Logik

 

 

 

 

MC Escher, Three Spheres
MC Escher, Three Spheres

 

 

 

Daß die Logik diesen sicheren Gang (einer Wissenschaft; U.D.) schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Weg-schaffung einiger entbehrlicher Subtilitäten, oder deutlichere Bestimmung des Vorgetragenen als Verbesserungen anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschaft gehört. Merkwürdig ist noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint. ... Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen läßt; die Grenze der Logik aber ist dadurch ganz genau bestimmt, daß sie eine Wissenschaft ist, welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens ... ausführlich darlegt und strenge beweist.

 

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede, B VIII - IX

 


 

Die Logik ist eine Vernunftwissenschaft nicht der bloßen Form, sondern der Materie nach; eine Wissenschaft a priori von den notwendigen Gesetzen des Denkens, aber nicht in Ansehung besonderer Gegenstände, sondern aller Gegenstände überhaupt; also eine Wissenschaft des richtigen Verstandes- und Vernunftgebrauchs überhaupt, aber nicht subjektiv, d.h. nicht nach empirischen (psychologischen) Prinzipien, wie der Verstand denkt, sondern objektiv, d.i. nach Prinzipien

a priori, wie er denken soll.

 

Immanuel Kant, Logik. Handbuch zu den Vorlesungen, Einleitung

 

Einige Logiker setzen zwar in der Logik psychologische Prinzipien voraus. Dergleichen Prinzipien aber in die Logik zu bringen, ist ebenso ungereimt, als Moral vom Leben herzunehmen. Nähmen wir die Prinzipien aus der Psychologie,

d.h. aus den Beobachtungen über unsern Verstand, so würden wir bloß sehen, wie das Denken vor sich geht und wie

es ist unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Bedingungen; diese würde also zur Erkenntnis bloß zufälliger Gesetze führen. In der Logik ist aber die Frage nicht nach zufälligen, sondern nach notwendigen Regeln; nicht wie wir denken, sondern wie wir denken sollen.

 

Immanuel Kant, Logik. Handbuch zu den Vorlesungen

 


 

Nach meiner Meinung ist es bedauerlich, daß in den vergangenen 160 Jahren die Philosophie beinahe zu einer genauso technischen Disziplin wie die Mathematik geworden ist. Logik, das muss man zugeben, ist im selben Sinne technisch wie die Mathematik, aber Logik ist, so möchte ich behaupten, kein Teil der Philosophie.

 

Bertrand Russell, Human Knowlegde. Its Scope and its Limits

 

 

Das Wesen des Denkens und Wissens wird gemeinhin zu eng genommen im Sinne eines mechanistisch denkenden,

im Unterscheiden, Definieren und Ordnen sich erschöpfenden Verstandes.

 

Karl Jaspers, Vernunft und Existenz  

 

 

Der Satz vom Widerspruch bedeutet, daß ein Satz und seine Negation nicht zusammen wahr sein können. Der Sinn dieses logischen Prinzips wird verfälscht, wenn man es als die These interpretiert, daß Menschen einander wider-sprechende Sätze nicht gleichzeitig für wahr halten können. Dies dürfte erstens faktisch nicht zutreffen, und wäre, auch wenn es zuträfe, ein Satz von höchstens empirischer Allgemeinheit. Nicht die zeitlich ablaufenden Vorstellungskomplexe und Denkprozesse, sondern ihre zeitlosen Inhalte und Gegenstände sind nach Husserl der Bereich der Logik.

 

Günther Patzig

 

 


 

 

Was ist Logik? Zur Philosophie der Logik

 

 

Die Logik ist diejenige Disziplin, in der die Gültigkeit des menschlichen Denkens und Schließens untersucht wird, insofern es sich nicht auf die Übereinstimmung mit externen Sachverhalten in der Welt bezieht, wie in der Sprachphilosophie oder philosophischen Semantik, wo es auch darum geht, wie Menschen sich mit Hilfe von sprachlichen Begriffen und Urteilen auf externe Situationen in der Welt beziehen, sondern nur im Hinblick auf seine interne Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit untersucht wird. Deswegen geht es in der Logik primär um das Nachdenken über die jeweiligen Gründe der Gültigkeit des Denkens und Schließens und nicht - wie in der Psychologie des logischen Denkens und Schließens - um die jeweiligen psychologischen Ursachen und kognitiven Kompetenzen,

wie z.B. um den Grad der jeweiligen Konzentrationsfähigkeit, psychische Einstellung, Kenntnis der logischen Begriffe und Regeln, logisches Unterscheidungsvermögen, etc.

 

Seit der Antike wurden bei den philosophischen Untersuchungen über die Gründe des korrekten logischen Denkens und Schließens rhetorische Fehlschlüsse von logischen Fehlschlüssen unterschieden. Rhetorische Fehlschlüsse wie

z.B. Argumente, die anstelle von sachlichen Gründen für bestimmte Wahrheitsansprüche an Autorität, Macht, Mitleid, Popularität, etc. appellieren, um auf diese Weise Zustimmung zu erheischen, wurden gesammelt, gekennzeichnet, klassifiziert und dadurch erkennbar gemacht. Dies war ein wichtiger Anfang der philosophischen Kritik der Sophistik und ihrer rhetorischen Manipulationskunst, die bis heute vor allem in der Öffentlichkeit von Gerichten, Parlamenten, Medien und Wahlkämpfen eine große Rolle spielen. Leider sind auch Universitäten und Akademien, die als wissen-schaftliche Institutionen eigentlich der vorurteilslosen Forschung und der freien Wahrheitsfindung verpflichtet sind, nicht frei von rhetorischen Manipulationen, sobald es um Geld, Ruhm, Macht und die Vergabe von akademischen Positionen geht.

 

Formale Fehlschlüsse haben zwar auch psychologische Ursachen und Wirkungen (wie die rhetorischen Fehlschlüsse), aber in der Logik geht es nicht um deren psychologische Erforschung, sondern um die jeweiligen Gründe dafür, warum bestimmte Schlüsse und bestimmte Formen des Schließens korrekt sind und andere eben nicht. Logiker konzentrieren sich deshalb in ihren Untersuchungen des logischen Denkens und Schließens auf die aufweisbaren und nachweisbaren Gründe dafür, welche wiederholbaren Formen sprachlich formulierte Gedanken und Schlüsse korrekt sein lassen und welche eben nicht. Aristoteles hatte als eigentlicher Begründer der Logik als einer eigenständigen Forschungsdisziplin (zumindest in der europäischen Tradition) die folgenreiche Entdeckung gemacht, dass es bestimmte wiederholbare und austauschbare Denkformen gibt, die das sprachliche Denken und Schließen korrekt oder inkorrekt sein lassen.

 

Aristoteles nannte diese Formen des Denkens und Schließens "Syllogismen" und seine Entdeckung dieser Formen des Denkens und Schließens war die eigentliche Geburtsstunde der formalen Logik. Da Aristoteles jedoch nicht nur die Syllogismen als Formen des korrekten Schließens untersucht und klassifiziert hatte, sondern auch die Rolle der in ihnen enthaltenen Begriffe und sprachlichen Ausdrücke, führte die Logik von Anfang an auch zu einer Erforschung der verschiedenen Arten von Begriffen. So war es auch noch in der Logik der Neuzeit bei Leibniz und Port Royal, Wolff und Kant, Husserl und Pfänder, Frege und Russell.

 

Philosophie der Logik ohne Psychologismus und Lingualismus

 

Edmund Husserl hat in seinen Logischen Untersuchungen als einem der wichtigsten Beiträge zur Philosophie der Logik und Mathematik im 20. Jahrhundert daran erinnert, dass sich weder die Logik noch die Mathematik auf eine psycho-logische Art und Weise begründen lassen, indem man das menschliche Vermögen des Denkens und Schließens empirisch untersucht. Damit hatte sich Husserl gegen den im 19. Jahrhundert vorherrschenden Trend im erkenntnis-theoretischen Empirismus gewandt, demzufolge J.St.Mill, Sigwart, Wundt und Lipps die Logik im faktischen Denk-vermögen der Menschen zu fundieren zu versuchten. Dabei hatte man jedoch nicht hinreichend zwischen den Regeln und Prinzipien der Logik und Mathematik als Formen des Denkens und Schließens einerseits und den kognitiven Vermögen der Menschen zu bestimmten psychischen Akten des Denkens, Urteilens und Schließens andererseits unterschieden. Vielmehr versuchte man diese Regeln und Prinzipien selbst auf psychische Tatsachen zurückzuführen.

 

Husserl bezeichnete diesen Fehler in der Philosophie der Logik und Mathematik als Psychologismus und erklärte auch, warum es sich dabei um einen Kategorienfehler handelt, wenn man die Regeln und Prinzipien des Logischen und Mathematischen empirisch und induktiv als bloß psychologische Denkgewohnheiten oder natürliche Denkgesetze - in Analogie zu Naturgesetzen - aufzufassen versucht. Einen ähnlichen Kategorienfehler begehen gegenwärtig erneut manche Neurowissenschaftler, die meinen, man könnte die Regeln und Prinzipien der Logik und Mathematik mit irgendwelchen neurowissenschaftlichen Vorgängen im menschlichen Gehirn und Nervensystem identifizieren und sie dort sogar mit bildgebenden Verfahren lokalisieren. Das ist jedoch ein offensichtlicher Denkfehler, der demjenigen gleicht, den jemand begeht, der meint, man könne die Regeln des Schachspieles durch eine chemische oder physika-lische Analyse des Schachbrettes oder der Schachfiguren verstehen und erklären.

 

Aufgrund des Scheiterns des Psychologismus in der Logik und Mathematik, die abstrakten Regeln und Prinzipien der Logik und Mathematik als psychologische Entitäten aufzufassen, haben andere Philosophen dann im Anschluss an Wittgensteins sprachphilosophischem Konventionalismus und Nominalismus versucht, solche und andere abstrakte Entitäten, die wir mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken und Sätzen in bestimmten psychischen Urteilsakten intuitiv erfassen, auf diese sprachlichen Zeichen (Buchstaben, Ausdrücke, Sätze, Texte, etc.) selbst zurückzuführen oder gar mit ihnen zu identifizieren. Damit verfällt man jedoch nur dem weiteren Kategorienfehler des Lingualismus, der den psychischen Akt des intuitiv und empathisch verstehenden Erfassens von semantischem Sinn und Bedeutung in der Kommunikation mit der Wahrnehmung von gewissen Zeichen und Zeichenfolgen als materiellen Objekten auf be-stimmten materiellen Trägern verwechselt. Diesen Kategorienfehler hat nach Wittgenstein auch Willard V.O.Quine begangen, der als Anhänger des psychologischen Behaviorismus von B.F.Skinner und J.B.Watson meinte, man könnte beim Verstehen und Erklären der sprachlichen Kommunikation des Menschen sowohl auf die theoretische Annahme von abstrakten Entitäten, wie z.B. von sprachlichen Bedeutungen und Propositionen als Wahrheitsträgern, (zumindet als nützlichen Fiktionen) verzichten, als auch auf die psychologische Zuschreibung von intentionalen Einstellungen, menta-len Prozessen und kognitiven Akten, die man durch die bloße Zuschreibung von beobachtbaren Verhaltensweisen und vermuteten Verhaltensdispositionen zu ersetzen versuchte.

 

Die zeitgenössische Psychologie hat jedoch sowohl den Psychologismus der Logik und Mathematik als auch den methodischen Behaviorismus weitgehend hinter sich gelassen und sich schon seit einiger Zeit der Gestalt- und Kognitionspsychologie zugewandt. Heute verbindet sie diese Denkansätze und Theorien sowohl mit den empirischen Sprachwissenschaften (Psycholinguistik) als auch mit der Entwicklungspsychologie und der evolutionären Anthro-pologie. W.V.O.Quine hat gegen Ende seines Lebens die behavioristischen Annahmen seiner früheren Hauptwerke (Word and Object, From a Logical Point of View, Methods of Logic, Ontological Relativity, The Roots of Reference, Theories and Things, etc.) jedoch selbst aufgegeben, wie einige Essays in den von Dagfinn Follesdal herausgegebenen Bänden (Quine in Dialogue, Confessions of a Confirmed Extensionalist) belegen. Quine hatte sich in den letzten Lebensjahren den neueren Auffassungen der zeitgenössischen Kognitionspsychologen und Psycholinguisten angeschlossen und seinen früheren methodischen Behaviorismus zugunsten der "mentalistischen" Gestalt- und Kognitionspsychologie aufgegeben. Allerdings scheint er sich dabei nur an die neueren Entwicklungen in der Psychologie angepasst zu haben und wurde nicht wirklich durch philosophische Einsichten motiviert. Ein solches Verhalten ist jedoch nicht untypisch für einen Szientisten, der die Autorität der modernen Naturwissenschaften über die eigene philosophische Reflexion stellt, anstatt die Praktiken, Methoden und Theorien der Naturwissenschafte selbst philosophisch zu reflektieren.

 

Wenn philosophische Logiker die formalen Regeln und Prinzipien des korrekten Denkens und Schließens erforschen, setzen sie immer schon voraus, dass die meisten Menschen (die über eine hinreichend Intelligenz verfügen) solche Regeln und Prinzipien in bestimmten kognitiven Akten (Verstehen, Erfassen, Überlegen, Bejahen, Verneinen, Zweifeln, Denken, Schließen, etc.) erfassen können. Insofern machen philosophischen Logiker immer schon bestimmte psycho-logische Voraussetzungen über menschliche Kognitionsleistungen, die dann auch bestimmte anthropologische und ontologische Voraussetzungen enthalten. Dabei schließen sie jedoch nicht aus, dass diese menschlichen Kognitions-leistungen, wie z.B. des logischen Denkens und Schließens, auch von Kognitionspsychologen empirisch untersucht werden können, wie z.B. die Fähigkeit zum korrekten logischen Denken und Schließen unter bestimmten mehr oder weniger günstigen psycho-sozialen Randbedingungen von Stress oder Angst, Alkoholkonsum oder Schlafentzug.

 

Sicherlich kann man das logische Denken und Schließen auch als psychische Akte oder Prozesse bestimmter Menschen und -gruppen empirisch erforschen, aber deswegen sind die logischen Regeln und Prinzipien als abstrakte Entitäten weder selbst psychische Akte oder Prozesse noch sind sie selbst Objekte empirischer Forschung. Es gibt die empirisch psychologische Erforschung von apriorischen Wissen und Erkennen, so wie es die empirisch psychologische Erforschung von empirischem Wissen und Erkennen gibt. Und es gibt apriorisch philosophische Erforschung von menschlichen Wissen und Erkennen, d.h. sowohl von empirischen als auch von apriorischem Wissen und Erkennen. Aber empirische Psychologen, die konkretes logisches Denken und Schließen empirisch untersuchen, müssen selbst immer schon die logischen Begriffe, Regeln und Prinzipien voraussetzen. In diesem Sinne sind diese logischen Begriffe, Regeln und Prinzipien apriorische Voraussetzungen ihrer empirischen Forschungen.

 

Die Methoden, deren sich Philosophen in ihren apriorischen Untersuchungen bedienen, sind jedoch vielfältiger Natur, teilweise phänomenologisch, teilweise sprachanalytisch, teilweise transzendentalphilosophisch, teilweise reflexions-philosophisch, teilweise ontologisch und teilweise metaphysisch. Aber sie setzen stets selbst wiederum - wie jede andere Einzelwissenschaft auch und ebenso wie alle materialen und empirischen Wissenschaften - die Geltung bestimmter logischer und mathematischer Begriffe und Funktionen, Regeln und Prinzipien voraus. Dies ist insofern philosophisch bedeutsam, weil es zu einer berechtigten philosophischen Kritik des Empirismus und Skeptizismus, des Materialismus und Naturalismus sowie des Positivismus und Szientismus führt. Diese philosophischen Positionen und verbreiteten Weltanschauungen neigen nämlich alle dazu, die von Platon und Aristoteles entdeckten, aber von ihnen selbst noch nicht ganz verstandenen Abstrakta der Logik und Mathematik auf konkrete physische Entitäten in der raum-zeitlichen Lebenswelt (wie z.B. bestimmte Zeichenfolgen in einer bestimmten Sprache) oder aber auf psychische bzw. kognitive Phänomene von sprachbegabten Menschen (wie z.B. Begriffe) zu reduzieren.

 

Philosophie der Logik und die Ontologie abstrakter Entitäten

 

Husserl hatte mit der Psychologismuskritik seiner Logischen Untersuchungen die Kategorienfehler des empiristischen Psychologismus und reduktionistischen Naturalismus in der Logik und Mathematik zurecht verworfen. Er hat jedoch auch bestimmte Spielarten des Platonismus hinter sich gelassen, die die abstrakten Entitäten (Sinn, Bedeutung, Zahlen, Funktionen, Propositionen, etc.) jenseits von Physis und Psyche als Denkinhalte im "Geist Gottes" theologisieren oder

als ein eigenes "drittes Reich" (Gottlob Frege) ontologisieren. Aber auch wenn es zum besseren Verständnis der mensc-hlichen Kognition und Kommunikation angemessen ist, solche abstrakten Entitäten als theoretische Entitäten oder Fiktionen zu postulieren, um sie als Inhalte intentionaler Einstellungen und Akte zu verstehen und zu erklären, folgt daraus nicht, dass man eine eigenständige und zeitlose "geistige Welt" abstrakter Entitäten annehmen muss.

 

Der ontologischen Annahme eines sog. "dritten Reiches" bei Frege entspricht in Kants Philosophie die aus der Leibniz-Wolffschen Schule übernommene Annahme von einem "mundus intelligibilis" im System der Ideen und Prinzipien der menschlichen Vernunft. Mit "Gedanken" meint Frege diejenigen abstrakten Entitäten, die in der scholastischen Tradition 'Propositionen' genannt wurden und als Wahrheitsträger fungierten. Diese Propositionen sind zu unterscheiden sowohl (a.) von den phonetischen Lautfolgen und (b.) von den sprachlichen Sätzen als Zeichenfolgen, die beide physi-sche Objekte der "Außenwelt" sind, als auch (c.) von den psychischen Denkakten, die von Subjekten bzw. Personen introspektiv wahrgenommen werden können und (d.) von den physischen Gehirnprozessen, die von Neurowissen-schaftlern erforscht werden können.

 

Ontologisch betrachtet handelt es sich um Fiktionen bzw. mentale Objekte der individuellen und kollektiven mensc-hlichen Psyche im Unterschied zu raumzeitlich lokalisierbaren Objekten in der sog. "Außenwelt", die intelligente Lebewesen wie die Menschen als soziale Mitglieder bestimmter Sprachgemeinschaften gelernt haben zu imaginieren, um persönliche Denkprozesse und soziale Kommunikation zu realisieren. Dass es sich um gemeinsame Fiktionen der menschlichen Psyche handelt, die nicht ganz und gar unabhängig von individuellen und kollektiven Bewußtsein be-stehen, da sie überhaupt erst von sprach- und denkfähigen Menschen als sprachliche Gebilde produziert werden, darf man jedoch nicht gering schätzen oder gar in einem reduktionistischen Sinne abschätzig verstehen (z.B. nach dem Denkschema "Propositionen sind nur bzw. nichts anderes als Produkte menschlicher Gehirnprozesse."). Denn es handelt sich nicht nur pragmatische Voraussetzungen für ein gemeinsames wahrheitsfunktionales logisches und mathemati-sches Denken, sondern für alle wahrheitsfunktionalen Denkprozesse in Wirtschaft und Kultur, Recht und Politik. Denn weder sprachliche Laut- oder Zeichenfolgen noch innerpsychische Erlebnisse oder Gehirnprozesse sind die eigentlichen Wahrheitsträger in dem Sinne, dass sie wahr oder falsch sein können. Nur Frege'sche Gedanken bzw. Propositionen können wahr oder falsch sein.

 

Zwar lässt sich nach Kant die spezifisch menschliche Intelligenz abstrakter Kognitionsleistungen der theoretischen und praktischen, die nur durch sein Abstraktions- und sein Sprachvermögen realisiert werden können, nur durch eine geistige Bezugnahme auf das Intelligible als besonderer Denkinhalte verstehen. Aber Kant thematisiert den onto-logischen Status dieser Ideen und Prinzipien nicht weiter, weil er sich mehr für deren erkenntnistheoretische Funktion und transzendental-philosophische Reichweite interessiert. Bis heute ist es jedoch eine wichtige Grundfrage in der Philosophie des Geistes und in der Philosophie der Humanpsychologie, ob man zum Verständnis des Intelligiblen

bzw. des Verstehens und Denkens abstrakter Entitäten, wie z.B. von Zahlen, Funktionen, Operatoren, Konstanten, Propositionen, Prinzipien, Schlussregeln, etc. als einem spezifisch menschlichen Phänomen, das Menschen sicherlich von allen anderen irdischen Lebewesen, d.h. Tieren und Pflanzen unterscheidet, eine eigenständige und zeitlose "Welt des Geistes" annehmen sollte, die allen zeitlichen Veränderungen der physischen und psychischen Welt entzogen ist, und die jenseits der lokalisierbaren Physis und Psyche konkreter Menschen angesiedelt ist, an der jedoch menschliche Personen zwar nicht mit Leib und Seele jedoch mit ihrem Geist (nous, intellectus, mens) gemeinsam teilhaben können.

 

Die Annahme, dass es ein solches "Reich ewiger Ideen" gibt, stellte einige Jahrhunderte lang eine nützliche Fiktion dar, die die Entwicklung und Entfaltung der europäischen Kultur in den Wissenschaften, Künsten und Religionen förderte und unterstützte. Gleichwohl muss man nicht wie Karl Popper von einer anderen "Welt 3" sprechen und kann ohne eine solche starke ontologische Annahme auskommen. Popper meint mit seiner "Welt 3" jenseits des Physischen (Welt 1) und Psychischen (Welt 2) allerdings auch etwas, das Hegels objektivem Geist entsprechen soll. Anders als Frege meint er sprachliche Zeichenfolgen, die entweder in Büchern oder auf anderen Trägermedien enthalten sind. Aber auch Bücher und andere Medien sind jedoch zunächst physische Objekte in seiner Welt 1 und müssen von Personen als psychischen Subjekten in seiner Welt 2 gelesen, interpretiert und verstanden werden, sodass es gar keiner Annahme einer eigenständigen Welt 3 bedarf. Alle abstrakten Gegenstände, wie Zahlen, Mengen, Funktionen, Konstanten, Propositionen, Denkoperatoren, etc. kann man mit Kant konzeptualistisch als Inhalte menschlicher Vorstellungen und operationalistisch als Regeln von verschiedenen Arten von sprachlich differenzierbaren Denkoperationen (in Poppers Welt 2) verstehen. Es handelt sich sozusagen um Software, die sich weder auf physische Hardware als materielle Träger noch auf psychische Prozesse des Verstehens der Software reduzieren lässt.

 

Kants Konzeptualismus als ontologische Alternative

 

In Kants Philosophie wird sowohl die theoretische als auch die praktische Vernunft als ein besonderes psychisches und kognitives Vermögen des endlichen Menschen in Raum und Zeit aufgefasst und deswegen wird der "mundus intelligibilis" gerade nicht mehr - wie in der okkultistischen Esoterik von Emanuel Swedenborg - als ein zeitloses, übernatürliches und transpersonales Sein ontologisiert. Platon und alle leibnizianischen Platoniker bis zu Kants Zeiten haben dagegen den mundus intelligibilis als die Substanz einer unsterblichen Geistseele bzw. eines ewigen Geistes jenseits der raum-zeitlichen Einheit von Körper bzw. Leib und Seele gedacht, die der Mensch als eine Einheit darstellt.

 

Kant hat zumindest nach seiner vorkritischen Dissertation und seiner Wende zu seiner kritischen Philosophie den Begriff von einem mundus intelligibilis nicht mehr als den Begriff von einer eigenständigen Welt - sozusagen "hinter" der sinnlich wahrnehmbaren Welt der raum-zeitlichen Gegenstände - aufgefasst, weil es sich bei dem Begriff einer Welt um einen singulären und nicht pluralisierbaren Totalitätsbegriff handelt. Wenn von "der Welt" die Rede ist, kann genau genommen immer nur von einer einzigen und unteilbaren Welt die Rede sein. Wer von verschiedenen "Welten" spricht, kann sich eigentlich nur auf verschiedene räumlich oder ontologisch abgrenzbare Bereiche oder Ebenen dieser einen wirklichen Welt beziehen, es sei denn auf verschiedene (inter-)subjektive menschliche Konzeptionen oder Teilbereiche von Konzeptionen der Welt.

 

Das bedeutet jedoch nicht, dass Kant und Husserl die Bedeutung des Intelligiblen als Inbegriff der intentionalen Gehalte der spezifisch menschlichen Denk- und Urteilsakte aufgegeben hätten. Aber die Inhalte desselben müssen von endlichen Menschen als Personen mit einer psycho-somatischen und sozio-kulturellen Lebensgeschichte durch spezifisch menschliche Lernprozesse erworben, angeeignet und ausgebildet werden. Insofern haben sie immer schon eine bestimmte genealogische Enstehungsgeschichte in der rekonstruierbaren Lebensgeschichte jedes einzelnen Menschen, die sich selbst wiederum mitten im natur- und kulturgeschichtlichen Strom der Weltgeschichte befindet.

 

Die intentionalen Gehalte solcher spezifisch menschlicher Denk- und Urteilsakte, haben zwar ihre jeweiligen Wahr-heits- und Geltungsansprüche, aber diese werden weder durch ihre jeweilige empirisch erforschbare Genealogie noch durch die umfassenden geschichtlichen Kontexte determiniert. Genealogie und Geltung müssen auch weiterhin hinreichend unterschieden werden. Einen Fortschritt in der Logik und ihrer Philosophie kann es nur dort geben, wo diese Unterscheidung auf eine angemessene Art und Weise berücksichtigt wird. Anstelle der ontologischen Annahme einer eigenständigen raum- und zeitlosen "Welt des Geistes" bzw. von Freges "drittem Reich" oder Poppers "Welt 3" treten dann jedoch das kompexe, teils kognitionspsychologische, teils sprachphilosophische und teils erkenntnis-theoretische Problem, wie sich zwei oder mehrere Logiker auf identische Prinzipien, Regeln und Propositionen beziehen können. Dazu bedarf es einer tragfähigen konzeptualistischen Theorie des Sprechens und Verstehens von sowie des Denkens und Urteilens über abstrakte Entitäten, ohne dieselben psychologistisch auf bloße psychische Begriffe, naturalistisch auf neurophysiologische Zustände des Gehirns oder metaphysisch auf konkrete Sachverhalte zu reduzieren.

 

Die Logik galt allzu lange immer nur als ein wichtiger Bestandteil der theoretischen Philosophie. Zwar ist die Frage nach dem Wesen der Logik selbst theoretischer Art, insofern hier unmittelbar keine praktischen Zwecke verfolgt werden, aber logische Strukturen des Denkens und Schließens gibt es nicht nur im theoretischen, sondern auch im praktischen und poietischen Denken (Hector-Neri Castaneda). Logische Prinzipien und Regeln des korrekten Denkens und Schließens können genau so wie mathematische Prinzipien und Regeln in theoretischen, praktischen und poietischen Kontexten auftauchen und eine strukturierende Rolle spielen. Deswegen wird dieser Abschnitt zur Philosophie der Logik auch der fundamentalen Unterscheidung zwischen theoretischer, praktischer und poietischer Philosophie vorangestellt. Denn die Logik gehört zur elementaren und nicht nur zur theoretischen Philosophie, wie viele analytische Philosophen fälschlich meinen. Alles rationale Philosophieren setzt logische Prinzipien und Regeln des korrekten Denkens und Schließens voraus, ganz gleich, ob es sich gerade im Bereich theoretischer, praktischer und poietischer Philosophie bewegt.

 

 © Ulrich W. Diehl, Juli 2010 (überarbeitet im März 2017)

 

 

P.S. Neben der hier behandelten Philosophie der Formalen Logik von Aristoteles bis Frege und ihrer Abgrenzung zur Denkpsychologie bei Husserl gibt es jedoch auch noch Kants Transzendentale Logik und Hegels Spekulative Logik sowie Jaspers' vergleichende Diskussion der Philosophischen Logik in Von der Wahrheit. Da es sich dabei jeweils um

ein anderes Grundverständnis von Logik handelt, bedürfte es hier auch noch einer ausführlichen vergleichenden Dar-stellung und Diskussion im Anschluss an die Ausführungen von Karl Jaspers. 

 

 


 

Es ist unmöglich, dass dasselbe gleichzeitig und in gleicher Hinsicht demselben zukomme und nicht zukomme. ...

Das ist das gewisseste aller Prinzipien.

 

Aristoteles, Metaphysik 1005 b, 19f.

 


 

 

Varianten des Prinzips vom (auszuschließenden) Widerspruch

 

 

Existenzlogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass ein und dasselbe Individuum x existiert und zugleich nicht existiert.

 

Substanzlogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass dasselbe Individuum x eine Substanz vom Typ T ist

und zugleich keine Substanz vom Typ T ist.

 

Eigenschaftslogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass dasselbe Individuum x die Eigenschaft E hat und zugleich nicht hat.

 

Sachverhaltslogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass derselbe Sachverhalt S besteht und zugleich nicht besteht.

 

Propositionenlogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass (es der Fall ist, dass) p und zugleich, dass (es) nicht (der Fall ist, dass) p.

 

Relationenlogisches Prinzip (2-stellig)

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass ein Individuum x in einer Relation R zu einem anderen Individuum y steht und zugleich nicht in dieser Relation zu ihm steht.

 

Ereignislogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass ein Ereignis E stattfindet und zugleich nicht stattfindet.

 

Praktitionenlogisches Prinzip

 

Es ist unmöglich (zu urteilen), dass eine Person P etwas A tut und zugleich nicht tut.

 

 


 

 

Wir ... haben angenommen, es sei unmöglich, daß etwas zugleich sei und nicht sei, und haben hieraus erwiesen, daß dies das sicherste unter allen Prinzipien ist. Manche verlangen nun aus Mangel an Bildung, man solle auch dies beweisen; denn Mangel an Bildung ist es, wenn man nicht weiß, wofür ein Beweis zu suchen ist und wofür nicht. Denn daß es überhaupt für alles einen Beweis gebe, ist unmöglich, sonst würde ja ein Fortschritt ins Unendliche eintreten und auch so kein Beweis stattfinden.

 

Aristoteles, Metaphysik, Gamma, Buch IV, Kapitel 4, 1006 a-b

 

 


 

 

Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit als Axiom der Logik

 

Der von Aristoteles entdeckte Satz vom Widerspruch kann auf verschiedene Urteilsfunktionen angewendet werden, woraus sich verschiedene allgemein und notwendig gültige Prinzipien des logisch richtigen Denkens ergeben. Alle diese Prinzipien sind apriorische Regeln oder Normen des logisch richtigen Denkens, die nicht sagen, wie Menschen (oder andere vernünftige Wesen) tatsächlich denken, sondern wie sie denken sollen bzw. denken müssen, um logisch korrekt zu denken und zu schließen.

 

Aufgrund ihres normativen Gehaltes können solche Prinzipien nicht empirisch, d.h. weder psychologisch noch neuro-physiologisch begründet werden, und da sie bei allen Akten des Urteilens und Schließens immer schon vorausgesetzt werden müssen, können sie auch weder demonstrativ und paradigmatisch durch ostensive Anwendung auf einen bestimmten Gegenstand der Anschauung noch induktiv durch wiederholte Anwendung auf eine Reihe von solchen Gegenständen in der gemeinsamen Lebenswelt begründet werden. Deswegen können solche normativen und apriorischen Normen oder Regeln des logisch richtigen Denkens und Schließens nur transzendental (im Sinne Kants), aber nicht ontologisch (im Sinne von Aristoteles) begründet werden.

 

In Bezug auf die kulturgeschichtliche Genealogie des Logischen nehme ich an, dass diese Prinzipien vermutlich bei der Entstehung der prädikativen und propositionalen Grundstrukturen der menschlichen Sprache in der erfolgreichen Anwendung auf konkrete Gegenstände in Raum und Zeit sowie in der mitmenschlichen Kommunikation erlernt wurden. Denn sowohl eine erfolgreiche Anwendung von deskriptiven sprachlichen Aussagen auf Gegenstände, Ereignisse und Prozesse in lebensweltlichen Situationen sowie eine gelingende gemeinschaftliche Kommunikation und Kooperation setzen beide ein hohes Maß an logischer Kohärenz voraus.

 

Aber seit die normative Geltung dieser apriorischen Prinzipien in der philosophischen Reflexion bewusst geworden ist, können wir sie nicht mehr ontologisch begründen. Denn bei einem jeden philosophischen Versuch einer ontologischen Fundierung apriorischer Prinzipien des logischen Denkens in den von unserem Denken unabhängigen realen Struktu-ren des Seienden müssten wir sie gedanklich in eben den Urteilen, mit denen wir auf Gegenstände in Raum und Zeit sprachlich Bezug nehmen, immer schon voraussetzen. Kein Mensch kann über sich selbst oder auch irgendetwas in der Welt logisch konsistent urteilen, ohne bereits diese Denkgesetze vorauszusetzen. Wenn jemand versuchen würde, sich selbst oder einem Anderen zu zeigen, dass es sich nicht nur um Denkgesetze, sondern auch um Seinsgesetze handelte, dann müsste er dabei auch wieder irgendwelche sprachlichen Urteile über bestimmte Gegenstände, Ereignisse oder Prozesse in der Welt fällen und eben gerade bei diesem Urteilen diese Denkgesetze wiederum voraussetzen.

 

Ich kann zwar durch eine stumme ostensive Zeigegeste - ohne Worte - auf einen bestimmten Gegenstand vor mir hinweisen, der nicht nur in einer bestimmten Perspektive von mir alleine gesehen und gefühlt wird, sondern von einer anderen Perspektive aus auch von einer anderen Person gesehen und angefasst werden kann, die mir bei meiner Zeigegeste zugeschaut hat. Aber eine solche Zeigegeste besagt ohne irgendeine sprachliche Interpretation (wie z.B. "Dieses Ding da ist ein ... !") gar nichts Bestimmtes aus und sie muss zuerst von mir auf die eine oder andere Art und Weise mit korrespondierenden Absichten und Gedanken (wie z.B. "Dieses ... ist noch nicht verschwunden!) gemeint sein. Und sie kann und muss dann auch von einem Anderen irgendwie in unausgesprochenen Gedanken bzw. mit ausgesprochenen Worten gedeutet werden, um auf die eine oder andere Art verstanden zu werden. 

 

Da ein jeder Versuch einer ontologischen Fundierung von logischen Denkgesetzen in sog. Seinsgesetzen konsistent sein müsste, müssten wir dann aber den sog. Satz vom Widerspruch schon voraussetzen. Deswegen sind die Prinzipien der Logik ein sehr gutes Beispiel für apriorische Prinzipien oder normative Denkgesetze des (menschlichen) Geistes, die sich nicht ontologisch rechtfertigen lassen -  aber auch weder psychologisch noch neurophysiologisch. Weder die Apriorität der Prinzipien der Logik noch die Tatsache, dass sie nur transzendental, aber nicht ontologisch begründet werden können, spricht jedoch gegen einen kritischen Realismus in der Erkenntnistheorie. Die Apriorität und Transzendentalität der logischen Regeln und Prinzipien führt nicht notwendig zu einem erkenntnistheoretischen Skeptizismus, Subjekti-vismus oder gar Idealismus.

 

Leider wird die ganze Vielfalt der logischen Prinzipien, die aus dem Satz vom Widerspruch folgen, von den meisten Philosophen in der sprachanalytischen Tradition im Anschluss an Frege, Russell und Wittgenstein (TLP) nicht mehr unterschieden und akzeptiert. Das hat mit dem impliziten Nominalismus zu tun, der manche ontologische und erkenntnistheoretisch wichtigen Unterscheidungen, wie z.B. (a.) die zwischen Urteilen über Substanzen und ihre Attribute sowie (b.) die zwischen Urteilen über notwendige und kontingente Eigenschaften von Substanzen oder auch (c.) die zwischen Urteilen über Substanzen, Ereignisse und Prozesse übergeht und nur noch zwischen ein-, zwei- und mehrstelligen Prädikaten unterscheiden.

 

Diese bedauerliche ontologische Undifferenziertheit in der sprachanalytischen Philosophie hat ihren Ursprung in Freges Interesse an der Systematisierung der Logik in der Mathematik (wo es nun einmal keine raum-zeitlichen Substanzen mit inhärenten Attributen gibt) und in seinem gescheitertem logizistischen Programm der Reduktion der Mathematik (der Zahlentheorie) auf die Logik. Wo die einzigen inhaltlichen Gegenstände des logischen Denkens und Schließens zeitlose mathematische Gegenstände (Gedankendinge), wie z.B. Zahlen und Funktionen waren, konnte man auf diese begriff-lichen Unterscheidungen ohne philosophische Verluste verzichten. Dies kann man jedoch nicht, wenn die Gegenstände des Nachdenkens sowie des logischen Denkens und Schließens reale Objekte und reale Personen, reale Ereignisse und reale Prozesse in Raum und Zeit sind.

 

Die technischen Neuerungen der formalen Logik, die vorwiegend der Vereinfachung der algebraischen Darstellung des logischen Denkens und Schließens dienten, werden heute oft als ein wissenschaftlicher Fortschritt und als ein Ge-winn an formaler Präzision verstanden. Zwar hat es im Anschluss an Peano, Frege und Wittgenstein gewisse technische Vorteile in der Präzision mechanisch durchführbarer Denkoperationen von Maschinen und Menschen gegeben, aber in philosophischer Hinsicht handelt es sich bei diesen bloß technischen Neuerungen um keinen Fortschritt, sondern vielmehr um einen klaren Rückschritt, da sie zu einem erheblichen Verlust an gedanklicher Differenziertheit und an phänomenologischer Angemessenheit an die volle Komplexität der Gegenstände des logischen, epistemologischen und ontologischen Denkens führten. Der spätere Wittgenstein war sich der philosophischen Unzulänglichkeit seiner im Tractatus selbst noch vorausgesetzten formalistischen, nominalistischen und positivistischen Auffassungen über Sprache und Denken, Semantik und Logik durchaus bewusst: "Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer zu sein scheint, als er ist" (Ludwig Wittgenstein).

 

Vor allem wegen dieser nominalistischen und formalistischen Neuerungen, die von Frege, Russell und Wittgenstein (TLP) eingeführt wurden, und die allzu lange Zeit fälschlich für ein Fortschritt in der Philosophie gehalten wurden, ist es an der Zeit, wieder über die Philosophie der Logik nachzudenken und dazu die philosophischen Untersuchungen zur Logik von Kant und Brentano, Husserl und Pfänder zu studieren. Dabei gilt es, sich wieder zu fragen, was Logik eigent-lich ist und was sie sein soll, was sie leisten kann und was nicht. Dies geschieht heute nur noch sehr selten, da die meis-ten zeitgenössischen Lehrbücher der Logik solche philosophischen Fragen gar nicht mehr stellen, sondern nur eine bestimmte allgemein verbreitete Auffassung von formaler Logik festschreiben und sie als die angeblich fortschrittlichste "moderne Logik" darstellen und vermitteln.

 

Dies führt in den meisten zeitgenössischen Einführungen in die Formale Logik (meistens für Studierende der Philo-sophie) dazu, dass z.B. das sog. Konditional (p > q) mit Hilfe einer rein mechanischen Anwendung der sog. Wahrheits-tafeln unreflektiert und dogmatisch eingeführt wird, obwohl es für den gesunden Menschenverstand erst einmal kontraintuitiv ist. Dieses allzu simple und kontraintuitive Verständnis des Konditionals wurde jedoch bereits vor einiger Zeit aus triftigen Gründen durch die Relevanzlogik der Logikforscher A.R.Anderson, N.Belnap und J.M.Dunn problemati-siert. Andere logische und philosophische Komplikationen, die sich aus der Zeitlogik, der Modallogik sowie der deonti-schen und epistemischen Logik ergeben, werden von den zeitgenössischen Anhängern des Logizismus bzw. der sog. "modernen Logik" ebenfalls oft verdrängt und den professionellen Logikern überlassen. Weitgehend ohne die kogni-tiven, motivationalen und emotionalen Folgen solcher nominalistischen und logizistischen Denkweisen zu bedenken, werden damit seit einigen Jahrzehnten Generationen von Studierenden der Philosophie in eine intellektuelle Sackgasse geführt.

 

 © Ulrich Diehl, Halle an der Saale 2009 / 2011

 


 

 

Literatur zur Philosophie der Logik

 

 

Klassische Schriften

 

Aristoteles, Metaphysik, Stuttgart: Reclam 1976

 

Kant, I., Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen, in: Werke, Bd. VI,

Schriften zur Metaphysik und Logik 2; Wiesbaden: Insel 1958

 

Frege, G., Begriffsschrift und andere Aufsätze (1879), Hildesheim: Olms 1964.

 

Husserl, E., Logische Untersuchungen. Erster Band: Prolegomena zur reinen Logik.

Tübingen: Niemeyer Verlag 1980

 

Pfänder, A., Logik (1921), hrsg. und eingeleitet von Mariano Crespo, Heidelberg: Winter 2000

 

Dubislav, W., Die Definition (1931). Mit einer Einführung von Wilhelm K. Essler, Hamburg: Meiner 1981

 

Jaspers, K., Von der Wahrheit, München: Piper 1958

 

 

Neuere Beiträge

 

Anderson, A.R. / Belnap, N. Entailment. The Logic of Relevance and Necessity, Vol. I,

Princeton: Princeton University Press 1975

 

Dunn, J. M., Entailment. The Logic of Relevance and Necessity, Vol. II,

Princeton: Princeton University Press 1992

 

Haack, S., Philosophy of Logics, Cambridge: CUP 1983

 

Hunter, G., Metalogic. An Introducion to the Metatheory of First Order Logic, Berkeley: UCP 1971

 

Lorenzen, P., Methodisches Denken, Frankfurt a.M.: Suhrkamp ²1982

 

Patzig, G., Sprache und Logik, Göttingen: Vandenhoeck 1970

 

Seebohm, Th. M., Philosophie der Logik. Handbuch Philosophie, Freiburg: Alber 1999

 

Smullyan, R. M., Gödel's Incompleteness Theorems, Oxford: OUP 1992

 

Stekeler-Weithofer, P., Grundprobleme der Logik. Elemente einer Kritik der formalen Vernunft, 

Berlin: Gruyter 1986

 

Strombach, W., Die Gesetze unseres Denkens. Eine Einführung in die Logik, München: Beck 1970

 

Wolff, M., Abhandlung über die Prinzipien der Logik, Frankfurt am Main: Klostermann 2004, ²2009

 

ders., Einführung in die Logik, München: C.H.Beck 2006

 

 


 

 

Michael Wolff, Abhandlung über die Prinzipien der Logik

 

Zweite, verbesserte und erweiterte Auflage 2009 mit dem Untertitel: "Mit einer Rekonstruktion der Aristotelischen Syllogistik". Frankfurt am Main: Klostermann 2004, ²2009

 

Die Frage, welches der vielen divergierenden modernen Logiksysteme „die eine, richtige" Logik enthält, wird von Logikern gerne zurückgewiesen: eine solche Logik gebe es nicht.

 

In Michael Wolffs Buch wird diese Frage anders behandelt, nämlich durch Anwendung der Methode der logisch-semantischen Sprachanalyse auf die Sprachen der Logik selbst. Diese Analyse zeigt, daß die von Frege, Hilbert und anderen vertretene Ansicht, logisches Vokabular der Syllogistik sei ohne Bedeutungsänderung ersetzbar durch wahrheitsfunktionale und quantorenlogische Ausdrücke beziehungsweise durch Ausdrücke des Klassenkalküls, unhaltbar ist, da wahrheitsfunktionale Ausdrücke mit komplexen, klassen- und quantorenlogische Ausdrücke mit nicht-formalen syllogistischen Ausdrücken gleichbedeutend sind. Das logische Vokabular der Syllogistik genügt zur Wiedergabe aller gültigen Regeln und Gesetze der deduktiven Logik.

 

Dagegen erweisen sich Regeln und Gesetze, die nur in der Sprache eines der modernen Systeme der "klassischen" und "nicht-klassischen" Logik formulierbar sind, als nicht allgemeingültig, da ihre Gültigkeit nicht ausschließlich auf der Bedeutung des verwendeten logischen Vokabulars beruht. Diese Systeme setzen gemeinsam die Gültigkeit der Syllogistik (als der einen, richtigen Logik) implizit voraus und sind aus ihr ableitbar, wenn divergierende nicht-allgemeingültige Regeln in syllogistischer Sprache formuliert und als gültig angenommen werden.

 

Wie diese Ableitung exakt und lückenlos zu bewerkstelligen ist, wird in Wolffs Buch ausführlich gezeigt. Sie folgt einer schon in der Schule des Aristoteles entwickelten Methode.

 

 


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Edmund Husserl, Logische Untersuchungen (1900/1901)
Günther Patzig, 6. April 1984, DIE ZEIT Nr. 15/1984
Edmund Husserl, Logische Untersuchungen.
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Franz von Kutschera, Zwei Theorien über den Gegenstand der Logik
Studium Generale, Berlin, Jahrgang 19, Heft 3 (1966)
Kutschera, Zwei Theorien über den Gegens
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Andrés Raggio, Die moderne Logik seit Frege
http://www.phone-soft.de/cyber-world/make-frame.php3?framename=5092d.htm
Raggio Moderne Logik seit Frege.pdf
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Prijedarshi Jetli, The Emergence of Modern Logic (2009)
Presented at the Third Indian School of Logic and its Applications,
University of Hyderabad, India, January 18, 2010.
Jetli, The Emergence of Modern Logic.pdf
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Prijedarshi Jetli, The Completion of the Emergence of Modern Logic (2010)
Jetli, P., Department of Philosophy, University of Mumbai, India
Jetli, The Completion of the Emergence o
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