Der Deutsche Bundestag wird kleiner:
Die Ampelkoalition beschliesst die Wahlrechtsreform
NZZ Digital - 17.03.2023
Das ist passiert: Nach jahrelangem Streit hat der Deutsche Bundestag eine Wahlrechtsreform beschlossen, die das Parlament verkleinern und dauerhaft auf 630 Abgeordnete begrenzen soll. Ein Entwurf der regierenden Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen erzielte am Freitag in Berlin die erforderliche einfache Mehrheit. Die Christdemokraten und die Linkspartei sehen sich durch die Reform benachteiligt. Sie kündigten jeweils eine Klage vor dem Verfassungsgericht an.
Darum ist es wichtig: Der derzeitige Bundestag ist der grösste der Geschichte der Bundesrepublik. Während die Regelgrösse 598 Sitze vorsieht, sind es derzeit 736. Unter bestimmten Umständen könnte der kommende Bundestag sogar noch grösser werden. Steigende Kosten, aber auch eine weiter eingeschränkte Arbeitsfähigkeit der Volks-vertretung und die Entwertung des einzelnen Mandats wären die Folgen.
Das sind die Details: Die Verkleinerung soll erreicht werden, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate verzichtet wird. Abgeschafft werden soll auch die Regel, dass Parteien, die drei Direktmandate erringen, garantiert in den Bundes-tag einziehen – auch wenn sie bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Von dieser Klausel profitierte 2021 die Linkspartei; ohne sie sässe sie jetzt nicht im Bundestag. Für die CSU bedeutet die Reform einen Machtverlust. Sie ge-winnt meist sehr viele Direktmandate, erzielte bei der jüngsten Bundestagswahl aber nur 5,2 Prozent der Zweitstimmen.
So ordnen wir es ein: Grundsätzlich ist es richtig, das Wahlrecht zu reformieren. Der jetzige Beschluss führt aber dazu, dass der Wählerwille nicht genügend in der Sitzverteilung abgebildet wird. Die Direktmandate anzutasten, ist falsch.
Das neue deutsche Wahlrecht spaltet weiterhin Regierung und Opposition – und die Parlamentspräsidentin versagt
Alexander Kissler, Berlin - NZZ - 21.03.2023
Als die Fraktionen der deutschen Regierungskoalition Ende der zurückliegenden Woche im Bundestag ein neues Wahlrecht verabschiedeten, sparten sie nicht mit Eigenlob. Die Reform sende ein «wichtiges Signal ins Land» und stärke die Demokratie, sagte etwa Katja Mast, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Diese Sichtweise haben Sozialdemokraten, Grüne und FDP allerdings exklusiv.
Binnen weniger Tage hat sich in der politischen Öffentlichkeit der Bundesrepublik ein anderes Bild durchgesetzt, vom bürgerlichen «Cicero» bis zur linken «TAZ». Demnach hat sich die «Ampel» verrannt und der Demokratie einen Bären-dienst erwiesen. Sollte das neue Wahlgesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet und damit gültig werden, wäre es ein Mahnmal der Angst – vor dem Souverän, dem Staatsbürger. Der wird von dem Regelwerk in die Schranken gewie-sen.
Auch in der «Ampel» werden manche nachdenklich
Niemand bestreitet, dass die Chronik der gescheiterten Reformversuche kein Ruhmesblatt für die sechzehn Jahre lang regierenden Konservativen ist. Der Bundestag wuchs und wuchs. Durch ein kompliziertes System von Ausgleichs- und Überhangmandaten schwoll er immer mehr an, bis zur gegenwärtigen Rekordzahl von 736 Abgeordneten. Sebastian Hartmann, ebenfalls der SPD angehörig, resümierte zu Recht, die Geschichte der Wahlrechtsreform sei geprägt von einer «Vielzahl von Reden und wenigen Ergebnissen». Nicht jede Reform aber ist vernünftig, und mancher vermeintliche Fortschritt entpuppt sich als Rückschritt.
Selbst Teilen der «Ampel» dämmert, auf welchen Holzweg sich die Regierungsfraktionen begeben haben. Wenn künftig nicht mehr jeder Wahlkreissieger und nicht jede Partei mit mindestens drei Direktmandaten in den Bundestag einzieht – weil allein eine deutschlandweit berechnete Fünf-Prozent-Hürde darüber entscheiden soll –, dann verliert die Persön-lichkeitswahl an Bedeutung. Die Dominanz des Verhältniswahlrechts begünstigt den strippenziehenden Listenkandida-ten zulasten des kantigen Wahlkämpfers, der sich vor Ort ins Getümmel stürzt und den Kontakt zum Bürger sucht.
Unangebracht war auch das Triumphgeheul der «Ampel». Konstantin von Notz von den Grünen warf der CSU sarkas-tisch vor, sie sei schuld an dem eigenen Malaise, habe sie sich doch für das falsche «Geschäftsmodell» entschieden; nur in Bayern anzutreten, sei «absurd». Auch Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion und einer der Architekten der Reform, beging ein Foul, als er den Christlichsozialen riet, sie müssten «damit klarkommen, dass es einen Tag gibt, an dem es nicht um die CSU geht, sondern um dieses Land. Und das ist der Tag, an dem der Bundestag verkleinert wird.»
Gerade die FDP, die vor nicht allzu langer Zeit selbst an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und aus dem Bundestag geflogen ist, sollte nicht so nassforsch auftreten. Wenn es ein Thema gibt, bei dem die Regierungsmehrheit die Interessen der Opposition nicht aus dem Blick verlieren darf, dann ist es das Wahlrecht.
Wohltuend hebt sich davon die Bereitschaft einzelner «Ampel»-Parlamentarier zur Selbstkritik ab, wie sie etwa aus den Äusserungen des grünen Abgeordneten Stefan Gelbhaar spricht. Der fordert eine «Nachjustierung» am Gesetz und die Rückkehr zur Grundmandatsklausel. Dann genügten wieder drei Wahlkreissiege für den Einzug einer Partei in den Bundestag. Ähnlich äusserten sich bisher ein halbes Dutzend weiterer Parlamentarier von SPD und FDP.
Die Bundestagspräsidentin spaltet
Angesichts der Wunden, die die Wahlreform ins Verhältnis von Regierung und Opposition geschlagen hat, wäre die Bundestagspräsidentin als Versöhnerin gefragt. Bärbel Bas, protokollarisch die Nummer zwei im Staate nach dem Bundespräsidenten, agiert jedoch wie eine linke Kulturkämpferin. Dem eigenen Anspruch, das Amt überparteilich zu führen, wird die SPD-Politikerin nicht gerecht. Ihre als «persönlicher Wunsch» deklarierte Forderung, zügig das nächste «Paket zum Wahlrecht zu schnüren», treibt die Spaltung vielmehr voran.
Bas will das Wahlrecht ab 16 Jahren einführen, die sogenannte Geschlechterparität forcieren und die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängern. Besonders die letzten beiden Reformen wären weitere Indizien dafür, dass die Angst vor dem Souverän um sich greift. Er soll künftig nicht nur identitätspolitisch genormte Listen vorgesetzt bekommen, sondern auch seltener wählen dürfen – auf das Risiko hin, dass sein direkt gewählter Volksvertreter gar nicht in den Bundestag einzieht und so seine Heimatregion nicht in Berlin vertreten sein wird. Wer die Demokratie wirklich stärken will, der muss den Wettbewerb stärken und nicht beschneiden.
Ampel zieht Wahlrechtsreform durch:
Machtpolitische Selbstherrlichkeit
Gegen den Widerstand der demokratischen Opposition haben SPD, Grüne und FDP das Wahlrecht geändert.
So schaden sie der Demokratie.
Pascal Beucker, taz, Berlin, 17.03. 2023
Es klingt wie aus einem Werbekatalog: Einfach, fair, gerecht und nachvollziehbar soll es sein, das neue Wahlrecht. Das behaupten SPD, Grüne und FDP. Es ist jedoch schlicht falsch, um nicht zu sagen: eine Lüge. Was die Ampelkoalition in einem wenig schmeichelhaften Akt machtpolitischer Selbstherrlichkeit an diesem Freitag durch den Bundestag ge-peitscht hat, ist weder einfach noch fair. Gerecht und nachvollziehbar ist es ebenso wenig.
Schon die Motivation für die Reform geht an dem eigentlichen Problem vorbei. Denn das Hauptproblem des Bunde-stags ist nicht seine Größe. Mit 630 Abgeordneten ist er nicht mehr oder weniger arbeitsfähig als mit 736. Die Frage ist vielmehr, wen diese Abgeordneten repräsentieren. Schon dass inzwischen rund ein Viertel der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl geht, ist höchst bedenklich.
Wenn dann aber auch noch etliche Millionen Stimmen zusätzlich „verloren“ gehen, weil sie sich aufgrund der hohen deutschen Sperrklausel nicht im Parlament widerspiegeln, untergräbt das die Demokratie. Die Ampelparteien hätten sich also besser Gedanken darüber machen sollen, wie die Anzahl der um ihre Relevanz beraubten Stimmen reduziert werden kann.
Mit ihrem jetzt gegen den Widerstand der demokratischen Opposition im Bundestag durchgesetzten Wahlrecht sorgen SPD, Grünen und FDP jedoch für genau das Gegenteil. Durch ihre Entwertung der Erststimme bei Beibehaltung einer bundesweiten Fünfprozenthürde erhöhen sie sogar noch den Anteil der verlorenen Stimmen. Denn es wird künftig ein Zweiklassensystem geben: In einem Teil der Wahlkreise wird es egal sein, ob jemand seine Erststimme in die Urne oder den Mülleimer wirft.
Schon der Ursprungsentwurf hatte den Makel, nicht mehr sicherzustellen, dass ein:e Wahlkreissieger:in auch in den Bundestag einzieht. Mit ihrer erst in dieser Woche eingefügten Streichung der Grundmandatsklausel und der aus-schließlichen Koppelung des Wahlkreismandats an das Zweitstimmenergebnis einer Partei hat die Ampelkoalition handstreichartig die Erststimme zusätzlich entwertet.
Bitter für die Kleinen
Nun kann es sogar passieren, dass aus einem ganzen Bundesland kein:e einzige:r Wahlkreisvertreter:in im Bundestag mehr vertreten ist. Mit der jetzt beschlossenen Regelung wäre 2021 nicht nur die Linkspartei aus dem Bundestag ge-flogen, es säßen zudem auch ihre drei direkt gewählten Abgeordneten nicht mehr im Parlament. Und hätte die CSU nicht 5,2 Prozent, sondern nur 4,9 Prozent an Zweitstimmen erhalten, wären 45 der 46 direkt gewählten bayrischen Abgeordneten ohne Mandat geblieben.
Wer die Linkspartei oder die CSU nicht mag, den hätte das vielleicht gefreut. Aber einer lebendigen Demokratie tut es nicht gut, wenn Millionen von Wähler:innenstimmen unberücksichtigt bleiben. Es würde den Ampelparteien allzu große Naivität unterstellen, nicht davon auszugehen, dass sie die Verschärfung ihrer Wahlrechtsreform mit Blick auf die politische Konkurrenz, konkret die CSU und die Linkspartei, in das Gesetz eingeschleust haben.
Die Behauptung, die Änderungen kurz vor Toresschluss seien eine Konsequenz aus der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss, ist jedenfalls abenteuerlich. Denn eine klare Mehrheit der Sachverständigen hat sich gegen die ersatz-lose Streichung der Grundmandatsklausel ausgesprochen. Aus gutem Grund gibt es in anderen Ländern, beispielsweise in Griechenland, die Regel, dass eine Wahlrechtsreform erst für die übernächste Wahl gilt.
So müssen sich SPD, Grüne und FDP den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihnen nicht nur um die Verkleinerung des Bundestags, sondern auch der Opposition geht. Das ist nicht der behauptete „große Wurf“, sondern ein Verstoß gegen die Spielregeln der Demokratie. Wenn es ihnen nur um eine Reduzierung der Abgeordnetenzahl gegangen wäre, hätten sie auch einen anderen Weg gehen können, der tatsächlich einfach, fair, gerecht und nachvollziehbar gewesen wäre:
die Einführung eines reinen Verhältniswahlrechts, verbunden mit der Absenkung der Sperrklausel.
Um regionalen Eigenheiten Rechnung zu tragen, wäre es auch möglich gewesen, die Sperrklausel nicht mehr bundes-, sondern wieder länderweit anzuwenden – so wie bei der ersten Bundestagswahl 1949. Doch zu einer Wahlrechtsreform, die die Demokratie in Deutschland stärkt, waren SPD, Grüne und FDP nicht bereit. Ihr Interesse war leider ein anderes. Jetzt bleibt nur noch, auf die Verfassungsrichter:innen in Karlsruhe zu hoffen.
https://taz.de/Ampel-zieht-Wahlrechtsreform-durch/!5922573/
Das deutsche Wahlrecht zu reformieren, ist richtig – aber nicht so
Der Beschluss der «Ampel» führt dazu, dass der Wählerwille nicht genügend in der Sitzverteilung abgebildet wird. Die Direktmandate anzutasten, ist ein Fehler.
Fatina Keilani, Berlin - NZZ- 17.03.2023
Das deutsche Wahlrecht zu reformieren ist nötig – aber nicht so (nzz.ch)
Sind die geplanten Wahlrechtsreformen fair?
Dass die etablierten Parteien es in den letzten 30 Jahren so weit kommen ließen, dass der Deutsche Bundestag mit 736 Abgeordneten viel zu groß geworden ist, weil ursprünglich nur 598 Sitze für Parlamentarier vorgesehen waren und dass sie es in den letzten 10 Jahren nicht geschafft haben dies durch eine angemessene, faire und verfassungsmäßige Wahlrechtsreform zu ändern, diese generelle Einschätzung teilen nicht nur alle Parteien im Bundestag, sondern zuverlässigen Umfragen zufolge auch die große Mehrheit der wahlberechtigten Bürger.
Umstritten ist jedoch, wie eine angemessene, faire und verfassungsmäßige Wahlrechtsreform gelingen könnte. Irgendein vertretbarer harter Schnitt muss dann jedoch gemacht werden, wenn eine ausreichende, faire und verfassungsmäßige Verkleinerung gelingen soll. 630 Parlamentarier und Sitze sind eigentlich immer noch zu viel.
Da unter dem jetzt beschlossenen Schnitt vor allem zwei Parteien der Opposition leiden, entsteht ganz zurecht der Verdacht, dass die regierenden Parteien der Ampelkoalition diesen Schnitt absichtlich so gewählt haben,
dass nur Parteien aus der Opposition, aber nicht sie selbst an Sitzen verlieren. Die Sache hat nicht nur "ein Geschmäckle", sondern stinkt zum Himmel.
So wie noch nie irgendeine Regierungskoalition zuvor gleich am Anfang ihrer Regierungszeit so viele neue Stellen auf Kosten der Steuerzahler
geschaffen hat, wie diese Ampelkoalition, entsteht hier schon wieder der Eindruck einer gewissen Selbstbedienungsmentalität der Parteipolitiker, die zu einer noch größeren
Politik-verdrossenheit beitragen kann. Dadurch entsteht der fatale Eindruck, dass die drei Parteien der Ampelkoalition die Gelegenheit der nötigen Wahlrechtsreform nutzen, um ihre von den Wählern
verliehene politische Macht über das Wahlvolk weiter auszubauen und zu festigen.
Wahlrechtsreformen tangieren die neuralgischen Punkte jeder Demokratie
Wahlrechtsreformen sind in Demokratien immer heikel und umstritten, da sie die angemessene Verteilung der politischen Macht betreffen, die in Demokratien anders als in Aristokratien, Autokratien, Monarchien, Oligarchien, Plutokratien oder Diktaturen letztlich vom Volk der wahlberechtigten Bürger selbst ausgehen soll. Wahlrechts-reformen betreffen also den Nerv jeder Demokratie, nämlich die Frage, wie der Wille des Volkes auf eine faire
die Art und Weise zum Allgemeinen Willen wird, der die ökonomisch-politischen Geschicke eineS Landes und den politischen Einfluss auf das gesamte zukünftige Wohlergehen des ganzen Volkes betreffen.
In rechtstaatlichen Demokratien kommt anders als in direkten Demokratien hinzu, dass es im aktiven und im passiven Wahlrecht einen rechtsstaatlichen Schutz für überstimmbare Minderheiten geben muss, ganz gleich,
ob es sich um Nichtwähler, Kleinstparteien oder pateilose Kandidaten handelt. Nach unserer bundesdeutschen Verfassung sollen und dürfen die Parteien zwar "an der Willensbestimmung des Volkes" mitwirken, aber sie dürfen sie nicht dominieren und Kleinstparteien oder pateilose Kandidaten ausschließen. Um die Menge der Parteien zu begrenzen, haben sich die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes daher aufgrund der schmerzlichen Erfah-rungen der Weimarer Republik zu einer Sperrklausel in Form einer 5%-Hürde entschieden.
Die Macht der etablierten Regierungsparteien wird noch größer
Nun ist es aber immer wieder bei der Wahl des Bundespräsidenten und bei anderen Gelegenheiten deutlich geworden, dass parteilose Bürger und Bürger kleinerer Oppositionsparteien als Kandidaten praktisch chancenlos sind. Die Macht der etablierten Parteien ist daher viel zu groß geworden und verstößt in der Praxis gegen die Intentionen der Urheber unserer Verfassung, weil sie nicht mehr den Willen des ganzen wahlberechtigten Volkes abbbildet und nicht mehr der Verfassung entspricht, derzufolge auch parteilose Bürger und Bürger von kleineren Oppositionsparteien im Prinzip zu Parlamentariern oder zu Bundespräsidenten gewählt werden könnnen.
Die vorgeschlagene Wahlrechtsreform der Ampelkoalition zur Verkleinerung des Bundestages wird vor allem von zwei Oppositionsparteien kritisiert, weil sie ihnen gegenüber unfair zu sein scheint.
Auf der einen Seite beklagt sich verständlicherweise die Partei Die Linke, weil sie bei der letzten
Bundestagswahl die 5%-Hürde nicht mehr überspringen konnte und es dann nur aufgrund von drei Direktmandaten gerade noch in den Deutschen Bundestag geschafft hat. Sie befürchtet - ähnlich wie
schon zuvor auch die FDP - es nach der nächsten Wahl nicht mehr in den Deutschen Bundestag zu schaffen. Auch aus Sicht
der Wähler würde diejenige Partei im Deutschen Bundestag fehlen, die nach eigenem Selbstverständnis insbesondere die Interessen der Ärmsten und der sozial Schwächsten vertreten. Die Ampelkoalition macht also einen Schnitt, der dem
seit ca. 30 Jahren anhaltenden Trend zum neoliberalen Sozialdarwinismus und zum Abbau von Solidarität folgt. Jan Korte, Politikwissenschaftler und MdB der Partei DIE LINKE spricht empört
von einem "Anschlag auf die Demokratie".
Auf der anderen Seite beklagt sich verständlicherweise die bayrische Regional-Partei CSU, die in Bayern bisher immer besonders viele Direktmandate erzielen konnte, weil ihre Kandidaten, dann zwar immer noch wie bisher die meisten Wahlkreise gewinnen könnten, aber dennoch nicht mehr in den Bundestag einziehen könnten. Der Grund dafür liegt daran, dass die CSU als Regionalpartei bundesweit nicht leicht die 5%-Hürde berschreiten kann. Das gilt übrigens auch für andere Regionalparteien wie für den Wählerverband der süddänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Auch andere Kleinparteien, die es bisher nur in einigen Bundesländern gute Chancen haben, wie die ÖDP oder die Freien Wähler, hätten es in Zukunft dann noch viel schwerer, je in den Deutschen Bundestag zu kommen. Aber das ist weitgehend nur eine Folge der praktisch vertretbaren 5%-Hürde.
Dass die Gewinner von Direktmandaten jedoch ganz leer ausgehen können und trotz des demokratischen Wählerwillens nicht in den Bundestag gelangen können, widerspricht jedem intuitiven Verständnis von einer fairen Demokratie und zerstört daher weiterhin das Grundvertrauen der politisch aufgeklärten Bürger in unseren Rechtsstaat. Die eigentlichen Verlierer sind daher die Bürger selbst und unter ihnen vor allem regierungskritische Bürger und parteilose Kandidaten und damit die freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie.
Die CSU will daher aus ganz verständlichen Gründen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen, weil sie
diesen Beschluss für verfassungswidrig hält. Sollte sie dann Recht bekommen, wird dieser Beschluss vom BVG kassiert. Sollte sie nicht Recht bekommen, dann gilt dieser Beschluss zwar weiterhin als
politisch legal, aber das würde ihn nicht rechtsethisch legitim oder an und für sich richtig machen. Denn auch demokratische Beschlüsse können Unrecht erzeugen. Demokratische Prozeduren
garantieren nämlich keine gerechten Entscheidungen. In dieser Hinsicht irren Jürgen Habermas und alle anderen prozeduralen Dezisionisten, denn jeder Dezisionismus ist eine Form von
Rechtspositivismus. Auch wenn ganz demokratisch beschlossen würde, dass Juden keine echten Menschen sind, deren Menschenwürde rechtsstaatlich zu schützen ist, sind und bleiben Juden
Menschen, deren Menschenwürde rechtsstaatlich zu schützen ist.
Die eigentlichen Verlierer sind die Bürger selbst
Bisher habe ich noch keine Kritik an dieser Wahlrechtsreform der Ampelkoalition gehört, die nicht von Seiten dieser bettroffenen Parteien kommt, sondern von demokratisch und kritischen Bürgern oder von aufgeklärten Philosophen selbst vorgetragen wird, die verstanden haben, dass ein bloß dezisionistisches oder positivistisches Verständnis von Recht und Gerechtigkeit auch eine Demokratie in einem Unrechtsstaat verwandeln kann.
Diese offensichtlich anfechtbare und dubiose Wahlrechtsreform stärkt nicht nur zufällig die drei regierenden Parteien der Ampelkoalition, nämlich die Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten, und sie benachteiligt nicht
nur zufällig die CSU und die Linken, sondern sie stärkt auch weiterhin den bereits aufgeblähten Parteienstaat, dessen Macht gegenüber den Bürgern seit ca. 30 Jahren zu groß geworden ist.
Das bedeutet jedoch, dass die Parteien der Ampelkoalition die Bürger des Volkes selbst übergehen und sich damit die Macht des
Volkes auf eine undemokratische und verfassungswidrige Weise selbst aneignen, um sich dann diese von den Bürgern ihnen nur anvertraute Macht unter sich selbst aufzuteilen. Die Parteien
wirken dann aber nicht mehr nur "bei der Willensbildung des Volkes" mit, wie es das Grundgesetz vorsieht, sondern sie maßen sich jetzt an, selbst schon die
Willensbildung des Volkes zu sein, weil in Zukunft an ihnen kein Weg mehr vorbei führt. Das erinnert nicht zufällig an die frühere sozialistische DDR, einen von opportunistischen
Parteifunktionären dominierten Unrechtsstaat.
Dadurch schaden die Parteien der Ampelkoalition nicht nur den Chancen von oppositionellen Klein- und Regionalparteien, sondern damit schaden sie auch den Chancen von parteilosen Kandidaten, entweder als Parlamentarier in den Bundestag zu gelangen, obwohl sie einen Wahlkreis gewonnen haben, oder als Direkt-kandidat zum Bundespräsidenten gewählt zu werden, obwohl sie einen durchaus aussichtsreichen Gegen-kandidaten aufgestellt haben.
Bei der letzten Wahl zum Bundespräsidenten hatte sich nämlich die größte Oppositionsfraktion der CDU/CSU den gemeinsamen Kandidaten Steinmeier der
Grünen und der Sozialdemokraten mit unterstützt. Dadurch hatten alternative Kandidaten von den Linken, den Freien Wählern und von der AfD praktisch keine Chance mehr. Das war wieder einmal eine
Machtdemonstration des allzu mächtigen Parteienstaates gegen die wahlberech-tigten freien Bürger und gegen die von dem in der bundesfeutschen Verfassung vorgesehenen "Beitrag"
der Parteien "zur Willensbildung des Volkes".
Drei weitere Manipulationen am Wahlrecht unserer Demokratie zur Machterhaltung der Regierung
Die derzeitige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat kurz nach dem Beschluss im Deutschen Bundestag zur Wahlrechtsreform jedoch angekündigt, dass die Regierungskoalition in ihrer Amtszeit noch rechtzeitig vor der nächsten Wahl zum Deutschen Bundestag noch drei weitere Wahlrechtsreformen diskutieren und beschließen möchte. Es ist zu erwarten, dass auch diese beiden Änderungen des Wahlrechtes nur zu ihren eigenen Gunsten ausfallen werden und ebenfalls der unfairen Sicherung ihrer eigenen Macht dienen werden.
1. Das Wahlalter soll von bisher 18 Jahren, also der Volljährigkeit, auf 16 Jahre herabgesenkt werden. Das dient den Ampelparteien und insbesondere den Grünen und Liberalen dazu, mit diesem Wahlgeschenk noch mehr junge Erstwähler für sich zu gewinnen als beim letzten Mal. Ein anderes Wahlgeschenk zu diesem Ziel war das Gesetz zur sog. "Wahl des eigenen Geschlechtes" ab 16 Jahren, was dem Transgenderwahn entgegen kommt,
der gerade unter Jugendlichen in Mode ist. Nicht
nur Ärzte, Psychologen und Kinderpsychiater, somdern auch Feministinnen warnen seit einiger Zeit in den USA, in Großbritannien und auf dem europäischen Kontinent vor diesen gesundheitsschädlichen
und irreversiblen Eingriffen mit Hilfe von Pubertätsblockern und operativen Eingriffen mitten in der Pubertät, in der Jugendliche eine schwierige Phase durchleben, Orientierung brauchen, um sich
selbst zu finden. Da eigentlich niemand wirklich, nachträglich sein eigenes faktisches Geschlecht, seinen faktischen Geburtsort oder sein faktisches Geburtsdatum selbst wählen kann, handelt es
sich bei dieser irrigen Gesetzesänderung nur um eine bloße Luftnummer aus dem fiktiven Staate Absurdistan.
2. Eine freiheitsfeindlich, undemokratische und staatlich verordnete Frauenquote soll dann für die zukünftige Sitzverteilung im Parlament und für die Kandidatenlisten der Parteien eingeführt werden. Erneut wird der Wille des Volkes übergangen und die Freiwilligkeit und Kompetenz der Frauen und Bürgeriinnen gering geschätzt. Denn bisher hing es davon ab, dass sich zuerst einmal hoch qualifizierte und politisch kompetente Frauen
für die Laufbahn von Berufspolitikerinnen interessierten, darauf vorbereiteten und hinarbeiteten und für eine Partei oder als Unabhängige kandidierten. Wenn die bisherige Lebenserfahrung, das persönliche Interesse, die berufliche Qualifikation und die politische Kompetenz von Frauen und Männern weniger wert sind als das bloße Geschlecht, dann senkt das jedoch das bisherige Niveau der Parlamentarier. und des Parlamentes. Daher sollte
in einer fairen und legitimen parlamentarischen Demokratie das Geschlecht überhaupt keine Rolle spielen, sondern nur die persönliche Eignung, die seelisch-gesunde
Persönlichkeit, die sittliche Integrität, die politische Kompetenz und der harte demokratische Wettbewerb. Eine durch Quoten erzwungene staatliche
Gleich-stellung der Anzahl von Männern und Frauen im Parlament oder auf den Listen der Kandidierenden der Parteien entspricht nicht dem verfassungsgemäßen Gebot der
Gleichberechtigung von Männern und Frauen, sondern erzwingt eine bloß formale und quantitative Gleichheit von oben
gegen den freien Willen der emanzipierte Frauen von unten, die selbst entscheiden können und dürfen sollten, ob sie sich überhaupt für eine Kandidatur und für ein Bundestagsmandat
interessieren. Dies ist daher keine Fortsetzung der Emanzipation der Frauen, die vor ca. fünf Jahrzehnten begonnen hat, sondern eine Form von antiliberaler und undemokratischer
Machtergreifung der Regierungsparteien von oben gegen das Volk, die ganz generell den Bürgern mißtraut und daher autoritär und demagogisch von oben diktiert.
3. Die Dauer einer Regierungszeit soll von 4 auf 5 Jahre angehoben werden. Fraglich ist, ab wann das gelten
soll. Das könnte dazu dienen, dass wieder mehr Sachpolitik und nicht so sehr das Schielen auf Umfragen und auf die nächste Bundestagswahl das
Regierungshandeln bestimmen. Aber viel wichtiger wäre es, nach dem schlechten Erfahrungen mit der viel zu langen Amtszeiten von Helmut Kohl und Angela Merkel, dem jeweiligen Kanzler oder der
jeweiligen Kanzlerin nur zwei Amtszeiten zu gewähren.
Fairness geht anders
Wenn zwei oder drei führende Mannschaften mitten in einem sportlichen Wettkampf die Spielregeln zu ihren Gunsten ändern wollen, dann ist größte
Vorsicht geboten, zumal die Motive leicht durchschaubar sind, da sie natürlich gewinnen wollen. Die Zuschauer jedenfalls werden dann normalerweise sofort protestieren, weil sie die
offensichtliche Absicht und die fehlende Fairness durchschauen und die jeweils benachteiligten Mannschaften beschweren sich zurecht. Im Frauensport wäre es selbstverständlich bei
Frauschaften auch nicht anders. Denn Frauen sind keine besseren Menschen, sondern können genauso egoistisch, unfair und unsportlich wie Männer sein, wenn auch manchmal weniger grob, offen und
direkt, sondern eher hinterlistig, hintenrum und indirekt.
Wenn eine Regierungskoalition jedoch mitten in ihrer Regierungsperiode gleich vier Wahlrechtsreformen hintereinander durchzubringen versucht, ist eine bis dahin einigermaßen funktionierende Demokratie in
höchster Gefahr, denn es handelt sich um einen Ausbau der politischen Macht von oben. Den Umfragen des Institutes Civey zufolge liegen die Christdemokraten vorne und würden die Wahlen gewinnen, wenn am nächs-
ten Sonntag Wahlen wäre. Es scheint, dass die Ampelkoalition gute Gründe hat zu befürchten, bei der nächsten Wahl wieder abgewählt zu werden. Versuchen sie sich
daher, durch vier Wahlrechtsreformen zu ihren eigenen Gunsten, aber gegen den mutmaßlichen Wählerwillen, an der Macht
zu halten? Es sieht ganz danach aus. Das wäre ein politischer Coup ohne gleichen und die größte Machtergreifung in Deutschland seit 1933 mitten in den Wirren der Weimarer Republik. Wer der zu
schweigt, statt zu protestieren, macht sich mit schuldig.
Demokratie lebt von der Zivilcourage ihrer Bürger
Die Anhänger und Wähler der Grünen, der Liberalen und der Sozialdemokraten kommen in Versuchung ihren Parteien diese unfairen Veränderungen des Wahlrechtes zu ihren eigenen Gunsten durchgehen zu lassen, da
die meisten Menschen nicht die Zivilcourage besitzen, diesen üblen Machtspielen zu widersprechen, sobald sie davon profitieren oder sich eine Politik nach ihrem Geschmack erhoffen, zumal wenn sie von Parteien kommen, mit denen sie sympathisieren und mit denen sie sich identifizieren.
Aufrichtige und politisch informierte Bürger werden nun wieder zurecht an unserer Demokratie zweifeln. Nach den teilweise völlig überzogenen, die
Angst vor Erkrankung schürenden Maßnahmen gegen die Corona-Epidemie und nach den die Angst vor dem Klimawandel schürenden Protesten der hoch emotionalen Klimabewegungen Fridays for
Future und Die letzte Generation folgen nun vier fragwürdige Wahlrechtsreformen, die das Volk und die Bürger spalten in Ältere und Jüngere, in Frauen und Männer in
Regierungstreue und Regierungskritische.
Schwer zu verstehen ist, dass die Liberalen als bisherige Partei der Bürgerrechte und die Sozialdemokraten als älteste
demokratische Partei Deutschlands und als ursprünglich linke Partei der Arbeiter und Angestellten, also eher des einfachen Volkes eine derartige politische Machterhaltung von oben und gegen das
Volk nicht nur toleriert, sondern sogar selbst initiieren und realisieren wollen. Es handelt sich nämlich um eine dreiste Strategie und Vorgehensweise, die man eher der sozialistischen
Einheitspartei der SED in der ehemaligen DDR zuge-traut hätte, aber nicht den Liberalen als der Partei eines Gerhard Baum, Theodor Heuss, Hans-Dietrich Genscher und der Gräfin Dönhoff
oder den Sozialdemokraten als der Partei eines Carlo Schmid, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Egon Bahr und einer Annemarie Renger.
Eine bürgerfreundliche Wahlrechtsreform würde die Bürger und nicht den Parteienstaat stärken
Wie sähe eine bürgerfreundliche Wahlrechtsreform aus, die parteiunabhängigere oder gar ganz parteilose Kandidaten anstelle des
aufgeblähten und übermächtigen Parteienstaates mit seinen parteihörigen und strom-linienförmigen Parteipolitikern stärkt? Keine einzige Partei hat sich dafür stark gemacht, ganz einfach die
Zweit-stimmen für die Parteien fallen zu lassen, um nur noch von den Bürgern und Steuerzahlern selbst gewählte Direktkandidaten, die ihre jeweiligen Wahlkreise gewonnen haben, in den Bundestag
einziehen zu lassen. Diese durchaus attraktive, radikal demokratische und verfassungstreue Option müssten sich die Bürger gegen den übermächtigen Parteienstaat selbst erstreiten. Von den drei
etablierten Parteien der Ampelkoalition wird diese attraktive Option kaum unterstützt werden. Außerdem wird diese undemokratische und verfassungsfeindliche Wahltrechtsänderung auch noch von der
teils rechtspopulistischen, teils rechtsradikalen AfD unterstützt, da sie sich von der Schwächung der CSU einen Zugewinn an Stimmen und Mandaten erhoffen.
UWD