradition aufnimmt, bewahrt und in auch heute noch plausible philosophische Kon-zeptionen einfügt, gehörten für mich zuerst Georg Picht und Carl-Friedrich von Weizsäcker, dann bei meinem Studium an der Indiana University in den USA Hector-Neri Castaneda und Raymond Smullyan und danach Hans-Georg Gadamer und Wolfgang Wieland. Auch ihnen habe ich sehr viel zu verdanken.

 

Wenn Philosophen in der Vergangenheit wirklich etwas Wahres und Richtiges entdeckt haben, dann bleibt das - wie in den formalen und empirischen Wissenschaften auch - weiterhin gültig. Das ist beim logischen Prinzip des (auszu-schließenden) Widerspruches nicht anders als beim mathematischen Satz des Pythagoras. Das ist bei Einsichten in die ontologischen Grundstrukturen der Welt nicht anders als bei Einsichten in die existenziellen Lebensbedingungen des menschlichen Daseins in der Welt. Und das ist bei Einsichten in die kategorialen Strukturen des menschlichen Geistes nicht anders als bei Einsichten in begriffliche Zusammenhänge theoretischer, praktischer und poietischer Vernunft. Natürlich muss es sich dabei auch wirklich um allgemeine und gültige Einsichten handeln und nicht nur um subjektive Eindrücke, spontane Einfälle oder persönliche Überzeugungen.

 

Philosophische Einsichten sind Früchte eines strengen Philosophierens mit Hilfe methodischer Skepsis und dem Ziel objektiv gültiger Erkenntnis. Philosophische Einsichten ergeben sich durch eine strenge Disziplin selbstkritischen und diskursiven Denkens. Sie werden auf die Probe gestellt durch die regelmäßige Konfrontation mit Andersdenkenden

und durch wirkungsgeschichtliche Bewährung über mehrere Generationen hinweg. Ein Festhalten an solchen philo-sophischen Einsichten ist kein Dogmatismus, wie der skeptizistische, subjektivistische und relativistische Zeitgeist gerne unterstellt. Dogmatismus ist vielmehr nur das unbewusste oder mutwillige Immunisieren von blinden Vorurteilen und von fragwürdigen Überzeugungen gegen berechtigte Einwände. In diesem Sinne ist auch das Immunisieren von skeptizistischen, subjektivistischen und relativistischen Überzeugungen dogmatisch.

 

Subjektives und Objektives

 

Nicht wenige Zeitgenossen zweifeln daran, dass es überhaupt objektive Erkenntnisse von bestehenden Sachverhalten

in der Welt gibt. Daher meinen sie, dass sogar seit langer Zeit gut bestätigte Resultate wiissenschaftlicher Forschungen auch nur den persönlichen Vorlieben (Likes und Dislikes) von Wissenschaftlern entspringen. Dadurch kommen sie zur  relativistischen Auffassung, dass die Wissenschaften auch nur eine Weltanschauung unter anderen Weltanschauungen sind. Wenn die Mehrheit kompetenter Klimaforscher seit einigen Jahren der klaren Auffassung sind, dass es eine von Menschen verursachte Klimaerwärmung gibt, die auf einen außergewöhnlichen  CO²-Anstieg in der Erdatmosphäre aufgrund der mit fossilen Energien betriebenen Industrien, Heizweisen und Verkehrstechniken zurückzuführen ist,

dann ist das nicht nur eine x-beliebige persönliche Meinung, die irgendeiner x-beliebigen persönlichen Weltanschauung entsprigt. Ähnliches gilt, wenn kompetente Biologen, Humanmediziner und Psychiater ohne irgendwelche Zweifel ganz klar der Auffassung sind, dass es bei Beuteltieren, Säugetieren, Vögeln und Menschen (als biologischer Spezies) eben nur zwei komplementäre Geschlechter gibt. Bei Tieren werden sie im Deutschen 'Männchen' und 'Weibchen' genannt, beim Menschen 'Männer' und 'Frauen' bzw. 'Jungen' und 'Mädchen'.

 

Aber aus welchen sozio-kulturellen oder ökonomisch-politischen Gründen auch immer, kehrte seit einigen Zeiten ausgerechnet unter studierten Leuten mit einem akademischen Abschluss eine intellektuelle Mode wieder, sehr gut bestätigte Resultate wissenschaftlicher Forschungen und bestimmte Selbstverständlichkeiten des Common Sense eigenwillig und frech in Frage zu stellen und diese obendrein auch noch als bedeutende, neue und wichtige Einsichten auszugeben. Diese postmoderne Mode zu allerlei subjektivistischen und relativistischen Überzeugungen hat es zwar auch schon in der Antike gegeben und sie wurde damals als 'Sophistik' (griech. sophistikae) bezeichnet,

 

Sophisten waren mehrheitlich Skeptiker, die glaubten, dass es nur persönliche Meinungen gibt und dann höchstens auch noch Meinungen über Meinungen. Aber sie zweifelten daran, dass es jenseits der Vielfalt der Meinungen eine von ihnen unabhängige Wirklichkeit gibt, der diese Meinungen entweder entsprechen und daher wahr sind oder eben nicht entsprechen und daher eben falsch sind. Ihre eigene skeptizistische Auffassung, dass es keine objektive Erkenntnis von wirklichen Sachverhalten in der Welt gibt, halten Skeptiker seltsamerweise jedoch für wahr und widersprechen sich damit selbst. Denn wenn es keine objektive Erkenntnis von Sachverhalten in der Welt gibt, dann kann die Überzeugung, dass es nur subjektive Meinungen und Meinungen über Meinungen gibt, auch nicht objektiv wahr sein. Es handelte sich dann nämlich auch nur um eine weitere Meinung über eine Meinung. Das aber können sie nicht zugestehen, weil es nämlich ihren eigenen Anspruch aufhebt, etwas Wahres und Richtiges zu behaupten. So verstricken sich alle Sophisten, Skeptiker, Subjektivisten und Relativisten unweigerlich in Widersprüche.

 

Die im Volksmund beliebte Frage, ob das Glas halbvoll oder halbleer sei, soll darauf verweisen, dass die Antwort jeweils von der optimistischen oder pessimistischen Einstellung des Betrachters abhängt. Nun ist es sicher zutreffend, dass die jeweilige Antwort von der persönlichen Einstellung oder Stimmung abhängen kann. Aber dies ist nur eine weithin anerkannte Tatsache, die sich dadurch erklären lässt, dass Lebewesen mit Bewusstsein und also auch Menschen psychische Einstellungen, Prozesse und Zustände haben, die ihre Wahrnehmungen, Emotionen und Überzeugungen subjektiv einfärben können. Deswegen ist es sicher möglich, zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven sowie zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Aber es ist deswegen auch fragwürdig, ganz allgemein das Subjektive um des Objektiven willen oder das Objektive um des Subjektiven willen zu leugnen? Zwar bedarf es immer der Urteilskraft, um entscheiden zu können, worauf es in einer bestimmten Situation gerade ankommt. Aber nur wenn wir beides kennen und verstehen, Subjektives und Objektives, können wir der komplexen Wirklichkeit gerecht werden.

 

Das Glas jedenfalls existiert unabhängig von dem Grad seiner jeweiligen Füllung. Deswegen kann man (sich) auch die Frage stellen, ob das Glas ganz voll oder ganz leer sei. Wenn es immer ganz leer bleibt, weil es kein Wasser mehr gibt, dann könnte jemand verdursten. Wenn es immer wieder ganz voll ist, aber mit Schnaps gefüllt wird, dann könnte ein trockener Alkoholiker seine Alkoholsucht wieder beleben, sich einmal wieder heftig betrinken und im schlimmsten Falle daran sterben.

 

Es gibt zwar wirklich subjektive Phänomene, aber deswegen ist doch nicht alles bloß subjektiv. Subjektivismus im Sinne der Verweigerung des Strebens nach Objektivität in den Naturwissenschaften, in der Humanmedizin oder in der Recht-sprechung ist eine irreführende Ideologie und manchmal eine bequeme und eigennützige Realitätsverweigerung. Objektivismus ohne ein Bewusstsein der subjektiven Voraussetzungen des Erkennens und Wissens ist jedoch auch problematisch. Deswegen bevorzugen kritische Realisten die Kunst der Unterscheidung zwischen dem Subjektivem

und dem Objektiven. Ihr Bewusstsein der eigenen und fremden Subjektivität inmitten objektiver Gegebenheiten ist gewissermaßen eine höhere Objektivität.

 

Manche meinen einem flotten Spruch von Friedrich Nietzsche folgend, dass "die Wahrheit zu zweit beginnt", als ob Intersubjektivität, Dialog, Kommunikation oder Konsens immer ein sicherer Ausweg aus den immer wieder neuen Meinungsverschiedenheiten wäre. Menschen können sich jedoch auch zu zweit irren und ihre gemeinsamen Irrtümer unbekümmert teilen. Auch können sie sich gegenseitig schmeicheln und sich vorgaukeln, etwas selbstverständlich zu wissen, was sie jedoch bloß gemeinsam glauben, aber nicht wirklich wissen. Außerdem setzen Intersubjektivität, Dialog, Kommunikation oder Konsens immer die Realität des Anderen voraus.

 

Dann bedarf es eher eines drastischen Appells oder einer kompetenten Entscheidung durch Befugte als einer weiteren rationalen Diskussion, die die Selbstimmunisierung der Skeptiker, Subjektivisten und Relativisten kaum zu durchbrechen vermag. Zum Beispiel: Die hauptsächlich von den modernen Industriegesellschaften erzeugte zu starke Erwärmung der Atmosphäre verschwindet weder dadurch, dass jemand glaubt, dass es sie gar nicht gibt, noch dadurch, dass zwei sich darin einig sind, dass es sie gar nicht gibt. Sie würde noch nicht einmal verschwinden, wenn ein ganzes Volk oder gar alle Völker der Vereinten Nationen sich darin einig wären, dass es sie nicht gibt. "Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach ihr richten." (Matthias Claudius)

„Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach ihr richten.“

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/1167541-matthias-claudius-die-wahrheit-richtet-sich-nicht-nach-uns-sondern/
„Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach ihr richten.“

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/1167541-matthias-claudius-die-wahrheit-richtet-sich-nicht-nach-uns-sondern/

 

Auch die sinnliche Wahrnehmung ist nicht immer die Lösung zur Entscheidung über die Existenz eines Sachverhaltes, wie Empiristen und Phänomenologen fälschlich meinen. Radioaktive Strahlung kann zumindest schon in niedrigeren Dosierungen vorhanden sein und Menschen und Tieren einen bleibenden und heftigen gesundheitlichen Schaden zufügen, obwohl sie niemand sehen oder hören, riechen oder schmecken, ertasten oder fühlen kann. Deswegen wird sie auch gewöhnlich mit Geigerzählern gemessen. Radioaktive Strahlung kann genau so wie kausale, teleonome und intentionale Beziehungen nur rational erschlossen werden. Ähnliches trifft auf und ultraviolettes Licht, Infrarotstrahlung, gesundheitsschädliche Bakterien, resistente Keime und ansteckende Viren zu. Obwohl es sehr viele Menschen meinen, ist das, was es wirklich gibt, nicht nur das, was man mit den Händen anfassen und wenigstens sehen oder hören, riechen oder schmecken kann. Es gibt nun einmal auch Dinge, die Menschen nicht direkt mit ihren natürlichen Sinnen wahrnehmen, empfinden oder fühlen können.

 

"Die Wirklichkeit richtet sich nicht nach uns" (Matthias Claudius)

 

Die Wirklichkeit richtet sich nun einmal nicht nach den Empfindungen und Wahrnehmungen, Gefühlen und Überzeu-gungen der Menschen, sondern die Menschen müssen sich passiv auf die Realität einlassen und sie aktiv erforschen, wenn sie etwas wirklich erkennen und wissen wollen und nicht nur ihren willkürlichen Einfällen, spontanen Meinungen und gewohnten Überzeugungen folgen. Daher können einzelne Forscher schon etwas entdeckt und herausgefunden haben, lange bevor die meisten Wissenschaftler davon auch nur etwas gehört haben. Und daher können Wissenschaft-ler etwas wissen, lange bevor die Bevölkerung darüber informiert wurde. Diese Tatsache hat praktische Folgen für das allzu simple und populäre Verständnis von (direkter) Demokratie als Herrschaft des Volkes ohne Berücksichtigung von Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit und von Demokratie als Herrschaft einer (un)aufgeklärten Mehrheit über (un)aufgeklärte Minderheiten.

 

Am Anfang der europäischen Geschichte der rechtlichen und politischen Ordnung standen zwei folgenreiche Justiz-skandale. Der eine Justizskandal fand ca. 399 v. Chr. in Athen statt, der andere etwa im Jahre 30 in Jerusalem: Der athenische Bürger und Demokrat Meletos hatte Sokrates wegen angeblicher Gottlosigkeit (Asebie), angeblicher Ver-führung der Jugend (Sophistik) und angeblicher Einführung neuer Götter (Daimonion) angeklagt, vor Gericht stellen lassen, wo er von den demokratisch gewählten Richtern zum Tod durch den Giftbecher verurteilt wurde. Dies war der Grund dafür, warum Platon die meisten seiner philosophischen Dialoge und Werke verfasst hatte. Er wollte die ihm wertvolle Erinnerung an seinen Lehrer Sokrates bewahren, und zugleich zeigen und richtig stellen, dass und warum Sokrates kein gewissenloser und ungläubiger Sophist oder nur irreführender Skeptiker gewesen ist und daher zwar ganz demokratisch, aber dennoch zu Unrecht zum Tode verurteilt worden ist.

 

Leider hat der römische Stoiker und rhetorisch begabte Politiker Cicero einige Jahrhunderte später in der römischen Antike das bis heute weit verbreitete Gerücht in die Welt gesetzt, Sokrates hätte von sich behauptet, dass er wisse, das er nichts weiß, und gerade daher der weiseste Mann in ganz Athen gewesen sei. Aber, wenn man Platons Apologie des Sokrates aufmerksam und genau liest, wird man dort selbst lesen können, dass der platonische Sokrates dort von sich selbst nur sagt, dass er nicht wisse, was Weisheit sei. Ansonsten hat er Platon zufolge nie daran gezweifelt, dass er und andere Leute eine ganze Menge an gewöhnlichen Dingen über sich selbst und die Welt wissen können.

 

Auch ein bunter Haufen von Leuten aus Jerusalem wurde von Pilatus gefragt, wen sie nach alter Sitte begnadigen wollten, den stadtbekannten Verbrecher Barrabas oder den Rabbi, Wanderprediger und Wunderheiler Jesus von

Nazareth, den seine Anhänger den "Sohn Gottes" nannten und für den lange erwarteten und prophezeiten "Messias" und "König der Juden" aus den Hause Davids hielten. Der Mob wollte mehrheitlich, dass Barrabas begnadigt würde und dass Jesus gefoltert, gekreuzigt und hingerichtet würde. Dies war der Grund dafür, warum einige Apostel Jesu nach seinem gewaltsamen und grausamen Tod und nach seiner von vielen seiner Anhänger bezeugten Auferstehung und unerklärlichen Himmelfahrt die Evangelien verfasst haben, die neben einigen Briefen des erst später berufenen Paulus

und anderer Anhänger die geschichtlichen Gründe für die Entstehung des christlichen Glaubens dokumentieren.

 

Gründliches Philosophieren sucht nach allgemein und sachlich gültigen Einsichten, die zeitlos gültige Wahrheiten vermitteln jenseits subjektiver Eindrücke, spontaner Einfälle und persönlicher Überzeugungen, die allesamt immer

noch wahr oder falsch, richtig oder unrichtig sein können. Solche echten Einsichten sollten jedoch möglichst sprachlich vermittelbar und intersubjektiv nachvollziehbar sein, um dann von Anderen auch verstanden werden zu können und

um nach skeptischer Überprüfung eine persönliche oder gemeinschaftliche Zustimmung finden zu können.

 

Daher kommt es darauf an, dass sich spätere Generationen in offenen Bildungsprozessen solche philosophischen Einsichten ihrer Vorgänger erneut verstehend aneignen können, um ihnen dann gegebenenfalls selbst zustimmen zu können. Auf diese Weise bleibt der große geschichtliche Strom der philosophischen Einsichten in dauerhaft gültige Wahrheiten lebendig und das gemeinsame Philosophieren in diesem Geist kann den skeptizistischen Subjektivismus und den sophistischen Relativismus überwinden, der immer wieder zu einer gefährlichen Herrschaft der blinden Willkür von Demagogen, Bewegungen und Parteien und zum egozentrischen "Willen zur Macht" (Nietzsche) führen kann.

 

Kritischer Realismus

 

Der kritische Realismus, den ich hier vorstelle, knüpft zwar in einigen Hinsichten an die kritische Philosophie Kants an.

Er geht jedoch in einigen wichtigen Hinsichten über Kant hinaus. Dabei bewegt er sich jedoch nicht wie die Deutschen Idealisten in Richtung eines metaphysischen Idealismus, sondern gerade umgekehrt wie Franz Brentano und Nicolai Hartmann in Richtung eines klassischen Realismus. Allerdings besteht er dabei auf dem Bewusstsein der persönlichen kognitiven Bedingungen der Möglichkeit der objektiven Erkenntnis und des Wissens von wirklichen Gegebenheiten.

Der kritische Realismus unterscheidet sich einerseits von Husserls transzendentaler Phänomenologie der Subjektivität und Intersubjektivität mit ihrer ontologischen Zurückhaltung (Epoché) und andererseits vom logischen Positivismus und Szientismus durch eine größere Wertschätzung des Common Sense und der alltäglichen Welterfahrung gegenüber der wissenschaftlichen Konstruktion von Hypothesen und Theorien. 

 

Der kritische Realismus ist von daher keine Transzendentalphilosophie mehr im Sinne Kants oder im Sinne des mittleren und späten Husserl. Denn er geht (1.) mit Nicolai Hartmann davon aus, dass die raum-zeitliche Welt auf der unteren physischen Ebene aus verschiedenen Formen von Materie und Energie besteht und dass sie ontologische Ordnungen, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten aufweist, die unabhängig vom (eigenen) menschlichen Bewusstsein und Geist bestehen. Er geht (2.) mit Brentano davon aus, dass Raum und Zeit nicht nur (inter-) subjektive Formen der mensch-lichen Erfahrung sind, sondern vom menschlichen Bewusstsein, Denken und Geist unabhängige Ordnungen (Kontinua) der Wirklichkeit, die auch schon sehr lange vor der kosmischen Entstehung des Lebens und vor der evolutionären Entstehung des Menschen und ihrer Subjektivität existiert haben. Er geht weiterhin (3.) davon aus, dass erwachsene Menschen mit einem weitgehend gesundem Menschenverstand im Alltag und in den Wissenschaften nicht nur sinnliche Eindrücke, einfache Erscheinungen oder komplexe Phänomene, sondern auch reale Situationen und Einzeldinge, Ereignisse und Prozesse sowie organische Lebewesen und menschliche Personen und ihre psychischen Erlebnisse, Äußerungen und Befindlichkeiten mehr oder weniger gut wahrnehmen, erkennen und entdecken, verstehen und erklären können. Zu diesem Zweck haben und nutzen Menschen sowohl empirische als auch apriorische Begriffe, Kategorien und Axiome, wie z.B. solche des Logischen und des Mathematischen oder auch des Ethischen, Moralischen und Rechtlichen, die sie nicht bloß aus ihrer Erfahrung (Selbst- und Welterfahrung) gewonnen haben können. Sie haben einige Ideale, Prinzipien, Normen und Werte anfangs gemeinsam mit der Sprache, dem Denken und Handeln in einer menschlichen Gemeinschaft gelernt und sie haben andere dann im Laufe des Lebens angesichts von persönlichen Konflikten, sachlichen Problemen und höherstufigen Lernprozessen entdeckt und weiter entwickelt. (Jean Piaget und Erik Erikson)

 

Mit Kant, Husserl und Hartmann akzeptiere ich (4.), dass es für das endliche Bewusstsein, den begrenzten Verstand

und die apriorische Vernunft des Menschen bestimmte Grenzen möglicher Erkenntnis und möglichen Wissens gibt.

Das schließt dann aus, dass jemand alleine durch vernünftiges Nachdenken empirisch erkennen oder gar apriori im Sinne logisch-mathematischer Stringenz einem Skeptiker oder Zweifler beweisen kann, dass es Gott gibt, was mutmaßlich

sein Wesen ist und was seinem Willen entspricht. Ebenso wenig kann jemand alleine durch vernünftiges Nachdenken erkennen oder gar formal beweisen, dass es eine unsterbliche Geistseele, ein Leben nach dem Tod oder eine leibliche Auferstehung der Toten gibt. Bei diesen religiösen Angelegenheiten, die Transzendentes jenseits aller möglichen Selbst- und Welterfahrung im Alltag und in den Wissenschaften betreffen, handelt es sich zwar um wichtige Glaubensfragen, die für die meisten Menschen vor allem in der Kindheit und im Alter, im Leiden und im Sterben existenziell relevant sind. Aber es handelt sich dennoch um etwas, was wir Menschen alleine durch philosophisches Nachdenken nicht sicher er-kennen oder wissen können. Das schließt jedoch nicht aus, dass es mehr oder weniger überzeugende philosophische Argumente für einen vernünftigen Glauben an Gott gibt, die den Glauben an Gott als plausibel und rational ausweisen, sodass dieser philosophische Glauben dem Unglauben der Atheisten und Skeptiker zumindest ebenbürtig ist.

 

Glauben und Wissen

 

Religiöse Glaubensinhalte können zwar innerhalb eines strengen, wissenschaftlichen Philosophierens mit kontroversen Argumenten pro und contra rational diskutiert werden (Kant und Brentano; Hoerster, Mackie, Plantinga und Swinburne), d.h. sie sind weder bloßer Unsinn noch wahnhafte Illusion, wie die Positivisten meinten und wie es militante Atheisten und reduktionistische Szientisten immer noch propagieren. Aber solche rationalen Kontroversen enden oftmals in tiefen Aporien ohne eine einhellige rationale Lösung, die für alle kompetenten Teilnehmer an einer solchen Kontroverse ein-sichtig oder plausibel wäre. Wer jenseits von denkfauler Bequemlichkeit, bloßer Heuchelei, bloßem Willen zur Macht und allzu menschlicher Selbsttäuschung wirklich an Gott, an eine unsterbliche Geistseele oder an eine leibliche Aufer-stehung glaubt, der glaubt dies gewöhnlich aufgrund seiner religiösen Erziehung oder einer religiösen Erfahrung (wie z.B. einer Bekehrung oder Erweckung, einer Außerkörpererfahrung oder eines Nahtoderlebnisses) oder aufgrund seines Vertrauens in eine religiöse Autorität (wie z.B. von Jesus oder Paulus, Moses oder Mohammed), oder aufgrund seines Vertrauens auf eine Heilige Schrift mit Offenbarungsanspruch (wie z.B. die Bibel, den Tanach oder den Koran). Wer sich mit solchen emotionalen Glaubensursachen jedoch nicht abfinden möchte, kann sich dann auch um rationale Gründe bemühen, um seinen in der Kindheit und Jugend oder auch erst später im Erwachsenenalter erworbenen Glauben zu überprüfen und um ihn soweit wie möglich in rationale Glaubensüberzeugungen zu verwandeln.

 

Die kantische Beschränkung auf die Erkennbarkeit des menschlichen Daseins in der raum-zeitlichen Lebenswelt und im weiteren Universum bedeutet jedoch keineswegs, dass der kritische Realismus einen allgemeinen Skeptizismus, Sub-jektivismus oder gar Relativismus begünstigen würde. Ganz im Gegenteil handelt es sich weder um eine Form des Skeptizismus im Sinne Humes, demzufolge wir im Alltag und in den Wissenschaften bestenfalls mehr oder weniger gute empirische Vermutungen anstellen können, aber kein gut begründetes Wissen über kausale, funktionale, teleonome oder intentionale Zusammenhänge in unserer Lebenswelt und im Universum erreichen können. Noch handelt es sich um eine Form des Empirismus im Sinne Lockes, demzufolge Menschen keine gemeinsame menschliche Natur und keine angeborenen kognitiven Anlagen (Tabula-rasa) haben, weil das menschliche Bewusstsein angeblich immer nur ein zufälliges Bündel von erworbenen Impressionen und Assoziationen darstellt. (Thomas Reid, Erich Fromm, Steven Pinker)

 

Auch handelt es sich weder um einen problematischen Idealismus im Sinne Descartes, demzufolge wir angeblich nicht wissen können, ob es wirklich eine eigenständige und bewusstseinsunabhängige Außenwelt gibt, noch um einen dog-matischen Idealismus im Sinne Berkeleys, demzufolge das wirkliche Dasein der Dinge in der Lebenswelt und im Univer-sum angeblich nur ein bloßes Wahrgenommenwerden (esse est percipi) darstellt. Schon gar nicht handelt es sich um einen egozentrischen Idealismus im Sinne Fichtes, demzufolge es gar keine vom menschlichen Bewusstsein unab-hängige Welt gibt, sondern nur vom tätigen Ich selbst behauptete Tatsachen. Anders als Kant denke ich jedoch wie Brentano, dass es keiner rationalen "Widerlegung des Idealismus" bedarf, weil die Beweislast bei denjenigen liegt, die etwas so Offensichtliches wie die Existenz einer eigenständigen Wirklichkeit gegen den Common Sense, gegen den gesunden Menschenverstand und gegen die erfolgreiche Praxis im Alltag und in den Wissenschaften bestreiten. Martin Heidegger meinte dazu, dass es kein "Skandal der Philosophie" sei, dass sich "die Existenz der Außenwelt" nicht bewei-sen ließe, sondern dass man einen solchen Beweis überhaupt suchen oder verlangen würde.

 

Skeptische Gedankenexperimente wie das berühmte Cartesische Traumargument, das Wittgenstein'sche Argument gegen die Möglichkeit von Privatsprachen oder Hilary Putnams Brain-in-a-Vat-Argument sind zwar sehr interessante Gedankenexperimente, aber für die allgemeine und gewöhnliche Erkenntnispraxis im Alltag und in den Wissenschaften so weit hergeholt, dass sie jenseits relevanter Wahrscheinlichkeiten und rationaler Plausibilitäten liegen. Hinter solchen Gedankenexperimenten steckt gewöhnlich eine übertriebene Sehnsucht nach einer Gewissheit, die zwar zu einfachen Aussagen der Logik und Mathematik sowie zur unmittelbaren sinnlichen Gewissheit gehört, aber in der individuellen oder gemeinschaftlichen Erkenntnispraxis im Alltag und in den empirischen Wissenschaften gewöhnlich nicht erreichbar ist. Außerdem bleibt dabei die Intentionalität der meisten psychischen Phänomene der Wahrnehmung und des Urteils ebenso außer Acht wie die Überprüfbarkeit der eigenen Wahrnehmungen und Urteile an den Wahrnehmungen und Urteilen anderer Menschen mit Urteilskraft und gesundem Menschenverstand.

 

Deswegen bedarf es dann anders als bei Kant auch keiner "Transzendentalen Deduktion" (Rechtfertigung der objektiven Gültigkeit) der (inter-)subjektiven Kategorien mehr, weil die erworbenen Denkkategorien des empirischen Verstandes erfahrungsgemäß auch als gut bestätigte ontologische Seinskategorien der Lebenswelt gelten dürfen. Auch psycho-logische Kategorien der Selbst- und Fremdzuschreibung psychischer Phänomene, reflexive Kategorien der theoreti-schen, praktischen und poietischen Vernunft sowie apriorische Kategorien, wie z.B. logische, mathematische und bestimmte ontologische Operatoren, haben sich ebenfalls zum größten Teil in der alltäglichen und wissenschaftlichen Praxis der Anwendung auf konkrete Gegenstände oder Personen in der externen Lebenswelt so gut bewährt, dass es keiner transzendentalen Argumente für ihre Anwendbarkeit bzw. für ihre objektive Gültigkeit mehr bedarf. Ein bloß methodischer Zweifel muss in der Philosophie wie auch in den formalen und empirischen Wissenschaften immer der jeweiligen Thematik und Problematik angemessen sein und von daher immer auch begrenzt werden. (Aristoteles und Ludwig Wittgenstein)

 



 

Kritischer Realismus und Analytische Philosophie

 

Die Philosophie des kritischen Realismus, die ich hier entfalte, unterscheidet sich jedoch auch von der Analytischen Philosophie dadurch, dass sie sich nicht nur mit der logischen und semantischen Analyse von sprachlichen Begriffen und philosophischen Argumenten für beliebige Thesen befassen will, sondern (1.) mit der allgemeinen und überprüf-baren Situation des menschlichen Daseins in der Welt, (2.) mit den allgemeinen und überprüfbaren ontologischen Strukturen der Lebenswelt sowie (3.) mit den allgemeinen empirischen Kategorien des menschlichen Verstandes und (4.) mit den universalen apriorischen Kategorien und Prinzipien der theoretischen, praktischen und poietischen Vernunft in der gelingenden Praxis im Alltag und in den Wissenschaften.

 

Sie unterscheidet sich auch deswegen von der Analytischen Philosophie, dass sie mit Kant und über Kant hinausgehend die vielfache Existenz und philosophische Relevanz von synthetisch-apriorischen Prinzipien und Operationen in Logik und Mathematik (Analysis und Geometrie), in Allgemeiner Ethik, Moral- und Rechtsphilosophie (Otfried Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien) sowie in der Staatslehre und in der politischen Philosophie anerkennt und verteidigt. Anders als bei Kant handelt es sich dabei jedoch nicht nur um formale Einsichten in interne kognitive Strukturen der Vernunft oder interne Formen der sinnlichen Anschauung, sondern wie beim frühen Husserl (LU) auch um materiale Einsichten in interne kognitive Strukturen des Bewusstseins und in externe Grundstrukturen der Lebenswelt und des menschlichen Daseins beim zutreffenden und erfolgreichen Denken, Urteilen und Handeln über sich selbst, andere Personen und die raum-zeitliche Lebenswelt.

 

Die Analytische Philosophie , die ihre historischen Anfänge im Positivismus des Berliner und Wiener Kreises, bei Frege und Wittgenstein, bei Russell und Moore hatte, ist seit einigen Jahrzehnten in der sog. westlichen Welt (GB, USA, Australien und Europa) die dominante Schulphilosophie. Sie hat nach dem 2. Weltkrieg jedoch verschiedene Phasen durchlaufen und sich von vielen anfänglichen Dogmen und Methoden entfernt. Heute diskutiert sie Themen und Probleme aus fast allen klassischen Fachgebieten der Logik und Sprachphilosophie, der Erkenntnis- und Wissenschafts-theorie, der Ontologie und Metaphysik, der philosophischen Psychologie (Philosophy of Mind) und Handlungstheorie, der Ethik und Rechtsphilosophie sowie der Religionsphilosophie. Allerdings liegt dabei der methodische Schwerpunkt immer noch in der logischen und sprachlichen Analyse von Begriffen und Argumenten ohne formales synthetisches Apriori wie bei Kant und ohne materiales Synthetisches Apriori wie beim frühen Husserl (LU).

 

Inhaltlich dominiert dann ersatzweise meistens eine naturalistische und szientistische Weltanschauung, die ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert ist. Daraus resultiert dann ethisch und politisch eine affirmative Haltung zum skeptizistischen Individualismus und relativistischen Liberalismus, zur modernen Technokratie und zum ökonomisch-politischen Kapi-talismus auf Kosten der vitalen, existenziellen und personalen Interessen der menschlichen Natur und der natürlichen Lebensbedingungen der Menschheit. Inhaltlich fehlt ein ernsthaftes Interesse an philosophischer Anthropologie und der zweiten, kulturellen Natur des Menschen, an der Leiblichkeit und Sozialität menschlicher Personen, an ökologischen, kulturellen und ökonomischen Voraussetzungen menschlicher Existenz und persönlicher Entwicklung, an den kom-plexen Verflechtungen des Kulturellen, Ökologischen, Ökonomischen und Politischen überhaupt, an den Grenzsitua-tionen der menschlichen Existenz und der psychiatrischen Psychopathologie sowie an den verschiedenen Formen der Ethik, Mystik, Spiritualität und Lebenspraxis in den großen Religionen der Menschheit. Obwohl die blinden Flecken der Analytischen Philosophie enorm sind, werden sie immer noch nicht angemessen aufgezeigt und kritisiert.

 

Zwar gibt es zumindest in Deutschland noch einige wenige Repräsentanten anderer philosophischer Schulen, wie z.B. der Frankfurter Schule, der Lebensphilosophie, des Kritischen Rationalismus, des Erlanger und Konstanzer Konstruk-tivismus oder der Neuen Phänomenologie. Ich selbst habe jedoch von großen Klassikern wie Platon oder Aristoteles, Kant oder Hegel, Brentano oder Husserl das eine oder andere Wesentliche gelernt, sodass ich mich weder der Analy-tischen Philosophie noch einer dieser anderen Schulen ganz anzuschließen vermochte. Am meisten habe ich daher der philosophischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamers und einigen seiner Schüler zu verdanken. Denn dort hat man sich nicht über die großen Klassiker und ihre überlieferten Werke erhaben gefühlt, sondern sie als ein anderes und uns teilweise fremd gewordenes Denken zu verstehen versucht, um seinen eigenen Horizont zu erweitern. Es wäre nämlich vermessen, wenn wir uns in unserem naiven Fortschrittsglauben auch in philosophischen Angelegenheiten für neunmal klüger als die größten und maßgeblichen Philosophen der europäischen Geistesgeschichte halten würden, nur weil wir in wissenschaftlichen und technischen Bereichen mehr können und wissen. Wir müssen von ihnen lernen und uns von ihnen belehren und korrigieren lassen und nicht umgekehrt.

 

Von den Klassikern lernen

 

So habe ich von Platon wesentliche Einsichten über die Bedeutung der menschlichen Reife der Philosophierenden und über die dialogische Verständigung über philosophische Fragen und Antworten gewonnen. So habe ich von Aristoteles wesentliche Einsichten über ontologische Strukturen der gemeinsamen Lebenswelt und über die systematische Topo-logie der philosophischen Themen und Probleme gewonnen. So habe ich von Kant Wesentliches über die synthetisch-apriorischen Bedingungen philosophischer Einsichten jenseits der bloß empirischen Erkenntnis von Gegenständen, Personen und Situationen in der raum-zeitlichen Welt gelernt. Und so habe ich von Hegel Wesentliches über die Ge-schichtlichkeit aller Philosophien, Weltanschauungen und positiven Religionen sowie über den objektiven Geist in den konkreten Institutionen von Recht und Staat gelernt. Und so habe ich in der Auseinandersetzung mit Brentano gelernt, dass die meisten psychischen und geistigen Phänomene intentional sind, während bloß physische Gegenstände und Situationen, Ereignisse und Prozesse nicht intentional sind. Und so habe ich vom frühen Husserl (LU) gelernt, dass  kategoriale Anschauung und eidetische Variation informativ sein können und schließlich von Nicolai Hartmann, dass es ontologische Schichten und emergente Dependenzen im Aufbau der Persönlichkeit und der Lebenswelt gibt: reale und irreduzible physische und organisch-vitale, psychische und geistige Ebenen.

 

Das alles kann zu einem tieferen und weiteren Verständnis des ambivalenten menschlichen Daseins in der modernen Lebenswelt beitragen als das Meiste, was die advokatorische analytische Philosophie seit ihren Anfängen zu bieten hat. Denn die meisten analytischen Philosophen zweifeln bereits daran, dass philosophische Erkenntnisse über die mensch-liche Natur und über ontologische Strukturen der Lebenswelt überhaupt möglich sind. Sie bleiben immer noch allzu oft wie David Hume oder Bertrand Russell in einem epistemischen Skeptizismus befangen, der nur notdürftig durch einen überholten Naturalismus und reduktionistischen Szientismus ausgeglichen wird. Aus dieser seelisch-geistigen Leug-nung der Möglichkeit objektiver Erkenntnis durch Selbsttranszendenz des menschlichen Bewusstseins führen nur wesentliche Einsichten heraus, die man bei großen Klassikern wie Platon und Aristoteles, Kant und Hegel sowie bei Brentano, dem frühen Husserl und Nicolai Hartmann gewinnen kann.

 

Aber diese philosophischen Einsichten in wesentliche Zusammenhänge sind nicht so leicht und schnell sprachlich vermittelbar, wie sich das die rastlosen Kinder des flüchtigen, aber oberflächlichen Zeitgeistes in der immensen Flut

der medialen Bilder, der auditiven Einflüsse und der unüberprüfbaren Informationen wünschen. Das ist angesichts

der rasanten technischen Entwicklung der modernen Bild- und Informationsmedien tragisch, zumal die philosophisch Gebildeten zu vereinsamen drohen und von der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr verstanden werden. Vermutlich bedarf es zuerst eines schmerzhaften Schocks durch weitere ökologische, ökonomische und politische Katastrophen.

 



 

Wozu und wie Philosophieren?

 

Wer philosophieren lernen will, muss sich in der glücklichen Lage befinden, die dafür nötige Zeit und Muße zu finden. Dazu bedarf es wie in vielen anderen Disziplinen auch eines erfahrenen Lehrers, dem man sich für einige Zeit anvertrauen kann. Denn die Kunst des Philosophierens zu erlernen, ist eine Schulung der Urteilskraft im Sinne der aristotelischen Phronesis und der kantischen Urteilskraft. Das gelingt aus psychologischen Gründen am Besten in einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. Das Ziel ist die Ausbildung von Besonnenheit im Sinne von Platons Dialog Charmides. Das treibende Motiv ist die Liebe zur Weisheit. Der persönliche Grund ist die persönlich Erfahrung seiner eigenen und der allgemeinen menschlichen Fehlbarkeit, Verletzbarkeit und Unvollkommenheit.

 

Philosophieren ohne eine gründliche Vertiefung in die Geschichte, Methodik und Systematik des Philosophierens in der Vergangenheit und Gegenwart wird jedoch kaum gute Früchte hervorbringen. Das Gleiche gilt für ein "abgehobenes" Philosophieren, das keinen vertieften seelischen Bezug zu den nahe liegenden Zielen und Zwecken des konkreten Alltagslebens mit sich führt. Philosophie hat es nämlich mit den eigentlichen Zielen und Zwecken des menschlichen Daseins in der Welt zu tun. Es geht beim Philosophieren immer auch darum herauszufinden, was an und für sich selbst wertvoll und gut ist, und nicht bloß als ein probates Mittel zur situationsbedingten Realisierung beliebiger Ziele und Zwecke, die von der Natur vorgegeben sind oder die wir uns aus erworbener Gewohnheit selbst gesetzt haben.


Insofern hat es Philosophie tatsächlich auch mit den letzten Fragen nach dem Sinn des menschlichen Daseins in der Welt angesichts der Endlichkeit des menschlichen Lebens zu tun. Diesen Sinn kann man aufgrund seiner fehlbaren menschlichen Natur infolge eigener Dummheiten und Fehler oder aufgrund eines ungünstigen Schicksals und schädlicher Widerfahrnisse verfehlen. Am Anfang mögen unvertretbare, existenzielle und individualethische Fragen stehen, die jemand nur für sich selbst beantworten kann: Wer bin ich? Was will ich tun? Wie will ich leben? Was will und was kann ich erreichen?


Existenzielle Fragen sind für das je eigene Philosophieren von einer besonderen motivierenden Kraft. Sie sind jedoch

nur der persönliche Ursprung, aber noch lange nicht der ganze Inhalt des philosophischen Interesses. Insofern geht zwar alles Philosophieren von den persönlichen Anliegen des existenziellen Fragen aus, aber es geht doch zugleich auch über sie hinaus. Denn die Fragen, danach, wer ich bin, was ich tun will, wie ich leben will und was ich in meinem eigenen endlichen Leben erreichen kann und will, kann kein Mensch beantworten, ohne sich zu fragen, was er oder sie selbst als ein Mensch ist und was es bedeutet als ein Mensch und als dieser eine Mensch unter anderen Menschen und unter bestimmten natürlichen, sozialen und politischen Umständen in dieser Welt zu leben. Insofern führen die persönlichen existenziellen Fragen nach dem Sinn des jeweils eigenen Daseins in der Welt früher oder später zu den allgemeinen philosophischen Fragen danach, wie Menschen überhaupt in dieser Welt leben, leben können und leben sollen, sowie danach, wie diese Welt beschaffen ist, in der ich und andere Menschen leben.

 

Philosophie im Verbund mit den Wissenschaften


Die Frage nach der Art und Weise, wie die Welt eigentlich beschaffen ist, wird seit einigen Jahrhunderten jedoch nicht mehr nur von der Philosophie beantwortet, sondern in erster Linie von den verschiedenen Wissenschaften, die die Gegenstände ihrer verschiedenen Fächer und Forschungsgebiete mit ihren jeweils passenden Methoden bearbeiten. Insofern sind alle Menschen, die gegenwärtig über die Beschaffenheit der Welt, in der sie leben, philosophieren wollen, gut beraten, sich mit den zuverlässigsten Resultaten der Einzelwissenschaften und deren begrenzten Gegenständen und Methoden der Erforschung von Teilgebieten der Welt auseinanderzusetzen. Die wissenschaftliche Erforschung der Welt scheint nämlich neben der alltäglichen Erfahrung der jeweiligen Lebenswelt nach wie vor der beste Weg zu sein, um herauszufinden, wie die Welt im Kleinen und Besonderen sowie im Großen und Ganzen beschaffen ist.


Aber auch dann, wenn alle Fragen danach beantwortet wären, wie die Welt im Großen und Ganzen des Universums sowie im Kleinen und Besonderen ihrer kleinsten physikalischen Teilchen beschaffen ist, wären die meisten existen-ziellen Fragen noch gar nicht beantwortet. Darauf hat Ludwig Wittgenstein zurecht hingewiesen. Denn es gibt philo-sophische Fragen über die Welt, die die Einzelwissenschaften nicht beantworten können, sondern zurecht an die Philosophie oder an die Theologien der verschiedenen Religionen und Konfessionen delegieren. Die metaphysische Frage danach, warum es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr gar nichts gibt, kann keine Einzelwissenschaft be-antworten. Die Frage, warum es überhaupt diese eine Welt gibt und nicht vielmehr gar keine Welt, grenzt zwar an die Grundfragen der naturwissenschaftlichen Kosmologie, aber die gegenwärtig akzeptierten Theorien über den Ursprung des Universums bestehen auch nur aus den derzeit plausibelsten Hypothesen darüber, wie dieses noch weitgehend unverstandene Universum vermutlich entstanden sein könnte. Seriöse Wissenschaftler stellen gewöhnlich nur solche Fragen, die zu einem methodisch reflektierten und durchführbaren Forschungsansatz führen können. Sie kümmern

sich zumindest von Berufs wegen nicht so sehr um solche metaphysische Fragen, die sie ganz zurecht den Philosophen und Theologen überlassen.


Aber auch die Frage, warum es auf unserem Planeten Erde überhaupt Leben gibt und auf welche Art und Weise die unzähligen Arten von Lebewesen entstanden sind, die nur aufgrund einer weitgehend unbeschädigten Erdatmosphäre und in einem lebenstauglichen Klima leben und überleben können, können Philosophen kaum ohne die ständige Berücksichtigung und intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lebenswissenschaften von Geologie, Biologie und Ökologie angemessen behandeln. Diese Wissenschaften vom Lebendigen untersuchen nicht nur die natürlichen und naturgeschichtlichen Bedingungen, die es über viele Tausende von Jahren in der Vergangenheit ermöglicht haben, dass pflanzliches, tierisches und menschliches Leben auf der Erde wirklich wurde. Sie können auch untersuchen, welche notwendigen Bedingungen in der Gegenwart hinreichend sind und in der Zukunft hinreichend bleiben müssen, damit die meisten Arten von pflanzlichem, tierischem und menschlichem Leben auf der Erde erhalten bleiben können. Diese prognostischen Versuche, zuverlässige Aussagen über die Chancen und Risiken der Erhaltung des Lebens und der Menschheit auf der Erde anzustrengen, sind mittlerweile sogar für das bloße Überleben der Menschheit notwendig geworden. Die Menschheit kann es sich schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr leisten,

sich nicht mit diesen wissenschaftlichen Untersuchungen zu befassen.

 

Welcher Glaube ist vertrauenswürdig?


Philosophen sind von daher gut darin beraten, sich mit diesem Problemen auseinanderzusetzen und sich zumindest

in dieser ernsten Angelegenheit nicht auf allzu menschliche Vertröstungen und unrealistische Hoffnungen zu setzen. Auch wenn die Religionen und Konfessionen der Menschheit eine wichtige psychosoziale Funktion für die Entwicklung und Reifung der Persönlichkeit sowie für das Zusammenleben vielfältiger Gemeinschaften und für die öffentliche Sittlichkeit der meisten Menschen auf der Erde haben, sollte das Philosophen und Theologen nicht blind machen für

die drängenden Probleme der aktuellen Erderwärmung, der schwindenden Energieressourcen und des anhaltenden Wachstums der Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten.

 

Es hat in der Geschichte der Menschheit schon viele Naturkatastrophen, wie Erdbeben und Vulkanausbrüche, Flut-katastrophen und Überschwemmungen, Hurrikane und Tornados, Seuchen und Epidemien sowie einige Kultur-katastrophen wie Wirtschaftskrisen, Weltkriege und Völkermorde sowie untergegangene Kulturen und Religionen gegeben. Es ist ein harte Wahrheit, dass dabei nicht nur Hunderte oder Tausende, sondern Millionen von Menschen umgekommen sind, ganz gleich, welchen Glauben sie hatten und was sie sich von Gott oder von ihren Göttern erhofft hatten. Aber die irdische Natur und das ganze Universum kümmern sich nicht um die Bedürfnisse und Hoffnungen

der Menschen, denn weder die Natur noch das Universum sind eine Person mit einem Bewusstsein, mit einem Willen und einem Verstand. Sie sind auf eine grausame Weise gleichgültig und deswegen auch kein Ersatz für den Glauben an einen liebenden, gerechten und barmherzigen Gott, der an unsere menschliche Freiheit und Verantwortung appelliert. 

 

Die praktische Notwendigkeit, nicht trotz, sondern gerade wegen des Glaubens an Gott nach bestem Wissen und Ge-wissen das Nötige zu tun, das Menschen als intelligenten Lebewesen mit ihrer Fähigkeit zur Antizipation und Verant-wortung, Prognose und Planung möglich ist, gehört jedenfalls zum gemeinsamen Glauben der Juden, Christen und Muslime. Denn ihnen zufolge ist der Mensch ein Geschöpf Gottes, das zumindest in gewissen Grenzen mit einem freien Willen begabt ist und von daher auch die Verantwortung für sich selbst, das Wohlergehen der Menschen und der anderen Lebewesen auf der Erde übernehmen kann, darf und soll. Die monotheistischen Religionen sind von daher wichtige Ressourcen zur Lösung der anstehenden ökologischen Probleme, da sie ihren unverfälschten Lehren zufolge an Freiheit und Verantwortung appellieren, Gerechtigkeit fordern, Solidarität zeigen und Frieden stiften. Denn die meisten Juden, Christen und Muslime glauben, dass die Schöpfung trotz allen sinnlosen Leidens gut geschaffen wurde und dass das Leben auf der Erde es auf jeden Fall wert ist, erhalten zu werden.

 

Was einem naturalistischen Verständnis zufolge angeblich nur durch "Zufall und Notwendigkeit" (Jacques Monod) ent-standen sein soll, wird man jedoch kaum für so wertvoll halten, dass man es um seiner selbst willen erhalten möchte. Deswegen haben dogmatische Naturalisten und hartgesottene Materialisten keinen echten motivierenden Grund, das Leben auf der Erde und die Menschheit zu erhalten. Vielleicht ist die Dominanz des Naturalismus und Materialismus in den technisch fortgeschrittenen Industrigesellschaften (G-20-Staaten) auch der tiefere Grund dafür, dass sich diese Nationen mehr um ihren jeweiligen aktuellen Wohlstand und ihr kurzfristiges Wirtschaftswachstum kümmern als um die gemeinsame Erhaltung der natürlichen Lebensbedingungen auf der Erde durch eine Verhinderung der weiteren Erderwärmung. Naturalisten und Materialisten können nämlich nur irrational motiviert sein, falls sie sich nicht sogar zynisch mit einem gleichgültigen Universum gegen das gemeinsame Interesse der Menschheit identifizieren .

 

Was im Universum so selten ist, wie das Leben auf der Erde und wie intelligentes Leben in unserem eigenen Sonnen-system, sollte jedoch zumindest für uns Menschen schon alleine aufgrund seiner kosmischen Seltenheit einen ganz besonderen, unermeßlichen Wert haben. Wer also den biblischen Schöpfungsmythos von Gottes Erschaffung einer kosmischen Ordnung aus einem materiellen Chaos oder die philosophische Konzeption seiner Schöpfung der Welt aus dem Nichts nicht teilen kann, der möge sich wenigstens die Schönheit des Planeten Erde und das Wunder des Lebens mit seinen unzähligen Varianten und Formen vor Augen halten. Der biblische Glaube an einen Schöpfer lässt sich jedoch auch entmythologisieren und entpersonalisieren und dann als die allmächtige und schier unendliche schöpferische Kraft in und hinter der Entstehung des Universums, der Entstehung unseres Sonnensystems und unserer Erde, der Entstehung des pflanzlichen und tierischen Lebens und schließlich des Menschen verstehen.

 

Die Wahrnehmung von Schönheit und Erhabenheit in der irdischen Natur kann für uns Menschen eine Quelle der vitalen Kräfte unseres Leibes und eine Wonne für unsere Sinne sein. Die vielfältigen Pflanzen und Tiere, die sich schon alleine auufgrund  ihrer natürlichen Instinkte selbst zu erhalten versuchen, haben, ohne es selbst zu verstehen, einen bestimmten Eigenwert, wenn auch keine angeborene Würde wie sich ihrer selbst bewusste und moralfähige Menschen mit einem potentiell freien Willen. Aber trotzdem handelt es sich bei dieser Schönheit und Erhabenheit in der irdischen Natur nur um die sinnlichen Erscheinungsweisen von momentanen perspektivischen Ansichten der Natur und nicht um ein tieferes begriffliches Verständnis ihrer wirkenden Kräfte und verborgenen Gesetzmäßigkeiten, die im Alltag und in den modernen Naturwissenschaften erforscht und genutzt werden. Daher dürfen wir nicht vergessen, dass das ganze schöne und vielfältige Leben der Tiere und Pflanzen ohne den Menschen immer auch ein grausamer und sinnloser Kampf ums Dasein und ein unerbittlicher Kreislauf des Fressens und Gefressenwerdens wäre. In der Welt der stummen Tiere und Pflanzen gibt es nämlich noch kein Wahr und Falsch, keinen Sinn und Unsinn, kein Gut und Böse, kein Recht und Unrecht, keine Unschuld und Schuld. Natürlich gibt es vitale Bedürfnisse und lebensdienliche Weisen der Selbst-erhaltung der Individuen und Arten. Aber Wahr und Falsch, Sinn und Unsinn, Gut und Böse, Recht und Unrecht sowie Unschuld und Schuld gibt es erst im kulturellen und sittlichen Leben der Menschen.

 

Leben, Freiheit und Würde des Menschen

 

Dass unter Menschen als intelligenten Lebewesen mit einem leiblichem Bewusstsein und Selbstbewusstsein, mit Sprache und Denken, mit ihren Lebens- und Denkweisen etwas qualitativ Anderes gelten soll als das sog. Recht des Stärkeren bzw. das sog. Gesetz des Dschungels, das vermittelten sowohl alle oben genannten großen Philosophen als auch die abrahamitischen Religionen in ihren ursprünglichen Lehren. Trotzdem erleben wir so gut wie täglich, dass einige Zeitgenossen ohne Glaubensmut, ohne Quellen der Hoffnung und der Liebe Gefahr laufen, auf diese Stufe des Kampfes ums bloße Dasein zurückzufallen. Die romantische Sehnsucht nach einer regressiven Rückkehr in den vor-bewussten Mutterschoß einer angeblich harmonischen Natur ist nur der verzweifelte Versuch, dem spezifisch mensch-lichen Bewusstsein von Wahr und Falsch, Sinn und Unsinn, Gut und Böse, Recht und Unrecht sowie Unschuld und Schuld durch eine Rückkehr in den verlorenen paradiesischen Zustand einer kindlichen Unschuld zu entkommen.

 

In der kapitalistischen Werbeindustrie werden die Menschen ständig mit kitschigen und einseitigen Darstellungen von einer angeblich nur harmonischen und schönen irdischen Natur gefüttert, um sie zu hedonistischen Konsumidioten zu machen, die dem allgemein verbreiteten Wachstumswahn der Wirtschaft dienen sollen. Deswegen haben sie die tiefere Ehrfurcht vor der ambivalenten und für den Menschen potentiell gefährlichen Macht der Natur als einer einmaligen, unwiederholbaren und geschichtlichen Schöpfung verlernt und scheren sich kaum um deren anhaltende Zerstörung durch den kapitalistischen Götzendienst am Mammon. Wahre Ehrfurcht vor dem Lebendigen in der irdischen Natur weiß um die Ambivalenzen der anschaulichen Schönheit und Erhabenheit einerseits und den lebensgefährlichen Bedrohungen des Lebendigen durch ihre unerbittliche Macht andererseits. Das relativ sichere Leben der saturierten Bürger und Menschen in den modernen Städten mit fließendem Wasser und Zentralheizung hat zu einem kitschigen Naturbild, einem hedonistischen und instrumentalen Konsum der Natur als bloßem Erholungsraum und zu einer Entfremdung von den Schattenseiten der irdischen und kosmischen Natur geführt. Vielleicht fürchten sich daher die Menschen gerade in den wohlstandsverwöhnten Industrienationen zu wenig vor den verheerenden Folgen der Erd-erwärmung und der weiteren Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen auf der Erde?

 

Atheismus, Subjektivismus und Relativismus als den vorherrschenden Ideologien des neuzeitlichen und modernen Fortschrittsglaubens sind die unglücklichen Erben jener glaubensfeindlichen politischen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts, die zum grauenhaften Massenmord an Millionen von Menschen geführt haben. Faschismus, National-sozialismus und Marxismus-Leninismus bekämpften allesamt nicht nur das Judentum, sondern auch das Christentum. Sie bekämpften deren Glauben an Gott und seine sittlichen Gebote und versuchten ihn durch den Aberglauben an menschliche Idole und den geschichtlichen Fortschritt durch Wissenschaft, Kunst und Technik zu ersetzen.

 

Die modernen Wissenschaften, Künste und Techniken stellen uns Menschen jedoch immer wieder vor neue schwierige Herausforderungen, die jedenfalls nicht alleine mit Hilfe der Wissenschaften, Künste und Techniken selbst bewältigt werden können. Denn keine noch so gut bestätigte wissenschaftliche Theorie und keine noch so raffinierte technische Erfindung können uns sagen, wie sie auf eine kluge Weise angewandt werden können, um trotz aller erhofften Erfolge unerwünschte Nebenwirkungen und langfristige Schäden zu vermeiden. (Rainer Enskat, Bedingungen der Aufklärung) Nicht alles, was anfangs als vermeintlicher Fortschritt angepriesen, vermarktet und verkauft wird, stellt sich dann auch langfristig als ein echter Fortschritt heraus (z.B. Internet, Künstliche Intelligenz, Robotik, Smartphones, Social Media, etc). Jeder noch so große wissenschaftliche Fortschritt wirft neue Fragen auf. Jeder technische Fortschritt ist aufgrund seiner kaum vorhersehbaren Nebenwirkungen immer ambivalent wie ein zweischneidiges Schwert. Wesentlichen Fortschritt gibt es nach Rousseau und Kant höchstens im sittlichen Leben der Menschen und in der klugen Errichtung, Erhaltung und Verbesserung sittlicher und politischer Institutionen, wie z.B. des demokratischen und liberalen Rechtsstaates, der vor der politischen Willkür der Mächtigen schützen muss und vor dem alle gleichen Bürger und Menschen in gleicher Art und Weise zu behandeln sind.

 

Philosophie kann sich jedoch der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Einzelwissenschaften nicht mehr ent-ziehen. Gleichwohl sollte sie darauf bedacht sein, sich nicht der einen oder anderen dieser Einzelwissenschaften, wie z.B. der Physik, der Biologie oder auch der Soziologie, auszuliefern. Sobald sie das täte, verlöre sie sehr schnell ihre eigene Bestimmung. Genuine Philosophie hat nun einmal ihre eigene Bestimmung mit anderen, eigenen Zielen und Aufgaben, die niemals mit den Zielen und Aufgaben einer bestimmten Einzelwissenschaft übereinstimmen können. Sie ist weder Natur- noch Kulturwissenschaft, weder Psychologie noch Soziologie. Deswegen muss sich die Philosophie immer wieder auch auf ihre eigenen Ziele und Aufgaben besinnen. Dazu kann sie immer wieder auch an eines der überlieferten Modelle des Philosophierens anknüpfen, aber dazu muss sie auch der Situation der Menschen in der Gegenwart und den neuen Problemen in der wissenschaftlich-technisch geprägten Lebenswelt gerecht werden. Denn es geht in ihr um ein tieferes und weiteres Verstehen, das über das hinaus geht, was uns die Natur- und Kulturwissenschaften mit ihren beschränkten Gegenstandsbereichen und Methoden erklären können.

 



 

Es gibt keinen radikalen Neuanfang in der Philosophie

 

Der Traum von einem radikalen Neuanfang ohne eine Anknüpfung an bereits vorhandene Paradigmen und Modelle oder gar von einer ganz neuen Philosophie scheint endgültig ausgeträumt zu sein. Heidegger und Wittgenstein hatten noch einmal diesen Traum wiederbelebt und sind dabei auf verschiedene Weise gescheitert. So etwas kann sich heute nur noch jemand erhoffen, der die Geschichte der Philosophie nicht gut genug kennt und deswegen auch deren Be-deutung für die Philosophie der Gegenwart unterschätzt. Aber auch, wenn der Traum von einem solchen radikalen Neuanfang ohne Anknüpfung an irgendwelche Vordenker ausgeträumt zu sein scheint, heißt das noch lange nicht,

dass es gar keine Grundlegung der Philosophie in Anknüpfung an bestimmte Vordenker geben könnte.

 

Es beutet auch nicht, dass sich Philosophen nur noch auf einem geerbten Trümmerfeld von Ruinen aus der Geschichte der Philosophie bewegen können. Manche Philosophiehistoriker meinen, dass sich heutige Philosophen nur noch einige Fundstücke aus solchen Ruinen aneignen können. Das Ende des Traumes von einer absoluten und letztbegründeten Grundlegung der Philosophie bzw. von einem vollkommenen System der Philosophie bedeutet nicht, dass sich Philo-sophen nur auf einer Spielwiese von gedanklichen Beliebigkeiten hin und her bewegen können, bis sie irgendwann bemerken, dass sie sich immer nur im Kreise gedreht haben.


Das Ende des Traumes von einem absoluten Neuanfang bedeutet auch nicht, dass sich Philosophen nur noch mit verschiedenen Phänomenen der gemeinsamen Lebenswelt befassen können, dann aber alles philosophische Denken ganz postmodern im Bruchstückhaften und Zusammenhanglosen lassen müssen. Und es bedeutet schließlich auch nicht, dass zeitgenössische Philosophen nicht an bestimmte Überzeugungen und Methoden der größten Philosophen, wie z. B. von Platon und Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin, Kant und Hegel, anknüpfen könnten.

 

Auch wenn manche Neuansätze und Denkwege als solche nicht mehr weiter führen, um eine neue systematische Philosophie nach dem klassischen Zuschnitt eines Platon oder Aristoteles, eines Kant oder Hegel zustande zu bringen, so können sie doch zumindest zur produktiven Reparatur, umsichtigen Transformation und langfristigen Rehabilitation einiger Grundgedanken und Einsichten beitragen. Klar scheint mir zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur zu sein, dass eine rein subjektivistische Phänomenologie im Anschluss an den transzendentalphilosophischen Husserl, eine bloß faktizis-tische Daseinsanalyse im Anschluss an Heidegger und eine nur kulturrelativistische Sprachanalyse im Anschluss an Wittgenstein alleine nicht genügen können, um zur vollständigen Gestalt einer systematischen Philosophie mit theo-retischer, praktischer und poietischer Philosophie zu gelangen. Diese wirkungsmächtigen Leitfiguren der europäischen Philosophie des 20. Jahrhunderts taugen nicht für eine produktive Weiterführung des philosophischen Denkens im 21. Jahrhundert. Dies gilt aus verschiedenen Gründen ebenfalls für die Wegbereiter der Analytischen Philosophie, wie z.B. für Gottlob Frege, Bertrand Russell und Rudolf Carnap.

 

Philosophie dient nicht nur der eigenen Lebenskunst


Eine Philosophie, die sich nicht nur mit den privaten und egozentrischen Problemen des Gelingens des eigenen Lebens, also der sog. Lebenskunst, in der unausweichlichen Konfrontation mit Konflikten und "Grenzsituationen" (Karl Jaspers), sondern auch mit den öffentlichen Problemen eines gedeihlichen Zusammenlebens in nachhaltigen Lebensräumen, generativen Verbänden und rechtsstaatlich-politischen Institutionen auseinandersetzt, kann sich nicht bloß auf das eigene Dasein oder das bewusste sinnliche Erleben oder das persönliche, aber irrationale Engagement zurückziehen.

Sie muss vielmehr erforschen, ob und wie die gemeinsamen Lebensverhältnisse der Menschen, Tiere und Pflanzen sowie die kulturellen, ökonomischen und politischen Tendenzen der modernen Industrie- und Informations-Gesell-schaften nicht nur phänomenologisch beschrieben, positivistisch erklärt und willkürlich verändert werden können. Sie muss erforschen, ob und wie sie kommunal, national und global in ihren gegenwärtigen Tendenzen antizipiert, prog-nostiziert und transformiert werden können, um sie lebenspraktisch und politisch zukunftsfähig zu machen.

 

Zwar müssen Philosophen wie alle Menschen und Bürger zuerst die Verhältnisse und Umstände in der Lebenswelt verstehen und erklären können, um etwas Konkretes zu ihrer nachhaltigen Verbesserung beitragen zu können. Bloß "etwas bewegen" zu wollen, wie einige Politiker gerne reden, genügt sicher nicht. Verändern ist leicht. Verbessern ist schwer. Alle Veränderungen können immer auch Verschlimmerungen sein. Aber um etwas wirklich und nachhaltig verbessern zu können, brauchen wir Menschen realisierbare Ziele und sinnvolle Aufgaben im Lichte des empirisch adäquaten und kognitiv kohärenten Horizontes einer sittlichen Orientierung. Ein Philosophieren ohne praktische Philosophie, d.h. ohne Ethik, ohne Rechtsphilosophie und ohne politische Philosophie, würde auf einer Schwundstufe dessen stehen bleiben, was die paradigmatischen Philosophien der europäischen Tradition einmal gewesen sind.


Der postmoderne Zeitgeist ist gegenüber einem authentischen Philosophieren in einer kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung mit der philosophischen Überlieferung eher skeptisch als wohlwollend. Er neigt eher zu einem flüchtigen und oberflächlichen Denken auf einer subjektivistischen, positivistischen oder gar relativistischen Schwund-stufe. In diesem Sinne zeugen die folgenden Seiten von dem beharrlichen Versuch, den Zwängen des post-modernen Zeitgeistes mit seiner Unterwerfung unter die technische Beschleunigung und die neoliberale Ökonomisierung aller menschlichen Lebensverhältnisse zu entkommen.

 

Wissenschaftliche Philosophie statt bloßer Weltanschauung

 

Wissenschaftliche Philosophie basiert auf den immer noch gültigen Einsichten der klassischen Philosophen, die sich gegen die sophistischen Einwände der Skeptiker, Subjektivisten und Relativisten verteidigen lassen. Die meisten popu-lären Philosophen und ihre Anhänger und selbst viele akademische Philosophen betreiben jedoch eher Sophistik als Philosophie. Denn sie gehen gar nicht wirklich von echten Aporien und offenen Fragen aus, um dann in einem dialek-tischen Streit der Positionen Pro und Contra den stärkeren Argumenten zu folgen. Statt dessen suchen sie nur Selbst-bestätigung und argumentative Schützenhilfe für ihre jeweilige Weltanschauung, ihren politischen Standpunkt und

ihre beruflichen Karrieren. Sophisten wollen auf diese Weise nur Dispute zu gewinnen, um sich durchzusetzen.

 

Die Wahrheitsansprüche des jüdischen, christlichen und islamischen Monotheismus stimmen mit den immer noch gültigen Einsichten der großen Philosophen jedoch nur teilweise überein und gehen deswegen in vielen Hinsichten über sie hinaus.  Wohlverstandene Philosophie ist deswegen weder Apologie einer bestimmten Religion noch Kritik aller Religionen. Sie führt vielmehr zunächst einmal zu einer offenen Hermeneutik der Religionen. Denn religiöses Denken, Fühlen und Handeln muss von ihr als ein Anderes der eigenen philosophischen Vernunft verstanden werden. Authen-tisch praktizierte Religionen haben eine gelebte Eigenständigkeit jenseits einer Philosophie, die kulturelle Realitäten wie die Wissenschaften, Religionen und Künste nachträglich oder gar nur von außen zu verstehen versucht.

 

Philosophen können jedoch auch nicht ganz neutral bleiben, wo es um die Wahrheitsansprüche der verschiedenen Religionen und Weltanschauungen geht. Deswegen gibt es auch keinen überzeugenden Weg, auf dem Philosophen durch das Denken alleine zum dreieinigen Gott des christlichen Glaubens gelangen könnten. Ohne die Bibel als historisches und narratives Dokument der Entstehung des christlichen Glaubens gäbe es keine christliche Theologie. Christliche Theologie ist biblische Theologie unter Mitwirkung des heiligen Geistes im Glauben. Ob es daneben noch so etwas wie eine christliche Philosophie geben kann, ist zumindest fraglich geworden. Meistens handelt es sich dabei nur um gnostisches, neuplatonisches oder hegelianisches Denken.

 



 

Christlicher Glaube angesichts der Vielfalt der Religionen

 

Dass es eine Vielzahl von Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien gibt, ist zwar wahr, aber auch trivial. Denn obwohl es wahr ist, gibt es auch zahlreiche logische Widersprüche innerhalb und zwischen den Religionen und Konfessionen, Weltanschauungen und Philosophien. Was logisch widersprüchlich ist, kann aber nicht zusammen wahr sein. Und da die verschiedenen Glaubensüberzeugungen der Religionen und Konfessionen sowie die verschiedenen Grundüberzeugungen der Weltanschauungen und Philosophien nicht übereinstimmen, sondern sich gegenseitig widersprechen, können sie nicht alle in gleicher Weise wahr sein (wie die Bahais meinen). Daher können

wir uns mit dieser Trivialität nicht einfach abfinden, sondern wir müssen nach der Wahrheit fragen, um uns selbst aufzuklären und um uns nichts vorzumachen. Wenn wir uns hingegen mit dieser Trivialität abfinden würden, würden

wir Selbsttäuschungen zulassen und damit nicht nur unsere menschliche Intelligenz verleugnen, sondern auch unsere Selbstachtung und Würde verlieren.

 

Auf der Seite Evangelische Theologie geht es dann um den christlichen Glauben evangelischer Christen, der sich in einigen wesentlichen Hinsichten von dem christlichen Glauben römisch-katholischer und orthodoxer Christen unter-scheidet. Der Glaube an Gott, an Jesus Christus und an den Heiligen Geistes wie er in den Evangelien vermittelt wird,

eint zwar alle Christen unterschiedlicher Konfessionen und Traditionen. Aber ihr jeweiliges Verständnis des Verhältnisses zwischen Philosophie und Theologie trennt sie ebenso wie ihr doch recht verschiedenes Verständnis von Kirche und Tradition, Bibel und Auslegung, Gemeinde und den Sakramenten.

 

Das geht oftmals tief hinein bis in das in ihrer jeweiligen Tradition bevorzugte Gottesbild, Weltbild und Menschenbild. Insofern gibt es keine christliche Theologie ohne philosophische Voraussetzungen und Implikationen. Denn biblische Schriften bedürfen der hermeneutischen Kunst der exegetischen Auslegung und der angemessenen Interpretation.

Die Kunst der Hermeneutik hängt jedoch immer vom Selbstverständnis, Menschenbild, Weltbild und Gottesbild der Interpreten ab und von ihrer jeweiligen Einstellung zur Bibel als überliefertem Dokument des christlichen Glaubens.

 

Evangelische Theologie dient der Verkündigung des Glaubens an das Evangelium von Jesus Christus als dem lebendigen Wort Gottes. Dazu muss sie einerseits die radikale Entmythologisierung durch eine maßlose historisch-kritische Exegese vermeiden, weil sie sonst den Kern des Evangeliums zerstören würde. Andererseits sind eine historisch-kritische Exegese und ein historisch-kontextuelle Hermeneutik unverzichtbar, um nicht überlieferten Klischees, Vorurteilen und Fehldeutungen aufzusitzen. Ein allzu buchstabengläubiger Bibelfundamentalismus ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch nicht kirchentauglich. Auch die kirchliche Verkündigung muss sowohl den kultur-historischen Abstand

zur Entstehung der biblischen Schriften als auch die geistige, geistliche und kulturelle Situation ihrer zeitgenössischen Adressaten berücksichtigen. Dazu bedarf es einer soliden theologischen Ausbildung und Bildung.

 

In diesem Sinne sind in der Theologie und in der Kirche Glaube (faith) und Wissen (knowledge) komplementär, d.h. Glaube ist auf Wissen angewiesen und Wissen auf Glaube. Das gilt erst recht für Glauben (belief) im Sinne des bloßen Fürwahrhaltens. Der christliche Glaube kann nicht aus reiner Vernunft (Kant) oder gar spekulativer Vernunft (Hegel) gewonnen, begründet oder verteidigt werden. Aber aus dem christlichen Glauben kann auch nicht alles alltägliche und wissenschaftliche Wissen oder gar die Bedingungen menschlicher Vernunft erreicht, verstanden und bewahrt werden.

 



 

Politische Aufklärung trotz des postmodernen Zeitgeistes

 

Um Missverständnisse zu vermeiden, noch ein paar Erläuterungen zu den Seiten unter der Rubrik Politische Aufklärung: Sämtliche Texte, die dort zu finden sind, halte ich in aktuellen politischen Debatten für hilfreich und klärend. Aber sie geben nicht immer und schon gar nicht in allen Punkten meine eigene politische Meinung ganz wieder. Auch ergeben sie sich nicht einfach direkt aus meinen philosophischen Einsichten und theologischen Überzeugungen.

 

Vielmehr publiziere ich sie nur als Bürger dieses Landes, der unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gegen Vorurteile, ideologische Missverständnisse und gewalttätige Angriffe von linken und rechten politischen Extremisten sowie insbesondere gegen die Intellektuellen der postmodernen Linken (Linker Antisemitismus und Hass auf Israel, atheistische Christenverfolgung, Wahrheitsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit, freiheitsfeindliche Cancel-Culture und autoritäre Verordnungen zur Rede- und Schreibweise, rassistische und totalitäre Wokeness-Ideologie, staatliche Quotenzwänge, etc.) und der Neuen Rechten (Rechter Antisemitismus, Chauvinismus, Feindseligkeit gegen Schwule

und Lesben, heidnische Christenverfolgung, Nationalismus, Misogynie, Rassismus, etc.) verteidigt.

 

Hinzu kommt der politische Islam, der militante, salafistische und terroristische Islamismus und der Kalifatfaschismus, der zwar politisch rechtsextrem ist, da er antiliberal, anti-demokratisch, antisemitisch und antiamerikanisch ist, der aber von den Linken im Namen einer falschen Toleranz und im Kampf gegen Wertkonservative und Christdemokraten ver-harmlost und zugelassen wurde. Wie ausgerechnet Grüne und Sozialdemokraten in Hamburg zwei antidemokratische Demonstrationen von Kalifatfaschisten zulassen konnten, obwohl sie sich doch stets als Verteidiger unserer Demokratie gebärden, ist schwer zu verstehen. Es könnte von einem tiefen Hass auf Juden und Christen herrühren.

 

Diese moderne Rechtsordnung ist die beste, die Deutschland jemals hatte, weil sie gewisse Bürger- und Menschen-rechte auch gegen die mit dem Gewaltmonopol versehene Staatsmacht garantiert. Zu diesen bürgerlichen Freiheits-rechten gehören u.a. Meinungs-, Presse-, Publikations-, Wissenschafts-, Gewissens-, Glaubens-, Kunst- und Religions-freiheit in den Grenzen des geltenden Rechtes. Davon will ich hier Gebrauch machen  -- sowohl gegen linksradikale

und rechtsradikale Feinde unserer Verfassung und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

 

Die unzähligen hasserfüllten Beiträge im Internet sind unerfreulich und wären nicht weiter der Rede wert, wenn sie nicht als Symptome ökonomisch-politischer und weltanschaulich-religiöser Umbrüche in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt ernst zu nehmen wären. Deswegen möchte ich mit den ausgewählten Beiträgen etwas Nützliches und Sinnvolles entgegensetzen und hoffe, dass wenigstens einige interessierte Leser das zu schätzen wissen. Damit kann

ich nebenbei auch zeigen, dass das Internet nicht nur expressiv und exzessiv missbraucht werden kann, sondern auch nüchtern und reflektiert zu Zwecken der politischen Aufklärung benutzt werden kann. 

 

Ulrich W. Diehl

 


 

Frieden ist das Meisterwerk der Vernunft

 

Immanuel Kant

 





 

Leute, die keinen Krieg erlebt haben, wohl aber selbst Krieg führen oder provozieren,

wissen nicht, was sie Furchtbares anrichten.

 

Helmut Schmidt

 




  • Zum rechtsethischen Problem der Abtreibung. Jenseits politischer Ideologie: Pro Life vs. Pro Choice.
  • Zum rechtsethischen Problem der Blasphemie. Zum Schutz grundrechtlicher Persönlichkeitsrechte.
  • Zum rechtsethischen Problem der Suizidbeihilfe. Persönliche Freiheit mit sozialer Verantwortung.

  • Der Glaube und die Corona-Pandemie. Erinnerung und Widerspruch
  • Die Gottesfrage nach dem Gerücht vom angeblichen Tode Gottes
  • Zum Islam in Deutschland Sündenbock, Feindbild oder Bedrohung?
  • Der Liberalismus und das Evangelium











 

Das Einzige, was gefährlicher als Ignoranz ist, ist Arroganz.

 

Albert Einstein