AfD im Umfragehoch

 

 

 

Der Chefredakteur von Die Zeit, Giovanni di Lorenzo, meldete im Sommer 2023 angesichts galoppierender Umfrage-werte für die AfD Zweifel am Umgang auch der Medien mit der Partei an. Man dürfe die von ihr aufgeworfenen Themen nicht länger ignorieren, ihre Anhänger nicht als „Nazis“ in die extreme Ecke stellen. So werde die Lage nicht besser. Was di Lorenzo damit gesagt hatte, ohne es direkt auszusprechen, war: Etablierte Politik und Medien könnten ihren eigenen Anteil am Aufstieg der AfD haben. Sichtbare Wirkung hat dieser Appell der Nachdenklichkeit allerdings bis heute nicht entfaltet.

 

Matthias Brodkorb am 11. Januar 2024 in CICERO ONLINE

 

Angeblicher Geheimplan gegen Deutschland - Der Wannsee-Scoop, der keiner ist | Cicero Online

 


 

Die Deutschen haben den Mainstream satt – das macht die AfD stark

 

Für die Rechtspopulisten läuft es derzeit gut. Schuld daran sind die anderen Parteien, die sich in einem Meinungskartell zusammengeschlossen haben. Die deutsche Politik braucht mehr Auswahl und echte Alternativen.

 

Eric Gujer am 14.07.2023 in der NZZ

 

Irgendwann kommt in der Politik der Moment, in dem eine auf Denkfaulheit und Arroganz aufgebaute Strategie scheitert. Im Umgang mit der Alternative für Deutschland (AfD) scheint dieser Punkt erreicht. Die Partei wird seit einem Jahrzehnt ignoriert und ausgegrenzt. Genützt hat es nichts.

 

In Meinungsumfragen überholt die AfD alle Parteien mit Ausnahme von CDU/CSU. Selbst die Kanzlerpartei SPD rangiert hinter den Populisten. Nun vergeht bis zur nächsten Bundestagswahl viel Zeit. Bereits nächstes Jahr wird hingegen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt, und überall gibt es Erhebungen, wonach die AfD sogar in Führung liegt. Ignorieren und ausgrenzen genügt nicht mehr.

 

Wenn ein Meinungsmonopol herrscht, suchen die Wähler nach Alternativen

 

Die Rechtspopulisten befinden sich in Europa im Aufwind. In den meisten Staaten haben solche Protestparteien eine lange Tradition, die oft bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreicht. In Deutschland ist das anders. Hier waren nationalistische Gruppen nur punktuell erfolgreich. Sie erlebten in einzelnen Bundesländern ein kurzes Stroh-feuer, dann verschwanden sie wieder. Die deutsche Geschichte wirkte wie ein Feuerlöscher.

 

Politiker und Journalisten haben kaum Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten und greifen daher

zu einer kurzsichtigen Strategie. Sie glauben, bestimmen zu können, was in der Öffentlichkeit gesagt werden kann. Daher ist die Empörung gross, wenn die «Grenzen des Sagbaren» verschoben werden.

 

Dieser Konformismus hat wie so viele negative Entwicklungen seine Wurzeln in der Ära Merkel. Wer an der Bundestags-wahl 2013 eine etablierte Partei wählen wollte, die für eine nachhaltige Energieversorgung mit Atomkraft, den Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone oder eine ausreichend finanzierte Bundeswehr eintrat, ging leer aus. Es gab sie nicht.

 

Es herrschte ein Meinungsmonopol, von dem die Bundestagsparteien nur graduell abwichen. Die deutsche Politik war – wie die ewige Kanzlerin mit Stolz anmerkte – alternativlos. Daran hat sich wenig geändert.

 

Die Hüter des Einheitsbreis übersehen jedoch, dass sich in einer Demokratie auf Dauer keine Position unterdrücken lässt. Sie sucht sich stets ein Ventil. So war es in den achtziger Jahren, als die Grünen erstmals eine Alternative zu den von der Atomkraft einhellig begeisterten Parteien CDU/CSU, SPD und FDP boten.

 

Die Grünen setzten sich über alle Konventionen hinweg, zogen mit selbstgestrickten Pullovern in den Bundestag ein

und spotteten über die «Altparteien». Heute gehören sie selbst dazu, während abermals eine neugegründete Partei

in einem Themenfeld Fundamentalopposition betreibt: die AfD bei der Migration.

 

Statt sich ernsthaft mit der Herausforderung zu beschäftigen, pochen die Altparteien auf die Alternativlosigkeit ihrer Politik. Wie sie dabei vorgehen, demonstrieren die Generalsekretäre von SPD und CDU, Kevin Kühnert und Mario Czaja. Sie speisen die Wähler mit Floskeln ab oder verweigern die Auseinandersetzung.

 

Kühnert sagte in der «Welt», die AfD bedeute den «Chancentod für Deutschland», weil sie in Zeiten des Arbeitskräfte-mangels für Abschottung plädiere. Die Phrase ist der Chancentod jeder Debatte.

 

Die Wähler haben nichts gegen die Einwanderung gut ausgebildeter Österreicher und Schweizer, die als Mechatroniker oder Hausärztin den Fachkräftemangel in Deutschland bekämpfen. Doch es kommen eher weniger Europäer und generell kaum gut Ausgebildete. In Scharen strömen hingegen Migranten aus Südasien, dem Nahen Osten und Afrika. Unter ihnen sind die umworbenen «High Potentials» rar.

 

Weder die CDU, die Partei der «Willkommenskultur» (auch so eine leere Phrase), noch SPD, Grüne und FDP haben es

je geschafft, eine Politik durchzusetzen, die stärker zwischen erwünschter und unerwünschter Migration unterscheidet. Mit Plattitüden statt Taten gewinnt man auf Dauer keine Wähler.

 

Der unterdessen abgelöste CDU-Generalsekretär Czaja hat nicht einmal eine Plattitüde übrig, wenn er eines Rechts-populisten gewahr wird, sondern er nimmt gleich ganz Reissaus. So sagte er eine Podiumsdiskussion ab, bei der er

mit einer ehemaligen AfD-Abgeordneten hätte diskutieren sollen.

 

Die Diskursverweigerung funktioniert aber nur, solange es sich nicht schickt, eine bestimmte Partei zu wählen. Die soziale Marginalisierung zielt ins Leere, wenn ein Fünftel bis ein Drittel der Bürger für die AfD stimmt. In Ostdeutsch-land schämt sich schon lange niemand mehr für diese Wahlentscheidung. Bang muss man sich fragen, welchen Zu-

lauf die Partei wohl fände, wenn sie nicht ständig mit dem braunen Sumpf kokettieren würde.

 

Die etablierten Kräfte – das Wort Altparteien gilt als unanständig, seit es die AfD benutzt – reagieren hilflos auf den Kollaps ihrer Ausgrenzungsstrategie. Sie geben einander die Schuld am Höhenflug ihres gemeinsamen Gegners. Die CDU ortet den Grund für den Aufstieg in der Regierungspolitik, vor allem dem verkorksten Heizungsgesetz.

 

Die Ampelkoalition keift zurück, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mache mit reaktionärem Gerede die Populisten

erst salonfähig. Die Schlichtheit der Analyse ist deprimierend.

 

Im Übrigen versprechen die Regierungsparteien, ihre Politik besser zu erklären. Dabei muss man den Bürgern nichts erklären. Sie haben bereits verstanden und wählen deshalb AfD, denn sie suchen nach einer Alternative zur Politik der Alternativlosigkeit. So ist es wohl kein Zufall, dass die AfD gerade unter der Ampelkoalition so stark hinzugewinnt. Erstmals in der jüngeren Geschichte regieren drei Bundestagsfraktionen zusammen. Mehr Einheitsbrei ist kaum vorstellbar.

 

In ihrer Hilflosigkeit verlangen die etablierten Parteien von den Bürgern eine moralische Haltung, nämlich einen Aufstand der Anständigen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie der AfD. Deren Wähler denken jedoch nicht in moralischen Kategorien, sondern taktisch. Die wenigsten stimmen den völkischen Parolen zu, sondern nutzen die AfD als blosses Sprachrohr ihrer Unzufriedenheit.

 

Gerade in Ostdeutschland ist diese Haltung nachvollziehbar, denn westdeutsche Politiker und Journalisten behandeln «den doofen Rest» im Beitrittsgebiet mit Geringschätzung. Die Ostdeutschen gelten als von Kollektivismus und Kom-munismus versehrte Seelen. Wenn sie sich dann aber wie in der Pandemie gegen die Einschränkung ihrer Bürgerrechte wehren, sind sie keine Freiheitshelden, sondern Verschwörungstheoretiker. Wie sie es auch anstellen: Sie bleiben Parias.

 

Aber im Osten will man sich nicht mit der Einteilung der Welt in den aufgeklärten Westen und «Dunkeldeutschland» abfinden. Deshalb profitieren die Populisten vom innerdeutschen Kolonialismus.

 

Eine ängstliche CDU fesselt sich selbst

 

Wie kann man die AfD im Osten schwächen? Die übrigen Parteien klammern sich an ihre bereits gescheiterte Strategie. Sie treten in der Aufstellung alle gegen einen an. Wo einst die Sozialistische Einheitspartei herrschte, soll es jetzt eine Demokratische Einheitsfront richten, um die AfD von der Regierung fernzuhalten. Doch es schadet der Demokratie, wenn die stärkste Kraft dauerhaft ausgesperrt wird.

 

Die Sozialdemokraten konstatieren schadenfroh, dass es der CDU so ergeht wie ihnen früher mit der ostdeutschen Linkspartei. Die Stimmen für die Populisten kosten die Union die Macht, solange sie jede Koalition mit diesen ablehnt.

So kann man Wetten abschliessen, wie lange die von Merz errichtete «Brandmauer» gegen rechts hält. Auch bei der

SPD war es einst ein einzelner Landesverband im Osten, der das von der Bundespartei verhängte Verbot von Bünd-

nissen mit der Linkspartei zu Fall brachte.

 

Merz ist nicht Merkel. Er hat nicht die Autorität der früheren Kanzlerin, die den thüringischen Landesverband zurück-pfiff, als er mit den Stimmen der AfD eine Minderheitsregierung bilden wollte.

 

Alternativ könnte sich die CDU aus den Fesseln der Einheitsfront befreien und sich als eigenständige liberal-konser-vative Kraft profilieren. Sozialdemokraten und Grüne versuchen der Union Angst einzujagen, indem sie behaupten,

eine härtere Haltung bei der Migration nütze nur der AfD, weil die Menschen lieber das Original wählten. Vermutlich trifft das Gegenteil zu: Unzufriedene bürgerliche Wähler würden zurückkehren, wenn ihre Anliegen ernst genommen und nicht mit ein paar Floskeln abgetan würden. Denn die Rechtspopulisten sind für diese Wähler ein Notbehelf,

aber keine politische Heimat.

 

Jede Richtungsentscheidung erfordert Mut – und der ist derzeit das Letzte, was die am Merkel-Kater leidende CDU besitzt. Bei ihr liegt der Schlüssel für eine Eindämmung der AfD.     

 

Die ängstliche CDU macht die AfD stark (nzz.ch)

 



 

«Sie stellen Fragen und lassen mich nicht antworten» –

Wie das öffentlichrechtliche Fernsehen den kritisch denkenden Journalismus abschafft

 

Am Sonntagabend bricht wieder die Zeit der Freiluftgespräche im Fernsehen an. Die Spitzenpolitiker geben Auskunft, und das Outfit soll locker sein. Aber wie steht es mit der Wahrheitsfindung?

 

Claudia Schwartz am 02.07.2023 in der NZZ

 

Früher war das mit dem Sommerinterview einfach. Bevor die Hitze sich festsetzen konnte, versiegte in Bonn der politische Alltag so leise, als legte sich mit der parlamentarischen Sommerpause eine natürliche Jahreszeit übers Land. Dann konnte Helmut Kohl im kurzärmligen Hemd am österreichischen Wolfgangsee beruhigt Hannelore und die Söhne um sich scharen, und das Fernsehen kam zu Besuch. Das plätschernde Gespräch war dabei weniger wichtig als der solide Ferieneindruck. Damals schrieb sich ausgewählte Biederkeit ins kollektive Gedächtnis und rettete die heile Welt der Nachkriegszeit weit in die achtziger Jahre hinüber.

 

Lange ist’s her. Es ist schwieriger geworden. Wem mit dem letzten Windzug vor der parlamentarischen Sommerpause ein Heizungsgesetz (samt Verfahren vor dem Verfassungsgericht) und ein AfD-Landrat (samt seiner verfassungsrecht-lichen Überprüfung) ins Haus flattert wie dieses Jahr, braucht keine klugen Ideen mehr, wie man Hitze gut übersteht. Sommerinterviews vor Südtiroler Landschaft oder blauem Himmel über Norderney könnten in diesem Kontext schnell einmal befremdlich wirken.

 

Aufruhr unerwünscht

 

Aber das TV-Format ist mittlerweile zur unverwüstlichen Institution geworden, gibt es doch Politikern die Gelegenheit, sich ohne Krawatte oder im Sommerkleid von der launigen Seite zu präsentieren. Konfliktträchtige News generieren solche Freiluftgespräche selbstverständlich keine. Welcher Politiker wird sich mit einem Shitstorm im Gepäck den Urlaub verderben wollen? Folglich achten die Moderatoren in vorauseilendem Gehorsam darauf, nur wasserdichte Fragen zu stellen, die kaum neu sind und möglichst harmlos und unverbindlich, damit kein Aufruhr entsteht. Oder wie es der ZDF-Co-Moderator Theo Koll formuliert: «Im negativen Extremfall» lässt sich Erkenntnisgewinn auch daraus ziehen, «dass deutlich wird, wie sehr der Interviewte Antworten ausweicht».

 

Das Paradebeispiel war hier Angela Merkel, die aufs Alleinstellungsmerkmal bestand und sich unverdrossen im Kanzler-amt mit Reichstag im Hintergrund den Fragen stellte. Statt Urlaubsambiente gab es Berliner Ausweichmanöver wie:

«Sie können davon ausgehen, dass wir eine vernünftige Lösung finden werden» (zur Frage nach ihrer oder Stoibers Kanzlerkandidatur), oder: «Dabei sind Dinge passiert, die absolut nicht akzeptabel sind» (zur Gewalt am G-20-Gipfel).

 

Bald vierzig Jahre nach Kohls televisionärem Wolfgangsee-Debüt stellt sich dennoch die Frage, ob aufgrund des Pro-porzdenkens im Öffentlichrechtlichen die Zuschauer solch organisierter Langeweile auf ewig ausgeliefert sein sollen. Das diesjährige Programm präsentiert mit den Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Lars Klingbeil (SPD), Christian Lindner (FDP) oder Markus Söder (CSU) das tupfgleiche Personal wie im letzten Sommer, und das mehrheitlich auf beiden öffentlichrechtlichen Kanälen notabene. Da darf auch Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Auftakt in der ARD (2. Juli) beim ZDF (13. August) nicht fehlen. Ob durch die sechswöchige Scholz-Pause allerdings weniger auffällt, dass der Kanzler sich in immergleichen Phrasen wiederholt, ist fraglich.

 

Nun kommt das Fernsehen um einen Bundeskanzler beim Sommerinterview wie bei der Neujahrsrede nicht herum. Aber wenn das ZDF seinen Reigen am 9. Juli beginnt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (befragt im Ahrtal von der ZDF-Chefredaktorin Bettina Schausten), dann ist mit dem Gipfel des Betroffenheitsgesprächs die ganze Mut-losigkeit dieser Vorstellungen nicht mehr zu kaschieren.

 

Man erhält das Prinzip von Status und Rolle aufrecht, statt Politiker einzuladen, die derzeit etwas zu sagen haben. Marie-Agnes Strack-Zimmermann? Boris Pistorius? Hendrik Wüst?

 

Unterbrechen und blossstellen

 

Grundvoraussetzung für kritische Aufklärung wäre so oder so, ein offenes Ohr zu haben für das, was das Gegenüber sagen will. Das Gegenteil war im letzten Jahr zu besichtigen, als Shakuntala Banerjee im ZDF-Sommerinterview die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel die zweite Hälfte des Gesprächs keinen Satz ausreden liess, nachdem sie in der ersten vor allem selber geschwätzt hatte. Vom niederträchtigen Unterton bei der Frage an die lesbische Weidel nach der Homo-phobie in ihrer Partei ganz zu schweigen. «Sie stellen Fragen und lassen mich nicht antworten», stellte Alice Weidel fest. Auf diese Weise treibt man der AfD, die sich einmal mehr als Opfer präsentieren kann, noch mehr Wähler in die Arme.

 

Der TV-Moderator Günther Jauch hat passenderweise kürzlich an eine Geschichte über den einstigen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) erinnert, dem das ZDF drei Themen in den «Heute»-Nachrichten einräumte. Ein dickes Trostpflaster, weil Beck sich als Publikumsgast einer Show von der Kamera benachteiligt sah gegenüber dem damaligen CDU-Oppositionsführer Johannes Gerster. Das war Mitte der neunziger Jahre, geändert

hat sich an solchem Geben und Nehmen von Politik und Journalisten nicht viel.

 

Beim ZDF sitzt derzeit die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, einem so eindeutig links-grün-lastigen Verwaltungsrat vor, dass man sich über die ideologische inhaltliche Ausrichtung des Senders nicht mehr wundert. Das ZDF müsse ein attraktives und anspruchsvolles Programm für alle machen, schliesslich zahlten auch alle ihren Beitrag, hat Dreyer einmal schön gesagt. Die TV-Wirklichkeit sieht anders aus. Man muss sich nur einmal die woken Propaganda-Sendungen von Jan Böhmermann («ZDF Magazin Royale») oder «Reschke Fernsehen» (ARD) ansehen – ein Schelm, wer da an Staatsfernsehen denkt.

 

So nimmt die Beweihräucherung der herrschenden Politik ihren Lauf. Mit der Ampelregierung und ihrem moral-bewehrten Zeitgeist verschärft sich das Problem zusehends. Diese Woche hat die Kabarettistin Christine Prayon ihren Abschied von der ZDF-«Heute-Show» bekanntgegeben mit der Begründung, Andersdenkende würden dort «der Lächerlichkeit preisgegeben». Satire dürfe sich nicht daran beteiligen, «den Diskurs zu verengen». Das ist allerdings mittlerweile der ganz normale gebührenfinanzierte deutsche Fernsehbetrieb.

 

Klamroths dummer Zwischenruf

 

Lächerlich gemacht hat letzthin auch der «Hart aber fair»-Moderator Louis Klamroth in der ARD eine Diskussionsteil-nehmerin, nachdem diese auf die frauenverachtende Kultur mancher Migranten hingewiesen hatte. Sie traute sich schon gar nicht, das Wort «Migranten» auszusprechen, sondern stotterte etwas von «Männern, deren Sprache ich nicht verstehe». Wie weit ist es gekommen, wenn Talkshowgäste sich davor fürchten müssen, Klartext zu reden? Und auch wenn der Shitstorm von rechts gegen Klamroth sich dann nicht minder woke und primitiv ausnahm, als es normaler-weise von der linken Seite erschallt, das Vorgehen bei ZDF und ARD hat sich mittlerweile etabliert: Vorgefasste Mei-nungen werden bestätigt, unerwünschte Argumente werden übertönt, Unliebsame werden mundtot gemacht oder

erst gar nicht eingeladen.

 

Wenn sich Journalismus für die «richtigen» Ziele in den Dienst der Politik stellt, haben wir das Gegenteil von Demokratie. Die Kohl-Inszenierungen mit jährlich wechselnden Streicheltieren und heiler Familie waren ein Spiegelbild der alten Bundesrepublik und vergleichsweise harmlos, sieht man sich die heutigen ideologischen Auswüchse im Öffentlich-rechtlichen an.

 

Nach der Wiedervereinigung regte sich allerdings – schon damals zuerst von Osten her – der Zorn mit der Forderung, Kohl möge doch einmal in den neuen Bundesländern Ferien machen, statt bei Dallmann im Salzkammergut Kuchen zu essen. Dann bekäme der Kanzler, so der Tenor, eine Vorstellung vom Unmut der Ossis, von maroden Städten und still-gelegter Industrie. So weit kam es dann zwar nicht, schliesslich hat, wer hart arbeitet, ein Recht auf Urlaub. Aber die neue deutsch-deutsche Spaltung muss dort ihren Anfang genommen haben, wo die einen noch unbeschwert Ferien machten, während die anderen in eine ungewisse Zukunft blickten.

 

Neugierig und offen?

 

Mit dem Wechsel zur Berliner Republik rückten die Politiker nicht mehr als Familienväter, sondern als Staatsmänner ins Blickfeld, im bodenständigen Lokal im Zoo (Gerhard Schröder) oder vor der malerischen Kulisse von Siena (Joschka Fischer als letzter Vertreter der Toskana-Fraktion). Die ARD hat den Drehort schon einmal bescheiden heruntergefahren auf die immergleiche Terrasse im Regierungsviertel. Dort sitzt man auf den hässlichsten roten Ledersesseln der Republik immerhin an der frischen Luft. Und verzichtet darauf, die Journalisten quer durch Europa zu schicken, um dann den einen Gesprächspartnern vor spektakulärer Aussicht nur ins Wort zu fallen oder mit den anderen zu sympathisieren, indem man sie ewig labern lässt.

 

Die Idee des Sommerinterviews wäre ja, dass der Politiker jenseits seiner alltäglichen Sprachhülsen Mensch sein darf und man ihm beim allmählichen Verfertigen der Gedanken beim Reden zusehen könnte. Dazu gehört auch ein Journalismus, der neugierig und offen ist, weiss, wann man dezidiert nachhaken muss, und vor allem nicht glaubt, den Gedanken des anderen schon fertig im eigenen Kopf zu haben.

 

Die ARD startet am Sonntag, 2. Juli, im «Bericht aus Berlin» ihre Sommerinterviews mit Bundeskanzler Olaf Scholz (18.00 Uhr); Frank-Walter Steinmeier ist der erste Gast im ZDF am Sonntag, 9. Juli, in «Berlin direkt» (19.10 Uhr).

 

https://www.nzz.ch/feuilleton/sie-stellen-fragen-und-lassen-mich-nicht-antworten-wie-das-oeffentlichrechtliche-den-kritisch-denkenden-journalismus-abschafft-ld.1744931