Glaube und Wissenschaft

 

 

Glaube und Wissenschaft

 

Der Eindruck eines Gegensatzes von Glaube und Wissenschaft wird auch durch Bücher der mittlerweile nicht mehr ganz so „neuen Atheisten“ hervorgerufen, vor allem durch das Buch „Der Gotteswahn“ des Oxforder Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Für ihn ist Glaube “blind“, eine Wahnvorstellung, die Wissenschaft dagegen beruht „auf Belegen“.

 

Dass der hier propagierte Gegensatz von „Glaube und Wissenschaft“ keiner sein muss, zeigt ein Blick in die Geschichte. Viele berühmte Wissenschaftler waren überzeugte Christen. Das prominenteste Beispiel ist Isaac Newton. Darüber hinaus gab und gibt es viele Wissenschaftler, die an einen persönlichen Gott glaubten bzw. glauben.

 

Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen: Eines der wichtigsten wissenschaftlichen Projekte des 20. Jahrhunderts war die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Der erste Direktor dieses Projektes war James Watson, über den Dawkins sich in seinem Buch positiv äußert. Er erhielt später gemeinsam mit Francis Crick für die Entschlüsselung der DNA den Nobelpreis. Watson ist überzeugter Atheist und hält das Leben für sinnlos und absurd, wie er vor einigen Jahren noch einmal in Interviews auch in Deutschland betonte.

 

Wissenschaftler und Christ

 

Als die Entschlüsselung des Genoms bekannt gegeben wurde, stand neben dem damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton der gerade amtierende Direktor des Projektes, Francis Collins. Er ist ein überzeugter Christ. An führender Stelle dieses Projektes arbeiteten also im Laufe der Zeit Wissenschaftler, deren Weltanschauungen ganz unterschiedlich waren.

 

Ein anderes Beispiel: Im Jahre 1916 wurden in den USA 1.000 Naturwissenschaftler gefragt, ob sie an einen persönlichen Gott glauben, der auf Gebete hört. Ca. 40 Prozent bejahten dies. Im Jahre 1996 wurde wiederum 1.000 Naturwissen-schaftlern die gleiche Frage gestellt. Auch diesmal wurde diese Frage von ca. 40 Prozent der Wissenschaftler bejaht („Spektrum der Wissenschaft“, 1999). Der Organisator der Umfrage von 1916 hatte mit seiner Befragung den Start für weitere Untersuchungen geben wollen – mit der Absicht zu zeigen, dass der Glaube von Wissenschaftlern an einen persönlichen Gott im Laufe der Zeit (und der fortschreitenden Wissenschaft) abnehmen würde. Dieser Beweis konnte nicht erbracht werden.

 

Den Gegensatz von Glaube und Wissenschaft muss man also – selbst als Wissenschaftler – nicht zwangsläufig sehen. Wo man aber natürlich einen Gegensatz sehen kann, ist der persönliche Glaube der Wissenschaftler. Es gibt Wissen-schaftler, die an Gott glauben und Wissenschaftler, die nicht an Gott glauben.

 

Wissenschaft und Schönheit?

 

Der eigentliche Unterschied besteht darin, ob man glaubt, dass am Anfang unserer Welt planlose Materie stand, die („durch natürliche Selektion“, so Dawkins) immer komplexer wurde und schließlich Geist hervorbrachte oder ob man glaubt, dass am Anfang ein schöpferischer Geist stand, der Materie schuf. Der Oxforder Mathematiker John Lennox schreibt dazu („Hat die Wissenschaft Gott begraben?“): „Entweder verdankt die menschliche Intelligenz ihre Entstehung letztlich geist- und zweckloser Materie, oder es gibt einen Schöpfer. Es ist seltsam, dass einige Menschen behaupten, ihre Intelligenz führe sie dahin, die erste der zweiten Möglichkeit vorzuziehen“.

 

Ist es plausibel, unsere Erfahrungen von Sinn, Liebe, Schönheit und wissenschaftlicher Erkenntnis als Produkt geistloser, zielloser Materie zu betrachten oder ist es plausibler, diese Erfahrungen als Produkt eines schöpferischen Geistes zu verstehen, dem an Sinn, Liebe, Schönheit und wissenschaftlicher Erkenntnis liegt?

 

Die Frage, was der glaubt, der an Gott glaubt, beantwortete deshalb der Philosoph Robert Spaemann vor kurzem so („Der letzte Gottesbeweis“): „Er glaubt an eine fundamentale Rationalität der Wirklichkeit. Er glaubt, dass das Gute fundamentaler ist als das Böse. Er glaubt, dass das Niedere vom Höheren her verstanden werden muss und nicht

umgekehrt. Er glaubt, dass Unsinn Sinn voraussetzt und dass Sinn nicht eine Variante der Sinnlosigkeit ist.“

 

Spuren von Gottes Handeln

 

Ein weiterer Aspekt, der uns hilft zu verstehen, dass der vermeintliche Gegensatz von Glaube und Wissenschaft keiner sein muss, ist der Aspekt der Methodenfrage. Ich bin überzeugt, man kann Spuren von Gottes Handeln in dieser Welt erkennen, wenn man sein Handeln nicht vorher methodisch ausschließt und die Welt nur unter der Prämisse betrachtet, als gäbe es keinen Gott. Unsere Wirklichkeit, unsere Erfahrungen beinhalten mehr als das, was sich mit rein natur-wissenschaftlichen Methoden erforschen lässt. Die Naturwissenschaften befassen sich mit „Wie-Fragen“: Wie funktioniert etwas? Wie laufen Prozesse in Raum und Zeit ab?

 

"Ich bin überzeugt, man kann Spuren von Gottes Handeln in dieser Welt erkennen."

 

Andere Fragen, die für uns von großer Bedeutung sind, bleiben dabei offen. Der Nobelpreisträger Sir Peter Medawar (den Dawkins gern zitiert) zählt solche Fragen auf: Warum gibt es uns überhaupt? Was ist der Sinn des Lebens? Die Naturwissenschaften können ebenfalls keine Wertentscheidungen treffen. Sie können uns z.B. sagen, was Kernkraft-werke kosten, welche Leistungen sie erbringen – aber ob man Kernkraftwerke bauen soll, muss, darf, das hängt mit Wertentscheidungen zusammen. Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für das Bauen von Kernkraftwerken bzw. für den Verzicht auf Kernkraftwerke? Diese Fragen können uns Naturwissenschaften nicht beantworten. Sie können uns sagen, was wir tun müssen, um bestimmte Ziele zu erreichen, aber ob wir diese Ziele erreichen sollten, müssen wir woanders her beantworten.

 

Fische fangen

 

Der Physiker Hans Peter Dürr, Nachfolger Heisenbergs als Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts und Gewinner des alternativen Nobelpreises, beantwortete die Frage „Was hat die Wissenschaft mit der Wirklichkeit zu tun?“ einmal mit einem Gleichnis: Ein Mann sitzt am Ufer eines Flusses und fängt Fische. Ein Wanderer kommt vorbei und fragt ihn, „Was tust Du?“ „Ich fange Fische.“ „Was kannst Du über Fische aussagen?“ „Sie sind alle mindestens 5 cm lang.“ Der Wanderer lässt sich das Netz zeigen. Es hat Maschen mit einem Umfang von 5 cm. Daraufhin sagt er: „Wenn es kleinere Fische als 5 cm gäbe – und ich meine, solche gesehen zu haben –, so könntest du sie nicht fangen, sie würden durch dein Netz hindurch schlüpfen.“ Darauf der Fischfänger mit Selbstbewusstsein: „Was ich nicht fangen kann, ist kein Fisch.“

 

So arbeitet die Wissenschaft, und sie muss auch so arbeiten, um zu Ergebnissen zu kommen: Sie hat ein bestimmtes Netz und fängt daraufhin bestimmte Fische oder um es etwas abstrakter zu sagen: Sie stellt bestimmte Fragen und erhält daraufhin bestimmte Antworten. Wonach sie nicht fragt, darauf bekommt sie auch keine Antworten – wie bei Dopingkontrollen: man findet – wenn überhaupt – nur die Substanzen, nach denen man sucht. Nach Dürr gibt es einige „Fische“ die man prinzipiell mit den Netzen der Wissenschaft nicht einfangen kann: ästhetische Fragen (was ist Schön-heit?) und religiöse Fragen. Stellen wir uns Gott als den vor, der alles geschaffen hat, auch uns mit allen unseren Netzen – mit welchem Netz, welcher Wissenschaft sollten wir ihn einfangen können? Das ist prinzipiell nicht möglich. Wir können nur Aussagen über Gott machen, wenn er sich offenbart.

 

Anregung zum Forschen

 

Wissenschaft ist ein Zugang zur Wirklichkeit, aber nicht der allein gültige. Viele für uns wichtige Erfahrungen religiöser und künstlerischer Art können allein mit Wiegen, Messen und Beobachten nicht einmal annähernd erfasst werden. Diese Einschränkung mindert keineswegs den Wert der Naturwissenschaften für unser Leben – denken wir allein an den medizinischen Fortschritt –, weist aber auf ihre Begrenzung hin.

 

"Viele für uns wichtige Erfahrungen religiöser und künstlerischer Art können allein mit Wiegen, Messen und Beobachten nicht einmal annähernd erfasst werden."

 

Man muss als rational denkender Mensch Glaube und Wissenschaft nicht als Gegensätze verstehen. Viele Wissen-schaftler haben sich mit den Gesetzen der Natur beschäftigt, weil sie von einem Gesetzgeber fest überzeugt waren.

Sie waren überzeugt: Menschen sollen – gerade, weil sie an Gott glauben – diese Welt erforschen. Die Anregung dazu fanden sie – in der Bibel:

 

„Groß sind die Taten des Herrn, zu erforschen von allen, die Lust an ihnen haben.“ (Psalm 111,2)

 

Autor: Dr. Jürgen Spieß

 

Dr. Jürgen Spieß war von 1999 bis 2015 Leiter des Instituts für Glaube und Wissenschaft in Marburg (www.iguw.de).

 

https://www.erf.de/glaubens-faq/glaube-und-wissenschaft/33618-8