Demonstrationen der Schande
Guten Tag Herr Pro-Palästina-Demonstrant, guten Tag Frau Demonstrantin, ich schreibe Ihnen, weil ich Ihre Parolen wie „From the river to the sea - Palestine will be free“ unerträglich finde.
Oliver Stock / The European - 09.11.2023
Ich meine, Sie fallen damit auf Lügen herein, die von all jenen verbreitet werden, die nur eines wollen: Israel von der Landkarte zu löschen und die Menschen, die dort leben, vor allem die Jüdinnen und Juden, zu vertreiben. Sie helfen damit, eine zutiefst antisemitische Erzählung zu verbreiten. Antisemitismus ist jedoch eine Haltung, die ich als Deutscher auf gar keinen Fall akzeptiere. Es steckt in meiner DNA als Bürger dieses Landes, dagegen vorzugehen. Deswegen schreibe ich.
Ihr Demonstranten sitzt der Propaganda der Hamas auf. Ihr plappert nach, was sie Euch vorerzählen. Ihr tragt dazu bei, dass die Strategie der Hamas, die selbst nicht gewinnen kann, aufgeht, in dem Ihr ihre Saat in der Welt verbreitet.
Fünf Lügen der Hamas schreibe ich hier auf.
Israel bombardiert absichtlich Zivilisten
Es gehört zu den barbarischsten Kriegstaktiken, die eigenen Kämpfer und Geschütze in zivilen Gebäuden unterzubringen, möglichst sogar in Krankenhäusern, Schulen oder Kindergärten. Die zivilen Einrichtungen werden dadurch zu militärischen Zielen. Die Taktik hat Russland bereits im Ukraine-Krieg angewendet, nun macht die Hamas es in Gaza genauso. Sie nimmt damit die eigenen Leute, die Alten, die Frauen, die Kinder als Schutzschilde gegen israelische Angriffe.
Israel hat ein Spital in Gaza angegriffen
Dies ist die Darstellung in der arabischen Welt, sie kommt von der Hamas, die auf 700 tote Zivilisten bei dem Angriff kommt. Alle anderen Quellen, von Politik bis zu Geheimdiensten verbreiten ihre Erkenntnis, dass der islamische Dschihad die Katastrophe verursacht und die todbringende Rakete abgeschossen hat. Sie sprechen außerdem von maximal 300 Opfern. Ich maße mir nicht an die Wahrheit zu kennen, aber ich glaube Terroristen nicht.
Die Palästinenser haben kein Land
Die Palästinenser, die niemals in ihrer Geschichte über einen eigenen Staat verfügten, haben natürlich inzwischen ein eigenes Land: Es heißt Gaza. Israel hat in seiner 75jährigen Geschichte darüber hinaus sechsmal konkrete Vorschläge unterbreitet, wie zwei Staaten auf dem umstrittenen Gebiet nebeneinander existieren können. Jedes Mal scheiterten diese Versuche daran, dass Palästinenser-Vertreter sie abgelehnt haben oder im eigenen Volk nicht durchsetzen konnten.
Freiluftgefängnis Gaza
Israel hat Gaza nach dem Sechs-Tage-Kriege besetzt und ist im Jahr 2005 dort abgezogen. 6000 Israelis haben sämtliche jüdischen Siedlungen in dem Gebiet damals geräumt und Maschinen, Gewächshäuser und Schulgebäude stehenlassen. Deutschland, die EU und die USA spenden seither Milliarden an Organisationen in Gaza, die gereicht hätten, ein zweites Dubai aus der Region zu machen. Stattdessen übernahm die Hamas die Herrschaft, schaffte Wahlen ab, ermordete Oppositionelle, verfolgte Minderheiten, verbreitete ihre Ideologie, wonach alle Juden getötet werden müssten, bis hin in die Schulbücher für die Kinder. Die Hamas nutze Geld, das aus den Spenden bei ihr ankam, zum Waffenkauf und griff Israel im Monatsrhythmus an. Als Reaktion hat Israel versucht, die Aus- und Einreise ins Nachbarland zu beschränken und die Waren-Lieferungen zu kontrollieren.
Man muss den Terrorangriff auf Israel im Kontext sehen
Es gibt keinen Kontext für die Entführung, Vergewaltigung, Verstümmelung und bestialische Tötung von 1400 Men-schen. Es im Kontext zu sehen heißt, es zu rechtfertigen. Die Ermordung dieser Jüdinnen und Juden in einen Kontext zustellen, offenbart eine zutiefst antisemitische Denkweise.
Herr Demonstrant, Frau Demonstrantin, meine Sichtweise passt auf kein Plakat und in keine Parole. Sie erfordert Studieren, Beobachten, Nachdenken. Ich wünschte mir, dass Sie damit Ihre Zeit verbringen, anstatt diese Demonstra-tionen der Schande zu begleiten.
Demonstrationen der Schande: The European
„Der Antisemitismus ist politisch korrekt geworden“
Pinchas Goldschmidt ist als Chef der Europäischen Rabbinerkonferenz, der oberste jüdische Geistliche in Europa. In Rom hat er sich diese Woche mit dem Papst getroffen, um über Wege zu beraten, wie die Geiseln der Hamas befreit werden können. Anschließend hat er in Rom dem Geschäftsführer der Münchner Sicherheitskonferenz Benedikt Franke den Rabbiner Moshe Rosen Preis für den Frieden verliehen. Der Antisemitismus ist ein Virus, sagt er. Israel alles andere als eine Besatzungsmacht, Gaza müsse ein freies Land werden und Annalena Baer-bock hat nicht geliefert.
Das Gespräch führte Oliver Stock / The European - 07.11.2023
Herr Oberrabbiner, wie haben sie den 7. Oktober erlebt?
Ich war in Jerusalem. Es war nicht nur Sabbat, es war Simchat Tora, der Tag, an dem man die Bibellesung abschließt und wieder mit der Schöpfungsgeschichte anfängt. Da wird getanzt und gesungen. Nachdem wir am Morgen in die Syna-goge gekommen waren, mussten wir das Gebet fünfmal unterbrechen, um in die Luftschutzkeller zu fliehen. Nur bruch-stückhaft haben wir erfahren, was an der Grenze zu Gaza los ist. Das ganze Ausmaß des Terrors haben wir erst am Abend gewusst.
Da hat jedes Sicherheitssystem versagt?
Die Regierung hat versagt, der Geheimdienst hat versagt, die Armee hat versagt. Das war ein totaler Kollaps des Staates. Was Israel gerettet hat, waren die Bürgerinnen und Bürger, die sich aufmachten, um zu helfen. Meine Schwiegertochter hat in ihrer kleinen Küche 600 Mahlzeiten am Tag zubereitet, um Soldaten zu versorgen. Ich bin sicher, dass diese Katastrophe ein politisches Erdbeben nach sich zieht. Auf der einen Seite war es eben eine Katastrophe, auf der anderen ist Israel vereint wie nie zuvor. Im Moment werden keine Anschuldigungen gemacht, aber danach werden alle Verantwortlichen abdanken müssen.
Der Staat Israel verspricht den jüdischen Bürgern, dass sie nie wieder Angst haben müssen. Dieses Versprechen hat der Staat gebrochen.
Ja. Das ist ein Sozialkontrakt zwischen Regierung, Bürgern und den Diaspora-Gemeinden. Und der wurde gebrochen.
Es muss einen neuen Kontrakt geben. Es wird sich sehr vieles ändern. Jeder weiß, dass es so nicht weitergeht.
Sie waren gerade beim Papst. Worum ging es da?
Der Papst hat in den vergangenen Tagen immer wieder von der Tragödie gesprochen, die jetzt im Heiligen Land passiert. Er hat auch von der Notwendigkeit gesprochen, die Geiseln freizulassen. Wir haben über verschiedene Ideen beraten, wie sich das beschleunigen ließe. Ich habe darüber hinaus dem Heiligen Vater einen Brief der Angehörigen der Geiseln überreicht, in dem sie ihn bitten, sich für die Geiseln einzusetzen. Der Papst hat auch zu den antisemitischen Demonstrationen in Europa Stellung genommen. Es ist nicht die erste Begegnung für mich mit ihm
Sie kennen sich gut?
Ich glaube, wir sind uns schon sechsmal begegnet. Das letzte Mal war ich allein mit ihm und wir sprachen über die Frage, ob Putin Atomwaffen einsetzen wird . . .
Sie treffen sich immer, wenn es Kriege gibt.
Leider. Die Welt ist gefährlicher geworden.
Haben Sie den Eindruck, dass diese Treffen zu konkreten Initiativen führen?
Der Pabst ist erstens die moralische Stimme in der Welt, zweitens hat er auch diplomatische Kanäle zu verschiedenen religiösen Autoritäten. Auch vom Islam.
Haben Sie als Oberrabbiner auch einen Draht zu Vertretern des Islam?
Haben wir auch. Aber nicht immer auf dem gleichen Niveau.
Sie sind vor zwei Jahren als Oberrabbiner aus Moskau geflohen, wo sie das Regime nicht mehr haben wollte, weil sie sich gegen den Ukraine-Krieg gewandt haben. Jetzt erleben Sie wieder antisemitische Einstellungen und Ausschreitungen in ihrem deutschen Exil. Wie kommt das bei ihnen an?
Das ist ein typisches jüdisches Schicksal.
Wir dachten, das sei vorbei.
Ist es eben nicht. Was wir jetzt sehen in Europa seit dem 7. Oktober sehen, ist, dass Antisemitismus wieder politisch korrekt geworden ist. Er steckt in der linken Freiheitsbewegung, er steckt in diesen ultraliberalen linken Kreisen, die die Mullahs im Iran und ihre ausführenden Organe unterstützen: Hisbollah und Hamas. Es gibt sogar Vertreter der LGBT-Community, die die Hamas unterstützen, obwohl sie wissen, dass wenn sie persönlich in Gaza ankommen würden, sie sofort dort für ihre Haltung bestraft würden. Das ist alles andere als logisch. Es ist so wie damals diejenigen in Europa und anderswo, die den Kommunismus unterstützt haben, ohne zu wissen, was wirklich in der Sowjetunion vorgeht.
Es gibt in Deutschland eine Strömung des Antikolonialismus, die Israel als Besatzungsmacht bezeichnet. Können Sie das nachvollziehen?
20 Prozent der israelischen Bürger sind Araber, die sind integriert und gleichberechtigt. Israel war auch bereit sich von den besetzten Gebieten zu trennen. Das ist nicht zustande gekommen wegen des Terrorismus, der von Gaza ausgeht. Heute haben wir in Israel einen Konsens, dass ein nicht demokratischer palästinensischer Staat Israel gefährdet. Dafür haben wir teuer bezahlt. Wir wollen keine iranische Kolonie neben uns. Das ist lebensgefährlich. Es gab nie einen palästinensischen Staat. Das ganze Narrativ der Palästineser hat keine Überzeugungskraft. Aber auf der anderen Seite gilt: Kein Israeli möchte das Leben von zwei oder drei Millionen Palästinensern kontrollieren. Die Israelis wollen Sicherheit. Sie sind natürlich keine Besatzungsmacht.
Aber ist es für sie erschütternd, dass Juden in Deutschland wieder zur Zielscheibe werden?
Antisemitismus ist ein Virus, mit dem wir seit tausenden von Jahren leben. Der Virus geht durch Mutationen. Solange die Welt religiös war, im Mittelalter, war der Antisemitismus auch religiös. Im dem Moment, in dem die Welt säkulär geworden ist, wurde der Antisemitismus auch säkulär. Der Staat Israel hat den Platz des einzelnen Juden seither übernommen. Er ist zur Zielscheibe geworden. Jetzt im Angesicht des Krieges sieht man, dass es in Wahrheit keine Unterschiede gibt, zwischen Anti-Israelismus, Antizionismus und Antisemitismus. Das eine bringt automatisch das andere mit sich. Alles kommt zusammen.
Wie bewerten sie die Haltung der deutschen Regierung gegenüber diesen anti-israelischen Kreisen?
Die deutsche Regierung hat die jüdischen Gemeinden immer gut geschützt. Aber es gibt Unterschiede in den Bundesländern. In Bayern funktioniert das besser, in Berlin schaut man den Ausschreitungen gegen Juden länger zu mit dem Resultat, das Molotowcocktail gegen eine Synagoge geworfen werden. Besonders die Worte von Vizekanzler Robert Habeck waren sehr wichtig und auch die Position vom Kanzler.
Sie nennen Habeck, Olaf Scholz, aber nicht die Außenministerin Annalena Baerbock.
Wir hätten gern in der Uno, als es um den Krieg Israels gegen die Hamas ging, nicht nur eine Enthaltung Deutschlands gesehen, sondern eine Unterstützung. Das hat Baerbock nicht geleistet.
Die Enthaltung dürfte in der deutschen Regierung abgestimmt gewesen sein. Auch der Kanzler wusste vorher davon.
Das ist möglich, ja. Falls die Zukunft eines jüdischen Staates deutsche Staatsräson ist, darf man sich als Deutscher nicht enthalten, wenn es darum geht diese Zukunft zu verteidigen.
Was ist das eigentlich: Staatsräson?
Diesen Satz habe ich von ihrer ehemaligen Kanzlerin gehört. Ich glaube, der Satz meint etwas sehr Einfaches: Der Holocaust war ein Ergebnis der Schwäche des jüdischen Volkes, das ohne Staat existierte. Um einen weiteren Holocaust zu vermeiden, muss Deutschland alles unternehmen, um die Existenz Israels zu sichern.
Es gibt Finanzströme von Deutschland an palästinensische Organisationen, und auch an muslimische in Deutschland. Soll das so weitergehen?
Nach dem Angriff auf die französische Zeitungsredaktion von Charly Hebdo hat die Europäische Rabbinerkonferenz ein Manifest erlassen, in dem wir über Sicherheit gesprochen haben. Es ging auch um die Finanzen von Organisationen, die den Terror fördern. Wir haben totale Transparenz der Finanzströme gefordert. Das ist bis heute nicht passiert. Natürlich ist die Unterstützung von Schulen in Palästina sinnvoll, wenn wir die Kontrolle über die Schulbücher haben, in denen bis heute Israelhass und Antisemitismus gelehrt werden. Das muss sich ändern und hier haben wir seit Jahren als Europäische Rabbinerkonferenz schon hingewiesen. Auch medizinische Hilfe ist gut. Aber auf der anderen Seite sehen wir, dass das Geld bei der Hamas angekommen ist, um Tunnel zu bauen und Raketen zu kaufen.
Die Demonstranten sehen die Hamas als Widerstandskämpfer gegen eine israelische Besatzungsmacht.
Die Welt redet davon, dass Gaza besetzt ist. Gaza wurde 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzt, 2005 hat die israelische Regierung beschlossen, sich aus Gaza zurückzuziehen. Sie gingen und mit ihnen die 6000 Israelis, die dort lebten. Nachdem sie gegangen waren, wurden als erstes die Synagogen geschändet. Ein Jahr später kam die Hamas an die Macht. Und sie haben gesagt, wir akzeptieren die Existenz des Staates Israel nicht. Dann kamen die ersten Raketen aus Gaza, worauf Israel versuchte, die Grenzen zu kontrollieren. Bis zum 7. Oktober lautete die Politik von Israel, es ist möglich mit Hamas als Nachbarn zu leben oder zu überleben. Das hat sich jetzt völlig geändert. Die Frage ist jetzt, was passiert in Gaza am Tag nach Hamas? Wer übernimmt dort die Verantwortung?
Haben Sie einen Vorschlag?
Es könnte die Uno sein. Oder es könnten ein paar arabische Staaten sein, Ägypten, Saudi-Arabien, die jemanden einsetzen.Wenn wir jetzt von einer Zukunft im Nahen Osten sprechen mit Israelis und Palästinensern nebeneinander, dann muss man sehen: Gaza hat keine Rohstoffe, Gaza hat Menschen, die müssen es machen. Die Palästinenser müssen ihr Leben und ihren Staat in Selbstbestimmung entwickeln.
Sie selbst sind aus Moskau geflohen, weil sie den Krieg in der Ukraine nicht gutgeheißen haben. Kann man die Ukraine und Israel vergleichen?
Russland hat das Recht von der Ukraine auf Selbstbestimmung in Frage gestellt. Das gleiche ist Israel passiert. Die Hamas will die Existenz eines jüdischen Staates nicht anerkennen. Der Unterschied ist: Russland ist eine Großmacht. Die Hamas ist ein Problem, aber keine Großmacht. Gott sei Dank. Allerdings steht hinter Hamas der Iran, der versucht, eine Atommacht zu werden. Das macht mir große Sorgen.
Sehen sie angesichts des Krieges um Israel einen Riss, der durch die ganze Welt geht?
Seit dem 7. Oktober viel mehr als früher. Es gibt den Westen und den Islamismus mit Unterstützung von Russland und dem Iran. Der Kampf um unsere Lebensweise hat begonnen.
Sie machen lauter politische Aussagen, dabei sind sie doch ein religiöser Führer, ist das eine gewohnte Rolle für sie?
Ja – ich war Oberrabbiner einer sehr großen Gemeinde. In Moskau. Ich musste von Zeit zu Zeit die Gemeinde schützen vor einem Land, das eine Tradition des Antisemitismus hat und weit weg von einer Demokratie ist. Heute bin ich als Präsident der europäischen Rabbinerkonferenz verpflichtet unsere Gemeinden zu schützen. Und das beinhaltet politische Aussagen.
Wie soll es weitergehen?
Ich glaube, dass es zwei Möglichkeiten für Gaza gibt. Die eine ist: Aus Gaza wird ein freies demokratisches Land, das keine Gefahr für Israel darstellt. Oder Gaza muss von einem Palästinenserchef verwaltet werden, der von einer Gemeinschaft der arabischen Staaten unterstützt wird.
Ist so eine Figur in Sicht?
Ich kenne niemanden.
Der Antisemitismus ist politisch korrekt geworden: The European