Martin Heidegger (1889-1976)

 

Das Selbst als Sein und Nichts: 100 Jahre Martin Heidegger

 

Von der alten Zärtlichkeit für die Welt zu Heideggers hybrider Leidenschaft, ein Selbst sein zu wollen

 

Hannah Arendt

 

Das moderne Gefühl der Unheimlichkeit der Welt hat sich immer an den individuellen, aus ihrem Funktionszusammen-hang gerissenen Dingen entzündet. Hierfür ist die moderne Literatur und ein guter Teil der modernen Malerei ein kaum übersehbares Zeugnis. Wie immer man soziologisch oder psychologisch diese Unheimlichkeit interpretieren mag, ihr philosophischer Grund ist der, daß der Funktionszusammenhang der Welt, in welchen auch ich selbst noch mit einbe-griffen bin, zwar immer rechtfertigen und erklären kann, daß es z.B. Tische oder Stühle überhaupt gibt, niemals aber mir wird begreiflich machen können, warum dieser Tisch ist. Und es ist die Existenz dieses Tisches, unabhängig von Tischen überhaupt, woran der philosophische Schreck entsteht.

 

Die Phänomenologie schien dieses Problems, das sehr viel mehr als nur ein theoretisches ist, Herr zu werden. Sie er-faßte in der phänomenologischen Bewußtseinsbeschreibung gerade die isolierten, aus ihrem Funktionszusammen-hang gerissenen Dinge als Inhalte beliebiger Bewußtseinsakte und schien sie durch den „Bewußtseinsstrom“ mit dem Menschen wieder zu verbinden. Ja, Husserl behauptete sogar, daß er auf diesem Umwege über das Bewußtsein und ausgehend von einer Gesamterfassung aller faktischen Bewußtseinsinhalte (eine mathesis universalis) die in Stücke gegangene Welt wieder neu aufzubauen imstande sei. Solch eine Neukonstitution der Welt vom Bewußtsein her würde einer zweiten Weltschöpfung insofern gleichkommen, als in ihr der Welt ihr Kontingenzcharakter, der zugleich ihr Realitätscharakter ist, genommen würde und sie nicht mehr als eine dem Menschen vorgegebene, sondern als eine vom Menschen geschaffene erscheinen würde.

 

In diesem Fundamentalanspruch der Phänomenologie liegt der eigenständigste und modernste Versuch einer Neu-begründung des Humanismus. Hofmannsthals berühmter Abschiedsbrief an Stefan George, in welchem er sich zu den „kleinen Dingen“ bekennt gegen die großen Worte, weil in den kleinen Dingen gerade das Geheimnis der Wirklichkeit verborgen liege, hängt mit dem Lebensgefühl, aus dem Phänomenologie entstanden ist, aufs innigste zusammen. Husserl wie Hofmannsthal sind gleichermaßen Klassizisten, wenn Klassizismus der Versuch ist, sich durch eine bis ins Letzte konsequente Imitation der Klassik, und das heißt der Beheimatetheit des Menschen in der Welt, aus der unheim-lich gewordenen Welt wieder eine Heimat herauszuzaubern. Husserls „zu den Sachen selbst“ ist nicht weniger eine Zauberformel als Hofmannsthals „kleine Dinge“. Könnte man mit Zauber noch etwas erreichen - in einer Zeit, die nur das eine Gute hat, daß in ihr alle Zauber versagen -, so müßte man allerdings mit dem Kleinsten und scheinbar Bescheiden-sten, mit unscheinbaren „kleinen Dingen“, mit unscheinbaren Parolen anfangen. Herders Ameise auf dem Rad des Verhängnisses.

 

Es liegt natürlich an dieser scheinbaren Unscheinbarkeit, daß Husserls Bewußtseinsanalysen (die Jaspers immer für die Philosophie belanglos fand, weil er weder zum Zaubern noch zum Klassizismus neigte) sowohl Heidegger wie Scheler in ihrer Jugend so entscheidend beeinflußten, obwohl Husserl der Existenzphilosophie keinen ihrer entscheidenden In-halte vorzugeben wußte. An der verbreiteten Annahme wiederum, daß Husserls Einfluß nur methodisch von Belang gewesen sei, ist in der Tat soviel richtig, daß er die moderne Philosophie, zu der er selbst nicht eigentlich gehörte, aus den Fesseln des Historismus befreit hat. In der Nachfolge Hegels nämlich und unter dem Eindruck eines außerordent-lich intensivierten Interesses an Geschichte, drohte die Philosophie in Spekulationen über eine mögliche Gesetzmäßig-keit des geschichtlichen Ablaufs unterzugehen. Hierfür ist gleichgültig, ob solche Spekulationen optimistisch oder pessimistisch gestimmt waren, ob sie Fortschritt als unausweichlich oder Untergang als vorausbestimmt zu errechnen suchten. Wesentlich war allein, daß in beiden Fällen der Mensch in den Worten Herders der „Ameise“ gleicht, die „auf dem Rad des Verhängnisses nur kriecht“. Husserls Insistieren auf „den Sachen selbst“, welches solch leere Spekulationen abschneidet und darauf besteht, den phänomenal gegebenen Inhalt eines Vorganges von seiner Genese abzutrennen, wirkte insofern befreiend, als nun der Mensch selbst wieder und nicht der geschichtliche oder natürliche oder biologi-sche oder psychologische Ablauf, in den er verstrickt ist, zum Thema der Philosophie werden konnte.

 

Diese Befreiung der Philosophie hat gewirkt, diese gleichsam negative Tat, der noch dazu Husserl, dem es völlig an historischem Sinn gebrach, sich nie wirklich bewußt geworden ist. Sie ist viel wesentlicher geworden als Husserls positive Philosophie, in welcher er uns zu beruhigen sucht, worüber eben die ganze moderne Philosophie sich nicht beruhigen konnte - daß der Mensch zu einem Sein, das er nicht geschaffen hat und das ihm wesensmäßig fremd ist, doch ge-zwungen ist, Ja zu sagen. Mit der Verwandlung des fremden Seins in das Bewußt-Sein versucht er die Welt wieder menschlich zu machen wie Hofmannsthal mit dem Zauber der kleinen Dinge in uns wieder die alte Zärtlichkeit für die Welt zu erwecken sucht. Woran dieser moderne Humanismus, dieser gute Wille zur Bescheidenheit immer wieder scheitert, ist die gleichermaßen moderne Hybris, die ihm zugrunde liegt, und die heimlich (bei Hofmannsthal) oder offen und naiv (bei Husserl) hofft, auf diese ganz unauffällige Weise doch das zu werden, was der Mensch nicht sein kann, Schöpfer der Welt und seiner selbst.

 

Im Gegensatz zu der hybriden Bescheidenheit Husserls versucht die moderne nicht-epigonale Philosophie auf man-cherlei Weise sich damit abzufinden, daß der Mensch nicht Schöpfer der Welt ist. Dafür versucht sie immer und immer wieder gerade dort, wo sie ihre besten Ansätze zeigt, den Menschen dorthin zu stellen, wohin Schelling in einer eigen-tümlich sich selbst mißverstehenden Weise Gott stellte - an den Platz des „Herrn des Seins“. (...)

 

Fortschritt zur Tat

 

Heideggers Versuch, trotz und gegen Kant wieder eine Ontologie zu etablieren, führte zu einer tiefgreifenden Umände-rung der überkommenen philosophischen Terminologie. Aus diesem Grund nimmt Heidegger auf den ersten Blick immer sich weit revolutionärer aus als Jaspers und dieser terminologische Schein hat der richtigen Einschätzung seiner Philosophie sehr geschadet. Er sagt ausdrücklich, daß er eine Ontologie wieder begründen wolle, und kann damit nichts anderes gemeint haben, als daß er beabsichtige, die mit Kant begonnene Zertrümmerung des antiken Seinsbegriffs rückgängig zu machen. Es liegt kein Anlaß vor, dies nicht ernst zu nehmen, selbst wenn man zu der Erkenntnis kommen sollte, daß mit den aus der Revolte gegen die Philosophie stammenden Inhalten Ontologie im traditionellen Sinne nicht zu retablieren ist.*

 

Heideggers Ontologie ist niemals wirklich etabliert worden, denn der zweite Band von „Sein und Zeit“ ist nie erschienen. Auf die Frage nach dem Sinn von Sein hat er die vorläufige und in sich unverständliche Antwort gegeben, daß der Sinn des Seins Zeitlichkeit sei. Damit war impliziert, und mit der Analyse des Dasein (d.h. des Seins des Menschen), das vom Tode her bestimmt wird, wurde begründet, daß der Sinn von Sein Nichtigkeit ist. So endete Heideggers Versuch einer Neubegründung der Metaphysik erst einmal folgerichtig nicht bei dem versprochenen zweiten Band, der den Sinn von Sein überhaupt an Hand der Analyse des menschlichen Seins bestimmen sollte, sondern mit einer schmalen Broschüre „Was ist Metaphysik?“, in welcher trotz aller augenscheinlichen sprachlichen Tricks und Sophistereien doch gewisser-maßen konsequent gezeigt wurde, daß das Sein im Heideggerschen Sinne das Nichts ist.

 

Die eigentümliche Faszination, welche der Gedanke des Nichts auf moderne Philosophie ausgeübt hat, ist nicht ohne weiteres Kennzeichen von Nihilismus. Sehen wir das Problem des Nichts in unserm Zusammenhang einer gegen die Philosophie als reine Betrachtung revoltierenden Philosophie, als eines Versuchs, zum „Herrn des Seins“ zu werden und somit philosophisch so zu fragen, daß zur Tat gleichsam unmittelbar fortgeschritten werden kann, so hat der Gedanke, daß das Sein eigentlich das Nichts sei, einen ungeheuren Vorteil. Auf ihn sich gründend kann der Mensch sich einbilden, er verhalte sich zu ihm vorgegebenem Sein nicht anders als der Schöpfer vor der Erschaffung der Welt, die ja bekannt-lich ex nihilo erschaffen ward. In der Bestimmung des Seins als Nichts liegt schließlich auch noch der Versuch, aus der Definition des Seins als des Vorgegebenen herauszukommen und die Handlungen des Menschen aus gottähnlichen zu göttlichen zu machen. Dies ist auch der wenn auch nicht zugestandene Grund dafür, daß bei Heidegger das Nichts plötzlich aktiv wird und zu „nichten“ beginnt. Das Nichts versucht sozusagen, das Vorgegebensein des Seins zu vernich-ten, sich „nichtend“ an seine Stelle zu setzen. Wenn schon das Sein, das ich ja nicht geschaffen habe, Angelegenheit eines Wesens ist, das ich nicht bin und nicht kenne, so ist vielleicht das Nichts die eigentlich freie Domäne des Men-schen. Da ich schon ein weltschaffendes Wesen nicht sein kann, könnte es vielleicht meine Bestimmung sein, ein welt-zerstörendes Wesen zu sein. (Diese Ansätze werden ganz frei und klar bei Camus und Sartre heute entwickelt.) Dies jedenfalls ist die philosophische Grundlage des modernen Nihilismus, sein Ursprung aus der alten Ontologie: in ihm rächt sich der hybride Versuch, die neuen Fragen und Inhalte in den alten ontologischen Rahmen spannen zu wollen.

 

Sein wie Gott

 

Gleichgültig aber, wie der heideggersche Versuch schließlich ausgegangen ist, sein großer Vorteil war, an die Frage-stellung, die Kant aufgebrochen hatte, und die nach ihm keiner weitergeführt hatte, wieder unmittelbar anzuknüpfen.

In den Trümmern der prästabilierten Harmonie vom Sein und Denken, von Essentia und Existentia, von Existierendem und dem durch Vernunft faßbaren Was des Existierenden, behauptet Heidegger, ein Wesen gefunden zu haben, bei

dem Essenz und Existenz unmittelbar identisch sind, und dies ist der Mensch. Seine Essenz ist seine Existenz. „Die Substanz des Menschen ist nicht der Geist... sondern die Existenz.“ Der Mensch hat keine Substanz, sondern geht darin auf, daß er ist; man kann nicht nach dem Was eines Menschen fragen wie nach dem Was eines Dinges, sondern nur nach dem Wer des Menschen.

 

Der Mensch als Identität von Existenz und Essenz schien einen neuen Schlüssel zu der Frage nach dem Sein des Ganzen an die Hand zu geben. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß für die traditionelle Metaphysik Gott das Wesen war, in dem Essenz und Existenz zusammenfielen, bei dem Denken und Handeln identisch waren und der darum zu dem obzwar jenseitigen Grund alles diesseitigen Seins erklärt worden war, um zu verstehen, wie verführerisch dieser Entwurf war. Es war in der Tat der Versuch, den Menschen unmittelbar zum „Herrn des Seins“ zu machen. Heidegger nennt dies den „ontisch-ontologischen Vorrang des Daseins“ - eine Formulierung, die nicht daran hindern sollte zu verstehen, daß hier der Mensch exakt an die Stelle gestellt worden ist, an der in der traditionellen Ontologie Gott stand.

 

Das Sein des Menschen nennt Heidegger Dasein. Durch diese terminologische Festsetzung kommt er darum herum, den Ausdruck Mensch gebrauchen zu müssen. Dies ist keineswegs terminologische Willkür, sondern hat zum Zweck, den Menschen in eine Reihe von Seinsmodi aufzulösen, die phänomenologisch nachweisbar sind. Damit entfallen alle jene Charaktere des Menschen, die Kant als Freiheit, Menschenwürde und Vernunft vorläufig skizziert hatte, die aus der Spontaneität des Menschen entspringen und darum phänomenologisch nicht nachweisbar sind, weil sie als spontane mehr sind als bloß Funktionen des Seins und weil der Mensch in ihnen mehr intendiert als sich selbst.

 

Hinter Heideggers ontologischem Ansatz verbirgt sich ein Funktionalismus, der dem Realismus Hobbes‘ nicht unähnlich ist. Wenn der Mensch darin aufgeht, daß er ist, ist er nicht mehr als seine Seinsmodi oder Funktionen in der Welt (oder der Gesellschaft, bei Hobbes). Der Heideggersche Funktionalismus wie der Hobbessche Realismus enden schließlich nur dabei, ein Modell vom Menschen zu entwerfen, demzufolge der Mensch noch besser inmitten eines Vorgegebenen funktionieren würde, weil er von aller Spontaneität „befreit“ wäre. Dieser realistische Funktionalismus, dem der Mensch nur als ein Konglomerat von Seinsmodi erscheint, ist prinzipiell willkürlich, weil keine Idee vom Menschen die Auswahl der Seinsmodi leitet. An die Stelle des Menschen ist das „Selbst“ getreten, sofern das Dasein (das Sein des Menschen) dadurch ausgezeichnet ist, daß es ihm „in seinem Sein um es selbst geht“. Diese Rückbezüglichkeit des Daseins kann „existentiell“ ergriffen werden, und das ist auch alles, was von der Macht des Menschen und seiner Freiheit verblieben ist.

 

Unheimlichkeit der Welt

 

Das Ergreifen der Existenz ist nach Heidegger das Philosophieren selbst: „das philosophisch-forschende Fragen selbst (muß) als Seinsmöglichkeit des je existierenden Daseins existentiell ergriffen werden“. Philosophie ist die ausgezeichnete existentielle Seinsmöglichkeit des Daseins was schließlich nur eine Umformulierung des Bios theoreticos des Aristoteles, der kontemplativen Haltung als der höchsten Möglichkeit des Menschen ist. Dies ist um so gravierender, als in der Heideggerschen Philosophie der Mensch zu einer Art von summum ens, zu dem „Herrn des Seins“ gemacht ist, insofern in ihm Existenz und Essenz identisch sind. Nachdem der Mensch als das Wesen entdeckt wurde, für das er solange Gott gehalten hat, stellt sich heraus, daß solch ein Wesen auch nichts vermag und daß es also einen „Herrn des Seins“ nicht gibt. Das einzige, was verbleibt, sind anarchische Seinsmodi.

 

Das Dasein ist also dadurch charakterisiert, daß es nicht einfach ist, sondern daß es ihm in seinem Sein um sein Sein selbst geht. Diese Grundstruktur heißt „Sorge“, welche allem täglichen Besorgen in der Welt zugrunde liegt. Das Be-sorgen hat in Wahrheit einen rückbezüglichen Charakter; es richtet sich nur scheinbar auf das, womit es gerade be-schäftigt ist; in Wahrheit tut es alles im modus des Um-willen.

 

Das Sein, um das sich das Dasein sorgt, ist die „Existenz“, die ständig vom Tode bedroht schließlich zum Untergang ver-urteilt ist. Zu der also bedrohten Existenz verhält sich das Dasein ständig; von ihr her allein sind alle Verhaltensweisen zu verstehen und eine Analyse des Seins des Menschen einheitlich zu leiten. Die Strukturen der Existenz des Menschen, nämlich die Strukturen seines Daß, nennt Heidegger Existentiale und ihren strukturellen Zusammenhang die Existentia-lität. Die individuelle Möglichkeit, diese Existentialen zu ergreifen und damit in einem ausdrücklichen Sinne zu existieren, nennt Heidegger existentiell. In diesem Begriff von existentiell tritt die seit Schelling und Kierkegaard nicht zur Ruhe gekommene Frage, wie das Allgemeine sein kann, zusammen mit der bereits von Kierkegaard gegebenen Antwort wieder auf den Plan.

 

Sieht man von Nietzsche ab, der immerhin ehrlich versucht hat, aus dem Menschen einen wirklichen „Herrn des Seins“ zu machen, so ist Heideggers Philosophie die erste absolut und ohne alle Kompromisse weltliche Philosophie. Das Sein des Menschen wird als In-der-Welt-sein bestimmt und das, worum es diesem Sein in der Welt geht, ist schließlich nichts anderes, als sich in derselben zu halten. Dies gerade ist ihm verwehrt; und darum ist die Grundart des In-der-Welt-seins die Unheimlichkeit in der doppelten Bedeutung von Heimatlosigkeit und furchteinflößend. In der Angst, die grund-sätzlich Angst vor dem Tode ist, äußert sich das Nicht-zu-Hause-sein in der Welt. Das In-sein kommt in den existentiellen 'modus‘ des Unzuhause. Dies ist die Unheimlichkeit.

 

Rückführung des Daseins auf das Selbst

 

Wirklich es selbst wäre das Dasein nur, wenn es sich aus diesem seinen In-der-Welt-sein auf sich selbst zurückziehen könnte - was es wesensmäßig nie kann, warum es eben wesensmäßig immer Abfall von sich selbst ist. „Das Dasein ist von ihm selbst als eigentlichem Selbstseinkönnen zunächst immer schon abgefallen - an die 'Welt‘ verfallen.“ Nur in der Realisierung des Todes, der ihn aus der Welt herausnehmen wird, hat der Mensch die Gewißheit, nur er selbst zu sein. Dieses Selbst ist das Wer des Daseins. („Mit dem Ausdruck Selbst antworten wir auf die Frage nach dem Wer des Daseins.“)

 

Mit der Rückführung des Daseins auf das Selbst ohne jeden Umweg über den Menschen ist die Frage nach dem Sinn von Sein im Grunde aufgegeben und durch die dieser Philosophie offenbar ursprünglichere Frage nach dem Sinn des Selbst ersetzt. Diese Frage aber scheint in der Tat unbeantwortbar, weil ein Selbst, genommen in seiner absoluten Isolierung, sinnlos ist; nicht isoliert ist es, verfallen in der Alltäglichkeit des Man, kein Selbst mehr. Zu diesem Ideal des Selbst kommt Heidegger in der Konsequenz jenes Ansatzes, in dem er den Menschen zu dem gemacht hat, was in der früheren Ontologie Gott war. Ein solches höchstes Wesen ist in der Tat nur als Einzelnes und Einzigartiges denkbar, das niemanden seinesgleichen kennt. Was infolgedessen bei Heidegger als „Abfall“ erscheint, sind alle jene modi des Menschseins, die darauf beruhen, daß der Mensch Gott nicht ist und mit seinesgleichen zusammen in einer Welt lebt.

 

Heidegger hat diese hybride Leidenschaft, ein Selbst sein zu wollen, sich selbst widerlegt; denn nie zuvor wurde so klar wie in seiner Philosophie, daß dies vermutlich das Einzige ist, was der Mensch nicht sein kann.

 

Das Selbst kommt im Rahmen dieser Philosophie auf die folgende Weise zu Fall: als In-der-Welt-sein hat der Mensch sich nicht selbst gemacht, sondern ist in dieses sein Sein „geworfen“. Aus der Geworfenheit versucht er durch den „Entwurf“ im Vorlaufen zum Tode als seiner äußersten Möglichkeit wieder herauszukommen. Aber „in der Struktur der Geworfen-heit sowohl wie der des Entwurfes liegt wesenhaft eine Nichtigkeit“: Der Mensch hat sich nicht selbst ins Sein hinein manipuliert und manipuliert sich auch gewöhnlich nicht selbst aus selbigem wieder heraus. (Der Selbstmord spielt bei Heidegger noch keine Rolle; erst Camus, der behauptet: „Il n'y a qu'un probleme philosophique vraiment serieux: c'est le suicide“, zieht eine Konsequenz aus dieser Position, die Heidegger deshalb konträr ist, weil bei ihm dem Menschen noch nicht einmal die Freiheit des Selbstmords bleibt.) Mit anderen Worten, der Charakter des Seins des Menschen ist wesent-lich dadurch bestimmt, was er nicht ist, seine Nichtigkeit. Das Einzige, was das Selbst tun kann, um ein Selbst zu werden, ist, „entschlossen“ diese Faktizität seines Seins auf sich zu nehmen, womit es in seiner Existenz „der nichtige Grund seiner Nichtigkeit ist“.

 

Schuldige Nichtigkeit

 

In der „Entschlossenheit“, das zu werden, was der Mensch auf Grund seiner „Nichtigkeit“ nicht sein kann, nämlich ein Selbst, erkennt der Mensch, daß „Dasein als solches schuldig ist“. Das Sein des Menschen ist ein solches, daß es dauernd an die Welt verfallend gleichzeitig dauernd den „Ruf des Gewissens aus dem Grunde seines Seins“ vernimmt. Existentiell leben heißt darum: „Das Gewissen-haben-wollen entschließt sich für dieses Schuldig-sein.“ In dieser Entschlossenheit konstituiert sich das Selbst.

 

Der wesentliche Charakter dieses Selbst ist seine absolute Selbstischkeit, seine radikale Abtrennung von allen, die seinesgleichen sind. Dies zu erzielen war der Vorlauf zum Tode als Existential eingeführt; denn in ihm realisiert der Mensch das absolute principium individuationis. Er allein reißt ihn aus dem Zusammenhang mit denen, die seines-gleichen sind, und die als „Man“ Selbstsein immer verhindern. Der Tod mag zwar das Ende des Daseins sein; er ist zugleich der Garant dafür, daß es letztlich auf nichts ankommt als auf mich selbst. Mit der Erfahrung des Todes als der Nichtigkeit schlechthin habe ich die Chance, mich dem Selbstsein ausschließlich zu widmen und die Mitwelt, in die ich verstrickt bin, im Modus der grundsätzlichen Schuld ein für allemal los zu werden.

 

In dieser absoluten Vereinzelung stellt sich heraus, daß das Selbst der eigentliche Gegenbegriff zum Menschen ist. Wenn nämlich seit Kant das Wesen des Menschen darin bestand, daß jeder einzelne Mensch die Menschheit repräsen-tiert und es seit der französischen Revolution und der Erklärung der Menschenrechte zum Begriff des Menschen ge-hörte, daß in jedem Einzelnen die Menschheit geschändet oder gewürdigt werden konnte, so ist der Begriff des Selbst der Begriff vom Menschen, in welchem er unabhängig von der Menschheit existieren und niemanden zu repräsentieren braucht als sich selbst - seine eigene Nichtigkeit. Wie der kategorische Imperativ bei Kant gerade darauf bestand, daß alles Handeln die Verantwortung für die Menschheit mit übernehmen müsse, so besteht die Erfahrung der schuldigen Nichtigkeit gerade darauf, die Anwesenheit der Menschheit in jedem Menschen zu vernichten. Das Selbst hat sich als Gewissen an die Stelle der Menschheit gesetzt und das Selbstsein an die Stelle des Menschseins.

 

Heidegger hat dann später in Vorlesungen versucht, seinen isolierten Selbsten in mythologisierenden Unbegriffen wie Volk und Erde wieder eine gemeinsame Grundlage nachträglich unterzuschieben. Es ist evident, daß derartige Konzep-tionen nur aus Philosophie heraus- und in irgend einen naturalistischen Aberglauben hineinführen können. Wenn es nicht zum Begriff des Menschen gehört, daß er mit anderen, die seinesgleichen sind, die Erde zusammen bewohnt, bleibt nur eine mechanische Versöhnung, in der den atomisierten Selbsten eine ihrem Begriff wesentlich heterogene Grundlage gegeben wird. Dies kann nur dazu dienen, die nur sich wollenden Selbste in einem Überselbst zu organi-sieren, um die in der Entschlossenheit ergriffene grundsätzliche Schuld irgendwie in die Praxis überzuleiten.

 

* Eine andere und durchaus diskussionswürdige Frage ist die, ob Heideggers Philosophie nicht überhaupt nur deshalb, weil sie sich mit sehr ernsten Sachen beschäftigt, ungebührlich ernst genommen worden ist. Heidegger jedenfalls hat in seiner politi-schen Handlungsweise alles dazu getan, uns davor zu warnen, ihn ernst zu nehmen.

 

Angesichts der realen Komik dieser Entwicklung und angesichts des nicht weniger realen Tiefstandes politischen Denkens auf den deutschen Universitäten liegt es natürlich nahe, sich um die ganze Geschichte überhaupt nicht zu kümmern. Dagegen spricht unter anderem, daß diese ganze Art des Sich-Verhaltens so genaue Parallelen in der deutschen Romantik hat, daß man an zufällige Koinzidenz rein personal bedingter Charakterlosigkeit schwer glauben kann. Heidegger ist faktisch (hoffentlich) letzter Romantiker - gleichsam ein gigantisch begabter Friedrich Schlegel oder Adam Müller, deren komplette Verantwortungs-losigkeit bereits jener Verspieltheit geschuldet war, die teils aus dem Geniewahn und teils aus der Verzweiflung stammt.

 

TAZ 27.09.1989 - https://taz.de/Das-Selbst-als-Sein-und-Nichts-100-Jahre-Martin-Heidegger/!1797023/

 


 

 

Ungeheuer ist viel,

doch nichts ist ungeheurer als der Mensch.

 

Sophokles

 

 

Martin Heidegger ist einer der deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts, über den auch einige zeitgenössische Philosophen immer noch nachdenken, sprechen und schreiben. Denn Heidegger hat uns Nachgeborenen einerseits

ein eigensinniges und sprachlich nur noch schwer zugängliches Gesamtwerk hinterlassen, in dem er wie kein anderer Philosoph in der Neuzeit wieder Dichten und Denken zu vereinen versucht hat. Damit erinnert er nicht von ungefähr

an Platon, der zweifelsohne der größte Dichter unsterblicher philosophischer Dialoge und neben Aristoteles zugleich der größte Philosoph der vorchristlichen Antike gewesen ist, der mit seinen philosophischen Werken seinem verehrten Lehrer Sokrates und dessen unermüdlicher Wahrheitssuche ein schriftliches Denkmal gesetzt hat.

 

Andererseits hat Heidegger gegen Platons Flucht in das zeitlose Reich der Ideen rebelliert und wie Heraklit und Hegel das Zeitliche und Geschichtliche des menschlichen Daseins als unausweichbares Schicksal empfunden und verkündet. Damit hat er stärker als Kant nicht nur jede religiöse Hoffnung auf die Unsterblichkeit der menschlichen Geistseele verworfen, die im esoterischen Denken der euro-päischen Ideengeschichte von Platon und Pythagoras bis zu Emmanuel Swedenborg und Rudolf Steiner präsent gewesen ist. Damit hat er sich auch vom altkatholischen Glauben seines Elternhauses verabschiedet und radikal mit der christlichen Hoffnung auf eine Versöhnung mit Gott durch Jesus Christus gebrochen.

 

Martin Heidegger wirft weiterhin mehr als jeder andere Philosoph des 20. Jahrhunderts einige wichtige philosophische Fragen auf, die seither im Raum des philosophischen Denkens stehen und die seither die Philosophen und Philosophie-historiker spalten. Diese Fragen sind:

 

1. Die Frage nach dem Verhältnis von Person und Werk

 

2. Die Frage nach dem Verstehenkönnen philosophischer Werke der Geschichte

 

3. Die Frage nach dem Ursprung und Wesen des philosophischen Denkens

 

4. Die Frage nach der Möglichkeit ontologischer bzw. metaphysischer Erkenntnis

 

5. Die Frage nach der Verhältnis von Individuum und Allgemeinem, Exemplar und Gattung

 

6. Die Frage nach dem Wesen von individuellem Seienden und dem Sein schlechthin

 

7. Die Frage nach der Möglichkeit einer philosophischen Anthropologie und Psychologie

 

8. Die Frage nach der Unterscheidung zwischen theoretischer, praktischer und poietischer Philosophie

 

9. Die Frage nach der Rolle und Relevanz der Philosophie des Logischen und Mathematischen

 

10. Die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophie des Ethischen und Moralischen

 

11. Die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophie des Rechtlichen

 

12. Die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophie des Religiösen

 

Martin Heidegger hat sich zweifelsohne anders als Karl Jaspers oder Richard Hönigswald politisch verrannt und seine sog. Schwarzen Hefte lassen keine Zweifel mehr übrig, dass sein philosophisches Denken und seine philosophischen Werke von antijüdischen Aspekten, Motiven und Ressentiments durchzogen ist. Dies hat meiner Einschätzung zufolge mit seinen radikalen Eintauchen in die geistige Welt der vorchristlichen griechischen Antike zu tun, die noch nicht durch den jüdischen und durch den christlichen Glauben, also von jüdischem Gesetz und christlichem Evangelium transfor-miert worden war.

 

Martin Heidegger wollte als rückwärtsgewadter Ursprungsdenker jedoch nicht nur hinter das gesamte Metaphysik

des Mittelalters und hinter die cartesisch inspirierte Subjektphilosophie der Neuzeit zurück in die griechische Antike,

um dann etwa an die klassische Antike von Sokrates, Platon und Aristoteles anzuknüpfen. Nein, er war geradezu besessen von dem antisokratischen Leitmotiv, im Gefolge von Friedrich Nietzsche umgekehrt Sokrates als den eigentlichen Sündenfall des abendländischen Denkens, Platon als geistigen Verführer zur apollinischen Weltflucht

und Aristoteles als einen ambivalenten Philosophen zu lesen, den man von seinen wissenschaftlichen Ambitionen befreien müsse, um in als einen realistischen Phänomenologen zu lesen, der uns mit den lebenspraktischen

Problemen des menschlichen Daseins und dem gesamten ontischen Spektrum vom weltlichen und zeitlichen

Seienden bis hin zum transzendenten und zeitlosen Sein konfrontiert hat.

 

Aber anstatt sich noch einmal nur mit seiner Biographie auseinanderzusetzen, was Heidegger ganz zurecht als

Ausflucht denkfauler Akademiker gebrandmarkt hat, um ihn und seine ganzen politischen Verirrungen ethisch

und moralisch einschätzen zu können, halte ich es für sinnvoller, sich mit den philosophischen Fragen auseinander-zustetzen, die sein philosophisches Denken und philosophischen Schriften aufwerfen. Daher wird hier weder voyeuristisch und inquisitorisch über seine menschlichen Verfehlungen im Umgang mit seiner Frau, mit seiner

Geliebten Hannah Arendt oder mit seinen (jüdischen) Freunden, Lehrern und Schülern die Rede sein noch von

seiner berühmt-berüchtigten Rektoratsrede, von seinem vernichtenden Gutachten über seinen neukantianischen Kollegen Richard Hönigswald oder von seiner nie aufgekündigten Mitgliedschaft in der NSdAP.

 

Wer über Martin Heidegger zu Gericht sitzen und den Stab brechen will, der soll das gerne tun, da es nur auf ihn

selbst zurückfällt. Niemand kann und sollte sich allzu sicher sein, ob und wie er sich damals in den existenziellen

Nöten vor und nach der Machtergreifung durch die NSdAP selbst verhalten hätte. Wer jedoch Heidegger und sein

nachphilosophisches Denken wirklich verstehen will, sollte aber auch auf die üblichen Floskeln vom großen und tiefsinnigen, eigensinnigen und originellen, genialen und prophetischen, einflussreichen oder wirkmächtigen

Denker verzichten.

 

Selbst wenn man im Gefolge des nachkantischen Deutschen Idealismus die angeblich unvermeidbare Verbindung

von Dichten und Denken bejaht, weil alles philosophische Denken, das über das unmittelbare Empfinden und über

das lebensweltliche Erleben hinausgeht, unweigerlich sprachliche Konstruktion darstellt bzw. nur noch als denkerischer "Entwurf" von einzelnen Menschen zu verstehen ist, dann stellen sich immer noch grundsätzliche Fragen nach der Möglichkeit der angemessenen Einschätzung des Wahren, des Guten und des Schönen durch die menschliche Sensibilität und Urteilskraft. 

 

1. Die Frage nach dem Verhältnis von Person und Werk

 

Seit den berechtigten Streitigkeiten über Heideggers politische Verirrungen in den Nationalsozialismus verteidigen ihn seine Anhänger und Verehrer gerne damit, dass seine politische Irrümer gar nichts mit dem angeblichen Erkenntniswert seiner philosophischen Gedankengänge und Schriften zu tun hätten. Oft heißt es, Heidegger hätte geradezu seherische Fähigkeiten besessen, zumal insbesondere seine Technikkritik prophetischen Charakter gezeigt habe und noch aktueller sei als schon zu seiner Zeit.

 

Diese Auffassung lässt sich jedoch spätestens seit der Publikation, Lektüre und Interpretation seiner "Schwarzen Hefte" nicht mehr halten. Seine politische Gesinnung und philosophisches Werk waren von Anfang an miteinander verwoben, wovon seine Kritiker immer schon überzeugt waren. Denn Philosophie ist nicht nur abstrakte Logik oder neutrale Mathematik, sondern hat Konsequenzen für das Gottes- und Menschenbild sowie für das gedachte und gelebte Ethos. Das konnte auch bei Martin Heidegger nicht anders sein als bei anderen Philosophen vor und nach ihm.

 

Im Allgemeinen hängt jedoch der Wahrheitswert einer allgemeinen wissenschaftlichen oder philosophischen Aussage jedoch nicht davon ab, wer ihn mündlich äußert oder schriftlich formuliert. Das gilt nur für selbstbezügliche, performa-tive oder indexikalische Aussagen. Daher hatte Heidegger ganz recht, als er zu Beginn seiner Freiburger Vorlesungen über Aristoteles, jedes weitere Interesse an der Persönlichkeit und am Leben von Aristoteles als irrelevant zurück-gewiesen hatte.

 

Die voyeuristische Neugier mit der man sich heute oft für Heideggers Leben interessiert, lenkt vom Wesentlichen ab, nämlich von seinem Denken und von seinen Schriften. Es ist vergeblich, seine Herkunft und sein Leben zu betrachten, um daraus sein Denken verstehen zu können. Denn er hätte von Hause aus auch andere Wege des Denkens ein-schlagen können. Daher ist es vielmehr umgekehrt das Grundmotiv seines Denkens, das griechische Seinsdenken gegen die scholastische Ontologie und gegen den Subjektivismus der Neuzeit wieder zu beleben, das ihn zu seinen politischen Verstrickungen geführt hat.

 

2. Die Frage nach dem Verstehenkönnen philosophischer Werke der Geschichte

 

Als Hans-Georg Gadamer die Universität Marburg und damit Hermann Cohen und Nicolai Hartmann verlassen hatte, um sein Studium bei Edmund Husserl und Martin Heidegger in Freiburg fortzusetzen, musste er schon bald erkennen, wie eigensinnig, freizügig und ungenau Heidegger in der Auslegung klassischer Texte gewesen ist. Denn er neigte dazu, die klassischen Texte "gegen den Strich zu bürsten" und seine eigenen Gedanken in sie hinein zu lesen.

 

Außerdem las und interpretierte er alle Klassiker im Lichte seiner großspurigen und spekulativen philosophiegeschicht-lichen Dekadenztheorie vom Ursprung und Verfall der abendländischen Metaphysik seit dem Seinsdenken der griechi-schen Antike. Gadamer störte sich an diesem etwas selbstherrlichen Gestus und dieser willkürlichen Art des herme-neutischen Umgangs mit der alten und ehrwürdigen philosophischen Überlieferung.

 

Auch wenn es zeitgenössische Bedingungen, wirkliche Schwierigkeiten und persönliche Grenzen des Verstehens alter Schriften aus früheren Epochen und teilweise fremden Kulturen gibt, ist das ernsthafte Bemühen um ein angemessenes Verständnis nicht vergeblich und rechtfertigt keinen selbstherrlichen und willkürlichen Umgang mit ihnen. Vor allem hängt die Fähigkeit des Verstehens vom persönlichen Wohlwollen und von den ehrlichen Absichten der Leser und Interpreten ab.

 

3. Die Frage nach dem Ursprung und Wesen des philosophischen Denkens

 

Heideggers Sein und Zeit hatte den damaligen Zeitgeist der Neuen Sachlichkeit in die angeblich über-zeitliche Form seiner neuen Philosophie gegossen, die für sich in Anspruch genommen hatte, eigent-lich nur die ursprünglichen Motive des menschlichen Daseins offen zu legen. Das menschliche Dasein ist aufgrund des Wissens von der eigenen Sterblichkeit eigentlich Sorge um sich selbst und Andere. Alles andere Existenzialien wie die Angst, die Flucht vor sich selbst in die Uneigentlichkeit des Man, das Aufgehen im Gestell und die Verwechslung von Zuhandenem und Vor-handenem sind nur Folgen dieser Auffassung vom menschlichen Dasein.

 

Damit glaubte Heidegger auch die Frage nach dem Ursprung und Wesen des philosophischen Denkens schlechthin beantworten zu können. Der Ursprung liegt im eigentümlichen Interesse des Daseins, sich selbst im Sein zu erhalten. Dabei geht es dem Dasein nicht nur um anthropologische oder psychologische Grundbedürfnisse, wie in der philo-sophischen Anthropologie oder Lebensphilosophie. Das Sein ist auch weder die natürliche, kulturelle oder soziale Lebenswelt, sondern viel ursprünglicher das ungeschiedene Sein schlechthin vor aller mannigfaltigen Weltlichkeit und Mitmenschlichkeit.

 

Wenn Heideggers Daseinsanalyse zutreffend wäre, dann hätte es kaum zu einer so differenzierten Geschichte der Philosophie mit ihren aufsteigenden und absteigenden Phasen kommen können. Da er das zu spüren schien, musste

er die ganze Geschichte der abendländischen Philosophie gleichsam annullieren und im Sinne seiner Dekadenztheorie auf ihn selbst zulaufen lassen. Dieser grandiose Versuch, sich selbst als Gralsritter und Treuhänder des ursprünglichen und wahren abendländischen Denkens von den Griechen an bis zu Hölderlin und Nietzsche zu verstehen, ließ ihn in

den politischen Kategorien von Freund und Feind denken. Das griechische Seinsdenken stand ihm zufolge in einer schicksalhaften Gigantomachie mit dem jüdischen (und christlichen) Denken des Sollens.

 

4. Die Frage nach der Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis

 

 

 

 

 

 

 

5. Die Frage nach der Verhältnis von Individuum und Allgemeinem

 

 

 

 

 

 

 

6. Die Frage nach dem Wesen von individuellem Seienden und dem Sein schlechthin

 

 

 

 

 

 

 

7. Die Frage nach der Möglichkeit einer philosophischen Anthropologie und Psychologie

 

 

 

 

 

 

 

8. Die Frage nach der aristotelischen Unterscheidung zwischen theoretischer, praktischer und poietischer Philosophie

 

 

 

 

 

 

 

9. Die Frage nach der Rolle und Relevanz der Philosophie des Logischen und Mathematischen

 

 

 

 

 

 

 

10. Die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophie des Ethischen und Moralischen

 

 

 

 

 

 

 

11. Die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophie des Rechtlichen

 

 

 

 

 

 

 

12. Die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophie des Religiösen