Demonstrationen: Bauern und Linke

 

 

 

Der „Kampf gegen rechts“ wird wie ein riesengroßer Teppich ausgebreitet,

unter den man alle realen Probleme kehren kann.

 

Norbert Bolz

 

Nichts hat das deutsche Volk - dies muß immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden

- so erbittert, so haßwütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.

 

Stefan Zweig, Die Welt von Gestern

 

 

 

Die deutschen Bauern haben recht – aber anders, als sie denken

 

René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent Deutschland - NZZ Newsletter - Der andere Blick - 15.01.2024

 

In der Sache richtig, handwerklich grottenschlecht: Erneut hat die deutsche Ampelregierung die Bürger, diesmal die Landwirte, überrumpelt. Als Teil eines Sparpakets will sie eine Steuerrückvergütung für «Agrardiesel», für in der Land- und Forstwirtschaft verwendeten Dieseltreibstoff, schrittweise abschaffen. Ursprünglich noch weiter gehende Pläne zur Subventionskürzung hat sie nach ersten Protesten abgemildert.

 

Nacht-und-Nebel-Aktion

 

Inhaltlich ist der verbleibende Subventionsabbau richtig. Will Deutschland weder Schuldenberge anhäufen noch die hohe Steuerbelastung weiter steigern, muss es die überbordende Subventionitis bremsen, nicht nur, aber auch in der Landwirtschaft.

 

Von den rund 48 000 Euro, die ein landwirtschaftlicher Betrieb im Durchschnitt im Wirtschaftsjahr 2020/21 an unter-nehmensbezogenen Direktzahlungen und Zuschüssen erhalten hat, entfielen nur 2900 Euro auf die Agrardieselver-gütung. Ihr Wegfall ist nach Einschätzung von Agrarökonomen für die Betriebe verkraftbar, soweit sie nicht ohnehin schon in einer kritischen Lage sind. Zudem ist die Steuervergünstigung für Agrardiesel eine ökologisch unsinnige Subvention.

 

Doch Landwirte sind Unternehmer, und Unternehmer brauchen Planungssicherheit. Wer Mitte Dezember ohne jede vorangehende Debatte und ohne Einbezug des Landwirtschaftsministers in einer Nachtsitzung eine Subventions-kürzung per 1. Januar zusammenbastelt, braucht sich über Unmut nicht zu wundern. Es rächt sich nun bitter, dass die Finanzpolitik der «Ampel» von Anfang an auf einem haushaltspolitischen Trick beruhte und sich die Regierung auf die Unterbindung dieses Tricks durch das Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht vorbereitet hat.

 

Wo bleibt Scholz?

 

Politik ist zudem auch Kommunikation. Nähme der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz seinen eigenen Wahlkampfslogan «Respekt für dich» ernst, hätte er sich längst den protestierenden Bauern gestellt und die Pläne verteidigt. Stattdessen musste sich am Montag an der Abschlusskundgebung der Landwirte in Berlin der liberale Finanzminister Christian Lindner ausbuhen lassen. Der Kanzler begnügte sich am Wochenende mit einer Video-botschaft.

 

Der Agrardiesel ist indessen nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Proteste haben tiefere Ursachen. Die Landwirte leiden unter einer Fülle allzu detaillierter und häufig wechselnder Vorgaben. Sie erhalten zwar hohe Subventionen, aber ein Teil davon fliesst weiter an die Bodeneigentümer, weil die Bauern über die Hälfte des Bodens nicht besitzen, sondern pachten und die Verpächter die EU-Direktzahlungen bei den Pachtzinsen «einpreisen».

 

Gelegenheit für Reformen

 

Die deutsche Regierung, aber auch die in der Agrarpolitik dominierende EU täten gut daran, das Thema Agrarpolitik nach der Protestwoche nicht einfach abzuhaken. Nicht die Beibehaltung der Agrardieselrückvergütung tut not, sondern Reformen. Lindner hat am Montag einen Bürokratieabbau versprochen, nun müssen Taten folgen. Massvolle Subven-tionen für öffentliche Leistungen der Landwirte wie beispielsweise Landschaftspflege lassen sich rechtfertigen. Aber sie müssen zielgerichteter werden. Hierzu liegen prüfenswerte Vorschläge zum Beispiel der deutschen «Zukunfts-kommission Landwirtschaft» vor.

 

Die Bauern und ihre Lobbys sollten sich aktiv an dieser Debatte beteiligen. Die blosse Verteidigung des Status quo ist keine Option. Auch in der Landwirtschaft wird immer mehr Kapital für leistungsfähigere Maschinen und weniger Arbeit benötigt. Dies führt zu grösseren Betrieben.

 

Das «Höfesterben» ist damit zumindest zum Teil Ausdruck eines unvermeidlichen Strukturwandels. Doch ähnlich wie in der Bierbranche, wo im Gegenzug zur Konzentration der industriellen Brauereien eine florierende «Craft-Beer»-Szene entstanden ist, gibt es auch in der Landwirtschaft Raum für innovative Kleinbetriebe. Politik und Verbände sollten diesen Strukturwandel unterstützen und abfedern, statt ihn zu bremsen.

 


 

Die Massenproteste gegen die AfD haben ein Gschmäckle

 

Es sind beeindruckende Zahlen: Mehrere hunderttausend Menschen gingen am Wochenende in Deutschland auf die Strasse, um ihren Protest gegen die AfD kundzutun. Nachdem zuvor eine Woche lang Bauern, Handwerker und Teile des Mittelstands der Bundesregierung ihren Unmut signalisiert hatten, zeigte sich die Demokratie abermals quicklebendig. So soll es sein.

 

NZZ-Newsletter. Der andere Blick - Alexander Kissler - 22.01.2024

 

Dennoch bleiben Störgefühle zurück. In ihrem brachialen Anti-AfD-Furor sind manche Politiker und Medien, Teilnehmer und Veranstalter über das Ziel einer kritischen Auseinandersetzung hinausgeschossen. Ob solche Versammlungen der Partei mittelfristig nutzen oder schaden, ist eine offene Frage.

 

Kaum etwas nämlich zahlt so sehr auf das Konto der Rechten ein, wie die von ihnen fleissig verbreitete Erzählung, nur sie seien, was sie im Namen behaupteten: eine Alternative. Die AfD lebt wesentlich davon, sich als eine singuläre Kraft

im politischen Betrieb zu präsentieren. Nur sie, heisst es, spreche aus, was die Menschen bewege. Deshalb werde sie vom Establishment gestraft.

 

Ein Patriotismus der guten Denkungsart

 

Genau diesen Eindruck vermittelte nun die fast geschlossene politmediale Einheitsfront. Zeitungen und Sender riefen, kaum verklausuliert, zur Teilnahme auf, stellten Listen und Pläne zur Verfügung, damit niemand die Demonstrationen verpasse. Tags darauf setzte sich der aktivistische Zug fort. Medien priesen, was sie orchestriert hatten. Es habe einen «Aufstand der Anständigen» gegeben, die «schweigende Mitte» sei erwacht, es gebe Hoffnung. Plötzlich ist ein Patrio-tismus der guten Denkungsart en vogue. Mitdemonstrierende Medien aber laufen Gefahr, zum Akteur im Parteienkampf zu werden und sich so an die Seite der Regierung zu stellen.

 

Die Exekutive liess schliesslich keinen Zweifel daran, dass es sich in diesem Fall um sehr erwünschte Demonstrationen handelte – anders als etwa bei den Protesten der Bauern oder jenen gegen die staatlichen Anti-Corona-Massnahmen. Kaum ein Regierungsmitglied, kaum ein Ministerpräsident verzichtete darauf, die Versammlungen des Wochenendes

zu loben.

 

Einer Bundesregierung auf dem vorläufigen Tiefpunkt ihres Ansehens kamen die Demonstrationen gegen die Oppo-sition zupass. Diese waren gewiss von echter Empörung über die migrationspolitischen Vorstellungen einiger AfD-Akteure getragen, zugleich aber boten sie ein willkommenes Ablenkungsspektakel. Der Kanzler, noch immer der mächtigste Politiker im Land, setzte sich an die Spitze der Engagierten und adelte sie in einer pathetischen Video-ansprache.

 

Das Staatsoberhaupt hingegen, der Bundespräsident, trennt derweil einmal mehr die guten von den anderen Deut-schen. Gut nämlich sind in den Augen Frank-Walter Steinmeiers Demonstrationen unter dem Reihentitel «Zusammen gegen rechts». Da, so das SPD-Mitglied, werde die Menschlichkeit verteidigt. Wenige Tage zuvor hatte er noch die pro-testierenden Bauern und Bürger gemahnt, sich bitte «genau zu überlegen, mit wem sie auf die Strasse gehen und wel-chen Plakaten sie hinterherlaufen».

 

Nun gehörten linksradikale, zum Teil verfassungsfeindliche Gruppen zu den Bündnispartnern, wurde an manchen Orten antiisraelische Schmähkritik geübt, gab es ein Banner mit der Aufschrift «Afd.ler töten». Hätte das Steinmeier-Theorem gegriffen, hätten Tausende Demonstranten am Wochenende umkehren oder zu Hause bleiben müssen.

 

Die formierte Gesellschaft wäre zum Fürchten

 

Fatal war aber auch die Einmischung des Präsidenten des Inlandsgeheimdienstes. Thomas Haldenwang konnte sich einmal mehr nicht zurückhalten und verteilte Fleisskärtchen. Der grosse Zuspruch für die Demonstrationen sei erfreu-lich, er begrüsse, dass «das Thema Umgang mit der AfD deutlich intensiver diskutiert wird». So bedient Haldenwang

das Vorurteil der AfD, es handele sich beim Verfassungs- um einen Regierungsschutz. Er sollte im Geheimen walten

und prüfen und politische Verhaltensratschläge unterlassen.

 

Zum Gruseln sind die in der AfD kursierenden ausländerfeindlichen Töne, zum Gruseln ist der nahtlose Übergang der Jungen Alternative in den Rechtsradikalismus. Zum Fürchten ist aber auch die Vorstellung, nur mit einer formierten Gesellschaft könne man einer unliebsamen Partei Herr werden, nur mit dem öffentlich zelebrierten Schulterschluss

von Regierung, Medien und Kirchen. Sie alle büssen dadurch Glaubwürdigkeit ein. Vielfalt wächst nicht, wenn die Bereitschaft zur gemeinsamen Ausgrenzung steigt. Und eine Regierung, die die Opposition kleinhalten will, sollte einfach tun, was ihr erkennbar schwerfällt: gut regieren.

 


 

Anti-AfD-Proteste: Massenprotest fordert Parteien heraus

 

Nach den Groß-Demonstrationen gegen die AfD verlangen Oppositionspolitiker Konsequenzen von der Ampel-koalition: Die Linke will mehr Geld für Sozialleistungen, die CSU eine härtere Asylpolitik.

 

Angelika Slavik - SZ.de - 04.02.2024

 

Nach den neuen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus verschärft sich die Debatte über den weiteren Umgang mit der AfD. Am Wochenende gingen wieder mehrere Hunderttausend Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um ein Zeichen des Protests gegen die Rechtsaußen-Partei zu setzen. Allein in Berlin versammelten sich laut Schätzun-gen der Polizei 150 000 Teilnehmer vor dem Reichstagsgebäude. Die Kundgebungen wurden von allen anderen Parteien begrüßt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb bei der Plattform X, die Demonstrationen seien "ein starkes Zeichen für die Demokratie und unser Grundgesetz". Mehrere Vertreter der Ampel-Parteien nahmen selbst an den Protesten teil, darunter SPD-Chefin Saskia Esken, die Minister Karl Lauterbach und Svenja Schulze und die Grünen-Politiker Omid Nouripour und Katrin Göring-Eckardt.

 

Von der Opposition kam indes Kritik: Die Linke sieht bei der Ampelkoalition eine Mitverantwortung für das Erstarken

der AfD. "Es reicht nicht, dass die Bundesregierung die Proteste begrüßt", sagte Parteichefin Janine Wissler der Süd-deutschen Zeitung. Es brauche konkrete Maßnahmen, "um Missstände zu beseitigen, die einen Nährboden für das Erstarken der Rechten bilden". Viele Menschen fühlten sich "durch immer schlechtere Lebensbedingungen" ausgelaugt. Wissler und ihr Co-Vorsitzender Martin Schirdewan schlagen ein Vier-Punkte-Programm vor, das große Investitionen in Sozialsystem und Infrastruktur vorsieht: Der Staat solle in bezahlbares Wohnen, öffentliche Verkehrsmittel sowie das Pflege- und Gesundheitssystem investieren. Außerdem müssten marode Schienen, Brücken und öffentliche Einrich-tungen modernisiert, die Preise für Lebensmittel, Energie und die Mieten gedeckelt werden. Das dafür nötige "millia-rdenschwere Sonderprogramm" sei möglich, so Wissler: "Für Militär und Rüstungskonzerne war das kein Problem." Zudem müssten Programme zur Demokratieförderung besser unterstützt werden.

 

AfD kassiert erneuten Umfrage-Dämpfer

 

Auch CSU-Chef Markus Söder meldete sich zu Wort: Die AfD sei "eine zutiefst rechtsextreme Partei", sagte Bayerns Ministerpräsident der Rheinischen Post. Er plädierte dafür, die Partei stärker inhaltlich zu stellen - viele Aussagen von AfD-Repräsentanten "ekelten" ihn an. Gleichzeitig positionierte sich Söder als Vertreter eines harten Kurses in der Migrationspolitik: "Wir müssen weg vom individuellen Recht auf Asyl hin zu einem objektiven Anspruch", so Söder.

Der subsidiäre Schutz, der Geflüchtete vor Abschiebung bewahrt, weil sie in ihrem Heimatland möglicherweise nicht sicher sind, solle überarbeitet werden. "Wir müssen zum Beispiel prüfen, ob in bestimmte Teile von Syrien abgeschoben werden kann", so Söder. Zudem solle das Bürgergeld gestrichen werden "für jemanden, der neu nach Deutschland kommt".

 

In Umfragen sanken die Zustimmungswerte für die AfD seit dem Beginn der Proteste. Laut einer Erhebung der For-schungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer würden derzeit 19 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme der AfD geben. Das sind drei Prozentpunkte weniger als bei der letzten Abfrage Mitte Januar und der niedrigste Wert für die Partei seit sieben Monaten.

 

Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD könnten nach Einschätzung des Protestforschers Tareq Sydiq von der Marburger Philipps-Universität in eine langfristige Protestbewegung münden. Entscheidend für einen Fortbestand der Bewegung sei, ob sich die Teilnehmenden zu Bündnissen zusammenschließen und sich auf gemein-same Ziele und Strategien verständigen, sagte Sydiq der dpa. Auffällig ist zudem, dass mehrere Parteien nach eigenen Angaben eine deutlich steigende Zahl an Neueintritten verzeichnen: Linke, SPD, Grüne und CSU bestätigten gegenüber dem Stern deutliche Zuwächse - ebenso wie auch die AfD.

 

Deren Vorsitzender Tino Chrupalla warf anderen Parteien eine Instrumentalisierung der Kundgebungen vor. Es sei "legitim, mit der Regierung auf die Straße zu gehen", sagte er im Deutschlandfunk. Die Demonstranten sollten sich

aber nicht benutzen lassen, damit Parteien von den eigentlichen Problemen im Land ablenken könnten. Chrupalla forderte alle Seiten - auch seine Partei - zur sprachlichen Mäßigung auf. Zu Deutschland gehörten auch Deutsche

mit Migrationshintergrund, betonte er. Seine Partei plane nicht, diese auszuweisen.

 

Auslöser für die aktuellen Proteste ist das Erstarken der AfD sowie ein Treffen von radikalen Rechten in Potsdam im vergangenen November, das erst kürzlich bekannt wurde. An dem Treffen sollen AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der sehr konservativen Werteunion teilgenommen haben. Dabei wurden offenbar Pläne diskutiert, Menschen mit Migrationshintergrund zum Verlassen Deutschlands zu zwingen.

 

Anti-AfD-Proteste: Massenprotest fordert Parteien heraus (msn.com)