Kirchenkrise (in der EKD)

 

 

 

Weder das Christentum im Allgemeinen noch der Protestantismus im Besonderen sind eine "Buchreligion".

 

Die evangelische Kirche ist nicht die "Kirche der Freiheit", sondern die Kirche Jesu Christi.

 

Die Kirche Jesu Christi ist keine rechtsförmige Institution, sondern die Gemeinschaft der Christus-Gläubigen.

 

Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen kommen, da bin ich mitten unter ihnen. Matthäus 18:20

 

Wenn ihr also mit dem Mund bekennt: »Jesus ist der Herr«, und im Herzen glaubt,

dass Gott ihn vom Tod auferweckt hat, werdet ihr gerettet.  Römer 10

 

 


 

Theologe Günter Thomas, „Das SPD-Problem“ der evangelischen Kirche

 

Die Leitung der evangelischen Kirche verliert den Kontakt zu den Gläubigen, befürchtet der Theologe Günter Thomas. Er vergleicht die Probleme der Kirche mit der Krise der Sozialdemokratie. Die Entscheidungsträger entfernten sich von den Alltagsfragen der Menschen, sagte Thomas in Dlf.

 

In den Kirchenleitungen dominiere eine „verzweifelte Hoffnung“. Mit dieser Haltung wolle man auch das öffentliche Bild der Kirche prägen, so der Professor für Systematische Theologie, Ethik und Fundamentaltheologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Als Beispiel dieser „Unheilshoffnung“ nannte er die Umwelt-problematik, wobei viele davon ausgingen, dass die Zeit nicht mehr ausreiche, um die Ziele zu erreichen. Auf der kirchlichen Gemeindeebene befassten sich die Menschen allerdings oft mit ganz anderen Fragen.

 

Thomas bezieht sich auf das Konzept der „Kirche als Moralagentur“, das durch den Theologen Johannes Fischer und den Sozialphilosophen Hans Joas geprägt worden sei. Die Kirche trete auf „als Akteur, der ganz bestimmte politische Ziele verfolgt“. Das sei jedoch „zweischneidig“, so Thomas: „Ein richtiges Problem wird gesehen, aber in der Lösung wird ein neues Problem erzeugt.“ Denn durch das kirchliche „Moralisieren“ werden Kompromisse erschwert oder unmöglich gemacht, fürchtet Thomas, da man „Werte nicht teilen“ könne. Kompromisse seien in der Politik jedoch wesentlich:
„Dann verschärft sich der Konflikt noch mehr, weil demjenigen, der die Werte vertritt, die man selber nicht vertritt, wird dann Missachtung der Menschenrechte und so weiter vorgeworfen. Werteorientierung hat den paradoxen Effekt, dass sie eine am gemeinsamen Gut orientierte Politik eher verunmöglicht als ermöglicht.“

„In einer falschen Gestalt politisch“

 

Dabei sei es nicht generell abzulehnen, dass die Kirche politische agiere, sagte Thomas. Aber: „Sie ist an einem falschen Punkt und in einer falschen Gestalt politisch.“ Die politischen Impulse und Richtungsentscheidungen sollten nicht von der Kirchenleitung vorgegeben werden, fordert er:
„Die politische Existenz der Kirche lebt wesentlich darin, dass Millionen Christen und Christinnen tagtäglich in ihren Verantwor-tungsräumen Verantwortung übernehmen und dieses Leben gestalten und versuchen, es zu verbessern. Zu meinen, dass die Institution erst die Kirche politisch macht, ist eine Fehloptimierung.“
Aus der politischen Aktivität der Kirche entstehe zudem ein weiteres Problem, so der Theologe. Es führe zu der Frage:
„Warum soll ich eigentlich noch in der Kirche sein, wenn es reicht, bei Amnesty International zu sein, mich in einer Partei zu engagieren und in der Nachbarschaftshilfe dabei zu sein?“
Diese Frage lasse sich nicht beantworten, indem man einer Marktlogik folge, sondern einer Logik des Neuen Testa-ments:
„Wir sollen in der Kirche sein, nicht weil wir das wollen und brauchen, sondern weil Gott es will, weil wir von Gott berufen sind.“
Dies gelte es „ohne Scham zu vertreten“. Die Folge:
„Dann müssen Sie auch riskieren, von Gott zu reden – und nicht nur von uns und unseren Händen.“

Günter Thomas im Gespräch mit Andreas Main | 15.03.2021

 

https://www.deutschlandfunk.de/theologe-guenter-thomas-das-spd-problem-der-evangelischen-100.html

 


 

Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2021

 

Projekt Weltverbesserung


Eine hellsichtige Analyse des gegenwärtigen Christentums

Das Christentum, besonders der Protestantismus, ist eine Buchreligion. Entsprechend besteht kein Mangel an Büchern zur Lage der Kirche. Der Bochumer Professor Günter Thomas hat nun eine Analyse des Gegenwartschristentums vor-gelegt, die aus dieser Masse durch Scharfsinn hervorsticht. Der Vorzug des Werks besteht darin, dass es nicht nur die Probleme der Organisation beschreibt. Thomas legt auch die theologischen Grundentscheidungen frei, die ihrem gegenwärtigen Handeln zugrunde liegen. Das Ergebnis ist eine flott geschriebene Abrechnung mit den bestimmenden Strömungen der neueren Theologie.

Die liberale Theologie im Gefolge Schleiermachers wird dabei ebenso ins Visier genommen wie diejenigen, die nach dem Krieg die dialektische Theologie Karl Barths fortschrieben, von Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann bis hin zum gegenwärtigen EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm. Die Grundthese des Autors besagt, dass die christliche Theo-logie schon seit der Antike gegen den falschen Gegner antritt, indem sie sich vorrangig mit der Philosophie misst. Nach Günter Thomas ist aber nicht der Logos, sondern der Mythos die eigentliche Herausforderung für das Christentum - und zwar besonders in der Moderne, die eine mythisch-mediale Erzählmaschine sondergleichen bilde. Abends bei Netflix seien die Leute bereit, im Modus des "als ob" Konstrukte zumindest für zwei oder drei Stunden als Realität zu akzeptie-ren, die nicht weniger ungewöhnlich sind als ein Glaube an die Menschwerdung Gottes.

Die Säkularisierung erscheint bei Thomas damit nicht als allmähliche Zersetzung von Metaphysik in Oberseminaren, sondern als Niederlage der Religion gegen die konkurrierenden Mythen der Gegenwart. Vor allem drei geistige Strö-mungen sieht Thomas als prägend: Den Vitalismus, also den Kult der Stärke und des Lebens, dessen kulturelle Leit-formation der Sport ist. Günter Thomas erkennt im Vitalismus der Moderne die Wiederkehr der nordischen Religionen. Die "Edda" sickert wieder ein - und macht dabei keineswegs vor der Kirchentür halt. Wenn christliche Verlagshäuser auf Slogans wie "Dem Leben trauen" setzen, hält Thomas das für einen Irrtum, dem durch einen Besuch in einer Kinder-klinik abzuhelfen sei.

Die zweite Strömung nennt Thomas "Neostoizismus". Es geht um den Versuch, inmitten einer unübersichtlichen Welt zumindest den eigenen Nahbereich unter Kontrolle zu bringen. Vor allem die Familie wird so zum Ort, an dem Liebe gelebt werden kann. Auch wenn die christliche Nächstenliebe dadurch verkürzt wird, verwandeln sich die Kirchen auch dieser Strömung bisweilen an.

 

Die evangelische Kirche ist besonders anfällig für den dritten Idealtyp, die "verzweifelte Hoffnung". Wer sieht, wie

eine Sea-Watch-Kapitänin zum Vorbild führender EKD-Geistlicher wurde, weiß sofort, wovon die Rede ist: dem Projekt Weltverbesserung unter der Fahne von "Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung".

 

Das Regenbogen-Denken hat zuletzt allerdings eine entscheidende Veränderung erfahren: Der utopische Optimismus der "Habermas-Jahrzehnte" hat sich verflüchtigt. Bei Bewegungen wie "Fridays for Future" geht es stattdessen um die Verhinderung einer Dystopie. Die untergründige Bitterkeit des Moralismus wird dadurch verstärkt. Aus Hoffnung wird verzweifelte Hoffnung.

Thomas beklagt, dass die Kirchen darüber das Eigene zunehmend aus dem Blick verloren hätten. "Wie ein unterirdi-scher Schwelbrand in Kohlenflözen" habe sich im westlichen Christentum die Auffassung durchgesetzt: "Was auch immer Gott ist, er ist kein lebendiger Akteur." Die Überzeugung, dass Gott in der Geschichte handelt, stehe jedoch im Zentrum des Christentums. Gott interagiert mit der Welt als Bewahrer, Versöhner und Erlöser. Er verharrt also weder in der Transzendenz, noch verliert er sich im Diesseits. Diese Irrlehren sieht Günter in der modernen Theologie jedoch zunehmend vertreten. In der Verkündigung der Kirchen werde systematisch der Unterschied verwischt zwischen Ver-söhnung, die durch Jesus Christus bereits erfolgt ist, und der noch ausstehenden Erlösung am Ende aller Tage. In der Konsequenz ist nicht mehr klar, was Auferstehung bedeutet. Sie wird verzwergt zu einer "Auferstehung ins Leben"

und einem Weiterleben in Gedanken der Angehörigen. Solchen Lehren hält Günter Thomas den Paulus-Vers "Wenn

die Toten nicht auferstehen, dann lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot" entgegen.

Eine weitere Folge besteht darin, dass ein grenzenloser Moralismus einzieht. Denn sobald man die "radikale Hoffnung" auf Erlösung fallenlässt, die selbst eine todkranke Kindesmutter trösten könnte, droht sich die Kirche schleichend in einen Akteur der "verzweifelten Hoffnung" zu verwandeln. Die Säulenheilige dieser Strömung ist Dorothee Sölle mit ihrem Credo "Christus hat keine anderen Hände als unsere Hände". In diesem Satz spiegelt sich die Hybris, das Leid der Welt mit Moral beseitigen zu wollen. Aber auch eine spirituelle Depression, von Gott nichts mehr

zu erhoffen. Dazu passt die Diagnose des Autors, dass die Theologie das Scheitern des Marxismus nicht ausreichend aufgearbeitet hat und der Sozialismus oft weiter als heimliches Leitbild dient. Ergebnis sei eine unausgesprochene Spaltung der Kirche in "radikal-moralische Salonsozialisten" und "Täter" mit schlechten Gewissen und zugleich hohen Einkommen, die den ganzen Laden finanzieren. Das werde nicht mehr lange gutgehen, meint Thomas.

Der Autor rät der Kirche zudem dringend davon ab, den eingeschlagenen Kurs der Spezialisierung weiterzuverfolgen und Glaube, Liebe, Hoffnung wie Unternehmenssparten zu behandeln, die man auch eigenständig an der Börse plazieren könnte. Statt sich weiter in Spezialgemeinden aufzusplitten, plädiert Thomas dafür, Kirchengemeinden konsequent an der "Einheit von Glaube, Liebe und Hoffnung" auszurichten. Eine Gemeinde müsse alle Grunderfah-rungen christlicher Existenz ermöglichen. Thomas vertritt damit ein Gemeindebild, das viel stärker den Ideen des amerikanischen Megachurch-Planers Rick Warren gleicht als den Zukunftskonzepten, die in deutschen Kirchenämtern verfolgt werden.

Und statt die Gerichtsvollzieher, Landwirte und Pharmavertreter in den eigenen Reihen "antikapitalistisch oder öko-theologisch anzunörgeln" müsse die Kirche würdigen, dass auch diese Berufsgruppen als "Weltenbauer" zum Fort-bestand der Gesellschaft beitragen und damit ebenso ein Werk Gottes tun wie Sozialpädagogen und Entwicklungs-helfer. Die konsequente Orientierung der Kirche an den Laien bedeutet für Thomas mitnichten einen Verzicht auf gehaltvolle Theologie - im Gegenteil. Er gibt zu, dass er selbst lange daran geglaubt habe, dass Glaubensinhalte heut-zutage erst einmal "übersetzt" werden müssten. Inzwischen hält er das für einen großen Irrtum, denn das Ergebnis solcher "Übersetzungen" sei allzu häufig "Theologie der Krabbelgottesdienste". Thomas ist deshalb auch davon überzeugt, dass es im Religionsunterricht viel stärker darum gehen müsste, das "Weltabenteuer Gottes" als "Denk-abenteuer" darzulegen.

Als Hoffnungszeichen wertet Thomas das anhaltend hohe Interesse an Kirchenmusik. Beim Hören der Matthäus-passion seien die Menschen zumindest für eine Weile bereit, ihre Zweifel zu dispensieren, so wie sie sich beim Gospel-singen plötzlich darauf einlassen, "auf Zeit" starke Gewissheiten zu kommunizieren. Solche Erprobungsräume sind für den Systematischen Theologen aus Bochum auch deshalb so wichtig, weil er die Bindung des Christseins an einen vermeint-lich festen "Glauben" für verfehlt hält. Denn am Weltabenteuer Gottes nimmt man nicht nur im Modus des "Glaubens" teil, sondern auch als Liebender, Klagender oder Hoffender. Deshalb ist es auch möglich, sich über "Als ob"-Erfahrungen auch an das Christentum allmählich heranzutasten.

Diese Offenheit für Ambivalenzen und der Verzicht auf das Pathos der "Entscheidung" könnten zu dem Schluss führen, dass es sich beim Autor um einen liberalen Theologen handelt. Dieser Eindruck täuscht, denn Günter Thomas setzt dezidiert nicht beim religiösen Bewusstsein an. Auch das Ausmisten des Traditionsbestandes ist nicht sein Projekt. An einer Stelle schreibt Thomas, so wie er hätten vermutlich "die allermeisten Christen der allermeisten Zeiten" gedacht. Handelt es sich also um eine Art "Neoorthodoxie"? Nicht ganz zufällig wird mit diesem Begriff im englischsprachigen Raum auch die Schule Karl Barths bezeichnet. Zwar geht Thomas mit keiner anderen Strömung so ins Gericht wie mit der links-barthianischen Schule und ihren kirchlichen Protagonisten. Doch wirft man einen Blick in andere Bücher des Bochumer Theologen, in denen er nicht populärwissenschaftlich schreibt, sondern mit Fußnoten und Literaturverzeich-nis, führen etliche Spuren zurück in die barthianische Tradition. Günter Thomas frischt dieses Erbe nun sprachlich und gedanklich auf.

Die Frage ist natürlich, ob er dadurch das inhärente Problem dieses Ansatzes loswird. Kant und Habermas mögen bei Netflix zwar nicht explizit vorkommen. Aber Skepsis, Rationalismus und historische Kritik sind dennoch Teil der Gegenwartskultur. Die Herausforderung, das moderne Wahrheitsbewusstsein mit der christlichen Lehre in Überein-stimmung zu bringen, herrscht eben nicht nur im Oberseminar. Diese Einsicht war stets Ausgangspunkt liberaler Theologie. Ihr Bemühen, das Christentum mit dem Logos der Moderne zu versöhnen, hat zwar nicht zum erhofften Erfolg geführt. Aber es ist längst nicht ausgemacht, dass man dem Problem entwischt, indem man sich stattdessen mit den Mythen der Moderne beschäftigt. Es gibt daher keine Garantie, dass die Kirchen ihre Krise mit den Rezepten aus Bochum lösen können. Die Analyse von Günter Thomas gehört aber dennoch auf die Nachttische derer, denen eine Zukunft des Christentums in der Mitte der Gesellschaft wichtig ist.

REINHARD BINGENER

Günter Thomas: "Im Weltabenteuer Gottes leben". Impulse zur Verantwortung für die Kirche.
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 368 S., 16,- Euro.

 


 

Die Kirchen machen sich selbst überflüssig

 

Zwischen Missbrauchs- und Vertrauenskrise, Klimapolitik und Genderpropaganda kam den grossen Kirchen der Glaube abhanden. So arbeiten sie an der eigenen Abschaffung.

 

Alexander Kissler, Berlin, NZZ vom 21.12.2022

 

Weihnachten, das beliebteste Fest der Christenheit, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen: Die grossen steuer-finanzierten Kirchen befinden sich in einem beklagenswerten Zustand.

 

Die einzige Ökumene, die verlässlich funktioniert, ist die Geschwisterlichkeit der Austritte und die Brüderlichkeit der Irrelevanz. Die Marginalisierung durch Selbstsäkularisierung schreitet voran. Wollte man nach Unterschieden beim Spitzenpersonal suchen, bliebe bestenfalls die Wahl zwischen Hypermoral in protestantischen und Unmoral in ka-tholischen Kreisen.

 

So hart das Urteil klingen mag, so sehr bestätigen es die bestallten Vertreter der Kirchen. Die Krise der Katholiken verdichtet sich in den Namen Bätzing und Bode. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz und sein Stellvertreter, Oberhirten im hessischen Limburg und im niedersächsischen Osnabrück, machen im Schnittpunkt mannigfacher Fehlentwicklungen eine derart unglückliche Figur, als wären sie entschlossen, ihre Kirche besenrein zu hinterlassen.

Eine öffentlichkeitswirksame Geste

 

Von Franz-Josef Bode stammt ein Satz, der in die Annalen der Dekadenz eingehen könnte. Befragt, warum er trotz gut dokumentiertem Fehlverhalten beim Umgang mit zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs nicht zurücktrete, sagte Bode: Ihm seien zwar moralische, aber keine juristischen Verfehlungen vorzuwerfen.

 

Nimmt man Bode ernst, gehört Moral zu den minder wichtigen Gütern in der gegenwärtigen katholischen Kirche.

Darin bestätigen ihn seine bischöflichen Mitbrüder, die bloss nicht moralisieren, sondern «gemeinsam Perspektiven entwickeln» wollen – so formuliert es der Essener Diözesanverantwortliche Franz-Josef Overbeck. Im Zuge dieser Neujustierung forderte Overbeck jüngst einen eigenen Rechtsstatus für Tiere und Pflanzen.

 

Bei Bode kommt hinzu: Er war es, der sich 2010 öffentlichkeitswirksam auf den Boden des Doms legte und die Be-troffenen des Missbrauchs um Vergebung bat. Trocken ergänzt der Zwischenbericht der Universität Osnabrück zu «Pflichtverletzungen der Bistumsleitung»: Bodes «herausragende Geste» sei mit dem Versprechen einhergegangen,

die Hilfen für die Opfer auszuschöpfen; dies «wurde in der Verwaltungspraxis seines Bistums gegenüber den Be-troffenen jedoch nicht umgesetzt».

 

Auf nationalem Sonderkurs

 

Bode hat laut dem Zwischenbericht «in den ersten Jahrzehnten seiner Amtszeit mehrfach Beschuldigte, auch solche,

an deren Gefährlichkeit kaum Zweifel bestehen konnte, in ihren Ämtern belassen oder in Ämter eingesetzt, die weitere Tatgelegenheiten ermöglichten». Dennoch ist ein Rücktritt für Bode keine christliche Option. Er deutet das persönliche Versagen als Ausdruck einer systemischen Schieflage und will sich, statt persönlich Verantwortung zu übernehmen, für die Weihe verheirateter Männer zu Priestern einsetzen und für einen neuen Blick auf das «Positive, Gute und Richtige» an homosexuellen Partnerschaften.

 

In seiner Intransigenz übertrifft Bode den heftig kritisierten Kölner Kardinal Woelki, der dem Papst immerhin seine Demission anbot. Während der DBK-Vorsitzende Bätzing im Fall des theologisch eher konservativen Woelki vehement auf dessen Rückzug drängt, waltet beim progressiven Bode grösste Rücksichtnahme. Schliesslich wollen beide, Bätzing wie Bode, auf dem nationalkirchlichen Sonderkurs vorankommen, wie ihn der «Synodale Weg» für Deutschland zementieren soll.

 

Leere Kirchen, schwindende Mitgliederzahlen

 

Bei Katholiken und Protestanten verlassen nicht nur die Getauften ihre Kirche in Scharen. Die Verbliebenen nehmen auch Reissaus vor den Gottesdiensten. Selbst Anna-Nicole Heinrich, die 26-jährige Präses der Evangelischen Kirche, bekannte nun, dass der Sonntagsgottesdienst in der Ortsgemeinde «nicht zu ihren Ritualen» gehöre. Fest ritualisiert sind hingegen die Taufen der mittlerweile drei von der EKD ins Mittelmeer entsandten «Seenotrettungsschiffe» des Bündnisses United4Rescue, bei denen die Fahne der Antifa zuverlässig flattert.

 

Die Transformation zur hypermoralischen Gender- und Klimakirche ist bei den deutschen Protestanten weitgehend abgeschlossen. Auf der jüngsten Synode bekam eine Vertreterin der klimaextremistischen Letzten Generation den grössten Applaus. Am Klima-Aktionstag von «Fridays for Future» hat sich die EKD beteiligt. Mit einem katholischen Contra ist nicht zu rechnen: Bischof Bätzing lobte die Letzte Generation, verglich sie gar mit den Urchristen. Der Jesuit Jörg Alt schloss sich dem Klebeprotest an.

 

Weihnachten ist nicht in erster Linie ein Familienfest, sondern ein Fest des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung.

Die steuerfinanzierten Grosskirchen verbreiten derzeit keine Hoffnung. Ihnen kam der Glaube abhanden.

 

Weihnachten: Wie sich die Kirchen selbst überflüssig machen (nzz.ch)

 


 

Günter Thomas

 

Im Weltabenteuer Gottes leben. Impulse zur Verantwortung für die Kirche

 

Dieses Buch möchte ermutigen, indem es theologisch provoziert. Geschrieben wurde es für alle, die Verantwortung für ihre Kirche übernehmen wollen. Es wendet sich also an alle Getauften. In den gegenwärtigen Krisen der Kirche plädiert es für einen hoffnungsvollen Realismus.Die einzelnen Impulse des pointiert argumentierenden Bochumer Systemati-kers Günter Thomas fügen sich wie Puzzlestücke zu einem Bild: Gottes Lebendigkeit ernst nehmen; sich als Glaubende im Weltabenteuer Gottes entdecken; kühn anerkennen, in einer noch unerlösten Welt zu leben; und vor allem als Kirche mit Verwegenheit Glaube, Liebe und Hoffnung bezeugen. Denn darum geht es Gott bei seinem Weltabenteuer. Nur wenn Christen ihren speziellen Ort im Drama Gottes besetzen, kann sich eine doppelte Befreiung ereignen: die Be-freiung von manischer Selbstüberschätzung ihrer öffentlichen Relevanz und die Befreiung von einer lähmenden Er-schöpfungsdepression, die sich angesichts düsterer Zukunftsprognosen schleichend verbreitet.

 

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 3. Aufl., 2021

 





 

DAS WORT & DAS FLEISCH | 19 Die anglikanische Kirche

 

Keine europäische Kirche wird im Moment so gegensätzlich wahrgenommen wie die anglikanische Kirche, die Church of England. Für die einen ist sie ein Vorbild: Angesichts der rasanten Säkularisierung in England und dem Verlust von Geld und Einfluss haben die Anglikaner ganz auf Mission gesetzt.

 

Entstanden sind z.B. erfolgreiche Glaubenskurse wie der Alpha Kurs, der heute weltweit praktiziert wird. Das gleiche gilt für die Bewegung „Fresh Expressions of Church“. Neben den klassischen Ortskirchen wurden in England neue Gestalten von Kirche gefördert: spirituelle, kreative oder sozialdiakonische Initiativen, die Zehntausenden einen neuen Zugang zum Glauben ermöglichten.

 

Andere ziehen eine kritische Bilanz. Mit ihrer starken Betonung von Mission sei die anglikanische Kirche heute für die meisten Briten viel zu konservativ beziehungsweise zu evangelikal. So hat sie in der Bevölkerung mehr Zustimmung verloren als die meisten anderen ehemaligen Staatskirchen. Was ist die Anglikanische Kirche heute: Vorbild oder Ab-schreckung?