Natürliche Arten

 

 

Natürliche Art (Artikel bei Wikipedia)

 

Mit dem Begriff der natürlichen Art (engl. natural kind) werden in der analytischen Philosophie Mengen von Dingen bezeichnet, die nicht von Menschen geschaffen sind und die sich, unabhängig von menschlichen Interessen, Begriffen und Konventionen, in verschiedenen Hinsichten untereinander ähneln. Beispiele hierfür sind Elementarteilchen, chemische Elemente und biologische Arten. Von natürlichen Arten werden zumeist künstliche Arten unterschieden,

die nur das Interesse des Klassifizierers widerspiegeln und nicht irgendeine relevante Eigenschaft der klassifizierten Objekte selbst (z. B. „Schuhe unter $100“ [1] ).

 

Hinter der Einteilung in natürliche Arten steht die Idee, dass all ihren Mitgliedern eine Menge von Eigenschaften gemein ist, die für diese Art konstitutiv und damit charakteristisch sind. In der philosophischen Debatte werden vor allem der ontologische Status natürlicher Arten und die erkenntnistheoretische Frage diskutiert, ob bzw. auf welche Weise sie zuverlässig bestimmt und unterschieden werden können.

 

Begriffsgeschichte

 

Philosophische Positionen

 

A. Realistische Positionen

 

1. Schwacher Realismus

2. Starker Realismus

3. Essentialismus

     Intrinsische Eigenschaften

     Unterscheidbarkeit

     Monismus und Hierarchie der Arten

Kritik

    „Promiskuitiver Realismus (Promiscuous Realism)“

 

B. Konventionalistische Positionen

 

1. Schwacher Konventionalismus

2. Starker Konventionalismus

 

C. Natürliche Arten in den Wissenschaften

 

1.Biologie

2. Chemie

3. Psychologie

 

Literatur

Weblinks

Anmerkungen

Inhaltsverzeichnis

 

 

Begriffsgeschichte

 

Obwohl der Terminus „natürliche Art“ jüngeren Datums ist, lässt sich sein sachlicher Gehalt bis auf Platons Phaidros zurückführen. [2] Dort fordert Platon, die Welt „nach Arten durch Schnitte zu zerlegen, und zwar nach den Gliedern,

wie sie gewachsen sind, und zu versuchen, nicht nach Art eines schlechten Kochs einen Teil zu zerbrechen“ (Phaidros 265e). [3] Seine zugrunde liegende Intuition ist, dass die natürliche Welt in objektive Kategorien unterteilbar ist und wir danach streben sollten, diese zu entdecken.

 

Maßgeblich für die weitere Entwicklung des Art-Begriffs wurde dann die aristotelische Unterscheidung von wesentlichen und akzidentiellen Eigenschaften von Substanzen. Während jedoch Aristoteles eine dynamische Auffassung von art-bestimmenden charakteristischen Eigenschaften entwickelte, verfestigten sich in der Tradition seine Untersuchungen

zu einem starren ontologischen System, wie es sich etwa im sogenannten Porphyrianischen Baum der Hochscholastik ausdrückt. Diese Idee eines durchgehend engen ontologischen Zusammenhanges aller Dinge wurde an die Denker

der Renaissance und der Neuzeit weitergereicht. Sie bildet den Hintergrund für viele Arbeiten von Descartes, Spinoza und Leibniz. Im 19. Jahrhundert greift John Stuart Mill die Annahme natürlicher Arten (real kinds) als Voraussetzung erfolgreichen induktiven Schließens wieder auf.

 

In der Gegenwart wird das Konzept natürlicher Arten kontrovers diskutiert. C. D. Broad versuchte, induktives Schließen durch den Hinweis auf natürliche Arten zu rechtfertigen, was von Nelson Goodman [4] kritisiert wurde. W. V. O. Quine wiederum vertrat die Position, natürliche Arten seien vorwissenschaftliche Klassifikatoren und müssten dement-sprechend ersetzt werden. Saul Kripke und Hilary Putnam [5] verteidigen gegen Quine das Konzept der natürlichen Arten und vertreten die Auffassung, dass es notwendige Wahrheiten a posteriori gibt. Jerry Fodor fasst natürliche Arten

als diejenigen Klassen von Objekten auf, über die Naturgesetze verallgemeinern. [6]

 

In der aktuellen Debatte zur Metaphysik der natürlichen Arten werden vor allem folgende Fragen kontrovers diskutiert:

 

1. Sind die Arten, die wir als „natürliche“ Arten betrachten, tatsächlich natürlich oder nur das Produkt menschlicher Klassifizierungsprozesse?

 

2. Wenn es natürliche Arten gibt: Sind sie irreduzible, grundlegende Entitäten (neben z. B. Partikularien und Universalien (Ellis, [7] Lowe [8] )) oder sind sie von anderen Entitäten (z. B. Universalien) abgeleitet?

 

3. Wenn natürliche Arten einen eigenen ontologische Status haben: Haben sie eine Essenz, d. h. gibt es Eigenschaften, die für die Zugehörigkeit zu einer Art notwendig oder hinreichend sind?

 

 

A. Philosophische Positionen

 

1. Realistische Positionen

 

Realistische Positionen gestehen den Arten eine von menschlichen Konstruktionen mehr oder weniger unabhängige Existenz zu. Als Merkmale für eine natürliche Art wurden von ihren Vertretern folgenden Kriterien vorgeschlagen, die aber teilweise umstritten sind:

 

1. Die Mitglieder einer natürlichen Art haben einige natürliche Eigenschaften gemeinsam (Mill [9] )

2. Die natürliche Art erlaubt induktive Schlüsse (Whewell, [10] Mill, [9] Quine [11] )

3. Die natürliche Art hat an den Naturgesetzen teil

4. Die Mitglieder einer natürlichen Art bilden eine Art (Hawley, Bird [12] )

5. Die natürliche Art ist von anderen natürlichen Arten kategorisch unterscheidbar (Ellis [7] )

 

1. Schwacher Realismus

 

Die schwächere realistische Interpretation, wie sie z. B. von Pierre Duhem [13] und W.V.O. Quine vertreten wurde [11] fasst Arten zwar als Ergebnis menschlicher Kategorisierung auf, hält aber natürliche Arten dadurch für ausgezeichnet, dass diese Kategorisierung objektiv existierenden Unterschieden entspricht.

 

2. Starker Realismus

 

Nach der stärkeren realistischen Auffassung können wir die Unterscheidung zwischen natürlichen und nicht-natürlichen Klassifikationen nicht erklären, ohne uns auf bestimmte Entitäten, die natürlichen Arten, zu beziehen. Diese haben ge-mäß dieser Auffassung eine vollständig unabhängige Existenz. Während der schwache Realismus als solcher keine ontologische Bindung hat und nur davon ausgeht, dass es natürliche Gruppierungen und Unterscheidungen unter den Dingen gibt, behauptet der starke Realismus, dass die natürlichen Einteilungen zwischen Arten die Grenzen zwischen realen Entitäten widerspiegeln. So sei z. B. der Unterschied zwischen Silber und Gold nicht nur ein Unterschied zwischen zwei natürlichen Gruppen von Dingen, sondern ein Unterschied zwischen zwei verschiedenen Entitäten, Silber und Gold.

 

3. Essentialismus

 

Der Essentialismus verbindet den Art- mit dem Wesens-Begriff. Er existiert in den Varianten, dass die Arten, zu denen

die Einzelgegenstände gehören, für diese als essentiell betrachtet werden oder dass den Arten selbst essentielle Eigenschaften zugeschrieben werden.

 

Intrinsische Eigenschaften

 

Die essentiellen Eigenschaften einer Art werden als intrinsisch, d. h. als unabhängig von anderen Dingen, betrachtet.

Sie sind die Ursache für alle beobachtbaren gemeinsamen Eigenschaften der Mitglieder einer Art und erlauben uns daher, induktive Schlüsse zu ziehen und wissenschaftliche Gesetze über sie zu formulieren. Als paradigmatische Kandi-daten für solche natürlichen Arten werden gerne chemische Elemente genannt. Ihre intrinsischen Eigenschaften – d. h. die Strukturen ihrer Atome – bestimmen ihre beobachtbaren Eigenschaften. So bestehen im Fall von Wasserstoff die Atome aus einem einzelnen Proton im Atomkern und einem einzelnen Elektron in der Atomhülle. Diese atomare Struktur ist seine Essenz, eine Eigenschaft, die alle Wasserstoffatome gemeinsam haben und die von den Atomen

aller anderen Elemente nicht geteilt wird. Sie bestimmt die Bindungen, die das Wasserstoffatom mit anderen Entitäten eingehen kann wie z. B. in der Molekularstruktur H2 . Diese Molekularstrukturen bestimmen dann weitere Eigen-schaften des Wasserstoffs, wie seine Farblosigkeit, Geruchlosigkeit, Geschmackslosigkeit und hohe Brennbarkeit bei normalen Temperaturen.

 

Unterscheidbarkeit

 

Der Essentialismus verlangt, dass natürliche Arten diskret oder kategorisch unterscheidbar sind. Wenn es nämlich fließende oder kontinuierliche Übergänge von einer Art zur anderen gäbe, würde das bedeuten, dass wir willkürlich entscheiden müssten, wo wir die Grenze zwischen ihnen ziehen. Die Essenzen liefern uns selbst ein objektives Kriterium dafür, wo solche Grenzen zu ziehen sind. Für den Essentialismus sind damit vage Fälle ausgeschlossen, in denen wir nicht eindeutig bestimmen können, zu welcher Art eine Entität gehört. Brian Ellis nimmt so zum Beispiel die eindeutige Unterscheidbarkeit chemischer Kategorien als wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die Welt in essentialistische Arten strukturiert ist. [14]

 

Monismus und Hierarchie der Arten

 

Der Essentialismus ist in den meisten Fällen mit der Ansicht verbunden, dass es eine einzige richtige Art und Weise gibt, die Welt in natürliche Arten zu unterteilen. Die Arten sind dabei in einer eindeutigen Hierarchie angeordnet. [7] Ein Gegenstand kann nur dann mehreren Arten angehören, wenn diese echte Teilmengen voneinander sind. Natürliche Arten müssen klare Grenzen haben. [15] Ein klassisches Beispiel für eine hierarchisch geordnete Klassifikation ist die Taxonomie Linnés. Hier wird z. B. der Mensch in die Spezies „Homo sapiens“ eingeordnet, aber auch in die Klasse der „Säugetiere“ und die Domäne der „Tiere“, wobei die Spezies eine Unterkategorie einer Klasse ist und eine Klasse eine Unterkategorie der Domäne.

 

Kritik des Essentialismus

 

Kritiker des Essentialismus bringen vor, dass er auf den Art-Begriff vieler Wissenschaften nicht anwendbar sei. Biologi-sche Arten zum Beispiel, die oft als Standard für natürliche Arten genommen werden, erfüllten die essentialistischen Anforderungen nicht. Außerdem scheine der Essentialismus mit der darwinschen Evolutionstheorie unvereinbar zu sein. Es gebe keine Eigenschaften von Arten, die alle und nur die Mitglieder einer Art gemeinsam haben. Selbst wenn es sie gäbe, könnten sie leicht durch evolutionäre Mechanismen wie Mutation, Rekombination und Gendrift verändert werden. [1] Diese Überlegungen haben viele Autoren zu dem Schluss gebracht, dass der Essentialismus keine zufriedenstellende Sichtweise der natürlichen Arten ist (Sober, [16] Wilson, Barker und Brigandt [17] ) und den „Tod des Essentialismus“ auszurufen (Ereshefsky [18] ).

 

Muhamad Ali Khalidi [19] und John Dupré [20] erheben darüber hinaus den Einwand, dass es Arten gebe, die sich nur zum Teil überlappen. Es sei umstritten, ob natürliche Arten klare Grenzen haben müssen oder ob ihre Grenzen vage sein können, so dass es Gegenstände im Bereich zwischen zwei Arten geben kann [21] , wie zum Beispiel Halbmetalle, deren Eigenschaften zwischen denen von Metallen und Nicht-Metallen liegen.

 

Promiskuitiver Realismus

 

Nach dem „Promiskuitiven Realismus (Promiscuous Realism)“ gibt es, je nach unseren Interessen und Zielen, viele Mög-lichkeiten, Entitäten in Arten zu klassifizieren. Diese Position wurde von John Dupré eingeführt. [22] Eine ähnliche An-sicht wurde unter dem Namen „pluralistischer Realismus“ auch von Philip Kitcher [23] vorgeschlagen.

 

Dupré erkennt an, dass natürliche Arten bestimmte Eigenschaften besitzen, bestreitet aber ihren intrinsischen Charak-ter. Er leugnet auch die hierarchische Struktur und kategoriale Verschiedenheit von natürlichen Arten. Zur Unterschei-dung verschiedener natürlicher Arten könnten viele verschiedene Gleichheitsrelationen verwendet werden. Keine dieser Relationen sei privilegiert, das heißt, verschiedene Entitäten können einige Gemeinsamkeiten mit Mitgliedern einer Gruppe und einige mit Mitgliedern einer anderen Gruppe teilen. Welche Gruppe wir als relevant herausgreifen, hängt von unseren Interessen ab.

 

Unterschiedliche Ziele und Interessen werden tendenziell zu unterschiedlichen Klassifizierungen führen. Diese Sicht-weise sei aber realistisch, weil sie das Kriterium beinhaltet, dass etwas nur dann als eine natürliche Art zählt, wenn seine Mitglieder zumindest einige Ähnlichkeiten teilen, selbst wenn diese Monismus und Hierarchie der Arten Kritik „Promis-kuitiver Realismus (Promiscuous Realism)“ minimal sind. Bei diesen Ähnlichkeiten muss es sich um objektive Merkmale der Welt handeln und nicht um Fakten über uns. Die bloße Tatsache, dass wir einige Dinge zusammen gruppieren, zählt dabei nicht als eine gemeinsame natürliche Eigenschaft. Nicht alle Klassifizierungen sind gleichberechtigt. Einige dienen unseren Zwecken besser als andere oder können in verschiedenen Kontexten besser verwendet werden.

 

 

2. Konventionalistische Positionen

 

Der Konventionalismus umfasst eine breite Palette von Ansichten. Allen gemeinsam ist die Behauptung, dass das, was bestimmt, welche Arten natürlich sind, nicht nur verstandesunabhängige Fakten über die Welt sind, sondern auch Fakten über „uns“, die Erkennenden oder Forschenden. Unsere Gruppierung von Objekten in natürliche Arten hänge zumindest teilweise von unseren Interessen, Zielen und kognitiven Fähigkeiten ab.

 

1. Schwacher Konventionalismus

 

Der schwache Konventionalismus geht davon aus, dass es zwar generell Arten in der Natur gibt, diese für uns aber

nicht eindeutig erkennbar seien. Typische Vertreter dieser Form des Konventionalismus sind Alexander Bird und Emma Tobin [24] . Sie gehen davon aus, dass die Natur keine klaren Unterteilungen in Arten zulasse. Vielmehr gebe es nur kontinuierliche Abstufungen zwischen verschiedenen Arten von Dingen, so dass es teilweise an uns liege, wo wir die Grenze ziehen. Dies impliziere, dass unsere erkenntnistheoretischen Ziele, kognitiven Fähigkeiten und praktischen Interessen eine Rolle bei der Entscheidung spielen können, wo wir solche Grenzen ziehen und welche Klassifizierungen wir befürworten.

 

Ein anderer Vertreter der schwachen Form des Konventionalismus ist Thomas Reydons [25] . In seinem „Co-Creation“- Modell der natürlichen Arten illustriert er, dass Arten sowohl durch Zustände in der Natur als auch durch die Hinter-grundannahmen und Entscheidungen von Forschern in bestimmten wissenschaftlichen Kontexten mitbestimmt werden. Je nachdem, welche Arten als interessant angesehen werden, können verschiedene natürliche Arten be-

stimmt werden.

 

2. Starker Konventionalismus

 

Der starke Konventionalismus leugnet darüber hinaus die Existenz natürlicher Arten überhaupt. Er behauptet, dass

die Unterschiede und Ähnlichkeiten, die wir den Dingen zuschreiben, beispielsweise aufgrund der sozialen Funktion

der entsprechenden Begriffe existieren und nicht aufgrund natürlicher Tatsachen. Analog zum Unterschied der Ge-schlechter seien die Unterschiede zwischen den Arten keine „natürlichen“, sondern bloß menschliche Konstruktionen. Dies gelte auch für naturwissenschaftliche Konzepte wie chemische Elemente, biologische Arten und Elementar-Teilchen. So spricht Steve Woolgar in diesem Zusammenhang von einer „Konstitution der Objekte im Rahmen eines Diskurses“ („constitution of objects within a system of discourse“) [26] .

 

 

B. Natürliche Arten in den Wissenschaften

 

Beispiele für die Annahme natürlicher Arten können in allen wissenschaftlichen Disziplinen gefunden werden. Als paradigmatische Beispiele gelten das Konzept der Arten in der Biologie, chemische Elemente (z. B. Gold) und Verbin-dungen (z. B. H2O). Ebenso spricht man beim Standardmodell der Quantenphysik von verschiedenen Arten von Ele-mentarteilchen (Elektron, Tau-Neutrino, Charm-Quark etc.). In der Astronomie werden die Galaxien in verschiedene Arten klassifiziert (Hubble-Klassifikation).

 

Problematischer ist der Art-Begriff in den Sozialwissenschaften, wie z. B. in der Ökonomie oder Soziologie, da die sich verändernden Normen und Praktiken von Individuen und Gesellschaften ebenfalls als konstitutive Faktoren für die Artzugehörigkeit angesehen werden können.

 

Da Arten häufig von den Wissenschaften definiert werden, können sie von diesen auch wieder revidiert werden. So wurde z. B. das Phlogiston bis Antoine Lavoisier als eine Art betrachtet. In der Biologie entstehen durch schnell mutierende Mikroorganismen permanent neue Arten [24].

 

1. Biologie

 

Die biologischen Arten wurden in der Philosophie der Biologie traditionell als das Paradigma natürlicher Arten ange-sehen. So gruppiert das Klassifikationssystem Linnés Organismen aufgrund ihrer allgemeinen physischen Ähnlichkeiten (ihrer Morphologie) in Arten und Gattungen. Es herrschte allerdings aber schon immer die Meinung vor, dass nur die Taxa „Art“ und „Gattung“ die ontologischen Unterteilungen in der Natur widerspiegeln; die höheren Taxa (Familie, Ord-nung, Klasse, Stamm, Domäne etc.) seien konventionelle Einteilungen, die in der Biologie lediglich von heuristischem Nutzen seien [24] .

 

Gegenwärtig besteht in der Biologie keine Einigkeit darüber, wie die Arten genau bestimmt werden sollen. Die Aus-dehnung der Arten und ihre Anzahl wird kontrovers diskutiert. Zum Beispiel sind nach dem „Interbreeding-Species“- Ansatz [27] Arten Gruppen von sich kreuzenden natürlichen Populationen, die von anderen Gruppen reproduktiv isoliert sind. Alternativ dazu werden nach dem phylogenetischen Artkonzept [28] Arten nach gemeinsamer Abstammung klassifiziert. Diese beiden Ansätze grenzen Arten unterschiedlich ein. Einige phylogenetische Arten kreuzen sich nicht

(z. B. sich ungeschlechtlich fortpflanzende Organismen) und sind daher keine Arten nach dem Interbreeding-Ansatz [29].

 

Weiterhin stellt der Prozess der Evolution insofern ein Problem für den Begriff der natürlichen Arten dar, als sich Ab-stammungslinien erst allmählich im Laufe der Zeit entwickeln und dieser Prozess zu neuen Arten führt. Arten sind räumlich-zeitlich begrenzt und können ihre charakteristischen Eigenschaften ändern. Charles Darwin vertrat daher die These, dass die Unterschiede innerhalb und zwischen den Arten nur gradueller Natur sind:

 

Finally, then, varieties have the same general characters as species, for they cannot be distinguished from species,—except, firstly, by the discovery of intermediate linking forms, and the occurrence of such links cannot affect the actual characters of the forms which they connect; and except, secondly, by a certain amount of difference, for two forms, if differing very little, are generally ranked as varieties, notwithstanding that intermediate linking forms have not been discovered; but the amount of difference considered necessary to give to two forms the rank of species is quite indefinite.”

 

Es können denn also Varietäten von Arten nicht unterschieden werden, ausser: erstens durch die Entdeckung von verbindenden Mittelgliedern, und zweitens durch ein gewisses unbestimmtes Maß von Verschiedenheit; denn zwei Formen werden, wenn sie nur sehr wenig von einander abweichen, allgemein nur als Varietäten angesehen, wenn sie auch durch Mittelglieder nicht ver-bunden werden können; der Betrag von Verschiedenheit aber, welcher zur Erhebung zweier Formen zum Artenrang für nötig gehalten wird, kann nicht bestimmt werden.

 

Charles Darwin: On the Origin of Species 1859 [30]

 

2. Chemie

 

In der Philosophie der Chemie werden chemische Elemente und Verbindungen als klassische Kandidaten für natür-liche Arten betrachtet. Wir beziehen uns auf chemische Arten in Gesetzen, Erklärungen und Induktionen. Dass ein bestimm-ter Gegenstand der natürlichen Art „Eisen“ angehört, erklärt sein Verhalten und macht es vorhersagbar. Aus der Beobachtung bestimmter Instanzen von Eisenobjekten lassen sich deren Eigenschaften – wie die Magnetisierbarkeit – per Induktion zu Naturgesetzen verallgemeinern.

 

Chemische Elemente gehorchen zudem dem Erfordernis der kategorialen Unterscheidbarkeit: Eisen unterscheidet sich eindeutig von seinen Nachbarn im Periodensystem (Mangan und Kobalt) [24] . Der Grund der Unterscheidbarkeit der chemischen Arten scheint in ihren mikrostrukturellen Eigenschaften zu liegen [31] . Für ein chemisches Element reicht die Anzahl seiner Protonen im Kern (Ordnungszahl) aus, um es eindeutig zu identifizieren und von anderen abzugrenzen.

 

3. Psychologie

 

In der Philosophie der Psychologie wird diskutiert, ob die verschiedenen Arten von mentalen Geisteszuständen (Über-zeugungen, Wünsche, Hoffnungen, Ängste etc.) natürliche Arten bilden. Dabei handelt es sich nicht um Arten von „Dingen“ – wie in der Biologie, Chemie und Physik –, sondern um Arten von Zuständen und Prozessen [7] [32] .

 

Zum Verständnis natürlicher mentaler Arten kursiert eine Vielzahl an Theorien. Während die Identitätstheorie die Arten mentaler Zustände mit den Arten von Gehirnzuständen gleichsetzt, wendet der Eliminativismus dagegen ein, dass es nicht möglich sei, mentale Arten eindeutig auf neurophysiologische Arten zu reduzieren. Er fordert daher die Eliminie-rung des Konzepts mentaler Arten überhaupt zugunsten neurophysiologischer Arten [33] .

 

Vertreter eines funktionalistischen Ansatzes [34] definieren mentale Arten durch ihre funktionalen Rollen und nicht durch die essentiellen Eigenschaften der neurophysiologischen Arten, die sie realisieren. Dabei spiele es keine Rolle, welche physikalische Art die Realisierung vornimmt. Darüber hinaus wurde diskutiert, ob mentale Konzepte (Begriffe) selbst natürliche Arten sind. Autoren wie Eric Margolis [35] und Jerry Fodor [36] vertreten diese Annahme. Ihr wurde unter anderem von Paul E. Griffiths mit dem Argument widersprochen, dass Begriffe wie „Emotion“ nicht den echten natürlichen Arten entsprechen und daher aus dem wissenschaftlichen Vokabular gestrichen werden sollten [37]. Die Heterogenitätshypothese von Edouard Machery behauptet darüber hinaus, dass die Klasse der mentalen Konzepte keine homogene Klasse darstellt. Vielmehr unterteile sie sich in mehrere verschiedene Arten, die eigentlich wenig gemeinsam haben. Es sei daher ein Fehler, anzunehmen, dass es allgemeine Eigenschaften von Begriffen gibt [38].

 

Literatur

 

Joseph Keim Campbell, Michael O'Rourke, Matthew H. Slater (Hrsg.): Carving Nature at Its Joints: Natural Kinds in Metaphysics and Science. The MIT Press 2011, ISBN 0-262-51626- 8.

 

Chris Daly: Artikel Natural kinds. In: Edward Craig (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy. London/New York 1998, ISBN 0-415-07310-3.

 

Brian Ellis: Scientific Essentialism. Cambridge 2001, ISBN 0-521-80094-3.

 

Muhamad Ali Khalidi: Natural Categories and Human Kinds. Classification in the Natural and Social Sciences. Cambridge 2013.

 

Max Kistler: Natürliche Arten. In: Markus Schrenk (Hrsg.): Handbuch Metaphysik. Metzler, Stuttgart/Weimar 2016, ISBN 978-3-476-02512-8, S. 99–102.

 

Nigel Sabbarton-Leary, Helen Beebee: The semantics and metaphysics of natural kinds. Routledge 2010, ISBN 978-0-203-85233-0.

 

Weblinks

 

Alexander Bird, Emma Tobin: Natural Kinds. (https://plato.stanford.edu/entries/natural-kinds/) In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.

 

Brzović Zdenka: Natural Kinds. (https://iep.utm.edu/nat-kind/) In: J. Fieser, B. Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.

 

Anmerkungen

 

1. Brzović Zdenka: Natural Kinds. (https://iep.utm.edu/nat-kind/) In: J. Fieser, B. Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.

2. Zur Begriffsgeschichte vgl. Bernd Buldt: Art, natürliche. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.:) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1 2005, S. 243.

3. Übersetzung nach Wolfgang Buchwald: Platon: Phaidros. Heimeran, München 1964.

4. Nelson Goodman: Fact, Fiction, and Forecast. London 1954, Cambridge Mass./London 4. Aufl. 1983, S. 31–83 (dt. Tatsache, Fiktion, Voraussage, Frankfurt 1975, 1988, S. 49–109)

5. K. S. Donnellan, Kripke and Putnam on Natural Kind Terms. In: C. Ginet/S. Shoemaker (Hrsg.): Knowledge and Mind. Philosophical Essays, Oxford/New York 1983, S. 84–104.

6. Jerry Fodor: Special Sciences ( or: The Disunity of a Science as a Working Hypothesis). Synthese 28 (1974), S. 97–115.

7. Brian Ellis: Scientific Essentialism. Cambridge Studies in Philosophy. Cambridge University Press, Cambridge 2001.

8. E. J. Lowe: The Possibility of Metaphysics: Substance, Identity, and Time. New York: Oxford University Press 1998.

9. John Stuart Mill: A System of Logic, Ratiocinative and Inductive. London 1843 (Nachdruck 2002).

10. William Whewell: On the Philosophy of Discovery. London: Chapters Historical and Critical 1860.

11. W.V.O. Quine: Natural kinds. In: Nicholas Rescher u. a. (Hrsg.): Essays in Honor of Carl G. Hempel. Dordrecht 1970, S. 41–56; Nachdruck in: W. V. O. Quine: Ontological Relativity and Other Essays. New York 1969, Kap. 5.

12. K. Hawley, A. Bird: What are Natural Kinds? Philosophical Perspectives, 25 (2011), S. 205– 221.

13. Pierre Duhem: La théorie physique [1906]. Paris 1981; dt.: Ziel und Struktur der physikalischen Theorien. hrsg. von Lothar Schäfer, Hamburg 1998.

14. Brian Ellis: Essentialism and Natural Kinds. In: M. Curd and S. Psillos (Hrsg.): The Routledge Companion to Philosophy of Science. Routledge 1999, S. 139–149.

15. Brian Ellis: Scientific Essentialism. Cambridge 2001, S. 19.

16. Elliott Sober: Evolution, Population Thinking and Essentialism. Conceptual Issues. In: Elliott Sober: Evolutionary Biology. MIT Press 1994, S. 161–189.

17. R. A. Wilson, M. J. Barker, I. Brigandt: When Traditional Essentialism Fails: Biological Natural Kinds. Philosophical Topics, Band 35, Nr. 1/2, 2007, S. 189–215.

18. Marc Ereshefsky: Species. (https://plato.stanford.edu/archives/sum2016/entries/species) In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.

19. Muhamad Ali Khalidi: Natural Categories and Human Kinds. Classification in the Natural and Social Sciences. Cambridge 2013.

20. John Dupré: The Disorder of Things. Metaphysical Foundations of the Disunity of Science. Cambridge MA 1993.

21. Muhamad Ali Khalidi: Natural Categories and Human Kinds. Classification in the Natural and Social Sciences. Cambridge 2013, S. 65.

22. John Dupré: Natural Kinds and Biological Taxa. Philosophical Review, 90, Nr. 1 (1981), S. 66–90; später: The Disorder of Things : Metaphysical Foundations of the Disunity of Science, Cambridge MA: Harvard University Press 1993, S. 28.

23. Philip Kitcher: Species. In: Philosophy of Science, Bd. 51, Nr. 2 (1984), S. 308–333.

24. Alexander Bird, Emma Tobin: Natural Kinds. (https://plato.stanford.edu/entries/natural-kinds/) In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.

25. Thomas Reydon: From a Zooming-In Model to a Co-creation Model: Towards a more Dynamic Account of Classification and Kinds. In: C. E. Kendig (Hrsg.): Natural Kinds and Classification in Scientific Practice, Routledge 2016, S. 59–73.

26. Steve Woolgar: Science: The Very Idea. Tavistock, London 1988, S. 73.

27. Z. B. E. Mayr: Principles of Systematic Zoology, McGraw-Hill, New York 1969

28. Z. B. Joel Cracraft: Species Concepts and Speciation Analysis. In: R. Johnston (Hrsg.): Current Ornithology, Plenum Press, New York 1983, S. 159–187.

29. Zur Diskussion vgl. M. Ereshefsky: Species Pluralism and Anti-Realism. In: Philosophy of Science, Bd. 65 (1998), S. 103–120.

30. Charles Darwin: The Origin of Species. In: G. Stade (Hrsg.): Barnes & Noble, New York 2003 [1859], S. 57 (dt.: Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. 5. Auflage, Schweizerbart, Stuttgart 1872, S. 71f.)

31. Robin Findlay Hendry: Elements, Compounds and Other Chemical Kinds. In: Philosophy of Science, Bd. 73 (2006): S. 864–875

32. Brian Ellis: The Philosophy of Nature. Acumen, Chesham 2002.

33. P. M. Churchland: Eliminative Materialism and the Propositional Attitudes. In: Journal of Philosophy, Bd. 78 (1981), S. 67–90; Matter and Consciousness, Revised Edition. Cambridge, Massachusetts: MIT Press 1988.

34. Jerry Fodor: Special Sciences: Still Autonomous After all these Years. In: Philosophical Perspectives, Bd. 11 (1997), S. 149–163.

35. Eric Margolis: A reassessment of the shift from the classical theory of concepts to prototype theory. In: Cognition, Bd. 51 (1994), S. 73–89. The significance of the theory analogy in the psychological study of concepts. In: Mind and Language, 10 (1995), S. 45–71.

36. Jerry Fodor: Concepts, Where cognitive science went wrong. Oxford University Press, New York 1998; LOT 2: The language of thought revisited. Oxford University Press, Oxford 2008.

37. Paul E. Griffiths: What Emotions Really Are: The Problem of Psychological Categories. University of Chicago Press, Chicago 1997 38. Edouard Machery: Doing Without Concepts. Oxford University Press, New York 2009.

 

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https://de.wikipedia.org/wiki/Nat%C3%BCrliche_Art#cite_ref-Lowe_1998_8-0

 


 

Natürliche Arten und die ökologische Krise der Menschheit

 

Der Begriff der Natürlichen Art hat in der europäischen Philosophie eine lange Vorgeschichte, die sich mindestens bis zu Platon und Aristoteles zurückverfolgen lässt und dann über die Scholastik auch auf neuzeitliche Rationalisten wie Descartes, Spinoza und Leibniz gewirkt hat.

 

Sokrates hat in Platons Dialog Phaidros empfohlen, zur Erkenntnis des Wahren möglichst die Dinge im nüchternen Denken so zu beschreiben, wie sie an sich sind und sie nur in ihre natürlichen Teile zu zerlegen, nicht aber willkürlich

„wie schlechte Köche zu zerbrechen“. Um nüchtern zu bleiben sollte man sich nicht von verschiedenen Formen des menschlichen Wahnsinns leiten lassen, sei es vom pathologischen Wahnsinn der Geisteskranken, dem enthusiastischen Wahnsinn der Frommen und Poeten oder aber vom erotischen Wahnsinn der Liebenden.

 

Aristoteles unterschied daran anknüpfend jedoch nicht nur mereologisch zwischen den Teilen und dem Ganzen von Substanzen, sondern auch ontologisch zwischen wesentlichen oder intrinsischen Eigenschaften und unwesentlichen oder akzidentellen Eigenschaften von Substanzen. Während die Arme und Beine, Hände und Füße "nur" mereologische Teile der Menschen sind, die aufgrund von angeborenen Behinderungen, späteren Verletzungen oder lebensrettenden Amputationen fehlen können, ohne, dass jemand deswegen aufhört, ein Mensch zu sein, sind seine spezifisch mensch-liche Sprachfähigkeit und seine Vernunftbegabung spezifisch menschliche Eigenschaften, die Menschen von leblosen Dingen, lebendigen Pflanzen und empfindungsfähigen Tieren unterscheiden.

 

Aber auch die menschliche Sprachfähigkeit und Vernunftbegabung können wie im Falle von Geistes- oder Gemüts-erkrankungen oder wie im Falle von Demenz oder Läsionen des Gehirns zumindest teilweise beschädigt werden oder verloren gehen, ohne dass Menschen deswegen aufhören Menschen zu sein. Außerdem müssen auch nach Aristoteles diese beiden spezifisch menschlichen Eigenschaften zuerst in einer Gemeinschaft von kompetenten und gesunden Sprechern einer Sprache erworben werden, denn sie sind nur als Potenziale angeboren und müssen durch Übung und Lernen aktualisiert werden. Menschen sind also von Natur aus soziale und politische Lebewesen (zoon politikon), die nur in einer Polis bzw. in einer sozialen oder politischen Gemeinschaft sich selbst verwirklichen und ihr angeborenes Potential voll entfalten können.

 

Im sog. Porphyrianischen Baum der Scholastik wurde diese aristotelische Unterscheidung zwischen intrinsischen und akzidentellen Eigenschaften jedoch von der menschlichen Erfahrung der stets dynamischen Wirklichkeit in Raum und Zeit abgelöst und zu einem angeblich apriorischen und zeitlos gültigen System der Begriffe umgewandelt. Daher wurde es nicht mehr nur wie von Aristoteles selbst nur als ein oft nützliches Werkzeug (organon) zur Erkenntnis der Wirklichkeit aufgefasst, sondern für ein abstraktes und starres System zur erfahrungslosen geistigen Vorstellung eines allgemeinen ontologischen Zusammenhanges aller Dinge gehalten.

 

Die Wirkungsgeschichte dieser scholastischen Denkweise wurde zuerst von den englischen Empiristen und dann auch von Kant und den Deutschen Idealisten unterbrochen, um dann im englischen Empirismus des 19. Jahrhunderts in Kontroversen über die Rolle der Bezugnahme auf natürliche Arten für induktives Schließen bei John Stuart Mill und William Whewell wieder aufzuleben.

 

1. Die Debatte über natürliche Arten in der zeitgenössischen Analytischen Philosophie

 

In der zeitgenössischen Analytischen Philosophie gibt es eine interessante philosophische Kontroverse über den Begriff und das Problem der vom menschlichen Bewusstsein und empirischen Verstand unabhängigen Existenz natürlicher Arten die auf eine frühere Kontroverse aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zurück geht.

 

Während Nelson Goodman die empiristische Annahme, dass natürliche Arten durch induktives Schließen gerechtfertigt werden könnten, kritisierte und die Annahme natürlicher Arten ganz allgemein für bloß konventionell begründet hielt, verteidigte Willard Van Orman Quine die Bezeichnungen für natürliche Arten als vorwissenschaftliche Begriffe zur Klassifikation von Entitäten, die dann jedoch durch wissenschaftlich validierbare Kriterien bestätigt oder aber ersetzt werden müssten.

 

So ist zum Beispiel ‚Wasser‘ ein vorwissenschaftlicher Begriff unseres Verständnisses für eine flüssige und weitgehend durchsichtige, geruchslose und geschmacklose Substanz in unserer natürlichen und kulturellen Lebenswelt, die bei zunehmender Kälte (unter 0 Grad Celsius) gefrieren und bei zunehmender Hitze (über 100 Grad Celsius) sprudelnd kochen und verdampfen kann. Chemiker haben diese natürliche Art oder Substanz als H²O bestimmt, weil sie sich chemisch in die beiden Elemente Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen lässt und aus ihnen zusammengesetzt ist.

 

Saul Kripke und Hilary Putnam verteidigten dann jedoch gegen Quine wieder den Begriff der natürlichen Arten mit ihrer Auffassung, dass es nicht nur semantisch bedingte notwendige Wahrheiten a priori, wie z.B. „Junggesellen sind unverheiratete Männer.“, sondern auch referentiell bedingte notwendige Wahrheiten a posteriori gibt. Denn der um-gangssprachliche Ausdruck ‚Wasser‘ bezieht sich unabhängig von den psychischen Assoziationen und semantischen Konnotationen kompetenter Sprecher des Deutschen immer auf ein und dieselbe Substanz Wasser im Sinne einer rigiden bzw. nicht flexiblen Bezeichnung. Um Wasser zutreffend als ‚Wasser‘ zu benennen und als Wasser zu erkennen, müssen kompetente Sprecher des Deutschen, wie z.B. Vorschulkinder (noch) nichts von der chemischen Analyse von Wasser als H²O wissen. Sie müssen auch noch nicht die exakten Temperaturgrade kennen, bei denen weitgehend sauberes bzw. nicht stark verunreinigtes und unvermischtes Wasser normalerweise gefriert oder kocht.

 

In der zeitgenössischen Analytischen Philosophie stehen sich derzeit zwei verschiedene Lager mit ihren gegensätz-lichen Auffassungen gegenüber, nämlich die Realisten bezüglich natürlicher Arten in drei Varianten einschließlich des überlieferten metaphysischen Essentialismus, und die Konventionalisten bezüglich natürlicher Arten in zwei Varianten. Die Kontroverse schließt dann auch Diskussionen über natürliche Arten in verschiedenen Einzelwissenschaften mit ein mit einem schwerpunktmäßigen Bezug auf Physik, Chemie, Biologie und Psychologie.

 

2. Allgemeine Kritik an der Debatte über natürliche Arten in der zeitgenössischen Analytischen Philosophie

 

Die charakteristischen Stärken der Analytischen Philosophie bestehen auch hier wieder einmal in der genauen begriff-lichen Differenzierung von ontologischen, epistemologischen und semantischen Aspekten, in der Differen-zierung verschiedener Positionen in der Debatte und schließlich in der Berücksichtigung des Problem der Anwend-barkeit des Begriffs der natürlichen Art in einigen Einzelwissenschaften wie Physik, Chemie, Biologie und Psychologie.

 

Die charakteristischen Schwächen der Analytischen Philosophie bestehen auch hier wieder einmal (1.) zumindest

bei den meisten Realisten in der Vorentscheidung für einen Naturalismus und Szientismus, (2.) Es fehlen jedoch oft phänomenologische Aspekte und Analysen ebenso wie kritisch-realistische und kritisch-rationalistische Positionen, die zumindest die Möglichkeit eines vorwissenschaftlichen, aber universalen bzw. interkulturellen Common Sense in Betracht ziehen, (3.) Es fehlt die selbstbezügliche Reflexion auf den sozialen Ursprung und den akademischen Kontext der Debatte und ihrer sozialen und politischen Rolle, auf die ethische und moralische Relevanz sowie die potentielle Wirkung in den wissenschaftlich-technisch fortgeschrittenen Industriegesellschaften. (4.) Es fehlt daher auch die normative Reflexion der sozialen und politischen Relevanz des Themas und Problems der Natürlichen Arten für die aktuellen Krisen und politischen Probleme der Menschheit.

 

Zumindest in Bezug auf die Punkte (3.) und (4.) könnten die an der Debatte beteiligten Analytischen Philosophen im Geiste des Liberalismus einwenden, dass man diese selbstbezüglichen und normativen Reflexionen lieber den Disku-tanten und Rezipienten selbst überlässt, damit sie dann ihre eigenen Konsequenzen und Bewertungen vornehmen können. Dieser Einwand im Geiste des Liberalismus könnte jedoch verdecken, dass es eventuell sozialwissenschaftlich nachweisbare schädliche und nur schwer reparable ökologische und politische Konsequenzen für die Gesellschaft gibt, die von keiner einzelnen Position aus verantwortbar sind.

 

Unter einem Naturalismus verstehe ich die weltanschauliche bzw. philosophische Auffassung, dass alles, was es in

der irdischen Welt und im ganzen raumzeitlichen Universum überhaupt gibt, nur physische Entitäten aus Materie und Energie sind (Poppers Welt 1) und keine Subjekte oder Personen mit ihren ontologisch eigenständigen und irreduziblen emotionalen, motivationalen und kognitiven Bewusstseinsphänomenen (Poppers Welt 2), auch keine abstrakten Entitäten und keine Entitäten des objektiven Geistes (Poppers Welt 3) sowie insbesondere keine objektiven Werte,

wie z.B. des Logischen und Mathematischen, des Ästhetischen und Ethischen, des Moralischen und Rechtlichen, des Ökonomischen und Politischen oder des Religiösen und Spirituellen.

 

Menschen sind einer solchen naturalistischen bzw. szientistischen Weltanschauung zufolge nur außergewöhnliche "Gehirntiere" und seltsame Nebenprodukte der Evolution, die zwar mit komplexeren Lauten und Zeichen kommunizie-ren, aber puncto evolutionäre Anpassung an ihre Umwelt und langfristige Überlebenschancen der Gattung weit hinter den meisten Ameisen und anderen Insekten zurückbleiben. Denn so verstanden gibt es keinen wesentlichen Unter-schied zur biologisch und darwinistisch nützlichen Kommunikation der Tiere, also auch keine schöpferische Begabung und keine Vernunft, keine Willensfreiheit und keine Würde.

 

Unter einem Szientismus verstehe ich die weltanschauliche bzw. philosophische Auffassung, dass alles, was es in der irdischen Welt und im ganzen raumzeitlichen Universum überhaupt gibt, das ist, was jeweils die fortgeschrittensten Naturwissenschaften in ihren Hypothesen und Theorien besagen. Die ganze Wahrheit über uns selbst und unser menschliches Dasein in dieser irdischen Welt und im ganzen raumzeitlichen Universum, werden die besten Wissen-schaftler jedoch erst in einer fernen Zukunft und an einem utopischen Ende der wissenschaftlichen Forschungen der Menschheit kennen und alle derzeitigen wissenschaftlichen Vermutungen basieren nur auf vorläufigen Hypothesen

und Theorien, Argumentationen und Diskussionen ohne einen gesicherten Anspruch auf Wahrheit und Gewissheit.

 

3. Einschätzung der Debatte von einem kritisch-realistischen Standpunkt aus

 

Im Folgenden will ich versuchen, eine kritische Einschätzung der Debatte zwischen Realisten und Konventionalisten hinsichtlich des Problems der natürlichen Arten zu geben. Mein eigener kritisch-realistischer Standpunkt geht von gewöhnlichen und weit verbreiteten vorwissenschaftlichen Überzeugungen des Common-Sense aus, bleibt jedoch nicht bei ihnen dogmatisch stehen, sondern reflektiert ihn logisch und epistemologisch, ontologisch und dialektisch auf einen allgemeinen und universalen Wahrheitsanspruch hin, ohne einen Naturalismus oder Szientismus vorauszusetzen.

 

Der Realismus der natürlichen Arten besagt, dass es in der natürlichen Lebenswelt wirklich natürliche Arten gibt,

die erwachsene Menschen gewöhnlich als verschiedene Arten erkennen, klassifizieren und benennen können. Diese Auf-fassung ist nicht bloß semantisch und setzt anders als die Auffassungen von Goodman, Quine, Kripke und Putnam

keine bestimmte Sprachphilosophie oder Semantik, wie z.B. eine Semantik der rigiden Bezeichnungen (rigid designators) oder der möglichen Welten (possible worlds) voraus.

 

Was spricht für den Realismus der natürlichen Arten?

 

Jedes europäische Schulkind von 10-12 Jahren weiß, dass es Äpfel und Birnen, Orangen und Zitronen, Kartoffeln und Karotten, Gurken und Tomaten, also Obst und Gemüse gibt. Aber es weiß auch, dass es Jungen und Mädchen, Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, Menschen und Affen gibt und dass es wie seine Eltern und seine Geschwister ein Mensch und kein Affe ist. Es kennt auch einige allgemein bekannte Tierarten zumindest aus Büchern und Filmen, aus Bildern und Fotos oder gar aus der Wirklichkeit, wie z.B. Hunde und Katzen, Pferde und Kühe, Schlangen und Eidechsen, Ameisen und Käfer, Hühner und Enten, Gänse und Schwäne, etc.

 

Es gibt also natürliche Arten in der Lebenswelt und sie wurden von Menschen in allen Kulturen schon lange vor der Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaften und ihrer Entdeckung von Naturgesetzen in Europa entdeckt.

Die Tatsache, dass es verschiedene natürliche Arten gibt, ist eine ontologische und nicht nur eine epistemologische

oder gar semantische Tatsache. Die Tatsache, dass Kinder ab einem bestimmten Alter, verschiedene natürliche Arten ihrer Lebenswelt kognitiv und sprachlich unterscheiden lernen können, ist eine epistemologische bzw. entwicklungs- und kognitionspsychologische Tatsache und keine semantische Tatsache.

 

Die mutmaßliche Tatsache, dass es verschiedene natürliche Arten gibt, ist demzufolge keine bloß fachwissenschaftliche oder wissenschaftstheoretische Tatsache. Es ist jedoch eine wissenschaftliche, wissenschaftshistorische und wissen-schaftstheoretische Frage, wann und wie in den neuzeitlichen Naturwissenschaften von Physik, Chemie und Biologie, in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften von Psychologie, Soziologie und Ethnologie, in den Praktischen Wissenschaf-ten von Medizin, Ökonomie und Jurisprudenz sowie in den Historischen Wissenschaften von Kunst- und Religions-geschichte, etc. besondere, zuvor unbekannte natürliche Arten entdeckt werden, wie z.B. kleinste atomare Teilchen in der Physik, die Elemente in der Chemie, neue Arten in der Biologie und bestimmte Geistes- und Gemütskrankheiten in der Psychiatrie, die vorwissenschaftlichen Menschen, Kulturen und Völkern noch nicht bekannt waren.

 

Der Konventionalismus der natürlichen Arten besagt, dass es eigentlich entgegen dem Anschein und der Auffassung des Common Sense in der natürlichen Lebenswelt gar keine vom menschlichen Bewusstsein und Verstand unabhängige natürliche Arten gibt, die erwachsene Menschen gewöhnlich als verschiedene Arten erkennen und benennen können.

 

Eigentlich gibt es den Konventionalisten zufolge in verschiedenen Kulturen und Völkern nur verschiedene konventio-nelle Arten und Weisen der sinnlichen Wahrnehmung, der kognitiven Klassifikation und der sprachlichen Beschreibung und Benennung von natürlichen Arten. Diese sinnlichen Wahrnehmungen, kognitiven Klassifikationen und sprachlichen Beschreibungen und Benennungen von natürlichen Arten hängen jedoch von den jeweiligen (individuellen oder kollek-tiven) Interessen und Zielen der Menschen ab.

 

Einige Indios in den Regenwäldern von Südamerika zum Beispiel, die noch kaum Kontakt mit der wissenschaftlich-technisch geprägten Kultur hatten, nehmen ihre natürliche Lebenswelt in den Regenwäldern nicht nur etwas anders

akzentuiert wahr, sondern sie bilden auch andere kognitive Klassifikationen aus und drücken sie mit den Bezeichnungen und Beschreibungen ihrer eigenen indianischen Sprache aus. Diese Differenzen sind durch ihre anderen kollektiven Interessen und anderen Lebenszielen bedingt. Diese Auffassung ist nicht bloß semantisch und setzt anders als die Auffassungen von Goodman, Quine, Kripke und Putnam keine bestimmte Semantik der Referenz oder eine andere komplexe Sprachphilosophie voraus.

 

Was spricht für den Konventionalismus der menschlichen Klassifikationen von natürlichen Arten?

 

Für den Konventionalismus der menschlichen Klassifikationen von natürlichen Arten spricht also die durch Interessen und Lebensweisen bedingten abweichenden Wahrnehmungsgewohnheiten und verschiedenen Aufmerksamkeiten sowie andere kognitive Klassifikationen und sprachliche Bezeichnungen und Beschreibungen. Für den Realismus der Zuverlässigkeit menschlichen Klassifikationen von natürlichen Arten und daher auch der Existenz von bestimmten natürlichen Arten spricht die Tatsache der Überlebensfähigkeit der Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt. Aber während ein in den passenden Strategien des Überlebens im Urwald ungeübter europäischer Intellektueller vermutlich kaum alleine in den Regenwäldern Brasiliens überleben könnte, könnte ein Indio aus den Regenwäldern ohne vorheri-gen Kontakt mit der wissenschaftlich-technisch geprägten Kultur und ohne die deutsche Sprache kaum alleine ohne fremde Hilfe in der City von Frankfurt am Main bestehen.

 

4. Der kritische Realismus der natürlichen Arten

 

Die aktuellen sinnlichen Wahrnehmungen der Menschen können trotz gewisser genetischer und physiologischer

Gemeinsamkeiten der in der Evolution entstandenen menschlichen Wahrnehmungsorgane und neurophysiologischen Prozesse der Verarbeitung des sinnlichen Gehaltes der Wahrnehmungen niemals ganz gleich sein. Ganz identisch können sie in verschiedenen Individuen aufgrund ihrer verschiedenen raumzeitlichen Positionen wegen der verschie-denen Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt ohnehin nicht sein, selbst wenn es sich um lebensgeschichtlich ungetrennte eineiige Zwillinge handeln würde.

 

Die aktuellen kognitiven Klassifikationen von natürlichen Arten können trotz ähnlicher allgemein menschlicher Grundbedürfnisse, Interessen und Lebensziele ebenfalls niemals ganz gleich sein. Die Differenzen verschärfen sich selbstverständlich, wenn zwei Menschen in verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften mit verschiedenen Sprachen und Dialekten sowie mit unterschiedlichen kognitiven und spirituellen Horizonten der Ausbildung und Bildung aufge-wachsen sind.

 

Aber auch wenn solche Indios manche europäischen Obst- und Gemüsesorten nicht kennen und als Obst oder Gemüse kategorisieren können, müssen ihre Wahrnehmungen und Klassifikationen der anderen natürlichen Arten, die sie gut kennen, anders als ihre sprachlichen Bezeichnungen und Beschreibungen, nicht bloße Konventionen sein, sondern können die realen Naturdinge zutreffend z.B. als genießbare, nahrhafte, gesunde und wohlschmeckende Obst- und Gemüsesorten erfassen, weil sie die selben an die Umwelt angepassten sinnlichen Wahrnehmungsorgane und kogni-tiven Klassifikationsfähigkeiten haben wie Europäer. Sie haben nur einige andere Gewohnheiten der Aufmerksamkeit, andere Interessen und Lebensziele. Aber die menschlichen Grundbedürfnisse nach Atemluft, Trinkwasser und Nahrung, Bewegung und Schlaf, etc. sind aufgrund der weitgehend gemeinsamen menschlichen Natur gleich.

 

So kennen und unterscheiden manche Indios vielleicht einige verschiedene Sorten von Bananen und Kartoffeln und können sie genau in ihrer Sprache bezeichnen und beschreiben. Aber diese Unterschiede bedeuten nicht, dass Europäer nicht von ihnen etwas über natürliche Arten in der Welt lernen könnten. Ihre von den Europäern abweichenden Wahr-nehmungen, Aufmerksamkeiten und Klassifikationen erzeugen keine Fakten und auch „alternativen Fakten“, sondern zeigen den Europäern Fakten über die Flora und Fauna der Regenwälder, die die meisten von ihnen noch nicht kannten.

 

Der starke Konventionalismus der natürlichen Arten nimmt jedoch an, dass alle menschlichen Wahrnehmungs-gewohnheiten und Klassifikationen nur konventioneller Art sind und leugnet daher, dass sie einer vom Bewusstsein

und Verstand der Tiere und Menschen unabhängigen Wirklichkeit von natürlichen Arten gegenüber angemessen oder adäquat sein können. Damit erinnert der starke Konventionalismus an den subjektivistischen Phänomenalismus (Ernst Mach), den postmodernen Konstruktivismus (Jacques Derrida) oder den amerikanischen Pragmatismus (Richard Rorty), die ebenfalls eine vom Bewusstsein und Verstand der Tiere und Menschen unabhängige Wirklichkeit ablehnen und alle menschlichen Wahrnehmungsgewohnheiten und Klassifikationen auf die Subjektivität, auf kognitive Konstruktion oder bloße Nützlichkeit zurückzuführen versuchen.

 

Der starke Realismus der natürlichen Arten befürwortet hingegen dass die empirisch erkennbaren Naturdinge un-abhängig von den menschlichen Wahrnehmungs- und Klassifikationsgewohnheiten wirklich bestehen und entweder angemessen erfasst werden oder nicht.

 

Der kritische Realismus der natürlichen Arten entspricht dem starken Realismus und stimmt ihm zu. Aber der kritische Realismus ist kein apriorischer Essentialismus platonischer „Wesenheiten“ und kein wissenschaftlicher Realis-mus, der sich auf wissenschaftlich erforschbare aposteriorische „Essenzen“ bzw. auf essentialistisch verstandene „Substanzen“ wie die DNA, objektiv erforschbare neuronale Hirnprozesse oder ähnliche, nicht direkt wahrnehmbare theoretische Entitäten der Humangenetik, der Mikrobiologie oder der Neurowissenschaften bezieht. Denn der wissenschaftliche Realismus postuliert theoretische Entitäten als vermeintliche letzte unhintergehbare Elemente, die den manifesten Entitäten der Lebenswelt zugrunde liegen und sie determinieren. So haben Biologen und Neuro-wissenschaftler postuliert, dass Menschen von ihren Genen (Erbinformationen) und Memen (neuronalen Informations-einheiten) als verborgenen Kräften gesteuert werden. Das klingt bisweilen eher nach einer szientistischen Mythologie der Gene und Meme.

 

Der kritische Realismus der natürlichen Arten begnügt sich damit, die phänotypischen Gestalten, die der Wahr-nehmung von Tieren und Menschen zugänglich sind, im Auge behalten, zumal sich Menschen verschiedener Kulturen und Völker, Bildungshorizonte und Weltanschauungen, Religionen und Konfessionen gemeinsam auf sie beziehen können und daher auch die bestehenden Verschiedenheiten ihrer kognitiven Klassifikationen abgleichen können und sich gegenseitig im Dialog verständigen können.

 

Dialoge haben jedoch nach Martin Buber aus einer übergeordneten neutralen Perspektive der dritten Person, (1.) die ontologische Struktur von zwei oder mehreren wechselseitigen Ich-Du-Subjekten bzw. Ich-Du-Personen, die keine natürlichen Arten, sondern nur potentielle Rollen und Positionen im Dialog sind, (2.) die potentielle Bezugnahme auf objektive und dingliche Es-Gegenständlichkeit, auf der natürliche Arten erscheinen können und (3.) den potentiellen Bezug auf ein personal gedachtes absolute Du bzw. eine nicht-personal gedachte Transzendenz.

 

Der scholastische Baum von Porphyrius ist jedoch -- lediglich als hegelianische Begriffsanalyse genommen -- immer

noch korrekt, den die beiden Individuen Sokrates und Aristoteles fallen unter die verschiedenen Begriffe von Mensch, Grieche, Mann und Philosoph. Und aus dem Begriff des Menschen folgt auch nach den Entdeckungen von Charles Darwin über die Evolution der Arten (1.) immer noch, dass Menschen vernünftige (vernunftbegabte) Lebewesen, aber keine Tiere sind, (2.) dass Tiere empfindungsfähige Lebewesen, aber keine Pflanzen sind und (3.) dass Pflanzen belebte Organismen, aber keine unbelebten oder toten Naturdinge oder anorganische Substanzen sind.

 

5. Die Folgen der fehlenden Selbstreflexion des Naturalismus und Szientismus

 

Aufgrund dieser fehlenden Selbstreflexion des Naturalismus und Szientismus und der Anknüpfung an die empi-ristische Tradition bei Mill und Whewell, wird nicht realisiert:

 

(1.) dass der Naturalismus und Szientismus als Weltanschauung der wissenschaftlich-technisch geprägten Industrie-nationen im Verbund mit dem Kapitalismus die ökologische Krise der Menschheit erzeugt hat (Selbstentfremdung, Seins- und Naturvergessenheit, Klimawandel, Ressourcenverschwendung) , die zur Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen für alles Leben auf der Erde und damit auch für den Menschen führen könnte,

 

(2.) dass der Naturalismus und Szientismus als Weltanschaung der wissenschaftlich-technisch geprägten Industrie-nationen im Verbund mit dem Kapitalismus die friedenspolitische Krise der Menschheit (ABC-Waffen, Atomare Auf-rüstung und Bedrohung, Wettrüsten) erzeugt hat, die zur Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen für alles Leben auf der Erde und damit auch für den Menschen führen könnte,

 

(3.) dass der Naturalismus und Szientismus als Weltanschaung der wissenschaftlich-technisch geprägten Industrie-nationen die dominante Weltanschauung einer weltweiten Kaste nur einseitig wissenschaftlich-technisch ausgebildeter, aber im humanistischen Sinne ungebildeter Technokraten ist, die den Profitinteressen der weltweit agierenden Finanz-kapitalisten in den Banken und Börsen, Großunternehmen und IT-Konzernen dienen und die die Ausbeutung von Mensch und Natur zwecks Steigerung von Profit- und Wachstumszielen vorantreiben,

 

(4.) dass der Naturalismus und Szientismus als Weltanschaung der wissenschaftlich-technisch geprägten Industrie-nationen reduktionistische und eliminativistische Positionen in Bezug auf die Psyche (psychische Phänomene und Fähigkeiten) von Menschen und Tieren (also von zwei unterschiedlichen natürlichen Arten) vertritt, sodass deren natürliche Interessen unterwandert sowie deren kognitive Fähigkeiten missachtet werden,

 

(5.) dass der Naturalismus und Szientismus als Weltanschaung der wissenschaftlich-technisch geprägten Industrie-nationen reduktionistische und eliminativistische Positionen in Bezug auf die Psyche (psychischen Phänomene und Fähigkeiten) von Menschen vertritt, sodass die erlernten Fähigkeit zur Willensfreiheit und Vernunft sowie zum schöpfe-rischen Denken, Fühlen und Handeln und damit die einzigartige und universale Würde der Menschen geleugnet wird,

 

(6.) dass der Naturalismus und Szientismus als Weltanschaung der wissenschaftlich-technisch geprägten Industrie-nationen aufgrund seiner empiristischen und nominalistischen Voraussetzungen die "regulativen Ideale" (Kant) bzw.

die scholastischen "Transzendentalien" (Albertus Magnus) des Seienden, Einen und Anderen sowie des Wahren, Guten und Schönen unterwandert und eliminiert.

 

(7.) dass die herausragende kulturelle Bedeutung sittlich und religiös maßgeblicher Individuen, wie Sokrates und Jesus, Platon und Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin, Abraham und Mose, Mohammed und Zoroaster, Buddha und Guru Nanak, Lau Dse und Konfuzius, Kant und Hegel, u.v.a.m. völlig unverstanden bleiben. In der naturalistischen und szientistischen Weltanschauung kommen keine Individuen und keine Personen vor.

 

Soll es wirklich nur ein seltsamer Zufall sein, dass die postmoderne (skeptische, konventionalistische, pragmatistische und konstruktivistische) Leugnung der objektiv erkennbaren Realität natürlicher (biologischer) Arten unabhängig vom menschlichen Bewußtsein und Verstand mit dem ersten und größten von den Menschen verursachten Artensterben einhergeht, dass es auf der Erde jemals gegeben hat?

 

Artensterben aufgrund von großen Vulkanausbrüchen und Meteoriteneinschlägen hat es in der viele Millionen Jahre langen Erdgeschichte und Evolution der Arten immer wieder gegeben. Aber die von Menschen und ihrer wissenschaft-lich-technischen Kultur verursachte Zerstörung der natürlichen (biologischen) Arten und ihrer Lebensgrundlagen findet in der viele Millionen Jahre langen Geschichte der Menschheit zum ersten Mal statt. Es scheint mir daher, dass es bitter notwendig ist, die Realität natürlicher Arten zu verteidigen, ohne einem naturalistischen oder szientistischen  Reduktionismus zu verfallen.

 

6. Kritischer Realismus bezüglich natürlicher Arten

 

Von meinem kritisch-realistischen Standpunkt aus werde ich die folgenden acht Thesen zur Realität natürlicher Arten formulieren und gegen den starken und schwachen Konventionalismus verteidigen:

 

(1.) Es gibt natürliche Arten, aber sie existieren nicht unabhängig von konkreten Individuen, in denen sie instantiiert sind. Es gibt z.B. keine "Pferdheit" (Universalien) kausal unabhängig und zeitlich vor von verschiedenen Pferderassen und es gibt auch keine Pferderassen ohne einzelne konkrete raumzeitliche Pferde, die sie exemplifizieren. Konkrete Pferde (Individuen und Gruppen bzw. Herden) können von Menschen beobachtet, gezähmt, beritten und gezüchtet werden können, die sog. "Pferdheit" als raum- und zeitlose Universalie jedoch nicht.

 

(2.) Natürliche Arten können aussterben und es sind im Laufe der Erdgeschichte und Evolution der Arten auf der Erde bereits unzählige natürliche Arten ausgestorben. So starb z.B. das letzte bekannte Exemplar des Beutelwolfes oder des Tasmanischen Tigers, der nach der Quartären Aussterbewelle auf dem australischen Kontinent lebte, 1936 im Zoo von Horbart auf Tasmanien aus. Es könnte in Zukunft jedoch eventuell möglich werden, bereits ausgestorbene natürliche Arten aufgrund von gefundenen und aufbewahrten Genmaterialien wieder aufleben zu lassen und zu züchten.

 

(3.) Es ist möglich, neue künstliche "natürliche Arten" durch genetische Kreuzungen bzw. Züchtungen zu erzeugen. Die Grenzen der Möglichkeit von solchen Kreuzungen sind zugleich die Grenzen der natürlichen Arten. So konnten bisher Pferde verschiedener Rassen und vielleicht auch Pferde mit ähnlichen Arten wie Eseln, Maultieren und Zebras gekreuzt und gezüchtet werden, aber nicht Pferde und Kühe. Aber das sind empirische und praktische Probleme, so-dass diese Grenzen nicht ewig bestehen und nicht durch genetisches Wissen und Können erweitert werden könnten. Wissenschaftstheoretisch haben diese Grenzen mit den Genen und ihren kausalen Kräften zu tun.

 

(4.) Natürliche Arten zeichnen sich nicht nur durch charakteristische phänomenale Eigenschaften (Attribute) oder bestimmte empirische Merkmale, sondern auch durch kausale Strukturen (causal powers) aus, anhand deren sie von anderen Arten unterschieden und bestimmt werden können. Zebras zeichnen sich z.B. im Vergleich zu Eseln, Maultieren und Pferden durch ihre schwarzen vertikalen Streifen auf ihrem weißen Fell aus. Aber dahinter liegen sich bestimmte kausale Strukturen (causal powers), die für die Vererbung dieser empirischen Merkmale sorgen. Aber es könnte evtl. durch genetische Manipulationen machbar werden, Zebras ohne ihre chakteristischen Streifen zu züchten.

 

(5.) Es gibt natürliche Arten in der irdischen Natur und im Universum zumindest auf den physikalischen, chemischen

und biologischen Ebenen. Aber es gibt schwierige Grenzfälle auf allen Ebenen (z.B. in der Teilchenphysik, in der anorga-nischen Chemie und in der Molekularbiologie) zumal aufgrund von komplexen Kausalitäten und dynamischen Wechsel-wirkungen auf allen Ebenen und aufgrund von teleonomen und intentionalen Relationen auf der biologischen Ebene.

 

(6.) Die Existenz natürlicher Arten auf diesen drei Ebenen ist grundsätzlich nicht abhängig von menschlichen Inte-ressen (Erkenntnis- und/ oder Gebrauchsinteressen). Aber naturwissenschaftliche Forschung ist niemals ganz frei von menschlichen Interessen, denn auch die theoretische Neugier und wissenschaftliche Entdeckerlust sind spezifisch menschliche Interessen. Die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis ist zwar Ziel und Aufgabe, aber keine psycho-logische und soziale Realität. Die Züchtung von alten oder neuen "natürlichen Arten" durch gezielte Kreuzung oder genetische Manipulationen ist dann jedoch von menschlichen Interessen abhängig.

 

(7.) Die Existenz natürlicher Arten auf diesen drei Ebenen ist nicht abhängig von sprachlichen Konventionen oder kognitiven Klassifikationen. Sprachliche und kognitive Klassifikationen werden zumindest in den Naturwissenschaften als kognitive Instrumente benutzt, weiter entwickelt und verbessert, um die Natur und ihre natürlichen Arten möglichst adäquat zu beschreiben und um ihr Verhalten objektiv zu erklären und umfassend zu verstehen. Sobald jedoch neue natürliche Arten entstehen oder gezüchtet werden, wie z.B. neue, bisher unbekannte Coronaviren, ändern sich dann auch die bisher bekannten kognitiven Klassifikationen und sprachliche Konventionen. Z. B. werden neue Ausdrücke,

wie z.B. "Covid 19" für neue Arten von Coronaviren und ihre Mutationen eingeführt.

 

(8.) Die Zeitlichkeit der Naturgeschichte mit ihrer evolutionären Entwicklung natürlicher Arten von Lebendigem und Lebewesen widerspricht nur der vermeintlichen Zeitlosigkeit der verschiedenen natürlichen Arten als essentialis-tisch gedachten Wesenheiten oder Universalien (wie z.B. "Pferdheiten"), aber nicht ihrer objektiv gedachten Existenz, ihrer relativen diachronischen Stabilität bei gleichzeitigem Strukturwandel durch eine ständige Interaktion zwischen Phänotypus und Genotypus der Organismen in ihrer Umwelt. Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Leugnung der Existenz von natürlichen Arten und ihrer spezifischen Attribute und kausalen Strukturen durch eine radikale Prozess-philosophie im Anschluss an Heraklit, Hegel, Schelling, Whitehead oder Rescher.

 

7. Gründe für den kritischen Realismus bezüglich natürlicher Arten

 

Die Sonne in unserem Sonnensystem und die Planeten Mars und Venus hat es schon gegeben, bevor sich unser Mond aus einem herausgeschleuderten Teil der Erde zu einem die Erde umkreisenden Mond gebildet hat. Diese kosmischen Körper existierten schon lange bevor sich auf der Erde Menschen aus Primaten entwickelt haben. Wie sollten diese natürlichen Arten (Sonnen, Planeten, Monde, etc.) von sprachlichen Konventionen und kognitiven Klassifikationen abhängen, zumal es doch für sie verschiedene Bezeichnungen in verschiedenen Sprachen gibt?

 

Das Gleiche gilt für die Elemente, wie das glühende Magma unter der Erdkruste und für das flüssige Wasser der Meere, Seen und Flüsse oder für die sauerstoffhaltige Luft der Erdatmosphäre. Die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft kennen Menschen in allen Kulturen aus eigener Erfahrung und können sie in allen Sprachen bezeichnen und beschrei-ben. Das gilt auch dann, wenn in Ost und West oft ein fünftes Element, wie der Äther (als Quintessenz in der europäi-schen Elementenlehre) oder das Holz oder das Metall (anstelle der Luft (!) als viertes und fünftes Element in der chinesischen Elementenlehre) hinzugedacht wurde, um aus der bloßen Reflexion über die typischen Eigenschaften dieser Elemente angebliche apriorische Einsichten darüber zu gewinnen, "was die Welt im Innersten zusammen hält".

 

Wie sollten diese Elemente oder auch die natürliche Arten Gold und Silber, Schwefel und Phosphor, die durch Erfah-rung bekannt wurden und experimentell erforscht werden, nicht an und für sich existieren, sondern bloß von unseren sprachlichen Konventionen und kognitiven Klassifikationen abhängen? Diese natürlichen Arten haben gewisse Eigen-schaften, die sie untereinander und von anderen Arten unterscheiden und diese Eigenschaften können im Ausgang

von ihren primären, phänomenalen Eigenschaften bis in ihre sekundären Eigenschaften ihrer molekularen und ato-maren Strukturen hinein beobachtet, beschrieben und erforscht, besser verstanden und erklärt werden.

 

Auch Äpfel und Birnen, Löwen und Tiger, Affen und Menschen sind natürliche Arten, die an und für sich existieren,

die aufgrund von Erfahrung sinnlich, kognitiv und sprachlich unterschieden wurden und deren unterschiedliche Eigenschaften nicht von unseren sprachlichen Konventionen und kognitiven Klassifikationen abhängen. Menschen mögen in allen Kulturen  vitale Interessen gehabt haben, diese und andere natürliche Arten anhand ihrer phäno-menalen und strukturellen Eigenschaften zu unterscheiden. Aber diese Interessen generieren nicht diese phäno-

menalen und strukturellen Unterschiede, sondern die phänomenalen und strukturellen Unterschiede wurden nur aufgrund ihrer vitalen Interessen sinnlich wahrgenommen und kognitiv erkannt.

 

Außerdem können wir Menschen beobachten, dass auch andere Lebewesen wie insbesondere Säugetiere und Vögel manche dieser natürlichen Arten ohne ein menschlichen Sprachvermögen und ohne unsere kognitive Klassifikations-fähigkeiten wahrnehmen und unterscheiden können. So bevorzugen z.B. Kapuzineräffchen in einem Käfig bei einer Fütterung Trauben gegenüber Gurkenstücken, und empfinden heftigen Futterneid, wenn sie nicht auch Trauben, sondern nur Gurkenstücke bekommen, während ein anderes Äffchen für sie sichtbar weiter Trauben bekommt, während sie nur noch Gurkenstücke erhalten. Mit einem angeblichen frustrierten Gerechtigkeitsempfinden aufgrund einer Ungleichbehandlung (Vermenschlichung) hat das jedoch herzlich wenig zu tun, wohl aber mit vitalem Begehren und mit Futterneid.

 

8. Die Frage nach natürlichen Arten in der Humanpsychologie und in den Kultur-, Sozial- und Geisteswissen-schaften

 

Schwieriger ist die Frage nach der Existenz natürlicher Arten in der Humanpsychologie und in den Kultur-, Sozial-

und Geisteswissenschaften. Aber auch hier gibt es m.E. natürliche Arten: Emotionen, Motivationen und Kognitionen sind verschiedenen natürliche Arten von psychischen Fähigkeiten, Funktionen, Phänomenen in der menschlichen Psyche (aber nicht ohne bio-neuro-physiologische Trägerprozesse und Analoga bei höheren Säugetieren), obwohl sie zusammenhängen, dynamisch interagieren und kulturell geformt und sozial geprägt werden.

 

Die psychischen Fähigkeiten, Funktionen, Phänomene von Emotionen, Motivationen und Kognitionen sind subjektiv erlebbare und objektiv im Ausdruck und Verhalten beobachtbare teleonome und intentionale Realitäten in höheren Lebewesen und insbesondere in Menschen und es handelt sich nicht nur um pragmatisch nützliche menschliche Zuschreibungen von bloß fiktiven intentionalen Einstellungen (intentional attitudes), die auf neurophysiologische Ereignisse und Prozesse im Gehirn und Nervensystem reduziert werden können, die wiederum auf elektrochemische und in letzter Konsequenz auf mikrophysikalische Ereignisse und Prozesse reduziert werden können, wie z.B. der evolutionäre Naturalist Daniel Dennett meint.

 

Auch wenn das weder dem vorherrschenden Naturalismus und Szientismus noch dem postmodernen Zeitgeist entspricht, denke ich, dass es auch ästhetische und ethische, moralische und rechtliche, ökonomische und politische Ideale, Prinzipien, Normen und Werte gibt, wenn auch nicht unabhängig vom menschlichen Bewußtsein und Geist, sondern nur insofern es einzelne Menschen und menschliche Gemeinschaften gibt, die sie aufgrund ihrer Emotionen, Motivationen und Kognitionen verstehen, erhalten und bewahren und mit ihrer Einbildungskraft im Geist lebendig werden lassen können. Allerdings handelt es sich bei diesen Idealen und Prinzipien, Normen und Werte nicht mehr

um natürliche Arten, sondern zumindest um emergente kulturelle Arten.

 

Insofern gibt es zwar eine Wirklichkeit des Geistes, da ästhetische und ethische, moralische und rechtliche, ökono-mische und politische Ideale, Prinzipien, Normen und Werte in bestimmten Menschen sich über ihr Denken und Fühlen, Verhalten und Handeln äußern können und dadurch bestimmte Konsequenzen in der natürlichen, kulturellen und sozialen Lebenswelt haben können. Aber weder der menschliche Geist noch diese ideellen Inhalte des menschlichen Geisteslebens sind selbst natürliche Arten wie die leiblichen Menschen selbst, die aufgrund ihres potentiellen Geistes-lebens zumindest auf der Erde einzigartige Wesen sind. Insofern ist ein ontologischer Trialismus von Leib/Körper, Seele/Psyche und Geist/Mentalität in der Einheit der Personen phänomenal angemessen und philosophisch vertretbar.