Kinderrechte in der Verfassung

 

 

Triumph der Banalität

 

Gastbeitrag von Otto Depenheuer im Cicero Online am 18. Januar 2021

 

Union und SPD haben sich auf die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz geeinigt. Was nett klingt, entpuppt sich als juristischer Unsinn und offenbart einen negativen Trend im Verfassungsdenken.

 

Ein verfassungspolitischer Erfolg ist zu vermelden: Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich Union und SPD darauf verständigt, zum ersten Mal die Rechte von Kindern ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Doch wenn es hier einen Triumph zu vermelden gilt, dann nur ein solcher der guten Gesinnung, die den damit verbundenen weiteren Niedergang des Verfassungsdenkens kaum verbergen kann. Denn die neuen Verfassungsnormen enthalten nichts

als juristisch leerlaufende Plattitüden und Trivialitäten.

 

Angesiedelt in Art. 6 Abs. 2 GG; nach dessen 2. Satz soll es in Zukunft heißen: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern

auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ Doch diese vier Sätze beinhalten – jeder für sich wie im Zusammenhang – nur Trivialitäten ohne jede juristische Wirkung.

 

Alles überflüssig

 

So begründet der erste Satz keine „neuen“ Verfassungsrechte der Kinder, sondern setzt sie voraus. Tatsächlich standen Kindern schon immer alle Grundrechte des Grundgesetzes zu. Das ist bislang auch noch von niemandem bestritten worden. Und solche verfassungsrechtlichen Verbürgungen haben auch juristische Wirkungen: Sie sollen vom Staat geachtet und geschützt werden. Natürlich kann der verfassungsändernde Gesetzgeber staatsrechtliche Lehrbuch-weisheiten noch einmal ausdrücklich wiederholen. Aber das ändert nichts daran, dass der ganze Satz sachlich so überflüssig ist wie ein Kropf.

 

Nach dem zweiten Satz der Neuregelung soll das Wohl der Kinder angemessen berücksichtigt werden. Hier stellt sich sofort die Frage nach der Regelungsnotwendigkeit: Haben Staat und Gesellschaft das bisher nicht getan? Gab es je in Deutschland, Europa und der Welt Plädoyers dafür, das Wohl der Kinder nicht zu berücksichtigen. Ist das „Wohl der Kinder“ nicht Gegenstand von „Pflege und Erziehung“, die nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zuvörderst den Eltern anvertraut

ist?

 

Die Sorge für die Kinder liegt bei den Eltern

 

Natürlich kann man fragen, was das Wohl der Kinder erheischt. Aber genau dazu schweigt die neue Verfassungsnorm – und zwar zu Recht: Denn die Sorge um das Wohl der Kinder liegt in erster Linie bei den Eltern, hilfsweise in Gestalt der Jugendämter beim Staat, wie es Art. 6 Abs. 2 GG ausdrücklich formuliert. Auch der zweite Satz der Neuregelung kann daher nicht anders als Trivialität auf Verfassungsebene qualifiziert werden.

 

Gleiches gilt auch für den dritten Satz. Kindern muss schon heute von Verfassungswegen rechtliches Gehör gewährt werden. Die Frage ist allein, über welche Einsichtsfähigkeit der Minderjährige verfügen muss, um zu dem jeweils anstehenden Problem rechtlich „gehört“ werden zu können. Da diese Frage durch Gesetz und Rechtsprechung weithin geklärt sind, gilt auch hier die Feststellung, dass der Satz kein Problem löst, keine Frage beantwortet und daher einmal mehr überflüssig ist. Da will dann auch der 6. und letzte Satz der Neuregelung – „die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt“ – nicht an Überflüssigkeit zurückstehen. Er wiederholt mit anderen Worten nur den 1. Satz des Art. 6 II GG.

 

Eigentlich gilt juristische Bescheidenheit

 

Eine derart auf ganzer Linie vermurkste verfassungsrechtliche Neuregelung einen Erfolg zu nennen, verbietet sich von allein. Eines allerdings zeigt diese geplante Neuregelung mit aller Klarheit: der Niedergang des Verfassungsdenkens. Statt juristisches und deshalb einlösbares Recht wird das Grundgesetz zu einem Sammelsurium von politischen Wünschen und koalitionären Absprachen instrumentalisiert.

 

Indem die Verfassung immer mehr als Symbol behandelt wird, in dem sich alle wiedererkennen sollen können, verliert sie juristischen Selbststand. Tatsächlich soll die Verfassung nur die „rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens“ sein, also nur die grundsätzliche Gestalt des staatlichen Gemeinwesens normieren, die fundamentalen Rechtswerte wie Freiheit und Gleichheit, der Staatsaufbau, die Gewaltenteilung usw. festlegen. Mit dieser juristischen Bescheidenheit hat das Grundgesetz seine Popularität errungen, weil man sich auf diese Verfassung wirklich verlassen und sie juristisch beim Wort nehmen konnte.

 

Mittlerweile „Wünsch-Dir-was-Spielwiese“

 

Insbesondere nach der Wiedervereinigung ist jedoch ein Trend zu beobachten, der die Verfassung zunehmend zur Projektionsfläche wie zum Spiegelbild der jeweiligen Befindlichkeiten, Wünsche und Hoffnungen werden läßt: „Wer hat noch nicht, wer will nochmal“. So wird jede Verfassungsänderung zur „Wünsch-Dir-was-Spielwiese“ von Erwachsenen, die sich der juristischen Anstrengungen der Etappe ersparen und nur noch Zielprojektionen zu skizzieren in der Lage sind.

 

Doch das hat seinen Preis: indem die Verfassung ihre juristische Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit verliert, könnten sich der Verfassungsgerichtsbarkeit neue Gestaltungsoptionen eröffnen und sich damit eine weitere Verschiebung der Gewaltenteilung abzeichnen.

 

Fazit: Wenn der Staat für die Kinder etwas Sinnvolles tun möchte, sollte er Schulen renovieren, sie digital modernisieren und vieles andere mehr verbessern, aber sie sollten bitte die Verfassung in Ruhe lassen. Einmal mehr ist man geneigt, den alten Apo-Spruch in Erinnerung zu rufen: „Hände weg vom Grundgesetz“.

 

https://www.cicero.de/innenpolitik/kinderrechte-verfassung-triumph-banalitaet-grundgesetz

 


 

Wider die neoliberale Propaganda der Kinder- und Frauenrechte

 

Die ganze, gut klingende Forderung nach Kinder- und Frauenrechten ist nur eine neue utilitaristische Propaganda, die

die Familien schwächen und ihrer relativen Autonomie als eine besondere Ordnung der Liebe zerstören soll. Kinder sollen nur dem einmaligen und unersetzbaren Einfluss der Eltern entzogen werden, um der gleichmacherischen und anonymen utilitaristischen Macht des Staates unterworfen zu werden.

 

Die natürlichen Bande der Liebe und die frühen Bindungen an die Eltern, die unersetzlich sind, erzeugen in den Kindern eine eigentümliche Geborgenheit und ein tiefes Urvertrauen, fördern das Sprachvermögen und alle Formen der menschlichen Intelligenz und lassen die Kinder zu selbstständigen jungen Erwachsenen heranreifen. Weder der Staat mit seinen erzieherischen Institutionen von Kindergarten und Schulen noch der Markt mit seinen gnadenlosen Gesetz von Angebot und Nachfrage können die natürlichen Bande der Liebe und die frühen Bindungen an die Eltern ersetzen.

 

Aber der moderne Staat, der den neoliberalen Zwängen der ubiquitären Marktgesellschaft dient, versucht alle mensch-lichen Beziehungen gleichmacherisch in austauschbare und käufliche Beziehungen zu verwandeln. Da verwundert es kaum, dass er darauf aus ist, die letzten Bastionen des antikapitalistischen Widerstandes in Form der naturwüchsigen Familien und religiösen Gemeinschaften zu brechen.

 

Die ganze Rede von Frauenrechten klingt zuerst so, als ob damit den unverfälschten Interessen von Frauen gedient wäre. Aber in Wirklichkeit geht es darum, zwischen Männer und Frauen einen Keil zu treiben, der die Liebe zwischen ihnen gefährdet und unmöglich macht, indem jeder von ihnen nur noch egoistisch auf seiner angeblichen Bedürfnis-befriedigung besteht und auf seine eigenen angeblichen Rechte pocht. Die Beziehungsmacht der Liebe soll durch die individualisierende Macht der vermeintlichen Rechte gebrochen werden.

 

Dahinter liegen die ökonomisch-politische Interessen der Banken und Börsen, Konzerne und Unternehmen, Frauen unabhängiger zu machen, um sie besser in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Gewünscht sind bindungslose Einzelkämpferinnen, die weder durch die Liebe zu einem Mann noch durch die Liebe zu ihren Kindern gebunden sind, um so besser mit Haut und Haar von ihren profitorientierten Arbeitgebern ausgenutzt werden zu können.

 

Aber recht verstanden sind die allgemeinen Menschenrechte unteilbar. Sobald jedoch Frauen nur noch oder vorwiegend für ihre eigenen partikularen "Frauenrechte" kämpfen, dann werden Männer anfangen, sich dagegen zu wehren, und für ihre eigenen partikularen "Männerrechte" zu kämpfen. Dann jedoch entsteht ein furchtbarer Krieg der Geschlechter um die jeweilige Vorherrschaft, der zuerst die Liebe zwischen Männern und Frauen, dann zwischen Eltern und Kindern und schließlich zwischen den Familien untereinander zerstört.

 

Weder Matriarchat noch Patriarchat gehorchen dem göttlichen Gebot der Liebe zu Gott und zu seinen Mitmenschen oder der humanen Ordnung der Liebe. Beide Formen der Herrschaft versuchen die Liebe und den Respekt durch das Streben nach mehr Macht und durch Feindseligkeit gegen den Anderen zu ersetzen. Die Liebe ist ein Kind der Freiheit, sie setzt den Respekt voraus und sie verträgt sich nicht mit einer Herrschaft des Einen über den Anderen.