"Deutsche Christen"

 

 

 

 

 

 

 

 

Reichsbischof Ludwig Müller (rechts; 1883-1945) und Hitler auf dem NSDAP-Parteitag 1934 in Nürnberg

 

 

 

Als „Deutsche Christen“ Jesus zum arischen Galiläer machen wollten

 

Mit einem „Entjudungsinstitut“ wollten die „Deutschen Christen“ ab 1939 die Bibel und weitere Texte der NS-Ideologie öffnen. Zahlreiche Institutsmitarbeiter machten nach 1945 weiter Karriere.

 

Gregor Krumpholz am 06.05.2019 in WELT ONLINE

 

Am 6. Mai 1939 wurde auf der Wartburg bei Eisenach das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ gegründet. Maßgeblich von den „Deutschen Christen“ propagiert, die

 

dem Nationalsozialismus nahestanden, sollte das „Entjudungsinstitut“ dessen Ideologie in christlichen Texten ver-ankern. Zu diesem Zweck wollte man biblische Bezüge in Bibel und Liedern tilgen. Als Schuldbekenntnis und zur Mahnung enthüllt die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland am 6. Mai in Eisenach eine Gedenkinstallation.

 

Vom 20. September an zeigt das Lutherhaus Eisenach die Ausstellung „Erforschung und Beseitigung. Das kirchliche ‚Entjudungsinstitut‘ 1939–1945“. Ein Gespräch mit dem Leiter des Hauses, Jochen Birkenmeier.

 

Frage: Herr Birkenmeier, welche Aufgabe hatte das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“?

 

Jochen Birkenmeier: Es hatte sich zum Ziel gesetzt, alle jüdischen oder vermeintlich jüdischen Einflüsse auf Lehre und Praxis der evangelischen Kirche zu beseitigen.

 

Birkenmeier: Grund war die Vorstellung, dass es ein ursprüngliches Christentum gab mit einem Jesus, der kein Jude, sondern ein arischer Galiläer war. Nach dieser Auffassung hat der Apostel Paulus dessen Lehre später verfälscht.

 

Frage: Wer hatte die Initiative zu dem Institut?

 

Birkenmeier: Nach den Novemberpogromen von 1938, der sogenannten Reichskristallnacht, hatten Vertreter der „Deutschen Christen“, die den Nationalsozialisten nahestanden, das Gefühl, dass es nun an der Zeit sei, auch die Kirche radikal zu „entjuden“. In einer Zeit, in der sich die Machthaber immer stärker von den Kirchen entfernten, wollten sie damit nachweisen, dass Nationalsozialismus und Christentum vereinbar sind. Gründer des Instituts waren dann elf evangelische Landeskirchen.

 

Frage: Gab es ein Vorbild für eine solche „Entjudung“ der Kirche?

 

Birkenmeier: Es gab schon seit den 1870er-Jahren Antisemiten, die Bibelübersetzungen ohne jüdische Begriffe veröffentlicht haben.

 

 

Frage: Wie weit hat das Institut in den sechs Jahren seiner Tätigkeit seine Ziele verwirklicht?

 

 

Birkenmeier: Die Reichweite des Instituts ist in der Forschung umstritten. Es wurde vier Monate vor Kriegsbeginn gegründet, und der wissenschaftliche Leiter, Walter Grundmann, wurde 1943 eingezogen. Somit war das Institut in der zweiten Hälfte des Krieges nicht mehr besonders wirksam. Immerhin hat es ein „entjudetes“ Neues Testament vorgelegt sowie einen neuen Katechismus und ein neues Gesangbuch. Es hat auch viele wissenschaftliche Tagungen veranstaltet. Insofern ist es wirksam geworden, aber nicht so, dass die Kirche tatsächlich umgestaltet wurde.

 

Frage: Wie viele haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter hatte das Institut?

 

 

Birkenmeier: Es waren vier bis fünf hauptamtliche und rund 200 ehrenamtliche Mitarbeiter. Sie arbeiteten in Arbeits-kreisen zusammen oder waren Einzelpersonen, die Forschungsaufträge erhielten. Sie kamen aus dem ganzen Reichs-gebiet und allen Landeskirchen, außerdem gab es Kontaktpersonen zur katholischen Kirche.

 

 

Frage: Inwieweit waren diese Vorstellungen auch in der katholischen Kirche verbreitet?

 

 

Birkenmeier: Nicht sehr stark, es gab aber einzelne Geistliche, die an den Veranstaltungen des Instituts teilnahmen. Antijudaismus gab es in beiden Konfessionen.

 

Frage: Wie war das Echo darauf im Ausland?

 

 

Birkenmeier: Sehr intensive Kontakte gab es zur deutschsprachigen Minderheit im rumänischen Siebenbürgen und nach Skandinavien, vor allem nach Schweden, aber auch nach Dänemark und Finnland.

 

Frage: Grundmann und weitere Vertreter des Instituts waren nach dem Krieg in der DDR weiter theologisch tätig ...

 

Birkenmeier: Nicht nur in der DDR, frühere Mitarbeiter sind auch im Westen an Universitäten und in Pfarrstellen gelandet. Der Fokus unserer Ausstellung liegt jetzt stärker auf der DDR, weil ehemalige Mitarbeiter wie Grundmann auch in der damaligen thüringischen Landeskirche tätig waren.

 

Frage: Wie ist zu erklären, dass Grundmann weiter Theologen ausbilden konnte?

 

Birkenmeier: Die Landeskirche hatte einen Mangel an fähigen Theologen, weil viele aufgrund der kirchenfeindlichen Haltung der SED in den Westen flohen. Eine Professur erhielt er allerdings nicht mehr. Staatlicherseits hatte man keine Einwände, im Gegenteil: Das Ministerium für Staatssicherheit kannte Grundmanns frühere Kontakte zum Sicherheits-dienst der SS. Die Stasi warb ihn mit dem Ziel an, Interna aus der Kirche zu erfahren, die er auch geliefert hat.

 

https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article193005435/Deutsche-Christen-Jesus-sollte-zum-arischen-Galilaeer-gemacht-werden.html

 

 

Johann Heinrich Ludwig Müller. Bischof der Evangelischen Kirche in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus. Offizielle Antrittsrede auf den Stufen des Doms in Berlin. September 1934. Deutschland. Photographie. |