7.1. Notwendigkeit Gottes

 

 

Oberflächliches Philosophieren entfernt vom Glauben,

tieferes Philosophieren führt zu ihm hin.

 

frei nach Francis Bacon

 

 

 

Die Frage nach der notwendigen Existenz Gottes

 

Alles in der Welt ist kontingent, d.h. es könnte auch nicht existieren, nicht der Fall sein, sich nicht ereignet haben oder nicht geschehen sein, wenn der Lauf der Welt ein anderer gewesen wäre. Was kontingent ist, das ist nur der Fall, das existiert, ereignet sich oder geschieht, weil es diese Welt nun einmal gibt und weil ihre Geschichte nun einmal so und so abgelaufen ist. Wirkliches können wir von kontrafaktisch Möglichem und von Notwendigem unterscheiden.

 

Zum Beispiel: Der Krieg ist der Ukraine könnte gegenwärtig nicht stattfinden. Putin könnte seiner russischen Armee keinen Befehl zum Einmarsch in die Ukraine und zum Angriff auf Kiew gegeben haben. Oder, falls doch, die Ukrainer könnten sich gleich ergeben und nicht gewehrt haben. Alles was damit zusammenhängt könnte sich dann auch nicht  ereignet haben und nicht geschehen sein. Aber es geschieht und ist nun einmal wirklich geschehen, obwohl es bei einem anderen Verlauf der Weltgeschichte und aufgrund anderer Entscheidungen bestimmter Personen hätte anders kommen können.

 

Über welche geschichtlichen Ereignisse, Prozesse und Entwicklungen in der Vergangenheit wir auch immer nachdenken mögen, wenn es sich wirklich um Fakten handelt, sie also wirklich stattgefunden haben, dann hätte es doch unter etwas anderen Umständen auch anders kommen können. Die Weltgeschichte gehört nicht in das Reich der Notwendigkeit, sondern in das Reich der Kontingenz. Kontingentes kontrastiert mit Möglichem und Notwendigem.

 

Mögliches ist entweder real-möglich, weil es die Naturgesetze und Ordnungen der Natur zulassen oder nur logisch- möglich, weil es nur die logischen Denkgesetze, aber nicht die Naturgesetze und Ordnungen der Natur zulassen.  Es

ist zwar logisch möglich, aber nicht wirklich geschehen, was in dem fiktionalen Kunstepos "Herr der Ringe" erzählt wird. Aber wäre das alles auch real-möglich oder gibt es wie in manchen Science-Fiction-Romanen auch Dinge und Ereignisse, die nicht real-lmöglich sind, weil sie nicht dem entsprechen, was die uns bisher bekannten Naturgesetze zulassen.

 

Real-möglich ist es z.B. nicht, den Eifelturm von Paris exakt aus Styropor in Brest nachzubauen, weil dieses Material nicht geeignet für solche großen und hohen Konstruktionen ist und weil es den Winden und Unwettern an der Küste der Bretagne nicht lange standhalten würde. Das hat selbstverständlich nicht nur mit den chemisch-physikalischen Materialeigenschaften von Styropor, wie seiner Brüchigkeit,  Leichtigkeit und fehlenden Dehnbarkeit bei Hitze und Kälte zu tun, sondern auch mit den physikalischen Bedingungen von Schwerkraft und bestimmten Naturgesetzen.

 

Notwendiges ist entweder nur logisch-notwendig oder mathematisch-notwendig, weil es sich aus den Gesetzen der Logik und Mathematik ergibt, oder real-notwendig, weil es sich aus den Naturgesetzen und Ordnungen der Natur ergibt. Dass jemand oder etwas mit sich selbst identisch ist, also der logischen Form x=x entspricht, ist logisch-notwendig und damit auch real-notwendig, weil es dann auch in der Wirklichkeit nicht anders sein kann.  Auch Tautologisches der logischen Form "wenn p, dann p" ist logisch-notwendig, sodass es dann auch in der Wirklichkeit

nicht anders sein kann, wie z.B. die Tautologie, dass es regnet, wenn es regnet.

 

Aber zum Beispiel: Dass Wasser bei unter 0 Grad Celsius zu gefrieren beginnt und bei über 100 Grad Celsius zu kochen und zu verdampfen beginnt ist nicht logisch-notwendig, sondern nur real-notwendig, weil es von der chemischen Zu-sammensetzung von Wasser als H²O und den chemischen Valenzen von Wasserstoff und Sauerstoff abhängt, wie sich reines, sauberes und unvermischtes Wasser normalerweise unter gleichbleibenden Bedingungen verhält. Zu den an-genommenen Normalbedingungen für die Bestimmung von Realnotwendigkeit gehören auch die uns bekannten Naturgesetze und natürlichen Ordnungen auf der Erde, in unserem Sonnensystem und im Universum.

 

Aber was sind Naturgesetze und natürliche Ordnungen eigentlich? Anders als noch im 18. und 19. Jahrhundert sind sich Naturwissenschaftler und Wissenschaftsphilosophen darüber nicht mehr einig. Handelt es sich bei Naturgesetzen nur um gewisse Verhaltensregularitäten der Natur, die bisher beobachtet wurden, sodass auch noch andere, bisher unbekannte Verhaltensregularitäten beobachtet werden könnten? Lassen diese bisher bekannten und beobachteten Verhaltensregularitäten immer auch Ausnahmen zu, weil es immer auf gewisse regionale Bedingungen und multiple Kausalitäten ankommt?

 

Selbst unser naturwissenschaftliches und wissenschaftsphilosophisches Verständnis von Kausalität hat sich im

20. Jahrhundert stark verändert. Das alte mechanistische und monokausale Billiardtischmodell  der Kausalität aus

dem 18. Jahrhundert gilt nicht mehr allgemein und das nicht nur wegen der Quantenphysik. Längst verstehen wir Kausalität in den Naturwissenschaften, aber auch in den historischen, sozialen und praktischen Wissenschaften (Medizin, Ökonomie und Jurisprudenz) multikausal als eine gewisse Anzahl von einzeln notwendigen und zusammen genommen hinreichenden Bedingungen für einzelne Ereignisse und Prozesse in der Welt der Natur und Kultur.

 

Das Reich der Kontingenz

 

Alles in der Welt ist kontingent, selbst, wenn es aufweisbare Ursachen und plausible Gründe gibt, warum der ganze

Lauf der Welt an den jeweils inspizierten Stellen so und nicht anders war. Die Weltgeschichte ist zwar keine seltsame Serie von bloßen Zufällen, da es Naturgesetze und natürliche Ordnungen, faktische Anfangsbedingungen und viele wahrscheinliche Entwicklungen und Verhaltensregularitäten gibt. aber es hätte oftmals immer auch etwas anders kommen können, als es wirklich gekommen ist. Daher mag die ganze Weltgeschichte zwar eine verborgene innere Entwicklungslogik haben, wie Hegel meinte. Aber selbst diese Entwicklungslogik gehört immer noch in das Reich der Kontingenz. Aber auch solche hegelschen, marxschen oder anderen Konzeptionen einer Entwicklungslogik der Weltgeschichte sind höchst umstritten.

 

Es gibt die bereits entdeckten Naturgesetze und natürlichen Ordnungen, nach denen die ganze bisherige Natur-geschichte abgelaufen ist und immer noch abläuft, Kulturmuster, nach denen die bisherige Kulturgeschichte der Kulturen abgelaufen ist und immer noch abläuft. Aber die Frage ist, ob diese Naturgesetze und Kulturmuster auch nur kontingent sind und selbst auch anders sein könnten. Diese Frage bringt vor allem Naturwissenschaftler in große Ver-legenheiten, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, wie sich die ganze Natur und die Naturgeschichte ohne

die bekannten Naturgesetze und natürlichen Ordnungen verhalten würde.

 

Zu diesen natürlichen Ordnungen gehören nicht nur die uns bisher bekannten Naturgesetze, sondern auch die sog. Feinabstimmung des Universums. Denn das sich ausdehnende Universum, unser ganzes Sonnensystem und die lokalen Bedingungen für die Entstehung von Leben auf der Erde und dann für Evolution des Lebens sind von ganz bestimmten Bedingungen abhängig, die bei geringfügigen Abweichungen das ganze Leben auf der Erde unmöglich gemacht hätten. Dazu gehört vor allem, dass sich die Erde in der habitablen Zone unseres Sonnensystems befindet, sodass es auf der Erde weder zu kalt noch zu heißt dafür ist, dass Wasser weder gefrieren noch verdampfen musste. Das war nämlich auch die Bedingung für eine sauerstoffbasierte Atmosphäre. Anders hätte sich vermutlich kein organisches Leben entwickeln und erhalten können.

 

Bei den Kulturen, Kulturmustern und ihrer Geschichte verhält es sich etwas anders. Hier ist es viel leichter vorstellbar, dass sie anders entstanden und sich anders entwickelt hätten. Wie kennen ja auch ein Mannigfaltigkeit (Vielzahl und Variation) von entstehenden und sich entwickelnden, sich vermischenden und von bereits abgestorbenen und unter-gegangenen Kulturen. Kulturalisten und Kulturwissenschaftler neigen daher zum kulturellen Pluralismus und Relati-vismus, und vergessen nur allzu gerne, dass auch alle menschlichen Kulturen trotz ihrer Eigenarten von den und bekannten universalen Naturgesetzen und von den natürlichen Bedingungen der Erde und des Lebens auf der Erde abhängen. Und sie haben oft wenig Verständnis für die universalen Gesetzmäßigkeiten der Logik und Mathematik,

die nicht nur von den Naturwissenschaftlern, sondern auch von ihnen vorausgesetzt werden müssen.

 

Wie aber verhält es sich mit den Gesetzen des Geistes? Zumindest in der Logik und Mathematik kennen wir Axiome, Prinzipien und Regeln, denen wir beim Denken und Schließen sowie beim agebraischen Rechnen und geometrischen Denken folgen müssen, um widerspruchsfrei und korrekt zu denken und zu schließen. Diese Axiome, Prinzipien und Regeln sind streng notwendig gültig und wir können uns gar nicht vorstellen, dass sie nur kontingent sind und auch anders sein könnten. Wir können uns gar kein widerspruchsfreies und kein korrektes Denken und Schließen ganz ohne sie vorstellen. Selbst alternative, drei- und mehrwertige Logiken müssen das Prinzip der Widerspruchsfreiheit voraus-setzen.

 

Gibt es solche Gesetze des Geistes aber auch in der Ethik und Moral, im staatlichen Recht und Völkerrecht? Hier im Bereich der praktischen Vernunft müssen wir uns gar nicht erst fragen, ob wir es und vorstellen können, dass es sie nicht gibt. Es scheint durchaus vorstellbar zu sein, dass es sie nicht gibt oder dass es sich nur um menschliche Fiktionen oder rationale Konstruktionen handelt. Aber wahrscheinlich ist es auch nicht. Anders als in der Logik und Mathematik können wir es uns nicht nur vorstellen, dass es sie nicht gäbe und dass die Meschen sie (noch) nicht kennen würden

und daher auch nicht nach ihnen entscheiden und handeln.

 

Wir wissen nämlich, dass es sehr viele Menschen gibt, die sie (noch) nicht kennen oder dass sie zumindest nicht nach ihnen entscheiden und handeln. Es könnte aber sein, dass es sie in einem gesonderten Reich des Geistes gibt, wo sie zuerst entdeckt werden müssen, wie das bei den Gesetzen der Logik und Mathematik, also bei ihren Axiomen, Prinzipien und Regeln auch erst einmal geschehen musste. Es ist also aufgrund unserer kognitiv endlichen und eingeschränkten menschlichen Vernunft, einer Vernunft endlicher intelligenter Lebewesen, immer noch fraglich,

ob die Gesetze der praktischen Vernunft auch etwas anders sein könnten.

 

Wir mögen nicht verstehen, dass, inwiefern und auf welche Weise die Denkgesetzte der Logik und Mathematik,

die Wertaxiome der Ethik und die Prinzipien der Moral, die praktischen Ideale und Prinzipien, Werte und Normen

des Rechtes und des Völkerrechtes anders lauten könnten, als sie bisher von den größten Philosophen wie Platon

und Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin, Kant und Hegel, Brentano und Frege u.a. eingesehen und verstanden wurden. Aber da die Geschichte ihrer Entdeckung und unseres Verstehen auch als Ideengeschichte ein Teilbereich der Weltgeschichte ist, gehört zumindest die Ideengeschichte selbst immer noch in das Reich der Kontingenz.

 

Das gilt auch für mich selbst und für einen jeden einzelnen Menschen und jede individuelle Person in dieser geschicht-lichen Welt und bisherigen Weltgeschichte. Denn dafür, dass es mich gibt, gibt es Ursachen und Gründe, die vor meiner Zeugung und Geburt liegen. Und so verhält es sich für alle einzelnen Menschen und individuellen Personen. Zwar hatte Descartes recht damit, dass ich aus der Tatsache, dass ich denke, intuitiv logisch gültig folgern kann, dass ich bin bzw. dass es mich gibt. Aber daraus, dass es mich gibt bzw. dass ich existiere, folgt mitnichten, dass ich notwendig bin oder notwendigerweise existiere. Es hätte auch anders kommen können, wenn sich meine Eltern nicht getroffen und kennen gelernt hätten, nicht geheiratet und eine Familie gegründet und mich gezeugt hätten. Denn dann wäre ich

jetzt nicht hier und es würde mich gar nicht geben.

 

Das Reich der Notwendigkeit

 

Das Reich der Kontingenz ist vielfältig und dort passt nur eine pluralistische Ontologie. Es gibt dort verschiedene Schichten und Geschichten, wie die Schicht der Natur und Naturgeschichte mit ihrer physikalischen, chemischen und biologischen Ebene, die Schicht der Kulturen und Kulturgeschichte mit ihren medizinischen, ökonomischen, politischen Ebenen, die Schicht der Personen und der Sozialgeschichte mit ihren sozialen, interpersonalen und  psychologischen Ebenen und die Schicht des Geistes und der Geistesgeschichte mit ihren logischen und mathematischen, ethischen

und moralischen, rechtlichen und völkerrechtlichen Ebenen.

 

Das Reich der Notwendigkeit (nicht der logischen und realen, sondern der reinen metaphysischen Notwendigkeit) hingegen ist einfältig und dort passt nur eine monistische Ontologie des absoluten Einen, das notwendig aus sich selbst und für sich selbst besteht, das keine Teile hat, sondern ein Kontinuum ist, das sich selbst gleicht und das völlig unveränderlich ist, das ewig und zeitlos besteht, das überall und allgegenwärtig besteht. Im Reich der Notwendigkeit gibt es nur das eine reine Sein, das an und für sich notwendig ist, und das anders als die vielen Seienden nicht hätte nicht sein können. Aber wie lässt sich diese eine reine Sein von einem bloßen Nichts unterscheiden?

 

Nach dem ontologischen Gottesbeweis gibt es das höchste und vollkommenste Wesen, über das hinaus kein Anderes gedacht werden kann, das noch vollkommener ist, notwendig. Denn was auch immer und wie auch immer wir uns ein vollkommenes Wesen vorstellen, können wir uns immer auch ein noch vollkommeneres Wesen vorstellen. Selbst wenn jemand einwenden würde, dass es ein solches vollkommenes Wesen aber doch nur in unserem Geist gibt, aber nicht in der Wirklichkeit, dann können wir uns ein noch vollkommeneres Wesen vorstellen, das nicht nur in unserem Geist existiert, sondern auch in der Wirklichkeit. Dieses noch vollkommenere Wesen, das nicht nur in unserem Geist existiert, sondern auch in der Wirklichkeit, wäre das vollkommenste Wesen, das wir uns überhaupt vorstellen können. Dieses vollkommenste Wesen würde dann jedoch notwendig existieren. Denn ohne Existenz in der Wirklichkeit wäre es womöglich nur eine menschliche Fiktion und daher gar nicht ganz so vollkommen wie ein ebensolch vollkommenes Wesen, das auch noch in der Wirklichkeit existiert.

 

Wenn wir uns jedoch das vollkommenste Wesen so vorstellen, dass es nicht nur in unserem Geist existiert, sondern

auch in der Wirklichkeit, dann existiert es zwar notwendig in unserem Geist, aber nicht notwendig in der Wirklichkeit, weil sowohl unser menschlicher Geist als auch alles wirklich Seiende in der Wirklichkeit kontingent ist und nicht not-wendig existiert. Das ontologische Argument führt daher anscheinend zu dem Widerspruch, dass wir uns zwar ein vollkommenes Wesen vorstellen können, das nicht nur in unserem menschlichen Geist, sondern auch in der Wirklichkeit existiert, aber dass es dann nicht notwendig existieren kann, weil die Inhalte unseres menschlichen Geistes und alles Seiende in der Wirklichkeit nur kontingenterweise, aber nicht notwendigerweise existiert. Es kann jedoch anscheinend nicht sein, dass es etwas absolut Notwendiges gibt, das in der kontingenten Wirklichkeit und in unserem kontingenten Geist existiert, weil es sonst notwendig und kontingent zugleich wäre, was offensichtlich ein Widerspruch ist.

 

Wir Menschen können als intelligente Lebewesen mit einem endlichen Verstand zwar bestimmte Denkinhalte denken, die notwendigerweise wahr sind. Dafür gibt es zumindest eine Fülle von Beispielen aus der Logik und Mathe-matik. Die aktuellen Denkakte als psychische Phänomene sind jedoch kontingenter Natur. Somit müsste es auch mög-lich sein, dass wir Menschen als intelligente Lebewesen mit einem endlichen Verstand uns ein vollkommenes Wesen vorstellen und denken können, das notwendigerweise existiert, obwohl die Denk- und Vorstellungsakte als psychische Phänomene selbst nicht notwendigerweise, sondern nur kontingenterweise existieren. Dennoch müsste das absolut vollkommene Wesen, über das hinaus kein noch vollkommeneres Wesen existiert, nicht nur als Denkakt und Vorstel-lungsakt in unserer Psyche vorkommen und als Denkinhalt und Vorstellungsinhalt in unserem Geist, sondern auch in der Wirklichkeit, dennoch notwendigerweise existieren, obwohl alles andere Seiende nur kontingenterweise existiert.

 

Das wirft dann jedoch immer noch die Frage auf, ob und wie das absolut vollkommene Wesen, über das hinaus kein noch vollkommeneres Wesen existiert, zwar notwendigerweise existiert, aber nicht eigentlich in der Wirklichkeit als

dem Reich der Kontingenz existieren kann, sondern in einem davon verschiedenen Reich der Notwendigkeit existieren muss. Wenn jedoch das absolut vollkommene Wesen, über das hinaus kein noch vollkommeneres Wesen existiert,

notwendigerweise existiert, dann muss es jedoch sowohl im Reich der Kontingenz als auch im Reich der Notwendigkeit existieren. Denn würde es nicht in beiden Reichen existieren, sondern nur in einem von beiden, nämlich im Reich der Notwendigkeit, aber nicht im Reich der Kontingenz, dann  könnte es nicht das absolut vollkommene Wesen sein, über das hinaus kein noch vollkommeneres Wesen existiert. Es ist also bei streng logischem Denken nicht möglich, alle Widersprüche und Aporien zu vermeiden.

 

Gott ist ein notwendiges Wesen

 

Dass es Gott gibt, ist offensichtlich keine kontingente Tatsache in der Welt, weil es sonst auch falsch sein könnte, dass

es Gott gibt. Wenn es Gott wie irgendeine beliebige Tatsache in der Welt genau so gut nicht geben könnte, dann wäre

es nicht mehr Gott, von dem wir sprechen würden. So befremdlich es Atheisten, Agnostikern und Skeptikern auch erscheinen mag, es muss Gott notwendigerweise geben, weil er sonst nicht Gott wäre. Daher zeugt auch die skeptische Frage danach, wie Gott als Ursprung der Welt selbst entstanden ist oder geschaffen wurde davon, (noch) keinen ange-messenen Begriff von Gott zu haben.

 

Wie kann es jedoch notwendig sein, dass es Gott gibt? Es handelt sich selbstverständlich nicht nur um eine logische Notwendigkeit, denn es ist keine bloße Tautologie wie x=x. Daher muss es sich um eine besondere metaphysische Notwendigkeit handeln, wie das ontologische Prinzip ex nihilo nihil fit.

 

Eine brilliante indische Meditationsmeisterin sagte einmal in einem ihrer Vorträge: Für die Weisen und Wissenden ist Gott evident. Aber um was für eine Art von Evidenz könnte es sich handeln? Gibt es etwa einen höheren und besonderen Bewusstseinszustand, eine Art von geistiger Erleuchtung, die das Dasein Gottes subjektiv evident macht? Aber das ist

ein indisches Denken, in dem es eine mystische Verschmelzung des höheren menschlichen Geistes (Atman) mit dem göttlichen Geist (Brahman) geben soll. Das ist ein subjektivistisches, mystisches und idealistisches Denken, das keinen Schluss auf ein Dasein Gottes vor, nach und unabhängig von eigenen Bewußtsein und Geist zulässt.

 

In der christlichen Theologie gibt es etwas Ähnliches nur im Selbstverständnis der katholischen Kommunion mit Hilfe der Eucharistie. Dazu muss man anscheinend an das katholische Dogma von der magischen und übernatürlichen Ver-wandlung der Hostie in den physischen Leib Christi glauben. Aber das scheint zumindest von außen betrachtet eine Art von weißer Magie zu sein und es könnte sich auch um eine psychologische Selbsttäuschung handeln. In der christlichen Mystik gab es Nicolaus Cusanus, der eine Abhandlung über die mystische Gottesschau, das mystische Sehen Gottes verfasst hat. Aber wiederum könnte es sich nur um eine menschliche Illusion handeln.

 

Die biblische Theologie hat dies immer ausgeschlossen, denn die biblischen Schriften handeln immer nur von Glauben an Gott und verwerfen die Idee einer geistigen Gottesschau. Zu sagen, dass Gott ein notwendiges Wesen ist, bedeutet in der biblischen Theologie zu sagen, dass Gott aus und für sich selbst besteht (Aseität) und dass er keine geschaffene Kreatur wie Himmel und Erde, wie Tag und Nacht, wie Licht und Finsternis, wie das ganze Universum und das Leben auf der Erde, wie die anorganischen Elemente und die organischen Pflanzen, wie die Tiere und die Menschen ist, dass er keinen Anfang in der Zeit hat, sondern von Ewigkeit zu Ewigkeit immer schon bestanden hat, dass er keine räumlichen Grenzen hat, sondern stets überall und an allen Orten präsent ist.

 

Ein solcher selbst ungeschaffener Schöpfergott muss wie schon die klassische christliche Theologie erkannt hatte, allmächtig, allwissend, in seinen Grundentscheidungen frei und außerordentlich erfinderisch und schöpferisch sein,

um seine großartige Schöpfung ganz aus der unendlichen Fülle seiner selbst oder aus einem zuvor ungeordneten Chaos hervorzubringen.

 

Dies gilt auch dann, wenn Gottes Schöpfung einige für Menschen und andere Kreaturen geährliche und schädliche Elemente enthält, wie die natürlichen Übel, nämlich wie Naturkatastrophen, den Kampf aller Kreaturen um die Lebens-erhaltung und ums nackte Überleben, das unausweichliche Leiden, das naturnotwendige Sterben und den unumkehr-baren Tod, die für unseren endlichen menschlichen Verstand herausfordernd und verstörend sein können. Das gilt sogar dann, wenn Menschen anders als die Pflanzen und Tiere von Gott auch die persönliche Wahlfreiheit zu guten

und bösen Entscheidungen, Verhaltensweise, Taten und Unterlassungen sowie zu Lebenszielen und zur Charakter-bildung bekommen haben.

 

Das ontologische Argument des christlichen Religionsphilosophen Anselm von Canterbury mit seiner Vorstellung

von einem absolut vollkommenen Wesen, das nicht nur in unserem Bewusstsein und Geist, sondern auch in der Wirklichkeit existiert, und notwendigerweise und nicht nur kontingenterweise existiert, führt anscheinend zu einem logischen Widerspruch oder aber zumindest zu einer Aporie. Denn wenn Gott nicht nur in unserem Bewusstsein

und Geist, wo wir uns den Begriff von einem solchen Wesen ausdenken können, sondern auch in der Wirklichkeit existieren soll, dann ist er zwar unserem Geist zufolge notwendig, aber in der Wirklichkeit kontingent. Aber, wenn er

in der Wirklichkeit nur kontingent wäre, dann wäre er einerseits notwendig und andererseits kontingent, was sich jedoch gegenseitig ausschließt.

 

Aber dieser Widerspruch könnte dadurch entstanden sein, dass der Begriff von einem vollkommenen Wesen nur ein abstrakter und unbestimmter Allgemeinbegriff ist. Um das ontologische Argument zu rehabilitieren, müssen wir uns Gott als ein einmaliges Individuum denken und vorstellen und nicht nur als ein höchstes und absolut vollkommenes Wesen, über das hinaus kein noch vollkommeneres Wesen gedacht oder vorgestellt werden kann. Wir müssen uns dazu in unseren Gedanken und Vorstellungen auf Gott selbst mit seinem Eigennamen beziehen (den er uns offenbart hat) und nicht nur vage und allgemein auf irgendein als vollkommen vorgestelltes Wesen, das nicht nur in unserem Geist, sondern auch in der Wirklichkeit existiert.

 

Wie aber können wir uns auf Gott als ein einmaliges Individuum beziehen und uns nicht nur irgendein höchstes und absolut vollkommenes Wesen denken und vorstellen, über das hinaus kein noch vollkommeneres Wesen gedacht oder vorgestellt werden kann. Wir können uns nur dadurch auf Gott als ein einmaliges Individuum beziehen, wenn wir ihn

als absolutes Du (Martin Buber) in der zweiten Person ansprechen und nicht nur an ihn in der dritten Person als ein höchstes und absolut vollkommenes Wesen denken und vorstellen.

 

Denn solange sich das ontologische Argument nur auf ein auch noch so vollkommen vorgestelltes Wesen in der

dritten Person bezieht, könnte es sich nur um ein Ding oder ein Etwas, aber nicht um eine Person oder ein Jemand handeln, mit dem wir kommunizieren und kooperieren können, den wir auch um etwas bitten und für etwas danken können. Bein einem so gedachten oder vorgestellten Ding oder Etwas könnte sich sich dann aber auch um einen

bloßen Fetisch, ein gedankliches Idol oder um eine bloß von Menschen gemachte Ikone handeln, das nur bestimmte, rationalistisch gesinnte Philosophen und Theologen etwas angeht.

 

Dieser elaborierte metaphysische Gottesgedanke beschäftigt und erhellt zwar ihren Geist beim Nachdenken über Gott, aber es kann ihren Geist auch im Nachdenken gefangen halten und nicht zum Handeln kommen lassen. Außer-dem kann dieser Gottesgedanke sie davon abhalten, zum personalen Du ihrer Mitmenschen oder zum absoluten Du Gottes zu gelangen. Auch die rituelle Hostie der römisch-katholischen Eucharistiefeier, die Ikonen der orthodoxen Riten und die sakralisierte Bibel im protestantischen Gottesdienst, das katholische Kruzifix und das christliche Kreuz können bei einer falschen Verabsolutierung zu Fetischen werden, wenn sie an die Stelle Gottes gesetzt werden.

 

Gott ist kein kontingentes Wesen

 

Zu sagen, dass Gott kein kontingentes Wesen ist und zwar weder im menschlichen Geist noch in der Wirklichkeit, heißt zu sagen, dass Gott ein notwendiges Wesen ist, das notwendigerweise existiert, sodass es schlechthin unmöglich ist, dass es Gott nicht gibt. Wer wie ein Atheist behauptet, dass es Gott nicht gibt, irrt sich dann und behauptet und glaubt dann etwas Falsches. Wir kommen also recht bedacht gar nicht umhin, an Gott zu glauben und zu sagen, dass es Gott gibt. Natürlich gibt es Menschen, die nicht an Gott glauben und niemand kann dazu gezwungen werden an Gott zu glauben. Denn zum Glauben muss man selbst finden und daher ist der Glaube wie die Liebe eine Sache der Freiheit

und wird durch innerlichen oder äußerlichen Zwang nur verdorben und zerstört.

 

Daher ist es aber auch kaum überzeugend, wie Karl Jaspers zu sagen, dass es genügt, dass Gott ist bzw. dass es Gott gibt. Denn dass es Gott gibt, ist keine kontingente Tatsache, die auch anders sein könnte, sondern eine notwendige Wahrheit. Denn wenn es nur eine kontingente und keine notwendige Wahrheit wäre, dann könnte es auch sein, dass

es Gott nicht gibt. Gott ist kein kontingentes Ding, kein kontingentes Ereignis, kein kontingenter Prozess in der Welt,

in der kontingenten Wirklichkeit oder kontingenten Weltgeschichte, die auch anders sein könnten. Gott ist vielmehr

die eine notwendige Wahrheit, die gar nicht anders sein kann, obwohl sie selbstverständlich von Atheisten, Skeptikern und Agnostikern irrtümlich anders vorgestellt und fälschlich anders gedacht werden kann.

 

Aber da der fromme Gedanke, dass es Gott wirklich gibt, sowie der Glaube an Gott rein theoretisch betrachtet, von Atheisten, Skeptikern und Agnostikern immer auch in Frage gestellt und bezweifelt werden kann, hängt die ganze Überzeugungskraft des ontologischen Argumentes und das philosophische Verständnis davon, dass Gott, wenn er

denn existiert, ein notwendiges und kein kontingentes Wesen ist und sein muss, vom Glauben an Gott als einem absoluten Du ab, zu dem jemand im Glauben gefunden hat.

 

Das ontologische Argument setzt insofern bereits den Glauben an Gott voraus und wird niemanden überzeugen können, der nicht bereits an Gott glaubt, sondern bezweifelt, dass es Gott wirklich gibt. Atheisten, Skeptiker und Agnostiker werden sich gewöhnlich von ihm kaum überzeugen lassen. Wir können jedoch auch nicht ausschließen,

dass Suchende, die bereits geneigt sind, an Gott zu glauben selbst durch das ontologische Argument überzeugt werden und zum Glauben kommen.