Zukunft

 

 

Ein Gruß aus Utopia

 

Die Coronaepidemie hat gezeigt, dass Gesellschaften und Regierungen sich auch auf nur wahrscheinliche Eventualitäten vorbereiten müssen. Aber seit dem unerwarteten Zusammenbruch der DDR haben planwirt-schaftliche Zukunftspläne und seit Helmut Schmidts Diktum "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." haben Zukunftsvisionen in der Politik keinen guten Ruf mehr.

 

Helmut Schmidt  war ein Anhänger des Piecemeal-Engineering des Sozialphilosophen und Wissenschafts-theoretikers Karl R. Popper. Auch die immer noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gelernte Physikerin, die in der DDR aufgewachsen ist, dort studiert und promoviert hatte, scheint das Fahren auf Sicht und das kurzfristige Abarbeiten kleinteiliger Probleme auf Deck mehr zu schätzen als das langfristige Vorausschauen in der Kommandozentrale.

 

Die Coronakrise hat jedoch nicht nur in Deutschland gezeigt, dass das schief gehen kann. Obwohl im Jahre 2012 im Bundestag die hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Coronaepidemien nach MERS und SARS diskutiert worden ist, und dazu ein ausführliches Arbeitspapier erarbeitet worden ist, hat dies offensichtlich nicht dazu geführt, dass Deutschland auf eine weitere Epidemie mit einem neuen Coronavirus vorbereitet gewesen ist. In anderen europäischen Ländern war Ähnliches zu beobachten. Nicht wenige Experten für Wirtschaftspolitik vermuten, dass die neoliberale Privatisierungswelle der letzten 30 Jahren zu dieser Tatsache beigetragen hat, dass es fast kein vorausschauendes Öffentliches Wirtschaften mehr gibt, das die Daseinsvorsorge nationaler Volkswirtschaften  gewährleistet.

 

Im Zuge des angelsächsischen Neoliberalismus spricht man heute an den Universitäten lieber in modischem Denglisch von Mikro- und Makroökonomie - "micro- and makroeconomics" - statt von Betriebs- und Volkswirt-schaft. Schon die Sprache verrät die globalisierende Ideologie der mathematisierten neoklassischen Theorien der bindungslosen kosmopolitischen Profitmaximierer und verschleiert die parochialen Interessen des Landes und seiner Bürger, die nun einmal irgendwo in Deutschland aufgewachsen sind und leben.

 

Zwar hapert es auch an vielen anderen Baustellen in der Daseinsvorsorge, seit die neoliberale Ideologie seit den 90er Jahren zu einer beispiellosen Privatisierungswelle in den Kommunen und Ländern geführt hat. Selbst die rot-grüne Regierung unter Schröder und Fischer war vom neoliberalen Virus erfasst. Je erfolgreicher, desto abgeho-bener. Das ist das neue Peter-Prinzip.

 

Klaus Wowereit, der die roten Fahnen der Genossen gegen die roten Teppiche der Berliner Filmfestspiele aus-getauscht hatte, weil die mehr sexy sind, hat anders als Wien so gut wie alle Berliner Sozialwohnungen der Öffent-lichen Hand an privatwirtschaftliche Baugesellschaften verkauft. Und das war nicht gut so! Erst seit kurzem hat sich nicht nur in der Berliner SPD herumgesprochen, dass das ein schwerer Fehler war. Nur verschwiegen wird es natürlich aus wahltaktischen Gründen. 

 

Dass so viele ehemals treue SPD-Wähler nicht nur in Ostberlin, sondern in Ostdeutschland wieder wie schon einmal nach Weimar skandieren: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" klingt bitter. Aber noch bitterer ist deren nicht nur verbale Abwanderung zur AfD und das harte Absacken der SPD auf unter 10 Prozent in einigen Bundesländern trotz besserer Werte in Bundesländern wie Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Schlimme Zeiten für die sprichwörtlichen kleinen Leute! 

 

Aber dass kein Land, keine Regierung und keine Partei es sich leisten können, immer nur den neuen Problemen hinterher zu rennen und von einer schweren Krise nach der anderen herausgefordert, überrascht und fast hinweggespült zu werden, zeigen andere große europäische Länder wie Frankreich, Italien und Spanien. Immer nur auf Sicht fahren genügt nicht, wenn Eisberge aus dem Nebel auftauchen können. Da braucht man moderne Radarsysteme die eventuelle Gefahrenherde abscannen.

 

Deutsche Intellektuelle haben sich noch nie auf die Zukunft verstanden. Sie sind Experten fürs Grundsätzliche und Prinzipielle. Und die akademisch halbgebildeten Studierten ahmen sie nach und halten sich für neunmalklug, wenn sie immerzu alles infrage stellen und ständig moralisieren anstatt gründlich zu verstehen. Aber analysieren und kritisieren ist einfacher als konstruktives Denken mit synthetischer Kraft. Vor allem, wenn es um die Zukunft geht und mögliche und wahrscheinliche Szenarien der zukünftigen Weltentwicklung bei maximaler Kenntnis der unveränderlichen naturwissenschaftlichen Bedingungen der realen Möglichkeiten einzuschätzen sind.

 

Keine wütende Kassandra, sondern ein geradezu prophetischer Geist, der ganz nüchtern und jenseits von jeder religiösen Schwärmerei mit einem profunden, wissenschaftlich informiertem Möglichkeitsinn ausgestattet ist, ist der kalifornische Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Kim_Stanley_Robinson