Zivilcourage

 

 

Mut beweist, wer einer Masse widersteht

 

Boris Palmer hat sich weder rassistisch geäußert noch den Holocaust relativiert. Dafür zeigt die Empörung gegen ihn und weitere Teilnehmer der Migrationskonferenz eine alarmierende Bereitschaft, Voraussetzungen für politische Hetzjagden zu schaffen.

 

VON CICERO-REDAKTION am 8. Mai 2023

 

Im Nachgang zur Frankfurter Migrationskonferenz wurde Boris Palmer von verschiedener Seite vorgeworfen, er ver-harmlose den Holocaust und habe sich rassistisch geäußert. Beide Vorwürfe sind falsch. Erstens sprach Palmer in der Auseinandersetzung mit dem studentischen Mob nicht vom Holocaust. Vielmehr sprach er vom „Judenstern“.

 

Seine Aussage lautete sinngemäß: „Wer einen Andersdenkenden als ‚Nazi‘ beschimpft, heftet ihm einen Judenstern an.“ Diese Aussage von Boris Palmer ist nicht falsch; sie ist sogar berechtigt, denn „Nazi“ und Judenstern sind Markierungen, die dazu dienen, Menschen in der Öffentlichkeit aus der Gemeinschaft auszuschließen. Beide Markierungen sind Instrumente der Exklusion.

 

Entwertet, entrechtet und diskriminiert

 

Der Judenstern ist als solcher kein Symbol der Vernichtung: Zunächst wurden die Juden entwertet, entrechtet und diskriminiert. Der Judenstern sollte letzteres erleichtern, indem eine Erkennbarkeit des Jüdischseins nach außen geschaffen wurde. Ähnliche Zurück- und Herabsetzungen durch Exklusionssymbole gab es bereits im arabischen und europäischen Mittelalter; industrielle Menschenvernichtung dagegen ist eine Einzigartigkeit des 20. Jahrhunderts.

 

Boris Palmer sprach nicht von Vernichtung; er sprach von Exklusion. In dieser Hinsicht war er berechtigt, den Judenstern zu erwähnen. Wenn überhaupt von den Beteiligten jemand den Holocaust relativierte oder sogar verharmloste, dann war es der studentische Mob, welcher einen Andersdenkenden als „Nazi“ bezeichnete, ihn also in die Nähe industrieller Menschenvernichter rückte.

 

Ein inhaltlicher Bezug fehlt hier

 

Die Bezeichnung als „Nazi“ kann eine strafbare Beleidigung darstellen. Abhängig ist dies vom Kontext, da stets auch eine Rechtfertigung durch die Meinungsfreiheit in Betracht kommt. In einem konkreten Fall wurde die Strafbarkeit vom OLG Stuttgart bereits verneint (Beschluss vom 19.07.2022 / 4 Rv 26 Ss 366/22), wobei das OLG die Rechtfertigung durch die Meinungsfreiheit im Wesentlichen mit der AfD-Zugehörigkeit des Opfers und der Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz begründete. Unter Zugrundelegung der Kriterien der Rechtsprechung dürfte die Be-zeichnung von Boris Palmer als „Nazi“ allerdings nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein.

 

Konkreter Bezug der Äußerungen der Studenten war Palmers Teilnahme an der Frankfurter Migrationskonferenz und seine Thesen zur Begrenzung der Migration. Das hat auch bei einer wohlwollenden Auslegung im Sinne der Meinungsfreiheit überhaupt keinen Bezug zum Nationalsozialismus, sodass eine Strafbarkeit der Äußerung der Studenten zu bejahen sein dürfte: Der Begriff „Nazi“ dient hier lediglich der Diffamierung und dem Ausschluss aus dem Diskurs. Ein inhaltlicher Bezug fehlt hier. Damit dürfte es sich um eine strafbare Beleidigung zu Lasten von Boris Palmer handeln. Dass im Übrigen damit der Nationalsozialismus und seine Verbrechen stark verharmlost werden, scheint den Tätern nicht aufzufallen.

 

Starke Gründe auf seiner Seite

 

Nun zum zweiten Vorwurf: Hat sich Boris Palmer rassistischen Vokabulars bedient? Auch dies dürfte unzutreffend sein. Erstens hat er niemanden als „Neger“ bezeichnet. Er hat sich allerdings dagegen gewehrt, dass dieses Wort tabuisiert und dem Sprachgebrauch entzogen wird. Dafür hat er starke Gründe auf seiner Seite.

 

Das Wort „Neger“ ist ein alteingebürgertes Wort in der deutschen Sprache. Es wurde benutzt sowohl als neutrale Be-zeichnung als auch auf abwertende Weise. Das Wort als solches und seine Etymologie – nämlich der Bezug zur Farbe „schwarz“ – enthält allerdings keine Abwertung. Die Abwertung erhielt es erst innerhalb einer Semantik, in der dunke-lhäutige Menschen als minderwertig gelten. Ob diese Semantik ins Spiel kommt oder nicht, ist aber diskursabhängig. Darum konnte Martin Luther King sich – nicht ohne Stolz – als „negro“ bezeichnen.

 

Boris Palmer hat daher lediglich auf den Unterschied zwischen Bezeichnung eines Menschen als „Neger“ – was er als beleidigend anerkennt – und der sonstigen Verwendung unterschieden. Das entspricht der Rechtsprechung, die zwischen der Bezeichnung und der sonstigen Verwendung unterscheidet. So hat das LG Karlsruhe (mit Beschluss vom 20.07.2016 / 4 Qs 25/16) ein Recht zum Gegenschlag mit Bezeichnung als „wunderbares Inzuchtprodukt“ nach Bezeich-nung eines Dritten als „wunderbarer Neger“ angenommen, den beleidigenden Charakter bei einer Bezeichnung also bejaht.

 

Andererseits hat das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LVerfG 1/19) explizit darauf hingewiesen, dass nicht jede Nennung des Wortes „Neger“ abwertend gemeint sei. Zwar werde es heute üblicherweise als Bezeich-nung für dunkelhäutige Menschen abwertend gebraucht. In einer Diskussion, ob das Wort verwendet werden könne (wie etwa in diesem Beitrag) oder im ironischen Sprachgebrauch sei seine Verwendung aber zulässig.

 

Nicht abwertend oder rassistisch gemeint

 

Boris Palmer hat auf die Verwendung in älterer Literatur (etwa Astrid Lindgren) hingewiesen. Hier gilt unabhängig von der Frage, ob man die Begriffe ersetzen sollte, dass sie von den Autoren in der Regel nicht abwertend oder rassistisch gemeint sind. Erst in den letzten Jahrzehnten hat das Wort in der Bezeichnung dunkelhäutiger Menschen einen rassistischen Kontext erhalten.

 

Es ist auch der Rechtsordnung und der deutschen Sprache von vornherein fremd, schon das bloße Aussprechen oder Ausschreiben eines Wortes als rassistisch beziehungsweise beleidigend zu empfinden, es entspricht eher voraufkläre-risch-magischem Denken, bekannt durch die Begriffe „Gottseibeiuns“ oder „Leibhaftiger“ für Teufel und sehr schön karikiert im Kinofilm „Das Leben des Brian“ („Jehova, Jehova“). Es ist auch eine nicht belegte Unterstellung, hierin eine Reproduktion von Rassismus zu sehen.

 

Die Schwierigkeiten resultieren hier offenbar daraus, dass der amerikanische Diskurs zur Ächtung des seit jeher ab-wertenden „Nigger“ (im Gegensatz zum früher wertneutralen „Negro“) und seine Ersetzung durch „N-Word“ auf die deutsche Sprache, die diese Differenzierung nicht kannte, übertragen wurde. Es wird nun auch bereits versucht, diese Methode für andere Begriffe anzuwenden, so etwa das I-Wort (für „Indianer“) oder das Zi-Wort für „Zigeuner“, was im übrigen genausowenig stets abwertend ist, wie das OLG Hamm (mit Beschluss vom 28.04.2016 / 3 RVs 37/16) betont.

 

Meistens geht diese Bewegung mit falschen Etymologien einher, so etwa bei „Mohr“ oder „Mulatte“, denen ursprünglich keine abwertende Bedeutung innewohnte. In der Tat ist kein logischer Grund ersichtlich, diese Methode auf eine be-stimmte in der Regel abwertende Bezeichnung zu begrenzen. Dass damit die Sprache bis zur Unkenntlichkeit verstüm-melt wird („K-Wort, S-Wort, A-Wort, Hä-Wort“) ist offenkundig.

 

Anzeichen einer Massenpsychose

 

Festzuhalten bleibt, dass Boris Palmer sich weder rassistisch geäußert noch den Holocaust relativiert hat. Ob seine Aussagen für eine Konferenz passend waren, ist an dieser Stelle nicht zu diskutieren, ob es sinnvoll ist, sich in eine Diskussion mit einem pöbelnden, intellektuell schwachen Mob zu begeben, auch nicht. Bemerkenswert war aber die Reaktion der Betroffenen.

 

Ein Moderator, der die Moderation niederlegte, Personen, die den Saal verließen, im Nachgang das Kündigen von Freundschaften, das hat Anzeichen einer Massenpsychose. Dabei ist doch allseits bekannt, dass der Sog der Masse so verführerisch stark ist, weil sie einem ermöglicht, im Schutz der anonymen Gruppe seinem Machttrieb und Aggressionstrieb freien Lauf zu lassen und das Böse zu projizieren. Offenbar getriggert durch den Gebrauch bestimmter Begriffe scheinen manche Personen jegliches Maß zu verlieren.

 

Dieses Verhalten dokumentiert eine alarmierende Bereitschaft, die Sprache und das öffentliche Sprechen unter gesin-nungspolizeiliche Aufsicht zu stellen und somit die Voraussetzungen für politische Hetzjagden zu schaffen. Es ist er-schreckend, dass nicht nur beträchtliche Sektoren der politischen Klasse diese Gesinnungspolitik betreiben, sondern dass sich auch gewisse universitäre Wissenschaftler daran beteiligen.

 

Gerade diese sollten die Sensibilität gegenüber diffamierenden Äußerungen verbinden mit dem Bewusstsein für die sprachliche und logische Korrektheit und Konsequenz. Dass es eine unzulässige Relativierung oder Verharmlosung des Nationalsozialismus darstellen soll, wenn man die Verwendung herabsetzender und exkludierender Gruppenbegriffe mit dem Anheften eines Judensterns vergleicht, die Zuschreibung von „Nazi“ eine solche Relativierung aber nicht darstellen soll: Das ist nicht konsequent, nicht überzeugend und nicht glaubwürdig.

 

Zielstrebig, lautstark und rücksichtslos

 

Der Verlauf der Migrationskonferenz ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was heutzutage im öffentlichen Diskurs schiefläuft: dass es einer zahlenmäßig kleinen, sich woke empfindenden Gruppe aus selbsternannten antikolonialis-tischen und antirassistischen Rechtgläubigen zielstrebig, lautstark und rücksichtslos agierend gelingt, diesen Diskurs

zu dominieren.

 

Das Distanzieren von Personen, die von einem anonymen Mob attackiert werden, nennt man heute Zivilcourage, es ist aber das Gegenteil. Mut beweist, wer einer Masse widersteht. Und das Empören über Äußerungen ist billig. Man be-kundet damit, auf der Seite der „Guten“ zu stehen, und sich damit für Angriffe gegen einen selbst in Zukunft zu wapp-nen. Und selbstverständlich geht es bei dem Ganzen auch um Machtausübung. Was funktioniert, wird wiederholt – oder muss vielleicht gar nicht wiederholt werden, weil andere sich von vornherein zensieren, um nicht in eine solche Situation zu kommen.

 

Besonders bedenklich an dem Geschehen ist, dass es sich im akademischen Umfeld zugetragen hat. In einem solchen Raum sollte eigentlich jedes Denkverbot, jeder Versuch einer Gruppe, sich eine Deutungshoheit anzumaßen, offen und sofort angegriffen werden. Im akademischen Raum ist alle Taktik fatal, weil sie sofort zu einem Verlust an Freiraum des Denkens führt. Was wäre das Ergebnis einer solchen Akzeptanz von Tabus? Es besteht – zumindest in der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie, die das Laute und Spektakuläre belohnt – die Gefahr, dass man die Hoheit über diskursive Verbote letztendlich dem Mob überlässt.

 

Begriffe aus dem NS-Bereich

 

Betrachten wir nun die Waffen, die dieser Mob einsetzt. Nicht weiter verwunderlich, dass es unter anderem auch um Begriffe aus dem NS-Bereich geht. Diese sind von ihrer „Schlagkraft“ her in Deutschland ja immer noch die stärksten. So stark, dass simple Logik – auch dies eigentlich seltsam, wenn man bedenkt, dass das Ganze im akademischen Raum stattgefunden hat – offenbar außen vor bleiben darf.

 

Man sollte meinen, die machtstrategischen Aspekte seien recht offensichtlich. Wir sind aber, warum auch immer, in Verhältnissen angekommen, in denen die Erregungsbereitschaft kleiner Gruppen die Normen bestimmt, die für große Gruppen gelten. Das wesentliche Kriterium ist die Emotionalität des gesamten Vorgehens. Emotionen bestimmen das Geschehen mehr als kognitive Diskurse, Emotionen sind leicht, man muss sich dafür nicht anstrengen, und jeder kann sie produzieren. Und hier kommt natürlich auch der Kontext des Gesamten ins Spiel – das Thema Migration, das wie kaum ein zweites emotionalisiert und polarisiert.

 

Auffällig und bezeichnend ist, dass die Empörung sich nun gegen eine Veranstaltung richtet, die die aktuelle Migrationspolitik kritisierte und in welcher manche Referenten auf durch die Migration verursachte Probleme hingewiesen haben. Die möglicherweise unpassenden und deplatzierten, aber wie gezeigt weder holocaust-relativierenden noch rassistischen Äußerungen Palmers bieten hierfür einen willkommenen Anlass.

 

Über den Hebel Boris Palmer

 

Es ist auch kein Zufall, dass sich die Hetze nun über den Hebel Boris Palmer gegen eine Wissenschaftlerin richtet, die sich in ihren Tagungen in der Vergangenheit mehrfach kritisch mit dem politischen Islam auseinandergesetzt hatte (Susanne Schröter; Anm. d. Red.). So verstärkt sich nun auch das Mobbing gegen Palmer, man versucht damit auch die Organisatoren und die anderen Referenten der Tagung zu treffen. Das Mobbing war erfolgreich. Palmer kündigte für Juni eine Auszeit an und trat aus der Partei Die Grünen aus.

 

Der Mob und die Mitläufer haben im Namen einer angemaßten Moral ein vollkommen amoralisches Verhalten gezeigt. Es wäre mehr als fatal, wenn eine solche Verhaltensweise ihr Ziel erreicht. Jedoch, die Macht der kleinen Gruppe existiert nur, weil man es zulässt; man kann dieses Zugeständnis jederzeit beenden, indem man sich klar macht, dass diese Erregungsbereitschaft den wissenschaftlichen Diskurs vergiftet und fatale Folgen haben kann.

 

Autoren: Prof. Dr. Egon Flaig, Prof. Dr. Christian F. Majer, Prof. Dr. Burkhard Meißner, Prof. Dr. Aglaja Stirn

 

Aufregung um Boris Palmer - Mut beweist, wer einer Masse widersteht | Cicero Online

 


 

Wissenschaft ist auch eine Charakterfrage

 

Während seit einer Woche alle Welt über Boris Palmers Auftritt auf einer wissenschaftlichen Konferenz disku-tiert, spielt sich in deren Hintergrund etwas viel Gewichtigeres ab. Mehr als einhundert Wissenschaftler haben sich verbündet, um eine Kollegin mundtot zu machen. Und die eigentlich zuständige Hochschulleitung schweigt darüber.

 

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Wissenschaftler genau so infam und charakterlos sein können wie ganz normale Menschen, wäre er nunmehr erbracht. Im Nachgang zu einer Fachkonferenz mit dem Titel „Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland“ am „Frankfurter For-schungszentrum Globaler Islam“ (FFGI) hat sich innerhalb kürzester Zeit eine dreistellige Zahl von Wissenschaftlern zusammengerottet, um eine Kollegin am besten mundtot zu machen.

 

Die Rede ist von Susanne Schröter, Ethnologin und seit 2014 Direktorin des FFGI. Schröter ist schon seit Jahren als mahnende Stimme gegen den politischen Islam bekannt. Immer wieder brachte ihr das erhebliche Kritik „von Linken und Islamisten“ ein, wie sie selbst sagt. Aber seit einer Woche hat das alles ein neues Niveau erreicht.

 

Mathias Brodkorb war Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern und gehört der SPD an.

 

Die Ethnologin Susanne Schröter steht unter Druck - Wissenschaft ist auch eine Charakterfrage | Cicero Online