7.2. Kontingenz der Welt

 

 

Die Frage nach der Kontingenz der Welt

 

Es gibt verschiedene Bedeutungen dessen, was Philosophen mit "Kontingenz" meinen. Genau definiert ist der Begriff der Kontingenz jedoch nur in der formalen Logik. Dort geht es nur um die impliziten Prinzipien und logischen Regeln der Widerspruchsvermeidung, von denen sich (fast) alle Menschen im Denken, Urteilen und Schließen sowie in der Kommunikation im Alltag, in den Berufen und in den Wissenschaften leiten lassen. Diesen impliziten Prinzipien und logischen Regeln der Widerspruchsvermeidung folgen wir gewöhnlich, weil Widersprüchliches ganz einfach nicht wahr oder richtig sein kann und weil Kommunikation als zweckorientiertes Handeln dann nicht gelingen kann.

 

Das ist so ähnlich wie mit den syntaktischen Regeln der Grammatik einer konventionellen Sprache. Auch wenn man sie nicht (wie Linguisten und Sprachlehrer) explizit kennen und benennen können muss, sondern ihnen wie die meisten kompetenten Sprecher einer konventionellen Sprache nur intuitiv folgt, sind sie implizit vorhanden und gehören zur aktiven und passiven Sprachkompetenz hinzu wie die semantischen Kenntnisse der Bedeutung von Wörtern.

 

In existenzieller und weltanschaulicher sowie ontologischer und metaphysischer Hinsicht bedeutet Kontingenz jedoch etwas Anderes. Hier steht die Annahme und Rede von der Kontingenz der Welt für die Bedingtheit aller Sachverhalte und Situationen sowie Ereignisse und Prozesse durch geschichtlich gewachsene Umstände, die auch etwas anders

sein könnten bzw. die auch etwas anders hätten kommen konnen.

 

Die Annahme und Rede von der Kontingenz lebensgeschichtlicher, kulturgeschichtlicher und naturgeschichtlicher Er-eignisse, Koinzidenzen und Prozesse steht dann einerseits im Kontrast zu bloßen Zufällen, die gar nicht biographisch, kulturmorphologisch oder naturwissenschaftlich verstanden oder erklärt werden können und andererseits im Kontrast zu angeblichen Notwendigkeiten, die gar nicht anders hätten kommen können, sondern genau so und nicht anders kommen mussten. Daher ist das Kontingente das Wirkliche, das weder nur ganz zufällig noch notwendig ist.

 

1. Logische Kontingenz

 

In der formalen Logik heißen alle Aussagen bzw. Urteile kontingent, die weder tautologisch und also schon alleine aufgrund ihrer logischen Form immer wahr sind, noch kontradiktorisch und also sind folglich schon alleine aufgrund ihrer logischen Form immer falsch sind. Aussagen bzw. Urteile sind von daher kontingent, wenn sie aufgrund ihrer eventuellen Übereinstimmung mit den Fakten entweder wahr oder falsch sein können.

 

Tautologische Aussagen bzw. Urteile sind logisch notwendig wahr. Dazu gehören immer und überall gültige Identitäts-aussagen ohne neuen Informationsgehalt: "Sokrates ist Sokrates." ist genauso eine Tautologie wie "Ich bin ich.". Tautologien sind auch immer und überall gültige Folgerungen ohne neuen Informationsgehalt: "Wenn es regnet, dann regnet es." ist genau so eine Tautologie wie "Wenn ich denke, dann denke ich." in Abgrenzung zu den beiden Folgerungen "Wenn ich denke, dann existiere ich." (Descartes) und "Wenn ich zweifle, dann existiere ich." (Augustinus).

 

Kontradiktorische bzw. in sich selbst widersprüchliche Aussagen bzw. Urteile hingegen sind logisch notwendig falsch. Dazu gehören immer und überall falsche Identitätsaussagen ohne neuen Informationsgehalt: "Sokrates ist nicht Sokrates." ist genauso eine Kontradiktion wie "Ich bin nicht ich." Kontradiktionen sind auch immer und überall ungültige Folgerungen ohne neuen Informationsgehalt. "Wenn es regnet, dann regnet es nicht." ist genau so eine Kontradiktion wie "Wenn ich denke, dann denke ich nicht." in Abgrenzung zu "Wenn ich denke, dann existiere ich nicht.".

 

Wenn eine einfache Aussage in diesem logischen Sinne kontingent ist, also weder tautologisch noch kontradiktorisch ist, und wenn sie ein grammatikalisch korrekt formulierte Aussage ist, dann ist sie semantisch kontingent, d.h. sie bezieht sich auf einen möglichen Sachverhalt, ganz gleich, ob dieser nun ein fiktiver Sachverhalt ist, wie z.B. in einer Erzählung oder in einem Roman oder ob dieser ein realer Sachverhalt ist, also eine Tatsache in der raumzeitlichen Welt.

 

2. Ontologische Kontingenz

 

Ontologisch kontingent sind Aussagen bzw. Urteile, mit denen sich jemand intentional auf einen realen kontingenten Sachverhalt bezieht. Nur sprachbegabte und bewusste Personen können sich mit ihren sprachlichen Aussagen bzw. Urteilen intentional auf solche realen und kontingenten Sachverhalte bzw. Tatsachen beziehen. Bilder, Sätze, Worte und Zeichen selbst können das nicht. Sie bilden nur etwas ab, stellen etwas dar, haben eine Bedeutung oder enthalten eine Information, aber sie können sich nicht selbst auf reale und kontingente Sachverhalte in der Welt beziehen. Einfache Sachverhalte sind in diesem Sinne ontologisch kontingent, wenn sie real-möglich sind, d.h. wenn sie je nach den Umständen in der Welt bestehen oder auch nicht bestehen können. Ereignisse oder Prozesse sind in diesem Sinne ontologisch kontingent, wenn sie real-möglich sind, d.h. wenn sie je nach den Umständen in der Welt geschehen oder auch nicht geschehen können. Kontingenz in diesem ontologischen Sinne ist als reale Möglichkeit zu unterscheiden von naturgesetzlicher Notwendigkeit oder naturgesetzlicher Unmöglichkeit.

 

Beispiel 1: Dass der Eiffelturm in Paris aus Styropor gemacht sein könnte, ist zwar logisch möglich, d.h. man kann es in einem Science-Fiction-Roman widerspruchsfrei erzählen und denken, aber es ist nicht real-möglich, d.h. es ließe sich (wahrscheinlich) nicht technisch realisieren. Aufgrund der derzeitigen naturwissenschaftlichen Kenntnisse widerspricht es den physikalischen Naturgesetzen (Gravitation, etc.), der bisherigen allgemeinen und wissenschaftlichen Erfahrung (ein Bauwerk von dieser Größe aus Styropor ist noch niemals irgendwo realisiert und entdeckt worden) und den bisherigen ingenieurwissenschaftlichen Kenntnissen im Umgang mit künstlichen und natürlichen Baumaterialien (Steifigkeit, Tragfähigkeit, Materialermüdung, Verarbeitbarkeit, Resistenz gegen Wind und Wetter, etc.).

 

Beispiel 2: Dass das ganze raumzeitliche und materiell-energetische Universum in einer Art von Urknall aus einem kleinsten atomaren Teilchen ohne Grund bzw. ohne vorausgehende Ursachen hervorgegangen sein könnte, ist zwar logisch möglich, d.h. man kann es in einem Sciencefiction-Roman oder in einem populärwissenschaftlichen Buch widerspruchsfrei annehmen und denken, aber es ist nicht real-möglich, d.h. es widerspricht (a.) kosmologischen Prinzipien (ex nihilo nihil fit), (b.) wissenschaftstheoretischen Prinzipien der Forschung (alles hat einen bestimmten Grund bzw. zeitlich vorausgehende Ursachen bzw. einzeln notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen der Realisierung), (c.) physikalischen Naturgesetzen (z.B. Energieerhaltungssatz), (d.) theoretischen Voraussetzungen der naturwissenschaftlichen Forschung (alles, was im physikalischen Bereich der Makro- und Meso-Objekte existiert oder geschieht, befindet sich zu einem bestimmten Zeitpunkt t an einem bestimmten Ort l), etc.

 

Kontingenz in diesem ontologischen Sinne ist also reale Möglichkeit im Unterschied von naturgesetzlicher Notwendigkeit oder naturgesetzlicher Unmöglichkeit. Alle Sachverhalte, Ereignisse und Prozesse, die in diesem ontologischen Sinne real-möglich sind, und also weder naturgesetzlich notwendig noch naturgesetzlich unmöglich sind, sind jedoch deswegen nicht absolut zufällig, d.h. sie bestehen oder geschehen nicht ohne Grund bzw. ohne vorhergehende Ursachen. Es wäre z.B. real-möglich gewesen, dass die Berliner Mauer unter etwas anderen vorausgehenden Umständen bereits ein Tag früher oder ein Tag später gefallen wäre. Es war weder naturgesetzlich notwendig, dass sie am 9. November 1989 gefallen ist, noch übernatürlich notwendig, dass sie am 9. November 1989 gefallen ist. Dass sie an einem 9. November gefallen ist, mag zwar wegen der Bedeutung dieses Tages für die deutsche Geschichte (dem sog. Schicksalstag der Deutschen) vielen Menschen, denen das bekannt ist, historisch, mystisch oder symbolisch bedeu-tungsvoll erscheinen (d.h. einer nahe liegenden und (inter-)subjektiven Bedeutungszuordnung entsprechen), ist aber historisch zufällig. Es gibt zwar historisch zufällige Koinzidenzien, d.h. wenn etwas unter etwas anderen Umständen auch hätte anders geschehen können, aber es gibt keine absolut zufälligen Sachverhalte, Ereignisse oder Prozesse, d.h. dass etwas völlig grundlos wie aus einem Nichts heraus geschieht. In diesem Sinne können wir dann auch davon sprechen, dass etwas historisch kontingent ist oder war, also von historischer Kontingenz.

 

3. Metaphysische Kontingenz

 

Nach biblischer (Buch Hiob) und theologischer Auffassung im Judentum und im Christentum sind alle religiösen Lehren häretisch, die das menschliche Leiden in der Welt und an der Welt, das einem widerfährt, auf eine pseudo-religiöse bzw. ideologische Art und Weise als metaphysisch notwendig oder gar als auf verborgene Art und Weise (okkult) als selbst verursacht erklären. Das gilt sowohl für menschliches Leiden aufgrund natürlicher Übel (wie z.B. aufgrund von Naturkatastrophen und naturbedingten Unfällen) als auch aufgrund von menschlichem Bösen, das einem widerfahren ist, indem es einem durch andere Menschen (absichtlich) zugefügt wurde (wie z.B. aufgrund von Betrug, Diebstahl, Einbruch, Mobbing, Raubüberfall, Mord, Totschlag, Folter, Missbrauch oder Vergewaltigung).

 

Beispiel 1: Eine junge Frau wird nachts auf dem Frauenparkplatz eines öffentlichen Parkhauses von zwei jungen Männern überfallen und vergewaltigt. Am nächsten Tag überwindet sie sich nach einigem Zögern und mit tatkräftiger Unterstützung einer guten Freundin, den extrem belastenden Vorfall bei der örtlichen Polizei zu melden und eine Anzeige zu erstatten. Auf der lokalen Dienststelle der Polizei werden ihr verschiedene suggestive Fragen gestellt, wie z.B. warum sie denn nachts alleine ausgegangen sei, warum sie einen so kurzen Rock getragen habe, ob sie denn die beiden jungen Männer nicht habe kommen sehen und warum sie nicht schnell weggerannt sei, etc. Solche Suggestivfragen unterstellen ein eigenes Fehlverhalten der Opfer und sind eine zusätzliche Zumutung, die angesichts der belastenden und traumatisierenden Erfahrung eigentlich zu vermeiden wäre.

 

Beispiel 2: Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter einer renommierten Akademie wird am Arbeitsplatz immer wieder von Kollegen psychologisch unter Druck gesetzt und gemobbt. Einmal geschieht dies öffentlich im Kreis von Kollegen. Nur ein älterer, bereits emeritierter Kollege hat den Mut und die Zivilcourage, die Attacke anzusprechen, sich dagegen auszusprechen und den Mitarbeiter in Schutz zu nehmen. Der Mitarbeiter berichtet davon seinem Vorgesetzten. Dieser schweigt jedoch und unternimmt nichts, obwohl er für seinen Mitarbeiter verantwortlich ist. Nach einiger Zeit zeigen sich erste psychologische Spuren der Diskriminierungen im Kollegium. Andere Kollegen fühlen sich ermutigt, den Druck zu erhöhen. Es kommt nach Einschätzung eines älteren Professors der Akademie zu einer unfairen Bewertung seiner bisherigen Arbeit und schließlich zur Verweigerung der Verlängerung des Arbeitsvertrages durch Einflussnahme einer externen Stiftung, die nach Arbeitsvertrag und Arbeitsrecht gar kein Recht dazu hatte, über diese Verlängerung zu befinden. Das steht alleine den Vorgesetzten und der Akademie zu. Der Mitarbeiter wendet sich an den Personalrat und Justiziar der Akademie. Diese sind zwar auch davon überzeugt, dass ihrem Mitarbeiter hier Unrecht widerfahren ist, bedauern jedoch, dass diese Vorgänge kaum hinreichend nachgewiesen werden könnten. Der Mitarbeiter wird arbeitslos und erkrankt aufgrund der wiederholten Kränkungen. Freunde, Kollegen und Verwandte fragen kaum nach den genauen Abläufen und konkreten Umständen, sondern ergreifen vorschnell Partei für die ihnen unbekannten Täter. Einige unterstellen ihm sogar eigenes Fehlverhalten und charakterliche Mängel.

 

Menschen mit beruflichen und anderen Erfolgen neigen dazu, ihre eigenen beruflichen und anderen Erfolge vor allem sich selbst und ihren eigenen Kompetenzen und Leistungen zuzuschreiben. Sie neigen dazu, ihre günstigen Ausgangs-bedingungen, die günstigen lebensgeschichtlichen Umstände und die vielen glücklichen Zufälle ihres Lebens zu verdrängen. Bei anderen Menschen hingegen sind dieselben Leute sehr schnell dabei, deren berufliche und andere Misserfolge mit angeblichen Dummheiten, Fehlern, Einschränkungen, Mängeln und Schwächen zu erklären. Diese janusköpfige Neigung liegt in der menschlichen Natur, weil sie dem natürlichen, aber egozentrischen Willen zur Steigerung der eigenen Macht entspringt. Aber auch das umgekehrte Verhalten scheint in der menschlichen Natur zu liegen.

 

Menschen mit beruflichen und anderen Misserfolgen neigen dazu, für ihre Misserfolge vor allem ungünstige Ausgangs-bedingungen, ungünstige lebensgeschichtliche Umstände, wiederholtes Pech und schwere Schicksalsschläge oder die schlechten Einflüsse und Taten anderer Menschen verantwortlich zu machen, selten jedoch ihre eigenen Dummheiten, Fehler, Einschränkungen, Mängel und Schwächen. Die Neigung zu solchen Ausreden dienen der eigenen psychischen Entlastung und hedonistischen Bequemlichkeit. Beide allzu menschlichen Neigungen besagen jedoch nichts über die lebensgeschichtlichen Fakten, also über die wirklichen Umstände in der wirklichen Lebensgeschichte und Vergangen-heit eines Menschen. Jemand kann durchaus eine realistische Selbsteinschätzung haben mit zuverlässigen Erinnerungen und angemessenen Bewertungen der eigenen Lebensgeschichte.

 

In psychologischer Hinsicht gilt es zu bedenken, dass die meisten Menschen von Natur aus kaum genug Selbstdistanz aufbringen können, um eine faire und angemessene Selbsteinschätzung vornehmen zu können. Sie fliehen um der Verdrängung willen in sinnliche Selbstbetäubung, ablenkende Geschäftigkeit oder gesellige Vergnügungen. Hier lockt wie immer die allzu menschliche und oft gesellschaftlich erwartete Jagd nach sozialer Anerkennung, Macht, Ruhm, Sicherheit und Reichtum. Aber um eine angemessene und gerechte Bilanzierung der eigenen Erfolge und Misserfolge, Fehler und Leistungen, Stärken und Schwächen, etc. vornehmen zu können, bedarf es nicht nur einer psychologischen Selbsterkenntnis, die nur durch reflektierte Lebenserfahrung gewonnen werden kann, sondern auch der geistlichen Gnade, der Liebe und des Trostes, die einem überhaupt erst erlauben, sich selbst trotz aller erkennbaren Fehler, Mängel und Schwächen wohlwollend anzuschauen und tiefer gehend anzunehmen.

 

4. Praktische Konsequenzen

 

In ethischer und moralischer Hinsicht können endliche Menschen mit ihrer begrenzten Erfahrung und ihrem beschränk-ten Wissen oft weder eine objektive ethische Bilanzierung des guten Lebens (eudaimonia) eines bestimmten Menschen im Sinne der aristotelischen Ethik (Nikomachische Ethik) noch eine objektive moralische Bilanzierung der Glückswürdig-keit eines einzelnen Menschen im Sinne der kantischen Ethik (Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Tugendlehre) vornehmen. Das kann kein Mensch endgültig leisten, weder bei sich selbst noch bei anderen Menschen. Das kann auch keine menschliche Gesellschaft, keine moderne Demokratie und kein intakter Rechtsstaat leisten. Das können auch die Experten für den Leib, die Psyche und den Geist des Menschen, wie z.B. Psychologen, Psychiater, Psychosomatiker und Psychotherapeuten, nicht leisten.

 

Das spricht übrigens auch gegen die traditionelle Todesstrafe und für den modernen rechts-staatlichen Schutz der Würde des Menschen. Das spricht auch gegen die vorchristliche Vorstellung einer vorwiegend büßenden und bezahlenden Strafgerechtigkeit und für die christlichere Idee einer korrigierenden und therapierenden Behandlung von Kriminellen. Denn nur ein allwissender Gott kann bzw. könnte wissen, ob es einem bestimmten Menschen angesichts seiner genetischen Veranlagung, seines angeborenen Geschlechtes, seines angeborenen Temperamentes, seiner schicksalhaften familiären Herkunft und häuslichen Erziehung, seiner schulischen Ausbildung und Bildung, seiner wichtigsten prägenden Erlebnisse und schicksalhaften Widerfahrnisse, etc. wirklich möglich gewesen wäre, am Ende seines Lebens eine hochwertige ethische und moralische Bilanz vorzuweisen. Deswegen bedarf es auch in der philo-sophischen Ethik und Moralphilosophie wie bei dem Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant der regulativen Idee Gottes bzw. des religiösen Glaubens an Gott als des einzigen, allwissenden und unfehlbaren, gerechten und barm-herzigen Richters über den Lebensweg, die Gedanken, Worte und Taten, den Charakter und das Herz eines Menschen.

 

In rechtlicher Hinsicht gilt es zu bedenken, dass juristische und psychiatrische Forensiker (sowie Kriminalisten, Gerichts-mediziner und Profiler), auch heute noch wie schon Aristoteles zwischen aktiven Handlungen und passiven Widerfahr-nissen unterscheiden, also zwischen dem, was jemand bewusst und willentlich tut, und dem, was jemandem ungewollt widerfährt. Das ist eigentlich nur gesunder Menschenverstand und kommt praktisch in jedem Krimi vor. Dennoch gibt es zahlreiche esoterische, religiöse und ideologische Denkmuster, die diese angemessene psychologische Unterschei-dung des gesunden Menschenverstandes zu unterwandern versuchen. Das geschieht dann oftmals dadurch, dass man Menschen pauschal eigene Dummheit, moralische Schuld oder eine unbewusste Selbstverursachung unterstellt, um sich selbst zu erhöhen oder um sich selbst eine überlegene Position zuzuschreiben. Wer scheitert, dem unterstellt man dann gerne pauschal, selbst daran schuld gewesen zu sein. Den Scheiternden, den Verlierern und den Opfern gilt in der Gesellschaft allzu oft nur Häme, Hohn und Verachtung. Selbst identifizieren sich die meisten Menschen nämlich lieber mit erfolgreichen Siegern, wie z.B. mit prominenten Politikern, Künstlern, Pop-Stars, Schauspielern oder Sportlern, denen man unkritisch Bewunderung und Verehrung entgegen bringt, um von ihnen als Vorbildern zu lernen. Auch das scheint in der menschlichen Natur zu liegen.

 

5. Täter-Opfer-Logik

 

Solche esoterischen, religiösen und ideologischen Pseudo-Erklärungen leugnen die ontologische und die historische Kontingenz von weltlichen Situationen, Prozessen und Ereignissen sowie die Kontingenz von bewusstem menschlichem Tun, Unterlassen und Zulassen. Ontologisch und historisch kontingent sind Situationen, Prozesse und Ereignisse, die nach menschlichem Ermessen nicht notwendig waren und unter etwas anderen Umständen nicht geschehen wären. Mit anderen Worten: es hätte auch anders kommen können. Solche Pseudo-Erklärungen leugnen dann aber auch die ontologische und historische Kontingenz von menschlichen Verhaltensweisen, Taten und Unterlassungen, die zwar auf eine bestimmte Weise durch die Persönlichkeit (Alter, Geschlecht, Mentalität, Temperament, Charakter, Intelligenz, Gewissen, etc.), das aktuelle psychische Befinden, die konkreten Motive und die bewussten Absichten einer Person bedingt waren. Normalerweise gehören dazu aber auch gewisse Optionen der freiwilligen Entscheidung und des selbstbestimmten Verhaltens in den Grenzen der persönlichen Fähigkeiten und Chancen und in den allgemeinen Grenzen des gewöhnlich für Menschen Möglichen.

 

Solche esoterischen, religiösen und ideologischen Pseudo-Erklärungen leugnen dann oft den Widerfahrnischarakter von dem, was jemand zustößt bzw. von Anderen zugefügt wird, indem auf eine irgend eine obskure Art und Weise unter-stellt wird, dass er gegen den Anschein irgendwie selbst verantwortlich sei, weil er diese Ereignisse angeblich unbewusst selbst herbeigeführt habe (eine oft perfide Unterstellung angeblicher unbewusster Faktoren). Umgangssprachlich wird die ontologische Kontingenz der Welt und die historische Zufälligkeit solcher belastender Schicksalsschläge und zuge-fügter Widerfahrnisse dadurch ausgedrückt, dass man auf die bloße Faktizität des Daseins hinweist (C'est la vie oder shit happens) und ihre angeblich unabwendbare deterministische und fatalistische Notwendigkeit (que sera, sera) verwirft. Aber in manchen Weltanschauungen, Religionen und Konfessionen gibt es leider auch gewohnheitsmäßige Denk-muster, die die empathische Einfühlung und die aktive Solidarität eher verhindern als ermöglichen. In ethischer und moralischer Hinsicht gelten (nicht nur für Juden und Christen) situativ angemessene Hilfeleistung und kluge Solidarität mit den Opfern als geboten.

 

Wie schon im 18. und 19. Jahrhundert wachsen im Zuge der vermeintlich rein wissenschaftlichen Aufklärung durch Naturalisierung, Säkularisierung und Szientismus jedoch leider auch Aberglaube, Esoterik und Schwärmerei, bloßer Mystizismus und frei flottierende Religiosität mit esoterischen und gnostischen Selbstbildern, Weltanschauungen und Gottesbildern. Dadurch werden diese religiösen und ideologischen Pseudoerklärungen befördert und verbreitet. Nach bewährtem jüdischem und christlichem Verständnis dürfen sie jedoch als häretisch und verwerflich gelten.

 

Aber diese ideologischen Tendenzen passen sehr gut zum neoliberalen Zeitgeist des egozentrischen Sozialdarwinismus auf Kosten von Mensch und Natur mit seinem ethischen Verlust von solidarischen Einstellungen, mit seinem politischen Abbau von Sozialleistungen und mit der rücksichtslosen Ausbeutung und Verschwendung von natürlichen Ressourcen im Dienste der ökonomisch-politischen Illusion eines grenzenlosen Wirtschaftswachstums.

 

Der individuellen und kollektiven Kontingenzbewältigung von ökonomischen und politischen Grenzsituationen und der psychologischen Verarbeitung von islamistischen Terroranschlägen (wie z.B. in New York City, Washington, Boston, London, Paris, Nizza, Berlin, etc.) und von schwer zu bewältigenden ökonomisch-politischen Problemen (EU-, Finanz-, Migrations-, Vertrauenskrise, etc.) dienen gegenwärtig auch zahlreiche abstruse Verschwörungstheorien. In solchen Fällen wird oftmals auch die rationale Täter-Opfer-Logik durchbrochen, um eigene Feindbilder zu generieren oder zu stabilisieren. Einen ähnlichen Effekt hat das allgemein verbreitete Sündenbocksyndrom (René Girard).

 

Religiöse und ideologische Denkmuster verstärken zwar oftmals solche Feindbilder und die Aufhebung der rationalen Täter-Opfer-Logik. Paradoxerweise sind es heute jedoch eher Juden und Christen, die an der praktischen Vernunft der forensischen Handlungslogik festhalten, während der Aberglaube und die Schwärmerei sowie die frei flottierende Esoterik und die moderne Gnosis eher zu irrationalen Pseudoerklärungen neigen und abstruse Verschwörungstheorien hervorbringen. Gegen diese ideologischen und religiösen Varianten von Aberglaube und Fanatismus helfen leider keine rationalen Argumente, sondern höchstens skeptische Rückfragen und kräftiger Humor. Leider sind davon oft auch bestimmte pseudo-christliche Prediger des sog. Wohlstandsevangeliums und und manche evangelikalen Freikirchen und Sekten betroffen.

 

Alles in der Welt ist kontingent, d.h. es könnte auch nicht existieren, nicht der Fall sein, sich nicht ereignet haben oder nicht geschehen sein, wenn der Lauf der Welt ein anderer gewesen wäre. Was kontingent ist, das ist nur der Fall, das existiert, ereignet sich oder geschieht, weil es diese Welt nun einmal gibt und weil ihre Geschichte nun einmal so und so abgelaufen ist. Wirkliches können wir von kontrafaktisch Möglichem und von Notwendigem unterscheiden.

 

Zum Beispiel: Der Krieg ist der Ukraine könnte gegenwärtig nicht stattfinden. Putin könnte seiner russischen Armee keinen Befehl zum Einmarsch in die Ukraine und zum Angriff auf Kiew gegeben haben. Oder, falls doch, die Ukrainer könnten sich gleich ergeben und nicht gewehrt haben. Alles was damit zusammenhängt könnte sich dann auch nicht  ereignet haben und nicht geschehen sein. Aber es geschieht und ist nun einmal wirklich geschehen, obwohl es bei einem anderen Verlauf der Weltgeschichte und aufgrund anderer Entscheidungen bestimmter Personen hätte anders kommen können.

 

Über welche geschichtlichen Ereignisse, Prozesse und Entwicklungen in der Vergangenheit wir auch immer nachdenken mögen, wenn es sich wirklich um Fakten handelt, sie also wirklich stattgefunden haben, dann hätte es doch unter etwas anderen Umständen auch anders kommen können. Die Weltgeschichte gehört nicht in das Reich der Notwendigkeit, sondern in das Reich der Kontingenz. Kontingentes kontrastiert mit Möglichem und Notwendigem.

 

Mögliches ist entweder real-möglich, weil es die Naturgesetze und Ordnungen der Natur zulassen oder nur logisch- möglich, weil es nur die logischen Denkgesetze, aber nicht die Naturgesetze und Ordnungen der Natur zulassen.  Es

ist zwar logisch möglich, aber nicht wirklich geschehen, was in dem fiktionalen Kunstepos "Herr der Ringe" erzählt wird. Aber wäre das alles auch real-möglich oder gibt es wie in manchen Science-Fiction-Romanen auch Dinge und Ereignisse, die nicht real-lmöglich sind, weil sie nicht dem entsprechen, was die uns bisher bekannten Naturgesetze zulassen.

 

Real-möglich ist es z.B. nicht, den Eifelturm von Paris exakt aus Styropor in Brest nachzubauen, weil dieses Material nicht geeignet für solche großen und hohen Konstruktionen ist und weil es den Winden und Unwettern an der Küste der Bretagne nicht lange standhalten würde. Das hat selbstverständlich nicht nur mit den chemisch-physikalischen Materialeigenschaften von Styropor, wie seiner Brüchigkeit,  Leichtigkeit und fehlenden Dehnbarkeit bei Hitze und Kälte zu tun, sondern auch mit den physikalischen Bedingungen von Schwerkraft und bestimmten Naturgesetzen.

 

Notwendiges ist entweder nur logisch-notwendig oder mathematisch-notwendig, weil es sich aus den Gesetzen der Logik und Mathematik ergibt, oder real-notwendig, weil es sich aus den Naturgesetzen und Ordnungen der Natur ergibt. Dass jemand oder etwas mit sich selbst identisch ist, also der logischen Form x=x entspricht, ist logisch-notwendig und damit auch real-notwendig, weil es dann auch in der Wirklichkeit nicht anders sein kann.  Auch Tautologisches der logischen Form "wenn p, dann p" ist logisch-notwendig, sodass es dann auch in der Wirklichkeit

nicht anders sein kann, wie z.B. die Tautologie, dass es regnet, wenn es regnet.

 

Aber zum Beispiel: Dass Wasser bei unter 0 Grad Celsius zu gefrieren beginnt und bei über 100 Grad Celsius zu kochen und zu verdampfen beginnt ist nicht logisch-notwendig, sondern nur real-notwendig, weil es von der chemischen Zu-sammensetzung von Wasser als H²O und den chemischen Valenzen von Wasserstoff und Sauerstoff abhängt, wie sich reines, sauberes und unvermischtes Wasser normalerweise unter gleichbleibenden Bedingungen verhält. Zu den an-genommenen Normalbedingungen für die Bestimmung von Realnotwendigkeit gehören auch die uns bekannten Naturgesetze und natürlichen Ordnungen auf der Erde, in unserem Sonnensystem und im Universum.

 

Aber was sind Naturgesetze und natürliche Ordnungen eigentlich? Anders als noch im 18. und 19. Jahrhundert sind sich Naturwissenschaftler und Wissenschaftsphilosophen darüber nicht mehr einig. Handelt es sich bei Naturgesetzen nur um gewisse Verhaltensregularitäten der Natur, die bisher beobachtet wurden, sodass auch noch andere, bisher unbekannte Verhaltensregularitäten beobachtet werden könnten? Lassen diese bisher bekannten und beobachteten Verhaltensregularitäten immer auch Ausnahmen zu, weil es immer auf gewisse regionale Bedingungen und multiple Kausalitäten ankommt?

 

Selbst unser naturwissenschaftliches und wissenschaftsphilosophisches Verständnis von Kausalität hat sich im

20. Jahrhundert stark verändert. Das alte mechanistische und monokausale Billiardtischmodell  der Kausalität aus

dem 18. Jahrhundert gilt nicht mehr allgemein und das nicht nur wegen der Quantenphysik. Längst verstehen wir Kausalität in den Naturwissenschaften, aber auch in den historischen, sozialen und praktischen Wissenschaften (Medizin, Ökonomie und Jurisprudenz) multikausal als eine gewisse Anzahl von einzeln notwendigen und zusammen genommen hinreichenden Bedingungen für einzelne Ereignisse und Prozesse in der Welt der Natur und Kultur.

 

Das Reich der Kontingenz

 

Alles in der Welt ist kontingent, selbst, wenn es aufweisbare Ursachen und plausible Gründe gibt, warum der ganze

Lauf der Welt an den jeweils inspizierten Stellen so und nicht anders war. Die Weltgeschichte ist zwar keine seltsame Serie von bloßen Zufällen, da es Naturgesetze und natürliche Ordnungen, faktische Anfangsbedingungen und viele wahrscheinliche Entwicklungen und Verhaltensregularitäten gibt. aber es hätte oftmals immer auch etwas anders kommen können, als es wirklich gekommen ist. Daher mag die ganze Weltgeschichte zwar eine verborgene innere Entwicklungslogik haben, wie Hegel meinte. Aber selbst diese Entwicklungslogik gehört immer noch in das Reich der Kontingenz. Aber auch solche hegelschen, marxschen oder anderen Konzeptionen einer Entwicklungslogik der Weltgeschichte sind höchst umstritten.

 

Es gibt die bereits entdeckten Naturgesetze und natürlichen Ordnungen, nach denen die ganze bisherige Natur-geschichte abgelaufen ist und immer noch abläuft, Kulturmuster, nach denen die bisherige Kulturgeschichte der Kulturen abgelaufen ist und immer noch abläuft. Aber die Frage ist, ob diese Naturgesetze und Kulturmuster auch nur kontingent sind und selbst auch anders sein könnten. Diese Frage bringt vor allem Naturwissenschaftler in große Ver-legenheiten, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, wie sich die ganze Natur und die Naturgeschichte ohne

die bekannten Naturgesetze und natürlichen Ordnungen verhalten würde.

 

Zu diesen natürlichen Ordnungen gehören nicht nur die uns bisher bekannten Naturgesetze, sondern auch die sog. Feinabstimmung des Universums. Denn das sich ausdehnende Universum, unser ganzes Sonnensystem und die lokalen Bedingungen für die Entstehung von Leben auf der Erde und dann für Evolution des Lebens sind von ganz bestimmten Bedingungen abhängig, die bei geringfügigen Abweichungen das ganze Leben auf der Erde unmöglich gemacht hätten. Dazu gehört vor allem, dass sich die Erde in der habitablen Zone unseres Sonnensystems befindet, sodass es auf der Erde weder zu kalt noch zu heißt dafür ist, dass Wasser weder gefrieren noch verdampfen musste. Das war nämlich auch die Bedingung für eine sauerstoffbasierte Atmosphäre. Anders hätte sich vermutlich kein organisches Leben entwickeln und erhalten können.

 

Bei den Kulturen, Kulturmustern und ihrer Geschichte verhält es sich etwas anders. Hier ist es viel leichter vorstellbar, dass sie anders entstanden und sich anders entwickelt hätten. Wie kennen ja auch ein Mannigfaltigkeit (Vielzahl und Variation) von entstehenden und sich entwickelnden, sich vermischenden und von bereits abgestorbenen und unter-gegangenen Kulturen. Kulturalisten und Kulturwissenschaftler neigen daher zum kulturellen Pluralismus und Relati-vismus, und vergessen nur allzu gerne, dass auch alle menschlichen Kulturen trotz ihrer Eigenarten von den und bekannten universalen Naturgesetzen und von den natürlichen Bedingungen der Erde und des Lebens auf der Erde abhängen. Und sie haben oft wenig Verständnis für die universalen Gesetzmäßigkeiten der Logik und Mathematik,

die nicht nur von den Naturwissenschaftlern, sondern auch von ihnen vorausgesetzt werden müssen.

 

Wie aber verhält es sich mit den Gesetzen des Geistes? Zumindest in der Logik und Mathematik kennen wir Axiome, Prinzipien und Regeln, denen wir beim Denken und Schließen sowie beim agebraischen Rechnen und geometrischen Denken folgen müssen, um widerspruchsfrei und korrekt zu denken und zu schließen. Diese Axiome, Prinzipien und Regeln sind streng notwendig gültig und wir können uns gar nicht vorstellen, dass sie nur kontingent sind und auch anders sein könnten. Wir können uns gar kein widerspruchsfreies und kein korrektes Denken und Schließen ganz ohne sie vorstellen. Selbst alternative, drei- und mehrwertige Logiken müssen das Prinzip der Widerspruchsfreiheit voraus-setzen.

 

Gibt es solche Gesetze des Geistes aber auch in der Ethik und Moral, im staatlichen Recht und Völkerrecht? Hier im Bereich der praktischen Vernunft müssen wir uns gar nicht erst fragen, ob wir es und vorstellen können, dass es sie nicht gibt. Es scheint durchaus vorstellbar zu sein, dass es sie nicht gibt oder dass es sich nur um menschliche Fiktionen oder rationale Konstruktionen handelt. Aber wahrscheinlich ist es auch nicht. Anders als in der Logik und Mathematik können wir es uns nicht nur vorstellen, dass es sie nicht gäbe und dass die Meschen sie (noch) nicht kennen würden

und daher auch nicht nach ihnen entscheiden und handeln.

 

Wir wissen nämlich, dass es sehr viele Menschen gibt, die sie (noch) nicht kennen oder dass sie zumindest nicht nach ihnen entscheiden und handeln. Es könnte aber sein, dass es sie in einem gesonderten Reich des Geistes gibt, wo sie zuerst entdeckt werden müssen, wie das bei den Gesetzen der Logik und Mathematik, also bei ihren Axiomen, Prinzipien und Regeln auch erst einmal geschehen musste. Es ist also aufgrund unserer kognitiv endlichen und eingeschränkten menschlichen Vernunft, einer Vernunft endlicher intelligenter Lebewesen, immer noch fraglich,

ob die Gesetze der praktischen Vernunft auch etwas anders sein könnten.

 

Wir mögen nicht verstehen, dass, inwiefern und auf welche Weise die Denkgesetzte der Logik und Mathematik,

die Wertaxiome der Ethik und die Prinzipien der Moral, die praktischen Ideale und Prinzipien, Werte und Normen

des Rechtes und des Völkerrechtes anders lauten könnten, als sie bisher von den größten Philosophen wie Platon

und Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin, Kant und Hegel, Brentano und Frege u.a. eingesehen und verstanden wurden. Aber da die Geschichte ihrer Entdeckung und unseres Verstehen auch als Ideengeschichte ein Teilbereich der Weltgeschichte ist, gehört zumindest die Ideengeschichte selbst immer noch in das Reich der Kontingenz.

 

Das gilt auch für mich selbst und für einen jeden einzelnen Menschen und jede individuelle Person in dieser geschicht-lichen Welt und bisherigen Weltgeschichte. Denn dafür, dass es mich gibt, gibt es Ursachen und Gründe, die vor meiner Zeugung und Geburt liegen. Und so verhält es sich für alle einzelnen Menschen und individuellen Personen. Zwar hatte Descartes recht damit, dass ich aus der Tatsache, dass ich denke, intuitiv logisch gültig folgern kann, dass ich bin bzw. dass es mich gibt. Aber daraus, dass es mich gibt bzw. dass ich existiere, folgt mitnichten, dass ich notwendig bin oder notwendigerweise existiere. Es hätte auch anders kommen können, wenn sich meine Eltern nicht getroffen und kennen gelernt hätten, nicht geheiratet und eine Familie gegründet und mich gezeugt hätten. Denn dann wäre ich

jetzt nicht hier und es würde mich gar nicht geben.