Demagogen und Kultfiguren gab es in der Politik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder. Manche, wie z.B. Rudi Dutschke, der hoch intellektuelle, aber auch fanatische Anführer des linken Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) wurde nach seinem recht frühen Tod sogar als ein Märtyrer geehrt, indem in einigen Städten Straßen und Plätze nach ihm benannt wurden. Er blieb bis heute eine Kultfigur der 68er-Generation und daran schien sich auch nicht viel zu ändern, als nach seinem Tod herauskam, dass der Polizist, der ihn auf offener Straße angeschos-sen hatte, kein Vertreter des sog. "Schweinesystems", sondern ein Geheimagent der DDR gewesen ist.
Doch die aktuelle Lage ist seit den 90er Jahren eine ganz andere. Denn Rudi Dutschke hätte als linker sozialistischer Demagoge nach dem Ende des RAF-Terrors anders als Joschka Fischer vom Bündnis 90/Die Grünen oder als Bodo Ramelow von der Linken kaum eine Chance in ein politisches Amt kommen können. Dafür war er am Ende nämlich doch nicht geeignet, da er nur einen marxistischen Polit-Jargon für Insider gesprochen hatte, der kaum kaum allgemein verständlich war und da eher große Visionen im Kopf, als kleinteilige und konkrete Pläne in der Tasche hatte. Wenn der fanatische Marxist Rudi Dutschke wirklich an die Macht gekommen wäre, wäre der nach Westen orientierte freiheitlich-demokratische Rechtstaat in Deutschland wahrscheinlich ca. 30 Jahre nach Kriegsende beendet gewesen, es sei denn die Amerikaner hätten mit Zustimmung der anderen beiden westlichen Alliierten eingegriffen und es verhindert.
Björn Höcke hingegen ist ein einflussreicher Politiker der AfD, ein Vordenker des neueren Rechtspopulismus, wie es ihn seit einigen Jahren in ganz Europa gibt. Viele führende Journalisten und Medienvertreter bezeichnen ihn vermutlich zurecht als einen Rechtsradikalen und manche erheben sogar den hierzulande rufschädigenden Vorwurf, dass er ein waschechter Nazi sei. Das mag übertrieben sein, und dient seinen Gegnern vorwiegend dazu, sein Image zu schädigen und seinen Erfolg zu verhindern. Da es die seit Kriegsende verbotene NSDAP gar nicht mehr gibt, kann es genau ge-nommen auch keine Nazis mehr geben. Zeitgenössische Rechtsradikale können nur noch mit dem Schreckgespenstern der Nazi-Zeit drohen und lautstark wüten oder einem ewig gestrigen Nazi-Kult um den toten Adolf Hitler und um andere tote Mitglieder der NSDAP pflegen oder deren düstere rassistische Ideologie aufbereiten.
Aber ein politischer Konservativer im guten Sinne ist Höcke sicher auch nicht, sondern vielmehr ein autoritärer Politiker und ein politischer Reaktionär, der einige liberale, demokratische, rechtstaatliche und wirtschaftspolitische Reformen
der letzten Jahrzehnte rückgängig machen würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen würde. Daran dass er oft ziemlich radikale Reden schwingt, ändert auch sein bürgerliches Outfit mit Anzug und Krawatte gar nichts. Für viele Rechtspopulisten in der AfD und ihre teils rechtspopulistische, teils rechtsradikale Sympathisantenszene ist er außerdem eine einflussreiche Kultfigur, der die Leute auf Wahlveranstaltungen durch seine pathetischen Reden um ihren Verstand bringt. Was ihn nicht nur für die aktuellen Regierungsparteien, sondern auch für das politische "System" von Demo-kratie, Rechtstaat und sozialer Marktwirtschaft so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass er in Thüringen bereits seit einigen Jahren ein gewählter Abgeordneter und der Fraktionsführer der AfD im Parlament dieses Bundeslandes ist.
Aber selbst, wenn Höcke dort in den nächsten Jahren Ministerpräsident und Nachfolger von Bodo Ramelow werden würde, würde Deutschland ebenso wenig untergehen, wie durch die von einem gemäßigten Linken geführte Landes-regierung. Amt und Mandat, Parlament und Opposition würden ihn einhegen. Auch Giorgia Meloni kann in Italien nur angepasster regieren als sie zuvor im Wahlkampf getönt hat. Zwar hat Höcke es bisher aus taktischen Gründen der Partei nicht in die erste Reihe der AfD-Fraktion im Bundestag geschafft, wo ein wenig gemäßigtere Politiker mit einem bürgerlicheren Auftreten wie Timo Chupalla und Alice Weidel die Partei strategisch offensiv und taktisch geschickt vertreten. Aber was noch nicht der Fall ist, kann ja noch passieren. Das wäre dann zwar kein militanter Putschversuch, von dem die sog. Reichsbürger oder rechtsradikale Aktivisten aus militanteren Gruppierungen und rechtsradikalen Parteien träumen, aber er könnte dann doch einen erheblichen Schaden für die politische Kultur und das Ansehen Deutschlands in einigen Demokratien Europas und der Welt anrichten.
Das liegt vor allem an der jüngeren Geschichte Deutschlands von 1933 bis 1945. Der Nazivorwurf wird in der Boulvard-presse des europäischen Auslands immer noch gerne erhoben, was auch schon Angela Merkel zu spüren bekam. Denn der Name Adolf Hitlers wurde nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zum internationalen Synonym für das Böse. Daher ist es nur angemessen, dass der Bundesdeutsche Verfassungsschutz ihn im Auge behält und mit ihm den Rest-bestand der früheren Mitglieder des verbotenen rechten "Flügels". Aber der Verfassungsschutz sollte sich dabei auch nicht von der Regierung und den Parteien der Ampelkoalition instrumentalisieren lassen, um einen für sie gefährlichen politischen Gegner zu diffarmieren oder gar auszuschalten. Aber im Interesse Deutschland ist diese politische Maß-nahme auf jeden Fall.
Beunruhigend ist, dass die erfolglos und bedenklich agierende Ampelkoalition, in der immer noch die Grünen und nicht der Kanzler Olaf Scholz weitgehend die Richtung bestimmen, immer mehr Wähler aufgrund einer nur allzu verständ-lichen Unzufriedenheit in die offenen Arme der AfD treibt. In dieser komfortablen Lage war der linke Rudi Dutschke nie gewesen, da die Mehrheit der Deutschen nie allzu große Sympathien für den etwas abgehobenen SDS mit ihrem ideo-logischen Politjargon hatte. Vielmehr eiferten ihm nur linke Studierende nach, die zu viel Marx, Lenin oder Mao Zedong gelesen hatten, aber zu wenig Platon und Aristoteles, Kant und Hegel. Hinzu kamen dann nur noch die ideologischen Anhänger der linken Splitterparteien und der sog. K-Gruppen an den Universitäten (KBW, DKP, KPD/ML, etc.).
Bei Björn Höcke kommen die Sympathien jedoch neuerdings aus der sog. "Mitte der Gesellschaft" und -- nicht nur in
den neuen Bundesländern -- von den sog. einfachen Leuten aus dem Arbeitermilieu, die sich von der SPD oder von der Linken nicht mehr recht vertreten fühlen, sowie aus dem Milieu der kleinen Angestellten ohne akademische Bildung. Dennoch sollte man sich nicht auf ihn als populäre Gallions- und Kultfigur konzentrieren, sondern die ganze Partei beobachten und bekämpfen. Denn obwohl sie demokratisch gewählt sind, sind sie seit einigen Jahren mindestens ein
so großes Problem für die parlamentarische Kultur und die freiheitliche und rechtsstaatliche Politik in Deutschland wie die von der ideologischen Wokeness-Welle und linksliberalen Identitätspolitik erfassten Grünen.
Was Björn Höcke, Maximilian Krah, den AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl und die ganze AfD jedoch besonders gefährlich macht, ist weniger ihre Vernetzung mit anderen Rechtspopulisten in Europa oder ihre Sympathien für Orban in Ungarn, Le Pen in Frankreich oder Meloni in Italien, sondern die unverhohlene Sympathie für Wladimir Putin, der sicher kein "lupenreiner Demokrat" ist, sondern ein autoritärer Kleptokrat, ein verlogener Präsident eines mafiösen Systems von Oligarchen und ein kriegslüsterner Diktator mit Schlips und Kragen, der den liberalen demokratischen Westen verachtet und der die EU und die Nato als Feinde Russlands auffasst. Eine Partei, die Putin derart bewundert, darf in Deutschland nie und nimmer regieren, weder in Thüringen noch in Berlin.
Was Björn Höcke, Maximilian Krah und die AfD außerdem gefährlich und kaum erträglich macht, ist ihr weitgehende Leugnung und Verharmlosung der weltweiten Klimakrise. Die gemeinsamen Anstrengungen der Regierungen in Deutschland, Europa und in der ganzen Welt, das in vielen Regionen zunehmend turbulenter werdende Klima zu schonen, die natürlichen Lebensbedingungen und Arten zu erhalten, verträgt keinen Trump, keinen Bolsonaro und keine Regierungen in Europa, die den Ernst der Lage verkennen. Ob es um Krieg geht oder um Naturschutz oder um Verbraucherschutz, um das Gesundheitswesen, um das Rentensystem, um das Bildungswesen oder um die Arbeits-losigkeit und die Wirtschaft, immer sind freiheitlich-rechtstaatliche Demokratien erfahrungsgemäß langfristig viel
besser in der Lage, die Interessen der Bürger in die politischen Entscheidungsprozesse einzubringen, wenn auch
nur langfristig und nur indirekt über Wahlen und über eine parlamentarische Demokratie.
Der beste Nachweis dafür bietet ein Vergleich zwischen dem autoritär regierten Russland und den immer noch demo-kratischen USA. Doch um die demokratie-feindlichen Bestrebungen in den USA in Schach zu halten, bedarf es auch dort eines starken Rechtstaates und starker politischer Institutionen als einem tragenden Gerüst gegen die Anfechtungen der religiösen Rechten, der chauvinistischen Trumpisten und der weißen Rassisten. In China kriselt es auch schon wieder und spätestens seit der Corona-Epidemie (die China vielleicht sogar selbst durch ihre geheimen Biowaffenversuche an Corona-Viren im Labor in Wuhan verursacht haben), ist es gar nicht mehr so klar, ob ihre wirtschaftliche Prosperität
nicht irgendwann auch zu Demokratisierungsprozessen führt, weil mit dem Wohlstand auch das Selbstbewusstsein
der Menschen wächst. Wir wissen nicht, wohin China driftet, denn China hat sich mit seiner autoritären Ein-Kind-Politik
selbst große Probleme geschaffen. China leidet als große Industrienation auch an den Folgen der Klimakrise und es kann sein, dass die Unterdrückung der Uiguren sowie die weltweit größte Christenverfolgung irgendwann auch nicht mehr gelingen wird. Der politische Widerstand in der DDR ist bis zu ihrem Untergang auch zum größten Teil von den evangelischen Kirchen und Hauskreisen ausgegangen.
Ganz gleich, ob Björn Höcke eine Verbundenhet mit dem christlichen Glauben heuchelt oder nicht, seine utilitaristische Infragestellung der modernen Inklusion im Bildungswesen (im Sommerinterview des MDR) , entspringt sicher nicht dem sog. christlichen Menschenbild und schon gar nicht einer christlichen Art und Weise, auch körperlich oder geistig be-hinderte Kinder aufgrund ihrer angeborenen Würde zu respektieren und in Kitas und Schulen menschenfreundlich zu behandeln. Schließlich vermeiden der ehemalige Geschichtslehrer Björn Höcke, der traditionalistische Römische Katholik Maximilian Krah, der frühere AfD-Vorsitzende Alexander Gauland und die Mehrheit der Parlamentarier der AfD eine klare und deutliche Verantwortungsübernahme für das schwierige Erbe des alten europäischen, deutschen und nationalsozialistischen Antisemitismus und Rassismus.
Vielmehr dulden sie zumindest die schleichende Wiederkehr antisemitischer und rassistischer Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft, nicht nur bei Hooligans, sondern vor allem beim rechtslastigen Institut für Staatspolitik, bei diversen Verlagen der Neuen Rechten (wie Antaios, Sezession, Neue Freiheit, etc.), bei den sog. Reichsbürgern, bei gewaltbereiten Rechtsradikalen oder bei Feministinnen, bei radikalen Umweltschützern und anti-israelischen Linken. Den einzigen Anti-Semitismus, den sie offen kritisieren ist der von judenfeindlichen Islamisten und israelfeindlichen Muslimen.
Behindertenverbände und Gewerkschaften entsetzt über Höcke-Äußerungen im MDR
WEB.DE am 10.08.2023
Die jüngsten Äußerungen des rechtsextremen AfD-Fraktionschefs Björn Höcke alarmieren Behindertenvereine und Gewerkschaften. Höcke bezeichnete im Sommerinterview des MDR die Inklusion in Regelschulen als "Ideologieprojekt", von dem das Bildungssystem zu "befreien" sei. Deutschland hat sich 2009 zum Recht auf gleichberechtigte Teilhabe bekannt und damit die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert.