Johann Gottfried Herder (1744-1803)

 

Johann Gottfried Herder: Wunderkind, Forscher und Philosoph

 

Johann Gottfried Herder gehörte neben Goethe, Schiller und Wieland zum berühmten Vierergestirn der Weimarer Klassik, predigte als Superintendent in Weimar und leitete mit seinem umfangreichen Werk die Aufklärung des 19. Jahrhunderts ein. Der literarische Durchbruch gelang ihm bereits mit 22 Jahren.

 

Christian Linder |Deutschlandfunk | 25.08.2019

 

Was ist ein Leben? Ein Leben, befand Johann Gottfried Herder, sei ein Traum. Wie einen Traum wird Herder wohl auch seinen rasanten Aufstieg zum Wunderkind der deutschen Literatur erlebt haben. Sein erstes, 1766 veröffentlichtes Buch „Über die neuere deutsche Literatur“ war der Paukenschlag eines 22-Jährigen. Einen drei Jahre später herausgekomme-nen Essayband hatte in Frankfurt auch der 20-jährige Johann Wolfgang Goethe sofort gelesen – angezogen allein vom ungewöhnlichen, herausfordernden Titel: „Kritische Wälder“.
Treffen von Herder und Goethe in Straßburg
Als Goethe ein Jahr später, inzwischen Jura-Student in Straßburg, an einem Herbsttag 1770 Herder beim gemeinsamen Betreten des Gasthauses „Zum Geist“ zufällig über den Weg lief und mit ihm ins Gespräch kam, wusste er zunächst allerdings nicht, dass er den Autor der „Kritischen Wälder“ vor sich hatte.
„Er hatte etwas Weiches in seinem Betragen, das sehr schicklich und anständig war. Unter schwarzen Augenbrauen ein Paar kohlschwarze Augen, die ihre Wirkung nicht verfehlten, obgleich das eine rot und entzündet zu sein pflegte.“

Zur medizinischen Versorgung einer Tränenfistel war Herder nach Straßburg gekommen, und da sich die Behandlung länger hinzog, ergaben sich viele weitere Gespräche. In einer „Sturm-und Drang“-Haltung von der „Poesie als Mutter-sprache des menschlichen Geschlechts“ schwärmend, trieb Herder Goethe allerhand Flausen aus dem Kopf. In „Dichtung und Wahrheit“ hat dieser später bekannt, was er von Herder gelernt hatte:
Dass die Dichtkunst überhaupt eine Welt- und Völkergabe sei, nicht ein Privaterbteil einiger feiner gebildeter Männer.
Geboren und aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen
Auf die Idee vom Leben als Traum wird Herder vielleicht auch gekommen sein, als er – geboren am 25. August 1744 im ostpreußischen Mohrungen als Sohn eines evangelisch-lutherischen Küsters und Lehrers und aufgewachsen in ärm-lichen Verhältnissen – nach einem nur kurzen Besuch der Lateinschule sich 1762 in Königsberg als Theologiestudent wiederfand, der nebenbei in den Philosophie-Vorlesungen Immanuel Kants saß. Doch 1765 in Riga Lehrer und Pastor geworden, begann die Fronarbeit – unter dem Zwang eines Brotberufs hat Herder zeitlebens gelitten. Ein letzter Ausbruch, als er sich 1769 auf eine lange Schiffreise zum französischen Nantes machte.

Auf Meeren, indem man an Ländern und Weltteilen vorbeifliegt, … sieht man sie nicht. Sie sind nur fernher stehende Nebel. Wie unsere Schifffahrt geht, ist nur überall Meer.
Umfangreiches Gesamtwerk
Als Logbuch eines Seefahrers auf ununterbrochener Fahrt liest sich Herders umfangreiches Gesamtwerk, das er großen-teils in Weimar geschrieben hat, wo ihm Goethe 1776 das Amt eines Generalsuperintendenten verschafft hatte. Weimar gefiel ihm nicht sehr, dennoch blieb er die letzten 27 Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod 1803 dort und bildete, von heute aus gesehen, mit Goethe, Schiller und Wieland das Vierergestirn der Weimarer Klassik.
Eingespannt ins Berufsleben mit der Verpflichtung zu Predigten und der Verwaltung des Schulwesens, konnte er der inneren Traumstimme nur noch in seiner kargen Freizeit folgen, sammelte Volkslieder, veröffentlichte „Briefe zur Beförderung der Humanität“ und schrieb seine „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“:

Vom Himmel muss unsre Philosophie der Geschichte des menschlichen Geschlechts anfangen, wenn sie einigermaßen diesen Namen verdienen soll.

In einem breiten Erzählstrom verschmolz Herder seine Forschungen zu einem weit schweifenden Blick auf den ganzen Kosmos und leitete in seinem früh als „poetische Enzyklopädie“ erkannten Werk die Aufklärung des 19. Jahrhunderts ein. Da Herder viele Gedanken allerdings nur anreißen und als Fragmente aneinanderreihen konnte, war es mehr die mitreißende Schreib- und Lebensgeste, die spätere Generationen so anregte.
Am Ende hatte er selbst das Gefühl, zu keinem gültigen Ausdruck seiner Person gekommen zu sein. Aber wie zum eigenen Trost notierte er in seiner Anschauung über das Leben als Traum:

Wie Schatten auf den Wogen schweben und schwinden wir / und messen uns’re trägen Tritte nach Raum und Zeit /
und sind (und wissen’s nicht) in Mitte der Ewigkeit.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottfried_Herder

 


 

Johann Gottfried Herder

 

Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft

 

Herausgegeben: Bojda, Martin; Gutschmidt, Holger

 

Johann Gottfried Herder hat 1799, achtzehn Jahre nach dem Erscheinen der »Kritik der reinen Vernunft«, eine umfang-reiche und scharfe Kritik von Kants theoretischem Hauptwerk verfasst. Sie stellt zugleich eine reiche Stellungnahme zu seinem eigenen Denken dar und weist ihn als eigenständigen Metaphysiker und Erkenntnistheoretiker aus. Herder, der zeit seines Lebens Kant als Lehrer rühmte, stand dessen »kopernikanischer Wende« mit tiefer Skepsis gegenüber. Er sah im vorkritischen Kant den besseren Philosophen und lehnte Kants kritische Transzendentalphilosophie mit ihrer geltungstheoretischen Bevorzugung des Subjekts ab.

 

In vielem geht Herder aber über Kant hinaus und erscheint heute überraschend modern, so in der Verknüpfung von Erkenntnis- und Sprachtheorie, des geschichtlichen und inter-kulturellen Denkens mit metaphysischem, wertuniversa-listischem Denken und in der Kritik der mechanistischen Naturwissenschaft und subjektzentrischen Philosophie der Neuzeit. Wenige haben eine so entschlossene und scharfe Analyse von Kants Theoremen durchgeführt wie er.

 

Herders »Metakritik« erntete in ihrer Zeit nur wenig Aufmerksamkeit und eher verständnislose Kritik, für die Ausgestal-tung der Systeme des deutschen Idealismus und die Philosophiegeschichte des 19. wie 20. Jahrhunderts blieb sie weitgehend folgenlos. Mehr als andere bedeutende Denker der Geistesgeschichte leidet das Bild Herders bis heute unter zahlreichen Stereotypen. Sein Werk erfreut sich inzwischen aber einer zunehmenden Aufmerksamkeit. Er wird nicht mehr »nur« als Geschichts-, Sprach- oder Kulturphilosoph wahrgenommen, sondern auch als bedeutender Erkenntnistheoretiker und Metaphysiker.

 

Hamburg: Meiner 2022  (Philosophische Bibliothek 760), 338 Seiten, 68,00 €

 

https://www.buecher.de/shop/metaphysik/metakritik-zur-kritik-der-reinen-vernunft/herder-johann-gottfried/products_products/detail/prod_id/64125744/