Bieri-Trilemma

 

 

 

 

Das Bieri-Trilemma

 

Das Bieri-Trilemma ist eine allgemeine, angeblich von phänomenalen und empirischen Voraussetzungen unabhängige Formulierung des sog. Leib-Seele-Problems.

 

Bei einem Trilemma handelt es sich um drei Aussagen, die zusammen genommen nicht alle drei wahr sein können, obwohl sie einzeln und an und für sich genommen scheinbar plausibel sind. Daher muss zumindest eine der Aussagen aufgegeben werden, um die beiden anderen plausiblen und kompatiblen Aussagen weiterhin für wahr halten zu können.

 

Peter Bieri hat folgende drei Aussagen gewählt, um das Leib-Seele-Problem als ein solches Trilemma zu formulieren.

  1. Mentale Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene.

  2. Mentale Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.

  3. Der Bereich physikalischer Phänomene ist kausal geschlossen.

1. Der anglizistische Ausdruck “mental” ist doppeldeutig und kann entweder “psychologisch” im Gegensatz zu “physikalisch” verstanden werden oder als “psychisch” im Gegensatz zu “physisch”. Zwischen der Rede von Phäno-menen, die konventionell in das Gebiet bestimmter Wissenschaften und ihren Aktivitäten und Methoden fallen und den Phänomenen selbst, also unabhängig von Forschern und Wissenschaftlern und deren Untersuchungen, die eventuell von verschiedenen Wissenschaften mit ihren verschiedenen Aktivitäten und Methoden untersucht werden können, kann ein Unterschied bestehen .Ein Lebewesen, wie z.B. eine Schildkröte kann bloß physikalisch als ein physischer Festkörper mit einer bestimmten Größe, mit einem bestimmten Gewicht und einer bestimmten Geschwindigkeit erfasst werden, obwohl es sich um ein lebendiges Tier mit bestimmten psychischen Funktionen wie Empfindungen und Wahr-nehmungen handelt.

 

Bei dieser Verwendung des anglizistischen Ausdrucks “mental” wird in Übereinstimmung mit der empiristisch und naturalistisch orientierten Analytischen Philosophie die klassische, scholastische und cartesische Differenz zwischen dem Geist (mens) oder dem Intellekt (intellectus) als dem spezifisch menschlichen Vermögen der Reflexion über kognitive Gehalte und der Seele (anima) als Inbegriff der Bewußtseinsphänomene (cogitationes) unterschlagen. Dabei kennen wir diese Differenz im Deutschen auch immer noch nicht nur aus der Philosophiegeschichte, sondern auch aus dem modernen Leistungssport, wo ein Coach oder Psychologe ein spezielles Mentaltraining anbietet, das sich nicht nur auf die gesamte seelische oder psychische Verfassung eines Sportlers bezieht, sondern nur auf spezielle Gedankengänge, kognitive Muster, fixe Ideen, Kernüberzeugungen oder Schemata seines Selbstbildes und seines Bildes von seiner Sportart und beruflichen Situation als Leistungssportlers, etc.

 

2. Der Begriff des Phänomens ist notorisch zweideutig, denn er kann sich auf die intersubjektive Erscheinungsweise von wirklichen raum-zeitlichen Gegenständen für menschliche Beobachter aus einer bestimmten Perspektive der mehr oder weniger wirklichkeitsgemäßen Wahrnehmung beziehen oder nur auf die subjektiven sinnlichen Eindrücke, die ein bestimmter Beobachter aus einer bestimmten Perspektive der Wahrnehmung erhält, wobei die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt offen gelassen wird. Es handelt sich um die Differenz zwischen der fotographierbaren objektiven Erscheinung einer roten Rose, die bei Tageslicht betrachtet für jeden gesunden und nicht farbenblinden Beobachter rot und nicht rosa oder orange oder lila erscheint und der subjektiven Erscheinung einer roten Rose, die auch nur lebhaft vorgestellt oder geträumt sein könnte.

 

3. Die drei Aussagen des Bieri-Trilemms sind versteckte All-Sätze, die zuerst einmal als solche analysiert, verstanden und umformuliert werden sollten, um damit ihre logische Struktur und Implikationen logisch deutlicher zu machen.

  1. Alle mentalen Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene.

  2. Alle mentalen Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.

  3. Der Bereich aller physikalischen Phänomene ist kausal geschlossen.

Mit dem ersten Begriffspaar bezieht man sich auf zwei verschiedene Wissenschaften, mit dem zweiten Begriffspaar hingegen auf verschiedene Arten von Phänomenen oder Entitäten. Beide Möglichkeiten sind gültige Interpretationen, ergeben aber logisch verschiedene Behauptungen.

  1. Alle psychologischen Phänomene sind nicht-physikalische Phänomene.

  2. Alle psychologischen Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.

  3. Der Bereich aller physikalischen Phänomene ist kausal geschlossen.

  1. Alle psychischen Phänomene sind nicht-physische Phänomene.

  2. Alle psychischen Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.

  3. Der Bereich aller physischen Phänomene ist kausal geschlossen.

3.a. Die jeweils ersten Sätze sind trivial, weil sie sich per definitionem aus den sich gegenseitig ausschließenden Gegensätzen der Ausdrücke “psychologisch” vs. “physikalisch” bzw. “physisch” vs. “psychisch” ergeben.

 

3.b. Die beiden zweiten Sätze sind nicht nur wahr, sondern subjektiv evident, denn ich weiß, dass ich mich innerlich und willentlich (psychologisches bzw. psychisches Phänomen) dazu entschließen kann, meine Hand zu heben und meine äußerlich wahrnehmbare Hand -- nur als physisches Körperteil (physikalisches bzw. physisches Phänomen) betrachtet -- geht daraufhin nach oben.

 

3.c. Die beiden dritten Sätze sind zwar empirische Verallgemeinerungen, aber hoch spekulativ und sehr problema-tisch, weil ich und wohl kein Mensch mit hoher Wahrscheinlichkeit geschweige denn mit an Sicherheit grenzender Warscheinlichkeit sagen kann, ob die ganze Natur (als raum-zeitliches Kontinuum) bzw. das ganze Universum wirklich so verfasst sind, dass alle physikalischen bzw. physischen Phänomene im strikten und deterministischen Sinne ein geschlossenes kausales Netzwerk von Ursachen und Wirkungen bzw. von einzeln notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen darstellt.

 

Jemand müsste nämlich allwissend sein und über einen allwissenden Verstand verfügen, um das nicht nur spekulativ behaupten, sondern auch wirklich und nachweisbar erkennen und wissen zu können. Daher ist diese Behauptung hoch spekulativ.

 

Zwar wurde dieses deterministische Verallgemeinerung in der neuzeitlichen mechanistischen Physik von Newton

bis zu den modernen Physikern des 20. Jahrhunderts als methodische Arbeitshypothese vorausgesetzt und auch von Kant als logische Folge des sog. metaphysischen “Satzes vom Grund” erörtert sowie von Russell als apriorisches “Prinzip der universalen Kausalität” erwogen, aber sie ist seit der modernen Quantenphysik des 20. Jahrhunderts zumindest umstritten, und von vielen modernen Physikern als metaphysisch und zu spekulativ aufgegeben worden.

 

Umstritten ist, trotz Einsteins Zweifeln an den indeterministischen Deutungen der Quantenmechanik und trotz Bohrs deterministischer Annahme noch unbekannter verborgener Variablen (hidden variables), ob die moderne Quantenphysk nicht als eine experimentelle Widerlegung oder zumindest starke Infragestellung des allgemeinen strengen Deter-minismus der Natur verstanden werden kann.

 

Aber auch von Seiten der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften und Analytischen Philosophie der Urteile über Kausalitäten, sind die beiden dritten Sätze fragwürdig geworden. Denn Urteile über Kausalitäten in den modernen Naturwissenschaften von Physik, Chemie und Biologie werden nicht mehr einheitlich als objektive Urteile über lineare und monokausale Kausalketten und streng deterministische Mechanismen in der Natur verstanden, sondern als empirische Hypothesen über einzeln notwendige und zusammen hinreichende Bedingungen der Wahrscheinlichkeit des späteren Eintretens von bestimmten Ereignissen und Prozessen aufgrund vorheriger Ereignisse und Prozesse in multikausalen Kausalnetzen.  Dadurch wurde die ganze Vorstellung von einer kausalen Geschlossenheit zu einer nur noch im Alltag tauglichen Arbeitshypothese, die zwar immer noch zurecht die Entstehung rein zufälliger und völlig ursacheloser Ereignisses (ex nihilo nihil fit) prinzipiell aussschließt, aber nicht mehr über das ganze Universum zu extrapolieren erlaubt.

 

Damit zerfällt das sog. Bieri-Trilemma in eine erste triviale, aber bloß definitorische Setzung, eine zweite subjektiv wahre und evidente Beobachtung der kausalen Wirksamkeit eigener psychischer Willensakte und in eine allgemeine und hochspekulative deterministische Annahme über die ganze Natur bzw. das ganze Universum, von der wegen der modernen Quantenphysik jedoch kein Mensch weiß und wissen kann, ob sie wirklich wahr ist. Nur Gott oder ein allwissender Laplace'scher Dämon könnte wissen, ob sie wirklich wahr ist. Angesichts dieses Resultates scheint es mir besser zu sein, das Bieri-Trilemma nicht mehr als eine überzeugende Formulierung des sog. Leib-Seele-Problems zu verwenden. 

 

UWD