Sind Islam und Demokratie vereinbar?
Dr. Carsten Polanz
Wie bei anderen Fragen kommt es auch hier darauf an, welche Muslime man fragt und wie diese die Quellen ihres Glaubens auslegen. Die Ausübung ritueller Pflichten wie des Betens oder Fastens steht selbstverständlich nicht im Widerspruch zu einer Demokratie. Wie ist es jedoch, wenn der Islam als umfassende Rechts- und Gesellschaftsordnung verstanden wird?
Militante Islamisten propagieren die Rückkehr zum „wahren“, „reinen“ Islam der Urgemeinde Muhammads in Medina mit seiner Einheit von religiöser Verkündigung und politischer Macht propagieren und lehnen deshalb die westliche Demokratie entschieden ab. Einflussreiche Ideologen wie der Ägypter Sayyid Qutb (1906–1966) oder der Pakistaner Abu l-Aʿla Maududi (1903–1979) warfen dem Westen vor, die souveräne Herrschaft Allahs durch das Mehrheitsprinzip und menschengemachte Gesetze zu missachten. Ali Benhadj (geb. 1956), der Gründer der Islamischen Heilsfront in Algerien, wettert gegen die Demokratie als eine im „Haus des Islam“ fremde „Lehre des ungläubigen Westens“.
Viele konservative Gelehrte und sog. legalistische Islamisten suchen dagegen nach einem Mittelweg. Einerseits bejahen sie die Demokratie als ureigenes islamisches Prinzip (u.a. mit Verweis auf koranische Empfehlungen zur Beratung, z.B. Sure 3,159; 42,38). Andererseits halten sie an fundamentalen Vorgaben des klassischen Scharia-rechts fest und lehnen grundlegende Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates ab, vor allem die volle Gleichberechtigung von Nicht-Muslimen und Frauen sowie die Freiheit des Religionswechsels auch für Muslime.
So spricht sich der auch im Westen populäre sunnitische Rechtsgelehrte Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) dafür aus, einige Konzepte westlicher Demokratien aufzugreifen und im Geist der islamischen Tradition neu zu interpretie-ren. So soll ein Artikel in der Verfassung festschreiben, dass „jedes Gesetz, das den unanfechtbaren Bestimmun-gen des Islam widerspricht, null und nichtig ist.“ Unklar bleibt, wie Islamisten die Gesellschaft effektiv vor dem Machtmissbrauch religiös-politischer Führer schützen wollen, die mit Berufung auf solche unanfechtbaren Bestimmungen ihre eigenen Machtinteressen durchsetzen wollen.
Darauf verweisen auch Reformdenker, die eine Trennung von Staat und Religion fordern. Sie betrachten die pro-pagierte Einheit beider als ein Ideal, das Islamisten lediglich in die islamische Geschichte zurückprojizieren. Die Wirklichkeit sei sehr viel komplexer und konfliktträchtiger gewesen. So ist der iranische Philosoph Abdolkarim Sorush (geb. 1945), einst selbst Unterstützer der iranischen Revolution unter Khomeini 1979, überzeugt, dass der Islam keinen konkreten politischen Ordnungsrahmen vorgibt. Muslime könnten selbstverständlich gute Demo-kraten sein und den Islam mit Gewaltenteilung, Machtbegrenzung und freien Wahlen vereinbaren. Dabei setzt er voraus, dass der Koran nur in religiösen Fragen unfehlbar ist und Muslime ihn frei interpretieren und mit Hilfe der Vernunft zwischen seinen wesentlichen und seinen kontextbedingten Aussagen unterscheiden können.
Die komplette Scharia mit ihrem Straf- sowie Ehe- und Familienrecht zählt er ausdrücklich nicht zum „Herzstück des Islam“. Mit ihrer einseitigen Fixierung auf die menschlichen Pflichten ist sie für ihn eher Teil des Problems als der Lösung. Dagegen hält er eine Demokratie, in der jeder seinen Glauben ohne Zwang leben kann, für vernünftig und damit auch für islamisch legitimiert. Querdenker wie Sorush stoßen heute freilich auf den teils erbitterten Widerstand des religiösen Establishments und oft auch auf folgenschwere, teils lebensgefährliche Anschuldi-gungen der Blasphemie und Apostasie.
WEITERFÜHRENDE LITERATUR
Dieser Beitrag wurde am Montag, der 24. Oktober 2022 von Dr. Carsten Polanz in Kontroverse Fragen veröffentlicht. Schlagworte: Demokratie, Islam, Politik.
https://www.islaminstitut.de/2022/sind-islam-und-demokratie-vereinbar/
In der Debatte um das Verhältnis von Islam und säkularem Staat zeigt sich eine Asymmetrie. Für die westlichen Demokratien ist der säkulare Staat das Ziel des Zusammenlebens. Für die Rebellen des Arabischen Frühlings bildete er die Ursache des Widerstands: Sie kämpften gegen säkulare Regime und deren Unrechtsherrschaft.
„Aus meiner Sicht müsste die Frage heißen: Wie viel Demokratie kann der Islam vertragen? So rum macht das mehr Sinn. Beziehungsweise die Frage: Kann man Islam mit einem demokratischen Kontext versöhnen? Wenn man daran arbeitet, schon. Wenn man nicht daran arbeitet und bestimmte Strömungen sich entwickeln lässt, dann kann es passieren, dass man antidemokratische Strömungen fördert, die dann natürlich genau dagegen wirken.“
Marwan Abou-Taam denkt oft über das Verhältnis von Islam und Demokratie nach. Das ist sein Beruf. Beim Landes-kriminalamt Rheinland-Pfalz arbeitet er in der Abteilung Analyse und strategische Auswertung. Doch wenn er öffentlich auftritt, spricht er als Politik- und Islamwissenschaftler. An der Berliner Humboldt-Universität forscht Marwan Abou-Taam über Identitätskonstruktionen bei Muslimen der dritten Generation. Passt der Islam in eine demokratische, säkulare Gesellschaft? Radikale Gruppen wie die Salafisten lassen daran zweifeln. Die Extremisten sind so präsent, weil sie ein Schema verkörpern.
„Das sind die, die sämtliche Etikettierungen den Muslimen gegenüber visualisieren. Und, verdeckt, genau das reproduzieren, was man dem Islam immer wieder vorwirft. Und insofern ist es so, dass die dann entsprechend medial gut ankommen und eigentlich die wahren Diskurse innerhalb der islamischen Gemeinschaft verfälschen zugunsten einer Eindeutigkeit, die dann letztendlich mit ihrer salafistischen Ideologie zustande kommt.“
Die meisten in Deutschland lebenden Muslime haben kein Problem mit der Demokratie. Doch auf welche islamischen Traditionen können sie ihr demokratisches Bewusstsein stützen? Der Koran ist religiöse Offenbarung und Gesetzbuch in einem. Muss sich also das Gesetz der Religion anpassen – oder muss sich die Religion dem säkularen Gesetz unter-stellen? Diese Fragen werden in Deutschland in der Regel von Vertretern politischer Verbände diskutiert. Marwan Abou-Taam vermisst dabei eine spezifisch islamische Intellektualität.
„Wir brauchen intellektuelle Muslime, also das ist meines Erachtens ein bisschen das Problem, wir brauchen Menschen, die tatsächlich innerhalb ihrer Religion, innerhalb des Islams diejenigen Prinzipen reproduzieren können beziehungs-weise aktivieren können, die wir in einer friedlichen Gesellschaft brauchen.“
Um diese Prinzipien aus dem Islam heraus zu begründen, brauche es, meint Abu Taam, nicht Politiker, sondern Theo-logen. Wenn es darum geht, Islam und Demokratie zusammenzudenken, argumentieren viele historisch. Im Jahr 622, vor fast 1500 Jahren, beginnt der Prophet Mohammed in Medina seine politische Tätigkeit. Es kommt zur Gründung des ersten islamischen Staates der Geschichte – für die politische Theorie des Islam ein demokratisches Utopia. Muslime und Juden unterschrieben die Verfassung von Medina, in der ein Konsens-Prinzip politische Spannungen mindern sollte. Die Islamwissenschaftlerin Liselotte Abid forscht am Institut für Orientalistik der Universität Wien. Sie lobt den Geist dieser Abmachung.
„Gemäß diesem Vertrag waren Muslime und Nichtmuslime gleichberechtigte Bürger des islamischen Staates, Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten. Gemeinschaften mit unterschiedlicher religiöser Ausrichtung genossen religiöse Autonomie. Diese Idee reicht im Grunde weiter als die moderne Vorstellung von Religionsfreiheit.“
Ein Gesellschaftsvertrag, Gleichheit vor dem Gesetz, Pluralismus: Ist der Ur-Islam eine Chance für das heutige Verhältnis von Demokratie und Religion? Kann der Blick zurück Muslimen eine demokratische Perspektive geben? Zumindest gab es in der Frühzeit des Islams eine lebhafte Debatte über „Good governance“ und die Legitimität von Herrschaft. Geführt wurde sie an über 100 Rechtsschulen. Heute sind nur noch vier sunnitische, eine schiitische und ein paar kleinere Rechtsschulen aktiv. Dabei wusste schon Mohammed: Meinungsverschiedenheiten sind eine Gnade Gottes.
Liselotte Abid:
„Die weitgehend egalitären Strukturen im Stadtstaat von Medina werden heutzutage von vielen Muslimen und Musliminnen als ein idealisiertes und idealtypisches Beispiel islamischen Gemeinwesens angesehen. Man muss natürlich sich vor Augen halten, dass diese Gemeinschaft leicht überschaubar war, eine kleine Gemeinschaft, und ein wichtiger Aspekt demokratischer Ver-fahren, nämlich die Kontrolle der Macht, konnte damals noch sehr direkt von allen Bürgern und Bürgerinnen wahrgenommen werden. Heutige Institutionen der Kontrolle der Macht sind also aus dieser Sicht durchaus mit dem Islam zu rechtfertigen.“
Lässt sich wirklich so leicht aus der Geschichte lernen? In der Debatte um das Verhältnis von Islam und säkularem Staat zeigt sich eine bedeutsame Asymmetrie. Für die westlichen Demokratien ist der säkulare Staat das Ziel des Zusammen-lebens. Für die Rebellen des arabischen Frühlings bildet er die Ursache des Widerstands. Sie kämpften gegen säkulare Regime und deren Unrechtsherrschaft. Die religiösen Kräfte, die jetzt in der arabischen Welt an der Macht sind, beziehen ihre politische Legitimation aus den frühen Kalifaten. Doch die Geschichte ist ein zweifelhafter Ratgeber. Das allerdings ist kein akademisches Problem. Das oft prekäre Verhältnis von Islam und Demokratie, sagt Marwan Abou-Taam verdankt sich nicht einem Zuviel an Religion, sondern einem Zuwenig an theologischer Reflexion.
„Wir haben Diskurse von Verbänden. Das sind politische Verbände, das sind politische Diskurse, aber wir haben keine theo-logischen Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, keine theologischen Dispute und Diskurse über die Gestaltung von Gesellschaft, über die Gestaltung von muslimischem Leben in Deutschland. Das ist im Prinzip der Tatsache zu schulden, dass uns tatsächlich die religiöse Intellektualität fehlt.“
https://www.deutschlandfunk.de/islam-und-demokratie-ein-spannungsverhaeltnis-100.html
Elf Jahre nach dem Völkermord an den Jesiden wiederholt sich die Geschichte – diesmal an den Drusen. Islamis-tischer Terror, weltweites Schweigen und die Verurteilung der Helfer: Haben wir wirklich nichts gelernt?
Tobias Huch am 28.Juli 2025 in CICERO ONLINE
Es ist der 3. August 2014. Der Schauplatz: die Region Shingal im Irak, das Kernsiedlungsgebiet der Jesiden. Ein Volk,
das die meisten bis zu diesem Datum gar nicht kannten und das wie kein zweites dem Terror des sog. Islamischen Staates (Da’ish) zum Opfer fiel. Hilflos waren zehntausende Jesiden bei sengender Hitze (bis zu 50 Grad im Schatten)
in die Berge des Shingal-Gebirges geflohen. Auf dem Weg waren vor allem Kinder gestorben; viele verdursteten.
In der Stadt machte der IS Jagd auf die, die nicht rechtzeitig fliehen konnten. Arabische Nachbarn hatten ihre jesi-dischen Nachbarn verraten und bereicherten sich nun gemeinsam mit den IS-Eroberern an ihrem Eigentum.
Wie Tiere stürzten sich Männer, die bisher scheinbar friedfertige Nachbarn waren, auf junge Jesidinnen und vergingen sich an ihnen. Terroristen des IS selektierten die Zurückgebliebenen: Männer und alte Frauen wurden sofort erschossen, kleine Mädchen und Frauen wurden als Sexsklavinnen in LKWs verladen und zu den Sklavenmärkten des IS deportiert. Kleine Jungen wurden gefoltert, zum Islam gezwungen und zu IS-Terroristen umerzogen.
Es war der Beginn eines nicht enden wollenden Terrors: tägliche Vergewaltigungen der jesidischen Frauen und kleinen Mädchen, Folter bis zum Tod. IS-Terroristen schlachteten die Babys jesidischer Frauen und zwangen ihre Mütter, ihre eigenen Kinder zu essen.
Internationale Untätigkeit und späte Rettung
Die Welt hat damals zugesehen. Es gab keine militärische Intervention für das Volk der Jesiden. Erst als die Kurden ihre Kräfte gesammelt hatten und ihre Streitkräfte – allen voran Kämpferinnen und Kämpfer der PKK aus dem Kandil-Gebirge und ihre ideologischen Geschwister der YPG/YPJ aus Syrien – sich eine sichere Route zu den geflohenen Jesiden im Shingal-Gebirge freikämpften, um anschließend gemeinsam mit den kurdisch-irakischen Peschmerga den Kampf gegen den IS aufzunehmen, wachte die Welt auf. Unzählige Jesiden hatten zu diesem Zeitpunkt die mörderische IS-Invasion bereits mit ihrem Leben bezahlt.
Der Völkermord an den Jesiden gilt heute als einer der schlimmsten Völkermorde dieses Jahrhunderts. Es handelte sich um einen realen Genozid, der alle juristischen Kriterien für diese Definition erfüllte.
Neue Gräueltaten: Der Genozid an den Drusen
Heute, elf Jahre nach dem Beginn dieses Völkermords, sehen wir uns erneut mit einem echten Genozid konfrontiert,
der sich aktuell, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, ungehindert abspielt: Der Genozid an den Drusen weist fatale Parallelen zum Schicksal der Jesiden auf – und wieder schaut die Staatengemeinschaft weg. Die Drusen sind, ähnlich
wie die Jesiden, ein sehr friedliebendes Volk. Ebenso wie die Jesiden missionieren die Drusen nicht. Sie sind sehr spirituelle, mystische und philosophische Menschen, die sich auch an christlichen Werten orientieren. Man könnte sie
als religiöse „Geschwister“ der Jesiden oder auch der Aleviten bezeichnen. Auch das Drusentum ist eine mono-theistische, synkretistische Religion, die für sich lebt und andere respektiert.
Viele Drusen leben auf den mittlerweile de facto zu Israel gehörenden Golanhöhen. Sie passen gut zu Israel und fühlen sich in Israel wohl, denn hier sind sie keiner Verfolgung durch islamistische Fanatiker ausgesetzt. Anders jedoch sieht
es für ihre Glaubensbrüder in Syrien aus: Die aktuellen Bilder, die aus der Region Suweida in Südsyrien durchdringen, künden von purem Grauen und wecken frappierende Erinnerungen an den damaligen IS-Terror gegen die Jesiden: Islamistische Terroristen, teils mit Logo des IS an der Uniform, durchkämmen Haus für Haus, zerren drusische Jungen und Männer ins Freie, misshandeln und ermorden sie. Drusische Frauen und Mädchen werden verschleppt, um als Sexsklavinnen und für Zwangsheiraten gehandelt zu werden. Unter denselben frenetischen „Allahu akbar!“-Rufen,
die auch auf Deutschlands Straßen immer öfter erschallen, werden dieselben Verbrechen und Gräueltaten verübt,
die so vor über zehn Jahren im Irak und Zentralsyrien begangen wurden.
Doppelte Standards
Unterstützt werden die Dschihadisten von den Machthabern Syriens, dem Milizenbündnis Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) und ihrem Warlord Ahmed al-Scharaa, der aktuell „Präsident“ genannt wird – ein Präsident, der vordergründig
eine diplomatischere Version von Abu Bakr al-Bagdadi, dem ehemaligen Anführer des IS, zu sein scheint, doch nicht minder blutrünstig und skrupellos ist. Er und seine Schergen waren es, die die Massaker an den Alawiten in Westsyrien zu verantworten hatten – jetzt machen er und seine Schergen Jagd auf Drusen und Christen, vor allem in Südsyrien.
Nur eine Macht der Region hat es gewagt, gegen diesen neuen Genozid aufzustehen: Israel. Das Land sieht sich als Schutzmacht der Drusen. Obwohl es wahrlich genug eigene Sorgen hat und am 7. Oktober 2023 in einen existenziellen militärischen Konflikt gezwungen wurde, hat es mutig interveniert und so noch Schlimmeres verhindert.
Doch weil alles, was Israel tut, verwerflich und von unlauteren Motiven getrieben sein muss, waren sogleich wieder
die üblichen Verdächtigen zur Stelle, um es für seine Unterstützung der Drusen zu kritisieren. Wieder einmal wird das diffuse „Völkerrecht“ bemüht, um den jüdischen Staat zu diffamieren. Man ist sich mittlerweile nicht einmal mehr zu schade, Israel dafür zu verurteilen, dass es die universellen Menschenrechte verteidigt; schlimmer noch: man macht
den Drusen Vorhaltungen, dass Israel auf ihrer Seite steht. So will man sie in eine Täterrolle zwingen, die angesichts
ihrer Verfolgung durch mörderische islamistische Terroristen grotesk anmutet.
Stellen Sie sich, werte Leser, vereinfacht folgendes Szenario vor: Sie werden Zeuge, wie auf Ihrem Nachbargrundstück eine junge Frau vergewaltigt wird. Sie wissen, dass Sie es körperlich mit dem Täter aufnehmen können; also springen
Sie über den Gartenzaun, zerren den Vergewaltiger von der jungen Frau weg und schlagen ihn in die Flucht. Die Frau
ist gerettet und ist Ihnen unendlich dankbar. Doch statt Sie für Ihre Courage und Ihr Engagement zu loben, feinden Sie Nachbarn und Schaulustige aus anderen Straßen, die den Vorfall mitbekommen haben, lautstark an, beschimpfen Sie und spucken Sie an, weil Sie ja Hausfriedensbruch auf dem Grundstück begangen haben. Schlimmer noch: Man droht Ihnen mit einem Strafverfahren wegen Körperverletzung, weil Sie den Vergewaltiger geschlagen haben.
Jeder würde einwenden und sich fragen: Solche Reaktionen würde es in Wirklichkeit doch niemals geben, in welchem Paralleluniversum bitte passiert so etwas? Nun – es passiert hier und jetzt, in unserem Universum. Sie sind Israel, und
Sie werden gerade beschimpft für Ihr mutiges Verhalten. Denn wenn Israel etwas tut, ist es prinzipiell etwas anderes,
als wenn es andere tun. So funktioniert der alltägliche, immer weniger camouflierte Antisemitismus auf höchster diplomatischer Ebene.
Wir haben nichts gelernt
Und noch eine Parallele gibt es zwischen dem Genozid an den Jesiden ab 2014 und jenem an den Drusen 2025. Wir haben wieder ähnliche Konflikte auf deutschen Straßen: Auf der einen Seite friedliche Drusen, Kurden, Exil-Iraner, Jesiden und Juden, die für Menschenrechte und gegen Genozid demonstrieren – und auf der anderen Seite Islamisten, IS- und HTS-Anhänger sowie Hamas-Supporter, die den Tod aller Drusen und die Herrschaft des Islams über die Welt fordern und das Kalifat herbeisehnen, mit einer menschenverachtenden Scharia als einzigem Gesetz. 2014 sahen wir solche Bilder in Oldenburg, Herford, Wuppertal, Düsseldorf, Bremen und anderen Städten, wo Islamisten Jagd auf Jesiden in Deutschland machten, die auf das Schicksal ihrer bedrohten Landsleute aufmerksam machten.
Und damals wie auch heute schlief die Politik. Schlimmer noch: Sie gab den Jesiden und Kurden eine Mitschuld an
ihrer Lage. Heute sind es Israel und die Drusen, die schuldig sind: schuldig, die bequeme Weltgemeinschaft in ihrer genozidalen Ignoranz gestört zu haben. Wir haben nichts gelernt. Nichts aus dem 7. Oktober 2023. Nichts aus dem
3. August 2014. Und offenbar auch nichts aus den Jahren 1933–45. Wir schauen zu, während es wieder geschieht.
https://www.cicero.de/aussenpolitik/massaker-an-den-drusen-und-wir-schauen-erneut-weg